The Project Gutenberg EBook of Nachtstuecke, by E.T.A. Hoffmann Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the copyright laws for your country before downloading or redistributing this or any other Project Gutenberg eBook. This header should be the first thing seen when viewing this Project Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the header without written permission. Please read the "legal small print," and other information about the eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is important information about your specific rights and restrictions in how the file may be used. You can also find out about how to make a donation to Project Gutenberg, and how to get involved. **Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts** **eBooks Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971** *****These eBooks Were Prepared By Thousands of Volunteers!***** Title: Nachtstuecke Author: E.T.A. Hoffmann Release Date: August, 2004 [EBook #6341] [Yes, we are more than one year ahead of schedule] [This file was first posted on November 28, 2002] Edition: 10 Language: German Character set encoding: ASCII *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, NACHTSTUECKE *** This text has been derived from HTML files at "Projekt Gutenberg - DE" (http://www.gutenberg2000.de/etahoff/nachtst.htm), prepared by Gerd Bouillon (gerd.bouillon@t-online.de), (reuter@abc.de), and Gunter Hille (hille@abc.de). Nachtstuecke Erzaehlungen von E.T.A. Hoffmann Erster Teil Der Sandmann Ignaz Denner Die Jesuitenkirche in G. Das Sanctus Zweiter Teil Das oede Haus Das Majorat Das Geluebde Das steinerne Herz Erster Teil Der Sandmann Nathanael an Lothar Gewiss seid Ihr alle voll Unruhe, dass ich so lange - lange nicht geschrieben. Mutter zuernt wohl, und Clara mag glauben, ich lebe hier in Saus und Braus und vergesse mein holdes Engelsbild, so tief mir in Herz und Sinn eingepraegt, ganz und gar. - Dem ist aber nicht so; taeglich und stuendlich gedenke ich Eurer aller und in suessen Traeumen geht meines holden Claerchens freundliche Gestalt vorueber und laechelt mich mit ihren hellen Augen so anmutig an, wie sie wohl pflegte, wenn ich zu Euch hineintrat. - Ach wie vermochte ich denn Euch zu schreiben, in der zerrissenen Stimmung des Geistes, die mir bisher alle Gedanken verstoerte! - Etwas Entsetzliches ist in mein Leben getreten! - Dunkle Ahnungen eines graesslichen mir drohenden Geschicks breiten sich wie schwarze Wolkenschatten ueber mich aus, undurchdringlich jedem freundlichen Sonnenstrahl. - Nun soll ich Dir sagen, was mir widerfuhr. Ich muss es, das sehe ich ein, aber nur es denkend, lacht es wie toll aus mir heraus. - Ach mein herzlieber Lothar! wie fange ich es denn an, Dich nur einigermassen empfinden zu lassen, dass das, was mir vor einigen Tagen geschah, denn wirklich mein Leben so feindlich zerstoeren konnte! Waerst Du nur hier, so koenntest Du selbst schauen; aber jetzt haeltst Du mich gewiss fuer einen aberwitzigen Geisterseher. - Kurz und gut, das Entsetzliche, was mir geschah, dessen toedlichen Eindruck zu vermeiden ich mich vergebens bemuehe, besteht in nichts anderm, als dass vor einigen Tagen, naemlich am 30. Oktober mittags um 12 Uhr, ein Wetterglashaendler in meine Stube trat und mir seine Ware anbot. Ich kaufte nichts und drohte, ihn die Treppe herabzuwerfen, worauf er aber von selbst fortging. Du ahnest, dass nur ganz eigne, tief in mein Leben eingreifende Beziehungen diesem Vorfall Bedeutung geben koennen, ja, dass wohl die Person jenes unglueckseligen Kraemers gar feindlich auf mich wirken muss. So ist es in der Tat. Mit aller Kraft fasse ich mich zusammen, um ruhig und geduldig Dir aus meiner fruehern Jugendzeit so viel zu erzaehlen, dass Deinem regen Sinn alles klar und deutlich in leuchtenden Bildern aufgehen wird. Indem ich anfangen will, hoere ich Dich lachen und Clara sagen: "Das sind ja rechte Kindereien!" - Lacht, ich bitte Euch, lacht mich recht herzlich aus! - ich bitt Euch sehr! - Aber Gott im Himmel! die Haare straeuben sich mir und es ist, als flehe ich Euch an, mich auszulachen, in wahnsinniger Verzweiflung, wie Franz Moor den Daniel. - Nun fort zur Sache! Ausser dem Mittagsessen sahen wir, ich und mein Geschwister, tagueber den Vater wenig. Er mochte mit seinem Dienst viel beschaeftigt sein. Nach dem Abendessen, das alter Sitte gemaess schon um sieben Uhr aufgetragen wurde, gingen wir alle, die Mutter mit uns, in des Vaters Arbeitszimmer und setzten uns um einen runden Tisch. Der Vater rauchte Tabak und trank ein grosses Glas Bier dazu. Oft erzaehlte er uns viele wunderbare Geschichten und geriet darueber so in Eifer, dass ihm die Pfeife immer ausging, die ich, ihm brennend Papier hinhaltend, wieder anzuenden musste, welches mir denn ein Hauptspass war. Oft gab er uns aber Bilderbuecher in die Haende, sass stumm und starr in seinem Lehnstuhl und blies starke Dampfwolken von sich, dass wir alle wie im Nebel schwammen. An solchen Abenden war die Mutter sehr traurig und kaum schlug die Uhr neun, so sprach sie: "Nun Kinder! - zu Bette! zu Bette! der Sandmann kommt, ich merk es schon." Wirklich hoerte ich dann jedesmal etwas schweren langsamen Tritts die Treppe heraufpoltern; das musste der Sandmann sein. Einmal war mir jenes dumpfe Treten und Poltern besonders graulich; ich frug die Mutter, indem sie uns fortfuehrte: "Ei Mama! wer ist denn der boese Sandmann, der uns immer von Papa forttreibt? - wie sieht er denn aus?" - "Es gibt keinen Sandmann, mein liebes Kind", erwiderte die Mutter: "wenn ich sage, der Sandmann kommt, so will das nur heissen, ihr seid schlaefrig und koennt die Augen nicht offen behalten, als haette man euch Sand hineingestreut." - Der Mutter Antwort befriedigte mich nicht, ja in meinem kindischen Gemuet entfaltete sich deutlich der Gedanke, dass die Mutter den Sandmann nur verleugne, damit wir uns vor ihm nicht fuerchten sollten, ich hoerte ihn ja immer die Treppe heraufkommen. Voll Neugierde, Naeheres von diesem Sandmann und seiner Beziehung auf uns Kinder zu erfahren, frug ich endlich die alte Frau, die meine juengste Schwester wartete: was denn das fuer ein Mann sei, der Sandmann? "Ei Thanelchen", erwiderte diese, "weisst du das noch nicht? Das ist ein boeser Mann, der kommt zu den Kindern, wenn sie nicht zu Bett gehen wollen und wirft ihnen Haendevoll Sand in die Augen, dass sie blutig zum Kopf herausspringen, die wirft er dann in den Sack und traegt sie in den Halbmond zur Atzung fuer seine Kinderchen; die sitzen dort im Nest und haben krumme Schnaebel, wie die Eulen, damit picken sie der unartigen Menschenkindlein Augen auf." - Graesslich malte sich nun im Innern mir das Bild des grausamen Sandmanns aus; sowie es abends die Treppe heraufpolterte, zitterte ich vor Angst und Entsetzen. Nichts als den unter Traenen hergestotterten Ruf. "Der Sandmann! der Sandmann! " konnte die Mutter aus mir herausbringen. Ich lief darauf in das Schlafzimmer, und wohl die ganze Nacht ueber quaelte mich die fuerchterliche Erscheinung des Sandmanns. - Schon alt genug war ich geworden, um einzusehen, dass das mit dem Sandmann und seinem Kindernest im Halbmonde, so wie es mir die Wartefrau erzaehlt hatte, wohl nicht ganz seine Richtigkeit haben koenne; indessen blieb mir der Sandmann ein fuerchterliches Gespenst, und Grauen - Entsetzen ergriff mich, wenn ich ihn nicht allein die Treppe heraufkommen, sondern auch meines Vaters Stubentuer heftig aufreissen und hineintreten hoerte. Manchmal blieb er lange weg, dann kam er oefter hintereinander. Jahrelang dauerte das, und nicht gewoehnen konnte ich mich an den unheimlichen Spuk, nicht bleicher wurde in mir das Bild des grausigen Sandmanns. Sein Umgang mit dem Vater fing an meine Fantasie immer mehr und mehr zu beschaeftigen: den Vater darum zu befragen hielt mich eine unueberwindliche Scheu zurueck, aber selbst - selbst das Geheimnis zu erforschen, den fabelhaften Sandmann zu sehen, dazu keimte mit den Jahren immer mehr die Lust in mir empor. Der Sandmann hatte mich auf die Bahn des Wunderbaren, Abenteuerlichen gebracht, das so schon leicht im kindlichen Gemuet sich einnistet. Nichts war mir lieber, als schauerliche Geschichten von Kobolten, Hexen, Daeumlingen usw. zu hoeren oder zu lesen; aber obenan stand immer der Sandmann, den ich in den seltsamsten, abscheulichsten Gestalten ueberall auf Tische, Schraenke und Waende mit Kreide, Kohle, hinzeichnete. Als ich zehn Jahre alt geworden, wies mich die Mutter aus der Kinderstube in ein Kaemmerchen, das auf dem Korridor unfern von meines Vaters Zimmer lag. Noch immer mussten wir uns, wenn auf den Schlag neun Uhr sich jener Unbekannte im Hause hoeren liess, schnell entfernen. In meinem Kaemmerchen vernahm ich, wie er bei dem Vater hineintrat und bald darauf war es mir dann, als verbreite sich im Hause ein feiner seltsam riechender Dampf. Immer hoeher mit der Neugierde wuchs der Mut, auf irgend eine Weise des Sandmanns Bekanntschaft zu machen. Oft schlich ich schnell aus dem Kaemmerchen auf den Korridor, wenn die Mutter voruebergegangen, aber nichts konnte ich erlauschen, denn immer war der Sandmann schon zur Tuere hinein, wenn ich den Platz erreicht hatte, wo er mir sichtbar werden musste. Endlich von unwiderstehlichem Drange getrieben, beschloss ich, im Zimmer des Vaters selbst mich zu verbergen und den Sandmann zu erwarten. An des Vaters Schweigen, an der Mutter Traurigkeit merkte ich eines Abends, dass der Sandmann kommen werde; ich schuetzte daher grosse Muedigkeit vor, verliess schon vor neun Uhr das Zimmer und verbarg mich dicht neben der Tuere in einen Schlupfwinkel. Die Haustuer knarrte, durch den Flur ging es, langsamen, schweren, droehnenden Schrittes nach der Treppe. Die Mutter eilte mit dem Geschwister mir vorueber. Leise - leise oeffnete ich des Vaters Stubentuer. Er sass, wie gewoehnlich, stumm und starr den Ruecken der Tuere zugekehrt, er bemerkte mich nicht, schnell war ich hinein und hinter der Gardine, die einem gleich neben der Tuere stehenden offnen Schrank, worin meines Vaters Kleider hingen, vorgezogen war. - Naeher - immer naeher droehnten die Tritte - es hustete und scharrte und brummte seltsam draussen. Das Herz bebte mir vor Angst und Erwartung. - Dicht, dicht vor der Tuere ein scharfer Tritt - ein heftiger Schlag auf die Klinke, die Tuer springt rasselnd auf! - Mit Gewalt mich ermannend gucke ich behutsam hervor. Der Sandmann steht mitten in der Stube vor meinem Vater, der helle Schein der Lichter brennt ihm ins Gesicht! - Der Sandmann, der fuerchterliche Sandmann ist der alte Advokat Coppelius, der manchmal bei uns zu Mittage isst! Aber die graesslichste Gestalt haette mir nicht tieferes Entsetzen erregen koennen, als eben dieser Coppelius. - Denke Dir einen grossen breitschultrigen Mann mit einem unfoermlich dicken Kopf, erdgelbem Gesicht, buschigten grauen Augenbrauen, unter denen ein Paar gruenliche Katzenaugen stechend hervorfunkeln, grosser, starker ueber die Oberlippe gezogener Nase. Das schiefe Maul verzieht sich oft zum haemischen Lachen; dann werden auf den Backen ein paar dunkelrote Flecke sichtbar und ein seltsam zischender Ton faehrt durch die zusammengekniffenen Zaehne. Coppelius erschien immer in einem altmodisch zugeschnittenen aschgrauen Rocke, eben solcher Weste und gleichen Beinkleidern, aber dazu schwarze Struempfe und Schuhe mit kleinen Steinschnallen. Die kleine Peruecke reichte kaum bis ueber den Kopfwirbel heraus, die Kleblocken standen hoch ueber den grossen roten Ohren und ein breiter verschlossener Haarbeutel starrte von dem Nacken weg, so dass man die silberne Schnalle sah, die die gefaeltelte Halsbinde schloss. Die ganze Figur war ueberhaupt widrig und abscheulich; aber vor allem waren uns Kindern seine grossen knotigten, haarigten Faeuste zuwider, so dass wir, was er damit beruehrte, nicht mehr mochten. Das hatte er bemerkt und nun war es seine Freude, irgend ein Stueckchen Kuchen, oder eine suesse Frucht, die uns die gute Mutter heimlich auf den Teller gelegt, unter diesem, oder jenem Vorwande zu beruehren, dass wir, helle Traenen in den Augen, die Naescherei, der wir uns erfreuen sollten, nicht mehr geniessen mochten vor Ekel und Abscheu. Ebenso machte er es, wenn uns an Feiertagen der Vater ein klein Glaeschen suessen Weins eingeschenkt hatte. Dann fuhr er schnell mit der Faust herueber, oder brachte wohl gar das Glas an die blauen Lippen und lachte recht teuflisch, wenn wir unsern Aerger nur leise schluchzend aeussern durften. Er pflegte uns nur immer die kleinen Bestien zu nennen; wir durften, war er zugegen, keinen Laut von uns geben und verwuenschten den haesslichen, feindlichen Mann, der uns recht mit Bedacht und Absicht auch die kleinste Freude verdarb. Die Mutter schien ebenso, wie wir, den widerwaertigen Coppelius zu hassen; denn so wie er sich zeigte, war ihr Frohsinn, ihr heiteres unbefangenes Wesen umgewandelt in traurigen, duestern Ernst. Der Vater betrug sich gegen ihn, als sei er ein hoeheres Wesen, dessen Unarten man dulden und das man auf jede Weise bei guter Laune erhalten muesse. Er durfte nur leise andeuten und Lieblingsgerichte wurden gekocht und seltene Weine kredenzt. Als ich nun diesen Coppelius sah, ging es grausig und entsetzlich in meiner Seele auf, dass ja niemand anders, als er, der Sandmann sein koenne, aber der Sandmann war mir nicht mehr jener Popanz aus dem Ammenmaerchen, der dem Eulennest im Halbmonde Kinderaugen zur Atzung holt - nein! - ein haesslicher gespenstischer Unhold, der ueberall, wo er einschreitet, Jammer - Not - zeitliches, ewiges Verderben bringt. Ich war fest gezaubert. Auf die Gefahr entdeckt, und, wie ich deutlich dachte, hart gestraft zu werden, blieb ich stehen, den Kopf lauschend durch die Gardine hervorgestreckt. Mein Vater empfing den Coppelius feierlich. "Auf! - zum Werk", rief dieser mit heiserer, schnurrender Stimme und warf den Rock ab. Der Vater zog still und finster seinen Schlafrock aus und beide kleideten sich in lange schwarze Kittel. Wo sie die hernahmen, hatte ich uebersehen. Der Vater oeffnete die Fluegeltuer eines Wandschranks; aber ich sah, dass das, was ich solange dafuer gehalten, kein Wandschrank, sondern vielmehr eine schwarze Hoehlung war, in der ein kleiner Herd stand. Coppelius trat hinzu und eine blaue Flamme knisterte auf dem Herde empor. Allerlei seltsames Geraete stand umher. Ach Gott! - wie sich nun mein alter Vater zum Feuer herabbueckte, da sah er ganz anders aus. Ein graesslicher krampfhafter Schmerz schien seine sanften ehrlichen Zuege zum haesslichen widerwaertigen Teufelsbilde verzogen zu haben. Er sah dem Coppelius aehnlich. Dieser schwang die glutrote Zange und holte damit hellblinkende Massen aus dem dicken Qualm, die er dann emsig haemmerte. Mir war es als wuerden Menschengesichter ringsumher sichtbar, aber ohne Augen - scheussliche, tiefe schwarze Hoehlen statt ihrer. "Augen her, Augen her!" rief Coppelius mit dumpfer droehnender Stimme. Ich kreischte auf von wildem Entsetzen gewaltig erfasst und stuerzte aus meinem Versteck heraus auf den Boden. Da ergriff mich Coppelius, "kleine Bestie! - kleine Bestie!" meckerte er zaehnfletschend! - riss mich auf und warf mich auf den Herd, dass die Flamme mein Haar zu sengen begann: "Nun haben wir Augen - Augen - ein schoen Paar Kinderaugen." So fluesterte Coppelius, und griff mit den Faeusten glutrote Koerner aus der Flamme, die er mir in die Augen streuen wollte. Da hob mein Vater flehend die Haende empor und rief. "Meister! Meister! lass meinem Nathanael die Augen - lass sie ihm!" Coppelius lachte gellend auf und rief. "Mag denn der Junge die Augen behalten und sein Pensum flennen in der Welt; aber nun wollen wir doch den Mechanismus der Haende und der Fuesse recht observieren." Und damit fasste er mich gewaltig, dass die Gelenke knackten, und schrob mir die Haende ab und die Fuesse und setzte sie bald hier, bald dort wieder ein. "'s steht doch ueberall nicht recht! 's gut so wie es war! - Der Alte hat's verstanden!" So zischte und lispelte Coppelius; aber alles um mich her wurde schwarz und finster, ein jaeher Krampf durchzuckte Nerv und Gebein - ich fuehlte nichts mehr. Ein sanfter warmer Hauch glitt ueber mein Gesicht, ich erwachte wie aus dem Todesschlaf, die Mutter hatte sich ueber mich hingebeugt. "Ist der Sandmann noch da?" stammelte ich. "Nein, mein liebes Kind, der ist lange, lange fort, der tut dir keinen Schaden!" - So sprach die Mutter und kuesste und herzte den wiedergewonnenen Liebling. Was soll ich Dich ermueden, mein herzlieber Lothar! was soll ich so weitlaeufig einzelnes hererzaehlen, da noch so vieles zu sagen uebrig bleibt? Genug! - ich war bei der Lauscherei entdeckt, und von Coppelius gemisshandelt worden. Angst und Schrecken hatten mir ein hitziges Fieber zugezogen, an dem ich mehrere Wochen krank lag. "Ist der Sandmann noch da?" - Das war mein erstes gesundes Wort und das Zeichen meiner Genesung, meiner Rettung. - Nur noch den schrecklichsten Moment meiner Jugendjahre darf ich Dir erzaehlen; dann wirst Du ueberzeugt sein, dass es nicht meiner Augen Bloedigkeit ist, wenn mir nun alles farblos erscheint, sondern, dass ein dunkles Verhaengnis wirklich einen trueben Wolkenschleier ueber mein Leben gehaengt hat, den ich vielleicht nur sterbend zerreisse. Coppelius liess sich nicht mehr sehen, es hiess, er habe die Stadt verlassen. Ein Jahr mochte vergangen sein, als wir der alten unveraenderten Sitte gemaess abends an dem runden Tische sassen. Der Vater war sehr heiter und erzaehlte viel Ergoetzliches von den Reisen, die er in seiner Jugend gemacht. Da hoerten wir, als es neune schlug, ploetzlich die Haustuer in den Angeln knarren und langsame eisenschwere Schritte droehnten durch den Hausflur die Treppe herauf. "Das ist Coppelius", sagte meine Mutter erblassend. "Ja! - es ist Coppelius", wiederholte der Vater mit matter gebrochener Stimme. Die Traenen stuerzten der Mutter aus den Augen. "Aber Vater, Vater!" rief sie, "muss es denn so sein?" - "Zum letzten Male!" erwiderte dieser, "zum letzten Male kommt er zu mir, ich verspreche es dir. Geh nur, geh mit den Kindern! - Geht - geht zu Bette! Gute Nacht!" Mir war es, als sei ich in schweren kalten Stein eingepresst - mein Atem stockte! - Die Mutter ergriff mich beim Arm als ich unbeweglich stehen blieb: "Komm Nathanael, komme nur!" Ich liess mich fortfuehren, ich trat in meine Kammer. "Sei ruhig, sei ruhig, lege dich ins Bette! - schlafe - schlafe", rief mir die Mutter nach; aber von unbeschreiblicher innerer Angst und Unruhe gequaelt, konnte ich kein Auge zutun. Der verhasste abscheuliche Coppelius stand vor mir mit funkelnden Augen und lachte mich haemisch an, vergebens trachtete ich sein Bild los zu werden. Es mochte wohl schon Mitternacht sein, als ein entsetzlicher Schlag geschah, wie wenn ein Geschuetz losgefeuert wuerde. Das ganze Haus erdroehnte, es rasselte und rauschte bei meiner Tuere vorueber, die Haustuere wurde klirrend zugeworfen. "Das ist Coppelius!" rief ich entsetzt und sprang aus dem Bette. Da kreischte es auf in schneidendem trostlosen Jammer, fort stuerzte ich nach des Vaters Zimmer, die Tuere stand offen, erstickender Dampf quoll mir entgegen, das Dienstmaedchen schrie: "Ach, der Herr! - der Herr!" - Vor dem dampfenden Herde auf dem Boden lag mein Vater tot mit schwarz verbranntem graesslich verzerrtem Gesicht, um ihn herum heulten und winselten die Schwestern - die Mutter ohnmaechtig daneben! - "Coppelius, verruchter Satan, du hast den Vater erschlagen!" - So schrie ich auf, mir vergingen die Sinne. Als man zwei Tage darauf meinen Vater in den Sarg legte, waren seine Gesichtszuege wieder mild und sanft geworden, wie sie im Leben waren. Troestend ging es in meiner Seele auf, dass sein Bund mit dem teuflischen Coppelius ihn nicht ins ewige Verderben gestuerzt haben koenne. Die Explosion hatte die Nachbarn geweckt, der Vorfall wurde ruchtbar und kam vor die Obrigkeit, welche den Coppelius zur Verantwortung vorfordern wollte. Der war aber spurlos vom Orte verschwunden. Wenn ich Dir nun sage, mein herzlieber Freund! dass jener Wetterglashaendler eben der verruchte Coppelius war, so wirst Du mir es nicht verargen, dass ich die feindliche Erscheinung als schweres Unheil bringend deute. Er war anders gekleidet, aber Coppelius' Figur und Gesichtszuege sind zu tief in mein Innerstes eingepraegt, als dass hier ein Irrtum moeglich sein sollte. Zudem hat Coppelius nicht einmal seinen Namen geaendert. Er gibt sich hier, wie ich hoere, fuer einen piemontesischen Mechanikus aus, und nennt sich Giuseppe Coppola. Ich bin entschlossen es mit ihm aufzunehmen und des Vaters Tod zu raechen, mag es denn nun gehen wie es will. Der Mutter erzaehle nichts von dem Erscheinen des graesslichen Unholds - Gruesse meine liebe holde Clara, ich schreibe ihr in ruhigerer Gemuetsstimmung. Lebe wohl etc. etc. Clara an Nathanael Wahr ist es, dass Du recht lange mir nicht geschrieben hast, aber dennoch glaube ich, dass Du mich in Sinn und Gedanken traegst. Denn meiner gedachtest Du wohl recht lebhaft, als Du Deinen letzten Brief an Bruder Lothar absenden wolltest und die Aufschrift, statt an ihn an mich richtetest. Freudig erbrach ich den Brief und wurde den Irrtum erst bei den Worten inne: "Ach mein herzlieber Lothar!" - Nun haette ich nicht weiter lesen, sondern den Brief dem Bruder geben sollen. Aber, hast Du mir auch sonst manchmal in kindischer Neckerei vorgeworfen, ich haette solch ruhiges, weiblich besonnenes Gemuet, dass ich wie jene Frau, drohe das Haus den Einsturz, noch vor schneller Flucht ganz geschwinde einen falschen Kniff in der Fenstergardine glattstreichen wuerde, so darf ich doch wohl kaum versichern, dass Deines Briefes Anfang mich tief erschuetterte. Ich konnte kaum atmen, es flimmerte mir vor den Augen. - Ach, mein herzgeliebter Nathanael! was konnte so Entsetzliches in Dein Leben getreten sein! Trennung von Dir, Dich niemals wiedersehen, der Gedanke durchfuhr meine Brust wie ein gluehender Dolchstich. - Ich las und las! - Deine Schilderung des widerwaertigen Coppelius ist graesslich. Erst jetzt vernahm ich, wie Dein guter alter Vater solch entsetzlichen, gewaltsamen Todes starb. Bruder Lothar, dem ich sein Eigentum zustellte, suchte mich zu beruhigen, aber es gelang ihm schlecht. Der fatale Wetterglashaendler Giuseppe Coppola verfolgte mich auf Schritt und Tritt und beinahe schaeme ich mich, es zu gestehen, dass er selbst meinen gesunden, sonst so ruhigen Schlaf in allerlei wunderlichen Traumgebilden zerstoeren konnte. Doch bald, schon den andern Tag, hatte sich alles anders in mir gestaltet. Sei mir nur nicht boese, mein Inniggeliebter, wenn Lothar Dir etwa sagen moechte, dass ich trotz Deiner seltsamen Ahnung, Coppelius werde Dir etwas Boeses antun, ganz heitern unbefangenen Sinnes bin, wie immer. Geradeheraus will ich es Dir nur gestehen, dass, wie ich meine, alles Entsetzliche und Schreckliche, wovon Du sprichst, nur in Deinem Innern vorging, die wahre wirkliche Aussenwelt aber daran wohl wenig teilhatte. Widerwaertig genug mag der alte Coppelius gewesen sein, aber dass er Kinder hasste, das brachte in Euch Kindern wahren Abscheu gegen ihn hervor. Natuerlich verknuepfte sich nun in Deinem kindischen Gemuet der schreckliche Sandmann aus dem Ammenmaerchen mit dem alten Coppelius, der Dir, glaubtest Du auch nicht an den Sandmann, ein gespenstischer, Kindern vorzueglich gefaehrlicher, Unhold blieb. Das unheimliche Treiben mit Deinem Vater zur Nachtzeit war wohl nichts anders, als dass beide insgeheim alchymistische Versuche machten, womit die Mutter nicht zufrieden sein konnte, da gewiss viel Geld unnuetz verschleudert und obendrein, wie es immer mit solchen Laboranten der Fall sein soll, des Vaters Gemuet ganz von dem truegerischen Drange nach hoher Weisheit erfuellt, der Familie abwendig gemacht wurde. Der Vater hat wohl gewiss durch eigne Unvorsichtigkeit seinen Tod herbeigefuehrt, und Coppelius ist nicht schuld daran: Glaubst Du, dass ich den erfahrnen Nachbar Apotheker gestern frug, ob wohl bei chemischen Versuchen eine solche augenblicklich toetende Explosion moeglich sei? Der sagte: "Ei allerdings" und beschrieb mir nach seiner Art gar weitlaeufig und umstaendlich, wie das zugehen koenne, und nannte dabei so viel sonderbar klingende Namen, die ich gar nicht zu behalten vermochte. - Nun wirst Du wohl unwillig werden ueber Deine Clara, Du wirst sagen: "In dies kalte Gemuet dringt kein Strahl des Geheimnisvollen, das den Menschen oft mit unsichtbaren Armen umfasst; sie erschaut nur die bunte Oberflaeche der Welt und freut sich, wie das kindische Kind ueber die goldgleissende Frucht, in deren Innern toedliches Gift verborgen." Ach mein herzgeliebter Nathanael! glaubst Du denn nicht, dass auch in heitern - unbefangenen - sorglosen Gemuetern die Ahnung wohnen koenne von einer dunklen Macht, die feindlich uns in unserm eignen Selbst zu verderben strebt? - Aber verzeih es mir, wenn ich einfaeltig Maedchen mich unterfange, auf irgend eine Weise Dir anzudeuten, was ich eigentlich von solchem Kampfe im Innern glaube. - Ich finde wohl gar am Ende nicht die rechten Worte und Du lachst mich aus, nicht, weil ich was Dummes meine, sondern weil ich mich so ungeschickt anstelle, es zu sagen. Gibt es eine dunkle Macht, die so recht feindlich und verraeterisch einen Faden in unser Inneres legt, woran sie uns dann festpackt und fortzieht auf einem gefahrvollen verderblichen Wege, den wir sonst nicht betreten haben wuerden - gibt es eine solche Macht, so muss sie in uns sich, wie wir selbst gestalten, ja unser Selbst werden; denn nur _so_ glauben wir an sie und raeumen ihr den Platz ein, dessen sie bedarf, um jenes geheime Werk zu vollbringen. Haben wir festen, durch das heitre Leben gestaerkten, Sinn genug, um fremdes feindliches Einwirken als solches stets zu erkennen und den Weg, in den uns Neigung und Beruf geschoben, ruhigen Schrittes zu verfolgen, so geht wohl jene unheimliche Macht unter in dem vergeblichen Ringen nach der Gestaltung, die unser eignes Spiegelbild sein sollte. Es ist auch gewiss, fuegt Lothar hinzu, dass die dunkle psychische Macht, haben wir uns durch uns selbst ihr hingegeben, oft fremde Gestalten, die die Aussenwelt uns in den Weg wirft, in unser Inneres hineinzieht, so, dass wir selbst nur den Geist entzuenden, der, wie wir in wunderlicher Taeuschung glauben, aus jener Gestalt spricht. Es ist das Phantom unseres eigenen Ichs, dessen innige Verwandtschaft und dessen tiefe Einwirkung auf unser Gemuet uns in die Hoelle wirft, oder in den Himmel verzueckt. - Du merkst, mein herzlieber Nathanael! dass wir, ich und Bruder Lothar uns recht ueber die Materie von dunklen Maechten und Gewalten ausgesprochen haben, die mir nun, nachdem ich nicht ohne Muehe das Hauptsaechlichste aufgeschrieben, ordentlich tiefsinnig vorkommt. Lothars letzte Worte verstehe ich nicht ganz, ich ahne nur, was er meint, und doch ist es mir, als sei alles sehr wahr. Ich bitte Dich, schlage Dir den haesslichen Advokaten Coppelius und den Wetterglasmann Giuseppe Coppola ganz aus dem Sinn. Sei ueberzeugt, dass diese fremden Gestalten nichts ueber Dich vermoegen; nur der Glaube an ihre feindliche Gewalt kann sie Dir in der Tat feindlich machen. Spraeche nicht aus jeder Zeile Deines Briefes die tiefste Aufregung Deines Gemuets, schmerzte mich nicht Dein Zustand recht in innerster Seele, wahrhaftig, ich koennte ueber den Advokaten Sandmann und den Wetterglashaendler Coppelius scherzen. Sei heiter - heiter! - Ich habe mir vorgenommen, bei Dir zu erscheinen, wie Dein Schutzgeist, und den haesslichen Coppola, sollte er es sich etwa beikommen lassen, Dir im Traum beschwerlich zu fallen, mit lautem Lachen fortzubannen. Ganz und gar nicht fuerchte ich mich vor ihm und vor seinen garstigen Faeusten, er soll mir weder als Advokat eine Naescherei, noch als Sandmann die Augen verderben. Ewig, mein herzinnigstgeliebter Nathanael etc. etc. etc. Nathanael an Lothar Sehr unlieb ist es mir, dass Clara neulich den Brief an Dich aus, freilich durch meine Zerstreutheit veranlagtem, Irrtum erbrach und las. Sie hat mir einen sehr tiefsinnigen philosophischen Brief geschrieben, worin sie ausfuehrlich beweiset, dass Coppelius und Coppola nur in meinem Innern existieren und Phantome meines Ichs sind, die augenblicklich zerstaeuben, wenn ich sie als solche erkenne. In der Tat, man sollte gar nicht glauben, dass der Geist, der aus solch hellen holdlaechelnden Kindesaugen, oft wie ein lieblicher suesser Traum, hervorleuchtet, so gar verstaendig, so magistermaessig distinguieren koenne. Sie beruft sich auf Dich. Ihr habt ueber mich gesprochen. Du liesest ihr wohl logische Kollegia, damit sie alles fein sichten und sondern lerne. - Lass das bleiben! - Uebrigens ist es wohl gewiss, dass der Wetterglashaendler Giuseppe Coppola keinesweges der alte Advokat Coppelius ist. Ich hoere bei dem erst neuerdings angekommenen Professor der Physik, der, wie jener beruehmte Naturforscher, Spalanzani heisst und italienischer Abkunft ist, Kollegia. Der kennt den Coppola schon seit vielen Jahren und ueberdem hoert man es auch seiner Aussprache an, dass er wirklich Piemonteser ist. Coppelius war ein Deutscher, aber wie mich duenkt, kein ehrlicher. Ganz beruhigt bin ich nicht. Haltet Ihr, Du und Clara, mich immerhin fuer einen duestern Traeumer, aber nicht los kann ich den Eindruck werden, den Coppelius' verfluchtes Gesicht auf mich macht. Ich bin froh, dass er fort ist aus der Stadt, wie mir Spalanzani sagt. Dieser Professor ist ein wunderlicher Kauz. Ein kleiner rundlicher Mann, das Gesicht mit starken Backenknochen, feiner Nase, aufgeworfenen Lippen, kleinen stechenden Augen. Doch besser, als in jeder Beschreibung, siehst Du ihn, wenn Du den Cagliostro, wie er von Chodowiecki in irgend einem Berlinischen Taschenkalender steht, anschauest. - So sieht Spalanzani aus. - Neulich steige ich die Treppe herauf und nehme wahr, dass die sonst einer Glastuere dicht vorgezogene Gardine zur Seite einen kleinen Spalt laesst. Selbst weiss ich nicht, wie ich dazu kam, neugierig durchzublicken. Ein hohes, sehr schlank im reinsten Ebenmass gewachsenes, herrlich gekleidetes Frauenzimmer sass im Zimmer vor einem kleinen Tisch, auf den sie beide Aerme, die Haende zusammengefaltet, gelegt hatte. Sie sass der Tuere gegenueber, so, dass ich ihr engelschoenes Gesicht ganz erblickte. Sie schien mich nicht zu bemerken, und ueberhaupt hatten ihre Augen etwas Starres, beinahe moecht ich sagen, keine Sehkraft, es war mir so, als schliefe sie mit offnen Augen. Mir wurde ganz unheimlich und deshalb schlich ich leise fort ins Auditorium, das daneben gelegen. Nachher erfuhr ich, dass die Gestalt, die ich gesehen, Spalanzanis Tochter, Olimpia war, die er sonderbarer und schlechter Weise einsperrt, so, dass durchaus kein Mensch in ihre Naehe kommen darf. - Am Ende hat es eine Bewandtnis mit ihr, sie ist vielleicht bloedsinnig oder sonst. - Weshalb schreibe ich Dir aber das alles? Besser und ausfuehrlicher haette ich Dir das muendlich erzaehlen koennen. Wisse naemlich, dass ich ueber vierzehn Tage bei Euch bin. Ich muss mein suesses liebes Engelsbild, meine Clara, wiedersehen. Weggehaucht wird dann die Verstimmung sein, die sich (ich muss das gestehen) nach dem fatalen verstaendigen Briefe meiner bemeistern wollte. Deshalb schreibe ich auch heute nicht an sie. Tausend Gruesse etc. etc. etc. Seltsamer und wunderlicher kann nichts erfunden werden, als dasjenige ist, was sich mit meinem armen Freunde, dem jungen Studenten Nathanael, zugetragen, und was ich dir, guenstiger Leser! zu erzaehlen unternommen. Hast du, Geneigtester! wohl jemals etwas erlebt, das deine Brust, Sinn und Gedanken ganz und gar erfuellte, alles andere daraus verdraengend? Es gaerte und kochte in dir, zur siedenden Glut entzuendet sprang das Blut durch die Adern und faerbte hoeher deine Wangen. Dein Blick war so seltsam als wolle er Gestalten, keinem andern Auge sichtbar, im leeren Raum erfassen und die Rede zerfloss in dunkle Seufzer. Da frugen dich die Freunde: "Wie ist Ihnen, Verehrter? - Was haben Sie, Teurer?" Und nun wolltest du das innere Gebilde mit allen gluehenden Farben und Schatten und Lichtern aussprechen und muehtest dich ab, Worte zu finden, um nur anzufangen. Aber es war dir, als muesstest du nun gleich im ersten Wort alles Wunderbare, Herrliche, Entsetzliche, Lustige, Grauenhafte, das sich zugetragen, recht zusammengreifen, so dass es, wie ein elektrischer Schlag, alle treffe. Doch jedes Wort, alles was Rede vermag, schien dir farblos und frostig und tot. Du suchst und suchst, und stotterst und stammelst, und die nuechternen Fragen der Freunde schlagen, wie eisige Windeshauche, hinein in deine innere Glut, bis sie verloeschen will. Hattest du aber, wie ein kecker Maler, erst mit einigen verwegenen Strichen, den Umriss deines innern Bildes hingeworfen, so trugst du mit leichter Muehe immer gluehender und gluehender die Farben auf und das lebendige Gewuehl mannigfacher Gestalten riss die Freunde fort und sie sahen, wie du, sich selbst mitten im Bilde, das aus deinem Gemuet hervorgegangen! - Mich hat, wie ich es dir, geneigter Leser! gestehen muss, eigentlich niemand nach der Geschichte des jungen Nathanael gefragt; du weisst ja aber wohl, dass ich zu dem wunderlichen Geschlechte der Autoren gehoere, denen, tragen sie etwas so in sich, wie ich es vorhin beschrieben, so zumute wird, als frage jeder, der in ihre Naehe kommt und nebenher auch wohl noch die ganze Welt: "Was ist es denn? Erzaehlen Sie Liebster?" - So trieb es mich denn gar gewaltig, von Nathanaels verhaengnisvollem Leben zu dir zu sprechen. Das Wunderbare, Seltsame davon erfuellte meine ganze Seele, aber eben deshalb und weil ich dich, o mein Leser! gleich geneigt machen musste, Wunderliches zu ertragen, welches nichts Geringes ist, quaelte ich mich ab, Nathanaels Geschichte, bedeutend - originell, ergreifend, anzufangen: "Es war einmal" - der schoenste Anfang jeder Erzaehlung, zu nuechtern! - "In der kleinen Provinzialstadt S. lebte" - etwas besser, wenigstens ausholend zum Klimax. - Oder gleich medias in res: "'Scher er sich zum Teufel', rief, Wut und Entsetzen im wilden Blick, der Student Nathanael, als der Wetterglashaendler Giuseppe Coppola" - Das hatte ich in der Tat schon aufgeschrieben, als ich in dem wilden Blick des Studenten Nathanael etwas Possierliches zu verspueren glaubte; die Geschichte ist aber gar nicht spasshaft. Mir kam keine Rede in den Sinn, die nur im mindesten etwas von dem Farbenglanz des innern Bildes abzuspiegeln schien. Ich beschloss gar nicht anzufangen. Nimm, geneigter Leser! die drei Briefe, welche Freund Lothar mir guetigst mitteilte, fuer den Umriss des Gebildes, in das ich nun erzaehlend immer mehr und mehr Farbe hineinzutragen mich bemuehen werde. Vielleicht gelingt es mir, manche Gestalt, wie ein guter Portraetmaler, so aufzufassen, dass du es aehnlich findest, ohne das Original zu kennen, ja dass es dir ist, als haettest du die Person recht oft schon mit leibhaftigen Augen gesehen. Vielleicht wirst du, o mein Leser! dann glauben, dass nichts wunderlicher und toller sei, als das wirkliche Leben und dass dieses der Dichter doch nur, wie in eines matt geschliffnen Spiegels dunklem Widerschein, auffassen koenne. Damit klarer werde, was gleich anfangs zu wissen noetig, ist jenen Briefen noch hinzuzufuegen, dass bald darauf, als Nathanaels Vater gestorben, Clara und Lothar, Kinder eines weitlaeuftigen Verwandten, der ebenfalls gestorben und sie verwaist nachgelassen, von Nathanaels Mutter ins Haus genommen wurden. Clara und Nathanael fassten eine heftige Zuneigung zueinander, wogegen kein Mensch auf Erden etwas einzuwenden hatte; sie waren daher Verlobte, als Nathanael den Ort verliess um seine Studien in G. - fortzusetzen. Da ist er nun in seinem letzten Brief und hoert Kollegia bei dem beruehmten Professor Physices, Spalanzani. Nun koennte ich getrost in der Erzaehlung fortfahren; aber in dem Augenblick steht Claras Bild so lebendig mir vor Augen, dass ich nicht wegschauen kann, so wie es immer geschah, wenn sie mich holdlaechelnd anblickte. - Fuer schoen konnte Clara keinesweges gelten; das meinten alle, die sich von Amtswegen auf Schoenheit verstehen. Doch lobten die Architekten die reinen Verhaeltnisse ihres Wuchses, die Maler fanden Nacken, Schultern und Brust beinahe zu keusch geformt, verliebten sich dagegen saemtlich in das wunderbare Magdalenenhaar und faselten ueberhaupt viel von Battonischem Kolorit. Einer von ihnen, ein wirklicher Fantast, verglich aber hoechstseltsamer Weise Claras Augen mit einem See von Ruisdael, in dem sich des wolkenlosen Himmels reines Azur, Wald- und Blumenflur, der reichen Landschaft ganzes buntes, heitres Leben spiegelt. Dichter und Meister gingen aber weiter und sprachen: "Was See - was Spiegel! - Koennen wir denn das Maedchen anschauen, ohne dass uns aus ihrem Blick wunderbare himmlische Gesaenge und Klaenge entgegenstrahlen, die in unser Innerstes dringen, dass da alles wach und rege wird? Singen wir selbst dann nichts wahrhaft Gescheutes, so ist ueberhaupt nicht viel an uns und das lesen wir denn auch deutlich in dem um Claras Lippen schwebenden feinen Laecheln, wenn wir uns unterfangen, ihr etwas vorzuquinkelieren, das so tun will als sei es Gesang, unerachtet nur einzelne Toene verworren durcheinander springen." Es war dem so. Clara hatte die lebenskraeftige Fantasie des heitern unbefangenen, kindischen Kindes, ein tiefes weiblich zartes Gemuet, einen gar hellen scharf sichtenden Verstand. Die Nebler und Schwebler hatten bei ihr boeses Spiel; denn ohne zu viel zu reden, was ueberhaupt in Claras schweigsamer Natur nicht lag, sagte ihnen der helle Blick, und jenes feine ironische Laecheln: Lieben Freunde! wie moeget ihr mir denn zumuten, dass ich eure verfliessende Schattengebilde fuer wahre Gestalten ansehen soll, mit Leben und Regung? - Clara wurde deshalb von vielen kalt, gefuehllos, prosaisch gescholten; aber andere, die das Leben in klarer Tiefe aufgefasst, liebten ungemein das gemuetvolle, verstaendige, kindliche Maedchen, doch keiner so sehr, als Nathanael, der sich in Wissenschaft und Kunst kraeftig und heiter bewegte. Clara hing an dem Geliebten mit ganzer Seele; die ersten Wolkenschatten zogen durch ihr Leben, als er sich von ihr trennte. Mit welchem Entzuecken flog sie in seine Arme, als er nun, wie er im letzten Briefe an Lothar es verheissen, wirklich in seiner Vaterstadt ins Zimmer der Mutter eintrat. Es geschah so wie Nathanael geglaubt; denn in dem Augenblick, als er Clara wiedersah, dachte er weder an den Advokaten Coppelius, noch an Claras verstaendigen Brief, jede Verstimmung war verschwunden. Recht hatte aber Nathanael doch, als er seinem Freunde Lothar schrieb, dass des widerwaertigen Wetterglashaendlers Coppola Gestalt recht feindlich in sein Leben getreten sei. Alle fuehlten das, da Nathanael gleich in den ersten Tagen in seinem ganzen Wesen durchaus veraendert sich zeigte. Er versank in duestre Traeumereien, und trieb es bald so seltsam, wie man es niemals von ihm gewohnt gewesen. Alles, das ganze Leben war ihm Traum und Ahnung geworden; immer sprach er davon, wie jeder Mensch, sich frei waehnend, nur dunklen Maechten zum grausamen Spiel diene, vergeblich lehne man sich dagegen auf, demuetig muesse man sich dem fuegen, was das Schicksal verhaengt habe. Er ging so weit, zu behaupten, dass es toericht sei, wenn man glaube, in Kunst und Wissenschaft nach selbsttaetiger Willkuer zu schaffen; denn die Begeisterung, in der man nur zu schaffen faehig sei, komme nicht aus dem eignen Innern, sondern sei das Einwirken irgend eines ausser uns selbst liegenden hoeheren Prinzips. Der verstaendigen Clara war diese mystische Schwaermerei im hoechsten Grade zuwider, doch schien es vergebens, sich auf Widerlegung einzulassen. Nur dann, wenn Nathanael bewies, dass Coppelius das boese Prinzip sei, was ihn in dem Augenblick erfasst habe, als er hinter dem Vorhange lauschte, und dass dieser widerwaertige _Daemon_ auf entsetzliche Weise ihr Liebesglueck stoeren werde, da wurde Clara sehr ernst und sprach: "Ja Nathanael! du hast recht, Coppelius ist ein boeses feindliches Prinzip, er kann Entsetzliches wirken, wie eine teuflische Macht, die sichtbarlich in das Leben trat, aber nur dann, wenn du ihn nicht aus Sinn und Gedanken verbannst. Solange du an ihn glaubst, _ist_ er auch und wirkt, nur dein Glaube ist seine Macht." - Nathanael, ganz erzuernt, dass Clara die Existenz des _Daemons_ nur in seinem eignen Innern statuiere, wollte dann hervorruecken mit der ganzen mystischen Lehre von Teufeln und grausen Maechten, Clara brach aber verdruesslich ab, indem sie irgend etwas Gleichgueltiges dazwischen schob, zu Nathanaels nicht geringem Aerger. _Der_ dachte, kalten unempfaenglichen Gemuetern verschliessen sich solche tiefe Geheimnisse, ohne sich deutlich bewusst zu sein, dass er Clara eben zu solchen untergeordneten Naturen zaehle, weshalb er nicht abliess mit Versuchen, sie in jene Geheimnisse einzuweihen. Am fruehen Morgen, wenn Clara das Fruehstueck bereiten half, stand er bei ihr und las ihr aus allerlei mystischen Buechern vor, dass Clara bat: "Aber lieber Nathanael, wenn ich _dich_ nun das boese Prinzip schelten wollte, das feindlich auf meinen Kaffee wirkt? - Denn, wenn ich, wie du es willst, alles stehen und liegen lassen und dir, indem du liesest, in die Augen schauen soll, so laeuft mir der Kaffee ins Feuer und ihr bekommt alle kein Fruehstueck!" - Nathanael klappte das Buch heftig zu und rannte voll Unmut fort in sein Zimmer. Sonst hatte er eine besondere Staerke in anmutigen, lebendigen Erzaehlungen, die er aufschrieb, und die Clara mit dem innigsten Vergnuegen anhoerte, jetzt waren seine Dichtungen duester, unverstaendlich, gestaltlos, so dass, wenn Clara schonend es auch nicht sagte, er doch wohl fuehlte, wie wenig sie davon angesprochen wurde. Nichts war fuer Clara toetender, als das Langweilige; in Blick und Rede sprach sich dann ihre nicht zu besiegende geistige Schlaefrigkeit aus. Nathanaels Dichtungen waren in der Tat sehr langweilig. Sein Verdruss ueber Claras kaltes prosaisches Gemuet stieg hoeher, Clara konnte ihren Unmut ueber Nathanaels dunkle, duestere, langweilige Mystik nicht ueberwinden, und so entfernten beide im Innern sich immer mehr voneinander, ohne es selbst zu bemerken. Die Gestalt des haesslichen Coppelius war, wie Nathanael selbst es sich gestehen musste, in seiner Fantasie erbleicht und es kostete ihm oft Muehe, ihn in seinen Dichtungen, wo er als grauser Schicksalspopanz auftrat, recht lebendig zu kolorieren. Es kam ihm endlich ein, jene duestre Ahnung, dass Coppelius sein Liebesglueck stoeren werde, zum Gegenstande eines Gedichts zu machen. Er stellte sich und Clara dar, in treuer Liebe verbunden, aber dann und wann war es, als griffe eine schwarze Faust in ihr Leben und risse irgend eine Freude heraus, die ihnen aufgegangen. Endlich, als sie schon am Traualtar stehen, erscheint der entsetzliche Coppelius und beruehrt Claras holde Augen; die springen in Nathanaels Brust wie blutige Funken sengend und brennend, Coppelius fasst ihn und wirft ihn in einen flammenden Feuerkreis, der sich dreht mit der Schnelligkeit des Sturmes und ihn sausend und brausend fortreisst. Es ist ein Tosen, als wenn der Orkan grimmig hineinpeitscht in die schaeumenden Meereswellen, die sich wie schwarze, weisshauptige Riesen emporbaeumen in wuetendem Kampfe. Aber durch dies wilde Tosen hoert er Claras Stimme: "Kannst du mich denn nicht erschauen? Coppelius hat dich getaeuscht, das waren ja nicht meine Augen, die so in deiner Brust brannten, das waren ja gluehende Tropfen deines eignen Herzbluts - ich habe ja meine Augen, sieh mich doch nur an!" - Nathanael denkt: Das ist Clara, und ich bin ihr eigen ewiglich. - Da ist es, als fasst der Gedanke gewaltig in den Feuerkreis hinein, dass er stehen bleibt, und im schwarzen Abgrund verrauscht dumpf das Getoese. Nathanael blickt in Claras Augen; aber es ist der Tod, der mit Claras Augen ihn freundlich anschaut. Waehrend Nathanael dies dichtete, war er sehr ruhig und besonnen, er feilte und besserte an jeder Zeile und da er sich dem metrischen Zwange unterworfen, ruhte er nicht, bis alles rein und wohlklingend sich fuegte. Als er jedoch nun endlich fertig worden, und das Gedicht fuer sich laut las, da fasste ihn Grausen und wildes Entsetzen und er schrie auf. "Wessen grauenvolle Stimme ist das?" - Bald schien ihm jedoch das Ganze wieder nur eine sehr gelungene Dichtung, und es war ihm, als muesse Claras kaltes Gemuet dadurch entzuendet werden, wiewohl er nicht deutlich dachte, wozu denn Clara entzuendet, und wozu es denn nun eigentlich fuehren solle, sie mit den grauenvollen Bildern zu aengstigen, die ein entsetzliches, ihre Liebe zerstoerendes Geschick weissagten. Sie, Nathanael und Clara, sassen in der Mutter kleinem Garten, Clara war sehr heiter, weil Nathanael sie seit drei Tagen, in denen er an jener Dichtung schrieb, nicht mit seinen Traeumen und Ahnungen geplagt hatte. Auch Nathanael sprach lebhaft und froh von lustigen Dingen wie sonst, so, dass Clara sagte: "Nun erst habe ich dich ganz wieder, siehst du es wohl, wie wir den haesslichen Coppelius vertrieben haben?" Da fiel dem Nathanael erst ein, dass er ja die Dichtung in der Tasche trage, die er habe vorlesen wollen. Er zog auch sogleich die Blaetter hervor und fing an zu lesen: Clara, etwas Langweiliges wie gewoehnlich vermutend und sich darein ergebend, fing an, ruhig zu stricken. Aber so wie immer schwaerzer und schwaerzer das duestre Gewoelk aufstieg, liess sie den Strickstrumpf sinken und blickte starr dem Nathanael ins Auge. _Den_ riss seine Dichtung unaufhaltsam fort, hochrot faerbte seine Wangen die innere Glut, Traenen quollen ihm aus den Augen. - Endlich hatte er geschlossen, er stoehnte in tiefer Ermattung - er fasste Claras Hand und seufzte wie aufgeloest in trostlosem Jammer: "Ach! - Clara - Clara!" - Clara drueckte ihn sanft an ihren Busen und sagte leise, aber sehr langsam und ernst: "Nathanael - mein herzlieber Nathanael! - wirf das tolle - unsinnige - wahnsinnige Maerchen ins Feuer." Da sprang Nathanael entruestet auf und rief, Clara von sich stossend: "Du lebloses, verdammtes Automat!" Er rannte fort, bittre Traenen vergoss die tief verletzte Clara: "Ach er hat mich niemals geliebt, denn er versteht mich nicht", schluchzte sie laut. - Lothar trat in die Laube; Clara musste ihm erzaehlen was vorgefallen; er liebte seine Schwester mit ganzer Seele, jedes Wort ihrer Anklage fiel wie ein Funke in sein Inneres, so, dass der Unmut, den er wider den traeumerischen Nathanael lange im Herzen getragen, sich entzuendete zum wilden Zorn. Er lief zu Nathanael, er warf ihm das unsinnige Betragen gegen die geliebte Schwester in harten Worten vor, die der aufbrausende Nathanael ebenso erwiderte. Ein fantastischer, wahnsinniger Geck wurde mit einem miserablen, gemeinen Alltagsmenschen erwidert. Der Zweikampf war unvermeidlich. Sie beschlossen, sich am folgenden Morgen hinter dem Garten nach dortiger akademischer Sitte mit scharfgeschliffenen Stossrapieren zu schlagen. Stumm und finster schlichen sie umher, Clara hatte den heftigen Streit gehoert und gesehen, dass der Fechtmeister in der Daemmerung die Rapiere brachte. Sie ahnte was geschehen sollte. Auf dem Kampfplatz angekommen hatten Lothar und Nathanael soeben duesterschweigend die Roecke abgeworfen, blutduerstige Kampflust im brennenden Auge wollten sie gegeneinander ausfallen, als Clara durch die Gartentuer herbeistuerzte. Schluchzend rief sie laut: "Ihr wilden entsetzlichen Menschen! - stosst mich nur gleich nieder, ehe ihr euch anfallt; denn wie soll ich denn laenger leben auf der Welt, wenn der Geliebte den Bruder, oder wenn der Bruder den Geliebten ermordet hat!" - Lothar liess die Waffe sinken und sah schweigend zur Erde nieder, aber in Nathanaels Innern ging in herzzerreissender Wehmut alle Liebe wieder auf, wie er sie jemals in der herrlichen Jugendzeit schoensten Tagen fuer die holde Clara empfunden. Das Mordgewehr entfiel seiner Hand, er stuerzte zu Claras Fuessen. "Kannst du mir denn jemals verzeihen, du meine einzige, meine herzgeliebte Clara! - Kannst du mir verzeihen, mein herzlieber Bruder Lothar!" - Lothar wurde geruehrt von des Freundes tiefem Schmerz; unter tausend Traenen umarmten sich die drei versoehnten Menschen und schwuren, nicht voneinander zu lassen in steter Liebe und Treue. Dem Nathanael war es zumute, als sei eine schwere Last, die ihn zu Boden gedrueckt, von ihm abgewaelzt, ja als habe er, Widerstand leistend der finstern Macht, die ihn befangen, sein ganzes Sein, dem Vernichtung drohte, gerettet. Noch drei selige Tage verlebte er bei den Lieben, dann kehrte er zurueck nach G., wo er noch ein Jahr zu bleiben, dann aber auf immer nach seiner Vaterstadt zurueckzukehren gedachte. Der Mutter war alles, was sich auf Coppelius bezog, verschwiegen worden; denn man wusste, dass sie nicht ohne Entsetzen an ihn denken konnte, weil sie, wie Nathanael, ihm den Tod ihres Mannes schuld gab. Wie erstaunte Nathanael, als er in seine Wohnung wollte und sah, dass das ganze Haus niedergebrannt war, so dass aus dem Schutthaufen nur die nackten Feuermauern hervorragten. Unerachtet das Feuer in dem Laboratorium des Apothekers, der im untern Stocke wohnte, ausgebrochen war, das Haus daher von unten herauf gebrannt hatte, so war es doch den kuehnen, ruestigen Freunden gelungen, noch zu rechter Zeit in Nathanaels im obern Stock gelegenes Zimmer zu dringen, und Buecher, Manuskripte, Instrumente zu retten. Alles hatten sie unversehrt in ein anderes Haus getragen, und dort ein Zimmer in Beschlag genommen, welches Nathanael nun sogleich bezog. Nicht sonderlich achtete er darauf, dass er dem Professor Spalanzani gegenueber wohnte, und ebensowenig schien es ihm etwas Besonderes, als er bemerkte, dass er aus seinem Fenster gerade hinein in das Zimmer blickte, wo oft Olimpia einsam sass, so, dass er ihre Figur deutlich erkennen konnte, wiewohl die Zuege des Gesichts undeutlich und verworren blieben. Wohl fiel es ihm endlich auf, dass Olimpia oft stundenlang in derselben Stellung, wie er sie einst durch die Glastuere entdeckte, ohne irgend eine Beschaeftigung an einem kleinen Tische sass und dass sie offenbar unverwandten Blickes nach ihm herueberschaute; er musste sich auch selbst gestehen, dass er nie einen schoeneren Wuchs gesehen; indessen, Clara im Herzen, blieb ihm die steife, starre Olimpia hoechst gleichgueltig und nur zuweilen sah er fluechtig ueber sein Kompendium herueber nach der schoenen Bildsaeule, das war alles. - Eben schrieb er an Clara, als es leise an die Tuere klopfte; sie oeffnete sich auf seinen Zuruf und Coppolas widerwaertiges Gesicht sah hinein. Nathanael fuehlte sich im Innersten erbeben; eingedenk dessen, was ihm Spalanzani ueber den Landsmann Coppola gesagt und was er auch ruecksichts des Sandmanns Coppelius der Geliebten so heilig versprochen, schaemte er sich aber selbst seiner kindischen Gespensterfurcht, nahm sich mit aller Gewalt zusammen und sprach so sanft und gelassen, als moeglich: "Ich kaufe kein Wetterglas, mein lieber Freund! gehen Sie nur!" Da trat aber Coppola vollends in die Stube und sprach mit heiserem Ton, indem sich das weite Maul zum haesslichen Lachen verzog und die kleinen Augen unter den grauen langen Wimpern stechend hervorfunkelten: "Ei, nix Wetterglas, nix Wetterglas! - hab auch skoene Oke - skoene Oke!" - Entsetzt rief Nathanael: "Toller Mensch, wie kannst du Augen haben? - Augen - Augen? -" Aber in dem Augenblick hatte Coppola seine Wetterglaeser beiseite gesetzt, griff in die weiten Rocktaschen und holte Lorgnetten und Brillen heraus, die er auf den Tisch legte. - "Nu - Nu - Brill - Brill auf der Nas su setze, das sein meine Oke - skoene Oke!" - Und damit holte er immer mehr und mehr Brillen heraus, so, dass es auf dem ganzen Tisch seltsam zu flimmern und zu funkeln begann. Tausend Augen blickten und zuckten krampfhaft und starrten auf zum Nathanael; aber er konnte nicht wegschauen von dem Tisch, und immer mehr Brillen legte Coppola hin, und immer wilder und wilder sprangen flammende Blicke durcheinander und schossen ihre blutrote Strahlen in Nathanaels Brust. Uebermannt von tollem Entsetzen schrie er auf.- "Halt ein! halt ein, fuerchterlicher Mensch!" - Er hatte Coppola, der eben in die Tasche griff, um noch mehr Brillen herauszubringen, unerachtet schon der ganze Tisch ueberdeckt war, beim Arm festgepackt. Coppola machte sich mit heiserem widrigen Lachen sanft los und mit den Worten: "Ah! - nix fuer Sie - aber hier skoene Glas" - hatte er alle Brillen zusammengerafft, eingesteckt und aus der Seitentasche des Rocks eine Menge grosser und kleiner Perspektive hervorgeholt. Sowie die Brillen fort waren, wurde Nathanael ganz ruhig und an Clara denkend sah er wohl ein, dass der entsetzliche Spuk nur aus seinem Innern hervorgegangen, sowie dass Coppola ein hoechst ehrlicher Mechanikus und Optikus, keineswegs aber Coppelii verfluchter Doppeltgaenger und Revenant sein koenne. Zudem hatten alle Glaeser, die Coppola nun auf den Tisch gelegt, gar nichts Besonderes, am wenigsten so etwas Gespenstisches wie die Brillen und, um alles wieder gutzumachen, beschloss Nathanael dem Coppola jetzt wirklich etwas abzukaufen. Er ergriff ein kleines sehr sauber gearbeitetes Taschenperspektiv und sah, um es zu pruefen, durch das Fenster. Noch im Leben war ihm kein Glas vorgekommen, das die Gegenstaende so rein, scharf und deutlich dicht vor die Augen rueckte. Unwillkuerlich sah er hinein in Spalanzanis Zimmer; Olimpia sass, wie gewoehnlich, vor dem kleinen Tisch, die Arme darauf gelegt, die Haende gefaltet. - Nun erschaute Nathanael erst Olimpias wunderschoen geformtes Gesicht. Nur die Augen schienen ihm gar seltsam starr und tot. Doch wie er immer schaerfer und schaerfer durch das Glas hinschaute, war es, als gingen in Olimpias Augen feuchte Mondesstrahlen auf. Es schien, als wenn nun erst die Sehkraft entzuendet wuerde; immer lebendiger und lebendiger flammten die Blicke. Nathanael lag wie festgezaubert im Fenster, immer fort und fort die himmlisch-schoene Olimpia betrachtend. Ein Raeuspern und Scharren weckte ihn, wie aus tiefem Traum. Coppola stand hinter ihm: "Tre Zechini - drei Dukat" - Nathanael hatte den Optikus rein vergessen, rasch zahlte er das Verlangte. "Nick so? - skoene Glas - skoene Glas!" frug Coppola mit seiner widerwaertigen heisern Stimme und dem haemischen Laecheln. "Ja ja, ja!" erwiderte Nathanael verdriesslich. "Adieu, lieber Freund!" - Coppola verliess nicht ohne viele seltsame Seitenblicke auf Nathanael, das Zimmer. Er hoerte ihn auf der Treppe laut lachen. "Nun ja", meinte Nathanael, "er lacht mich aus, weil ich ihm das kleine Perspektiv gewiss viel zu teuer bezahlt habe - zu teuer bezahlt!" - Indem er diese Worte leise sprach, war es, als halle ein tiefer Todesseufzer grauenvoll durch das Zimmer, Nathanaels Atem stockte vor innerer Angst. - Er hatte ja aber selbst so aufgeseufzt, das merkte er wohl. "Clara", sprach er zu sich selber, "hat wohl recht, dass sie mich fuer einen abgeschmackten Geisterseher haelt; aber naerrisch ist es doch - ach wohl mehr, als naerrisch, dass mich der dumme Gedanke, ich haette das Glas dem Coppola zu teuer bezahlt, noch jetzt so sonderbar aengstigt; den Grund davon sehe ich gar nicht ein." - Jetzt setzte er sich hin, um den Brief an Clara zu enden, aber ein Blick durchs Fenster ueberzeugte ihn, dass Olimpia noch dasaesse und im Augenblick, wie von unwiderstehlicher Gewalt getrieben, sprang er auf, ergriff Coppolas Perspektiv und konnte nicht los von Olimpias verfuehrerischem Anblick, bis ihn Freund und Bruder Siegmund abrief ins Kollegium bei dem Professor Spalanzani. Die Gardine vor dem verhaengnisvollen Zimmer war dicht zugezogen, er konnte Olimpia ebensowenig hier, als die beiden folgenden Tage hindurch in ihrem Zimmer, entdecken, unerachtet er kaum das Fenster verliess und fortwaehrend durch Coppolas Perspektiv hinueberschaute. Am dritten Tage wurden sogar die Fenster verhaengt. Ganz verzweifelt und getrieben von Sehnsucht und gluehendem Verlangen lief er hinaus vors Tor. Olimpias Gestalt schwebte vor ihm her in den Lueften und trat aus dem Gebuesch, und guckte ihn an mit grossen strahlenden Augen, aus dem hellen Bach. Claras Bild war ganz aus seinem Innern gewichen, er dachte nichts, als Olimpia und klagte ganz laut und weinerlich: "Ach du mein hoher herrlicher Liebesstern, bist du mir denn nur aufgegangen, um gleich wieder zu verschwinden, und mich zu lassen in finstrer hoffnungsloser Nacht?" Als er zurueckkehren wollte in seine Wohnung, wurde er in Spalanzanis Hause ein geraeuschvolles Treiben gewahr. Die Tueren standen offen, man trug allerlei Geraete hinein, die Fenster des ersten Stocks waren ausgehoben, geschaeftige Maegde kehrten und staeubten mit grossen Haarbesen hin- und herfahrend, inwendig klopften und haemmerten Tischler und Tapezierer. Nathanael blieb in vollem Erstaunen auf der Strasse stehen; da trat Siegmund lachend zu ihm und sprach: "Nun, was sagst du zu unserem alten Spalanzani?" Nathanael versicherte, dass er gar nichts sagen koenne, da er durchaus nichts vom Professor wisse, vielmehr mit grosser Verwunderung wahrnehme, wie in dem stillen duestern Hause ein tolles Treiben und Wirtschaften losgegangen; da erfuhr er denn von Siegmund, dass Spalanzani morgen ein grosses Fest geben wolle, Konzert und Ball, und dass die halbe Universitaet eingeladen sei. Allgemein verbreite man, dass Spalanzani seine Tochter Olimpia, die er so lange jedem menschlichen Auge recht aengstlich entzogen, zum erstenmal erscheinen lassen werde. Nathanael fand eine Einladungskarte und ging mit hochklopfendem Herzen zur bestimmten Stunde, als schon die Wagen rollten und die Lichter in den geschmueckten Saelen schimmerten, zum Professor. Die Gesellschaft war zahlreich und glaenzend. Olimpia erschien sehr reich und geschmackvoll gekleidet. Man musste ihr schoengeformtes Gesicht, ihren Wuchs bewundern. Der etwas seltsam eingebogene Ruecken, die wespenartige Duenne des Leibes schien von zu starkem Einschnueren bewirkt zu sein. In Schritt und Stellung hatte sie etwas Abgemessenes und Steifes, das manchem unangenehm auffiel; man schrieb es dem Zwange zu, den ihr die Gesellschaft auflegte. Das Konzert begann. Olimpia spielte den Fluegel mit grosser Fertigkeit und trug ebenso eine Bravour-Arie mit heller, beinahe schneidender Glasglockenstimme vor. Nathanael war ganz entzueckt; er stand in der hintersten Reihe und konnte im blendenden Kerzenlicht Olimpias Zuege nicht ganz erkennen. Ganz unvermerkt nahm er deshalb Coppolas Glas hervor und schaute hin nach der schoenen Olimpia. Ach! - da wurde er gewahr, wie sie voll Sehnsucht nach ihm heruebersah, wie jeder Ton erst deutlich aufging in dem Liebesblick, der zuendend sein Inneres durchdrang. Die kuenstlichen Rouladen schienen dem Nathanael das Himmelsjauchzen des in Liebe verklaerten Gemuets, und als nun endlich nach der Kadenz der lange Trillo recht schmetternd durch den Saal gellte, konnte er wie von gluehenden Aermen ploetzlich erfasst sich nicht mehr halten, er musste vor Schmerz und Entzuecken laut aufschreien: "Olimpia!" - Alle sahen sich um nach ihm, manche lachten. Der Domorganist schnitt aber noch ein finstreres Gesicht, als vorher und sagte bloss: "Nun nun!" - Das Konzert war zu Ende, der Ball fing an. "Mit ihr zu tanzen! - mit ihr!" das war nun dem Nathanael das Ziel aller Wuensche, alles Strebens; aber wie sich erheben zu dem Mut, sie, die Koenigin des Festes, aufzufordern? Doch! - er selbst wusste nicht wie es geschah, dass er, als schon der Tanz angefangen, dicht neben Olimpia stand, die noch nicht aufgefordert worden, und dass er, kaum vermoegend einige Worte zu stammeln, ihre Hand ergriff. Eiskalt war Olimpias Hand, er fuehlte sich durchbebt von grausigem Todesfrost, er starrte Olimpia ins Auge, das strahlte ihm voll Liebe und Sehnsucht entgegen und in dem Augenblick war es auch, als fingen an in der kalten Hand Pulse zu schlagen und des Lebensblutes Stroeme zu gluehen. Und auch in Nathanaels Innerm gluehte hoeher auf die Liebeslust, er umschlang die schoene Olimpia und durchflog mit ihr die Reihen. - Er glaubte sonst recht taktmaessig getanzt zu haben, aber an der ganz eignen rhythmischen Festigkeit, womit Olimpia tanzte und die ihn oft ordentlich aus der Haltung brachte, merkte er bald, wie sehr ihm der Takt gemangelt. Er wollte jedoch mit keinem andern Frauenzimmer mehr tanzen und haette jeden, der sich Olimpia naeherte, um sie aufzufordern, nur gleich ermorden moegen. Doch nur zweimal geschah dies, zu seinem Erstaunen blieb darauf Olimpia bei jedem Tanze sitzen und er ermangelte nicht, immer wieder sie aufzuziehen. Haette Nathanael ausser der schoenen Olimpia noch etwas andres zu sehen vermocht, so waere allerlei fataler Zank und Streit unvermeidlich gewesen; denn offenbar ging das halbleise, muehsam unterdrueckte Gelaechter, was sich in diesem und jenem Winkel unter den jungen Leuten erhob, auf die schoene Olimpia, die sie mit ganz kuriosen Blicken verfolgten, man konnte gar nicht wissen, warum? Durch den Tanz und durch den reichlich genossenen Wein erhitzt, hatte Nathanael alle ihm sonst eigne Scheu abgelegt. Er sass neben Olimpia, ihre Hand in der seinigen und sprach hochentflammt und begeistert von seiner Liebe in Worten, die keiner verstand, weder er, noch Olimpia. Doch diese vielleicht; denn sie sah ihm unverrueckt ins Auge und seufzte einmal uebers andere: "Ach - Ach - Ach!" - worauf denn Nathanael also sprach: "O du herrliche, himmlische Frau! - du Strahl aus dem verheissenen Jenseits der Liebe - du tiefes Gemuet, in dem sich mein ganzes Sein spiegelt" und noch mehr dergleichen, aber Olimpia seufzte bloss immer wieder: "Ach, Ach!" - Der Professor Spalanzani ging einigemal bei den Gluecklichen vorueber und laechelte sie ganz seltsam zufrieden an. Dem Nathanael schien es, unerachtet er sich in einer ganz andern Welt befand, mit einemmal, als wuerd es hienieden beim Professor Spalanzani merklich finster; er schaute um sich und wurde zu seinem nicht geringen Schreck gewahr, dass eben die zwei letzten Lichter in dem leeren Saal herniederbrennen und ausgehen wollten. Laengst hatten Musik und Tanz aufgehoert. "Trennung, Trennung", schrie er ganz wild und verzweifelt, er kuesste Olimpias Hand, er neigte sich zu ihrem Munde, eiskalte Lippen begegneten seinen gluehenden! - So wie, als er Olimpias kalte Hand beruehrte, fuehlte er sich von innerem Grausen erfasst, die Legende von der toten Braut ging ihm ploetzlich durch den Sinn; aber fest hatte ihn Olimpia an sich gedrueckt, und in dem Kuss schienen die Lippen zum Leben zu erwarmen. - Der Professor Spalanzani schritt langsam durch den leeren Saal, seine Schritte klangen hohl wieder und seine Figur, von flackernden Schlagschatten umspielt, hatte ein grauliches gespenstisches Ansehen. "Liebst du mich - liebst du mich Olimpia? - Nur dies Wort! - Liebst du mich?" So fluesterte Nathanael, aber Olimpia seufzte, indem sie aufstand, nur: "Ach - Ach!" - "Ja du mein holder, herrlicher Liebesstern", sprach Nathanael, "bist mir aufgegangen und wirst leuchten, wirst verklaeren mein Inneres immerdar!" - "Ach, ach!" replizierte Olimpia fortschreitend. Nathanael folgte ihr, sie standen vor dem Professor. "Sie haben sich ausserordentlich lebhaft mit meiner Tochter unterhalten", sprach dieser laechelnd: "Nun, nun, lieber Herr Nathanael, finden Sie Geschmack daran, mit dem bloeden Maedchen zu konvergieren, so sollen mir Ihre Besuche willkommen sein." - Einen ganzen hellen strahlenden Himmel in der Brust schied Nathanael von dannen. Spalanzanis Fest war der Gegenstand des Gespraechs in den folgenden Tagen. Unerachtet der Professor alles getan hatte, recht splendid zu erscheinen, so wussten doch die lustigen Koepfe von allerlei Unschicklichem und Sonderbarem zu erzaehlen, das sich begeben, und vorzueglich fiel man ueber die todstarre, stumme Olimpia her, der man, ihres schoenen Aeussern unerachtet, totalen Stumpfsinn andichten und darin die Ursache finden wollte, warum Spalanzani sie so lange verborgen gehalten. Nathanael vernahm das nicht ohne innern Grimm, indessen schwieg er; denn, dachte er, wuerde es wohl verlohnen, diesen Burschen zu beweisen, dass eben ihr eigner Stumpfsinn es ist, der sie Olimpias tiefes herrliches Gemuet zu erkennen hindert? "Tu mir den Gefallen, Bruder", sprach eines Tages Siegmund, "tu mir den Gefallen und sage, wie es dir gescheuten Kerl moeglich war, dich in das Wachsgesicht, in die Holzpuppe da drueben zu vergaffen?" Nathanael wollte zornig auffahren, doch schnell besann er sich und erwiderte: "Sage _du_ mir Siegmund, wie deinem, sonst alles Schoene klar auffassenden Blick, deinem regen Sinn, Olimpias himmlischer Liebreiz entgehen konnte? Doch eben deshalb habe ich, Dank sei es dem Geschick, dich nicht zum Nebenbuhler; denn sonst muesste einer von uns blutend fallen." Siegmund merkte wohl, wie es mit dem Freunde stand, lenkte geschickt ein, und fuegte, nachdem er geaeussert, dass in der Liebe niemals ueber den Gegenstand zu richten sei, hinzu: "Wunderlich ist es doch, dass viele von uns ueber Olimpia ziemlich gleich urteilen. Sie ist uns - nimm es nicht uebel, Bruder! - auf seltsame Weise starr und seelenlos erschienen. Ihr Wuchs ist regelmaessig, so wie ihr Gesicht, das ist wahr! - Sie koennte fuer schoen gelten, wenn ihr Blick nicht so ganz ohne Lebensstrahl, ich moechte sagen, ohne Sehkraft waere. Ihr Schritt ist sonderbar abgemessen, jede Bewegung scheint durch den Gang eines aufgezogenen Raederwerks bedingt. Ihr Spiel, ihr Singen hat den unangenehm richtigen geistlosen Takt der singenden Maschine und ebenso ist ihr Tanz. Uns ist diese Olimpia ganz unheimlich geworden, wir mochten nichts mit ihr zu schaffen haben, es war uns als tue sie nur so wie ein lebendiges Wesen und doch habe es mit ihr eine eigne Bewandtnis." - Nathanael gab sich dem bittern Gefuehl, das ihn bei diesen Worten Siegmunds ergreifen wollte, durchaus nicht hin, er wurde Herr seines Unmuts und sagte bloss sehr ernst: "Wohl mag euch, ihr kalten prosaischen Menschen, Olimpia unheimlich sein. Nur dem poetischen Gemuet entfaltet sich das gleich organisierte! - Nur _mir_ ging ihr Liebesblick auf und durchstrahlte Sinn und Gedanken, nur in Olimpias Liebe finde ich mein Selbst wieder. Euch mag es nicht recht sein, dass sie nicht in platter Konversation faselt, wie die andern flachen Gemueter. Sie spricht wenig Worte, das ist wahr; aber diese wenigen Worte erscheinen als echte Hieroglyphe der innern Welt voll Liebe und hoher Erkenntnis des geistigen Lebens in der Anschauung des ewigen Jenseits. Doch fuer alles das habt ihr keinen Sinn und alles sind verlorne Worte." - "Behuete dich Gott, Herr Bruder", sagte Siegmund sehr sanft, beinahe wehmuetig, "aber mir scheint es, du seist auf boesem Wege. Auf mich kannst du rechnen, wenn alles - Nein, ich mag nichts weiter sagen! -" Dem Nathanael war es ploetzlich, als meine der kalte prosaische Siegmund es sehr treu mit ihm, er schuettelte daher die ihm dargebotene Hand recht herzlich. Nathanael hatte rein vergessen, dass es eine Clara in der Welt gebe, die er sonst geliebt; - die Mutter - Lothar - alle waren aus seinem Gedaechtnis entschwunden, er lebte nur fuer Olimpia, bei der er taeglich stundenlang sass und von seiner Liebe, von zum Leben ergluehter Sympathie, von psychischer Wahlverwandtschaft fantasierte, welches alles Olimpia mit grosser Andacht anhoerte. Aus dem tiefsten Grunde des Schreibpults holte Nathanael alles hervor, was er jemals geschrieben. Gedichte, Fantasien, Visionen, Romane, Erzaehlungen, das wurde taeglich vermehrt mit allerlei ins Blaue fliegenden Sonetten, Stanzen, Kanzonen, und das alles las er der Olimpia stundenlang hintereinander vor, ohne zu ermueden. Aber auch noch nie hatte er eine solche herrliche Zuhoererin gehabt. Sie stickte und strickte nicht, sie sah nicht durchs Fenster, sie fuetterte keinen Vogel, sie spielte mit keinem Schosshuendchen, mit keiner Lieblingskatze, sie drehte keine Papierschnitzchen, oder sonst etwas in der Hand, sie durfte kein Gaehnen durch einen leisen erzwungenen Husten bezwingen - kurz! - stundenlang sah sie mit starrem Blick unverwandt dem Geliebten ins Auge, ohne sich zu ruecken und zu bewegen und immer gluehender, immer lebendiger wurde dieser Blick. Nur wenn Nathanael endlich aufstand und ihr die Hand, auch wohl den Mund kuesste, sagte sie: "Ach, Ach!" - dann aber: "Gute Nacht, mein Lieber!" - "O du herrliches, du tiefes Gemuet", rief Nathanael auf seiner Stube: "nur von dir, von dir allein werd ich ganz verstanden." Er erbebte vor innerm Entzuecken, wenn er bedachte, welch wunderbarer Zusammenklang sich in seinem und Olimpias Gemuet taeglich mehr offenbare; denn es schien ihm, als habe Olimpia ueber seine Werke, ueber seine Dichtergabe ueberhaupt recht tief aus seinem Innern gesprochen, ja als habe die Stimme aus seinem Innern selbst herausgetoent. Das musste denn wohl auch sein; denn mehr Worte als vorhin erwaehnt, sprach Olimpia niemals. Erinnerte sich aber auch Nathanael in hellen nuechternen Augenblicken, z.B. morgens gleich nach dem Erwachen, wirklich an Olimpias gaenzliche Passivitaet und Wortkargheit, so sprach er doch: "Was sind Worte - Worte! - Der Blick ihres himmlischen Auges sagt mehr als jede Sprache hienieden. Vermag denn ueberhaupt ein Kind des Himmels sich einzuschichten in den engen Kreis, den ein klaegliches irdisches Beduerfnis gezogen?" - Professor Spalanzani schien hocherfreut ueber das Verhaeltnis seiner Tochter mit Nathanael; er gab diesem allerlei unzweideutige Zeichen seines Wohlwollens und als es Nathanael endlich wagte von ferne auf eine Verbindung mit Olimpia anzuspielen, laechelte dieser mit dem ganzen Gesicht und meinte: er werde seiner Tochter voellig freie Wahl lassen. - Ermutigt durch diese Worte, brennendes Verlangen im Herzen, beschloss Nathanael, gleich am folgenden Tage Olimpia anzusehen, dass sie das unumwunden in deutlichen Worten ausspreche, was laengst ihr holder Liebesblick ihm gesagt, dass sie sein eigen immerdar sein wolle. Er suchte nach dem Ringe, den ihm beim Abschiede die Mutter geschenkt, um ihn Olimpia als Symbol seiner Hingebung, seines mit ihr aufkeimenden, bluehenden Lebens darzureichen. Claras, Lothars Briefe fielen ihm dabei in die Haende; gleichgueltig warf er sie beiseite, fand den Ring, steckte ihn ein und rannte herueber zu Olimpia. Schon auf der Treppe, auf dem Flur, vernahm er ein wunderliches Getoese; es schien aus Spalanzanis Studierzimmer herauszuschallen. - Ein Stampfen - ein Klirren - ein Stossen - Schlagen gegen die Tuer, dazwischen Flueche und Verwuenschungen. Lass los - lass los - Infamer - Verruchter! - Darum Leib und Leben daran gesetzt? - ha ha ha ha! - so haben wir nicht gewettet - ich, ich hab die Augen gemacht - ich das Raederwerk - dummer Teufel mit deinem Raederwerk - verfluchter Hund von einfaeltigem Uhrmacher - fort mit dir - Satan - halt - Peipendreher - teuflische Bestie! - halt - fort - lass los! - Es waren Spalanzanis und des graesslichen Coppelius Stimmen, die so durcheinander schwirrten und tobten. Hinein stuerzte Nathanael von namenloser Angst ergriffen. Der Professor hatte eine weibliche Figur bei den Schultern gepackt, der Italiener Coppola bei den Fuessen, die zerrten und zogen sie hin und her, streitend in voller Wut um den Besitz. Voll tiefen Entsetzens prallte Nathanael zurueck, als er die Figur fuer Olimpia erkannte; aufflammend in wildem Zorn wollte er den Wuetenden die Geliebte entreissen, aber in dem Augenblick wand Coppola sich mit Riesenkraft drehend die Figur dem Professor aus den Haenden und versetzte ihm mit der Figur selbst einen fuerchterlichen Schlag, dass er ruecklings ueber den Tisch, auf dem Phiolen, Retorten, Flaschen, glaeserne Zylinder standen, taumelte und hinstuerzte; alles Geraet klirrte in tausend Scherben zusammen. Nun warf Coppola die Figur ueber die Schulter und rannte mit fuerchterlich gellendem Gelaechter rasch fort die Treppe herab, so dass die haesslich herunterhaengenden Fuesse der Figur auf den Stufen hoelzern klapperten und droehnten. - Erstarrt stand Nathanael - nur zu deutlich hatte er gesehen, Olimpias toderbleichtes Wachsgesicht hatte keine Augen, statt ihrer schwarze Hoehlen; sie war eine leblose Puppe. Spalanzani waelzte sich auf der Erde, Glasscherben hatten ihm Kopf, Brust und Arm zerschnitten, wie aus Springquellen stroemte das Blut empor. Aber er raffte seine Kraefte zusammen. - "Ihm nach - ihm nach, was zauderst du? - Coppelius - Coppelius, mein bestes Automat hat er mir geraubt - Zwanzig Jahre daran gearbeitet - Leib und Leben daran gesetzt - das Raederwerk - Sprache - Gang - mein - die Augen - die Augen dir gestohlen. - Verdammter - Verfluchter - ihm nach - hol mir Olimpia - da hast du die Augen! -" Nun sah Nathanael, wie ein Paar blutige Augen auf dem Boden liegend ihn anstarrten, die ergriff Spalanzani mit der unverletzten Hand und warf sie nach ihm, dass sie seine Brust trafen. - Da packte ihn der Wahnsinn mit gluehenden Krallen und fuhr in sein Inneres hinein Sinn und Gedanken zerreissend. "Hui - hui - hui! - _Feuerkreis_ - _Feuerkreis_! dreh dich _Feuerkreis_ - lustig - lustig! - Holzpueppchen hui schoen Holzpueppchen dreh dich -" damit warf er sich auf den Professor und drueckte ihm die Kehle zu. Er haette ihn erwuergt, aber das Getoese hatte viele Menschen herbeigelockt, die drangen ein, rissen den wuetenden Nathanael auf und retteten so den Professor, der gleich verbunden wurde. Siegmund, so stark er war, vermochte nicht den Rasenden zu baendigen; der schrie mit fuerchterlicher Stimme immerfort: "Holzpueppchen dreh dich" und schlug um sich mit geballten Faeusten. Endlich gelang es der vereinten Kraft mehrerer, ihn zu ueberwaeltigen, indem sie ihn zu Boden warfen und banden. Seine Worte gingen unter in entsetzlichem tierischen Gebruell. So in graesslicher Raserei tobend wurde er nach dem Tollhause gebracht. Ehe ich, guenstiger Leser! dir zu erzaehlen fortfahre, was sich weiter mit dem ungluecklichen Nathanael zugetragen, kann ich dir, solltest du einigen Anteil an dem geschickten Mechanikus und Automat-Fabrikanten Spalanzani nehmen, versichern, dass er von seinen Wunden voellig geheilt wurde. Er musste indes die Universitaet verlassen, weil Nathanaels Geschichte Aufsehen erregt hatte und es allgemein fuer gaenzlich unerlaubten Betrug gehalten wurde, vernuenftigen Teezirkeln (Olimpia hatte sie mit Glueck besucht) statt der lebendigen Person eine Holzpuppe einzuschwaerzen. Juristen nannten es sogar einen feinen und um so haerter zu bestrafenden Betrug, als er gegen das Publikum gerichtet und so schlau angelegt worden, dass kein Mensch (ganz kluge Studenten ausgenommen) es gemerkt habe, unerachtet jetzt alle weise tun und sich auf allerlei Tatsachen berufen wollten, die ihnen verdaechtig vorgekommen. Diese letzteren brachten aber eigentlich nichts Gescheutes zutage. Denn konnte z.B. wohl irgend jemanden verdaechtig vorgekommen sein, dass nach der Aussage eines eleganten Teeisten Olimpia gegen alle Sitte oefter genieset, als gegaehnt hatte? Ersteres, meinte der Elegant, sei das Selbstaufziehen des verborgenen Triebwerks gewesen, merklich habe es dabei geknarrt usw. Der Professor der Poesie und Beredsamkeit nahm eine Prise, klappte die Dose zu, raeusperte sich und sprach feierlich: "Hochzuverehrende Herren und Damen! merken Sie denn nicht, wo der Hase im Pfeffer liegt? Das Ganze ist eine Allegorie - eine fortgefuehrte Metapher! - Sie verstehen mich! - Sapienti sat!" Aber viele hochzuverehrende Herren beruhigten sich nicht dabei; die Geschichte mit dem Automat hatte tief in ihrer Seele Wurzel gefasst und es schlich sich in der Tat abscheuliches Misstrauen gegen menschliche Figuren ein. Um nun ganz ueberzeugt zu werden, dass man keine Holzpuppe liebe, wurde von mehrern Liebhabern verlangt, dass die Geliebte etwas taktlos singe und tanze, dass sie beim Vorlesen sticke, stricke, mit dem Moepschen spiele usw. vor allen Dingen aber, dass sie nicht bloss hoere, sondern auch manchmal in der Art spreche, dass dies Sprechen wirklich ein Denken und Empfinden voraussetze. Das Liebesbuendnis vieler wurde fester und dabei anmutiger, andere dagegen gingen leise auseinander. "Man kann wahrhaftig nicht dafuer stehen", sagte dieser und jener. In den Tees wurde unglaublich gegaehnt und niemals genieset, um jedem Verdacht zu begegnen. - Spalanzani musste, wie gesagt, fort, um der Kriminaluntersuchung wegen [des] der menschlichen Gesellschaft betrueglicherweise eingeschobenen Automats zu entgehen. Coppola war auch verschwunden. Nathanael erwachte wie aus schwerem, fuerchterlichem Traum, er schlug die Augen auf und fuehlte wie ein unbeschreibliches Wonnegefuehl mit sanfter himmlischer Waerme ihn durchstroemte. Er lag in seinem Zimmer in des Vaters Hause auf dem Bette, Clara hatte sich ueber ihn hingebeugt und unfern standen die Mutter und Lothar. "Endlich, endlich, o mein herzlieber Nathanael - nun bist du genesen von schwerer Krankheit - nun bist du wieder mein!" - So sprach Clara recht aus tiefer Seele und fasste den Nathanael in ihre Arme. Aber dem quollen vor lauter Wehmut und Entzuecken die hellen gluehenden Traenen aus den Augen und er stoehnte tief auf. "Meine - meine Clara!" - Siegmund, der getreulich ausgeharrt bei dem Freunde in grosser Not, trat herein. Nathanael reichte ihm die Hand: "Du treuer Bruder hast mich doch nicht verlassen." - Jede Spur des Wahnsinns war verschwunden, bald erkraeftigte sich Nathanael in der sorglichen Pflege der Mutter, der Geliebten, der Freunde. Das Glueck war unterdessen in das Haus eingekehrt; denn ein alter karger Oheim, von dem niemand etwas gehofft, war gestorben und hatte der Mutter nebst einem nicht unbedeutenden Vermoegen ein Guetchen in einer angenehmen Gegend unfern der Stadt hinterlassen. Dort wollten sie hinziehen, die Mutter, Nathanael mit seiner Clara, die er nun zu heiraten gedachte, und Lothar. Nathanael war milder, kindlicher geworden, als er je gewesen und erkannte nun erst recht Claras himmlisch reines, herrliches Gemuet. Niemand erinnerte ihn auch nur durch den leisesten Anklang an die Vergangenheit. Nur, als Siegmund von ihm schied, sprach Nathanael: "Bei Gott Bruder! ich war auf schlimmen Wege, aber zu rechter Zeit leitete mich ein Engel auf den lichten Pfad! - Ach es war ja Clara! -" Siegmund liess ihn nicht weiter reden, aus Besorgnis, tief verletzende Erinnerungen moechten ihm zu hell und flammend aufgehen. - Es war an der Zeit, dass die vier gluecklichen Menschen nach dem Guetchen ziehen wollten. Zur Mittagsstunde gingen sie durch die Strassen der Stadt. Sie hatten manches eingekauft, der hohe Ratsturm warf seinen Riesenschatten ueber den Markt. "Ei!" sagte Clara: "steigen wir doch noch einmal herauf und schauen in das ferne Gebirge hinein!" Gesagt, getan! Beide, Nathanael und Clara, stiegen herauf, die Mutter ging mit der Dienstmagd nach Hause, und Lothar, nicht geneigt, die vielen Stufen zu erklettern, wollte unten warten. Da standen die beiden Liebenden Arm in Arm auf der hoechsten Galerie des Turmes und schauten hinein in die duftigen Waldungen, hinter denen das blaue Gebirge, wie eine Riesenstadt, sich erhob. "Sieh doch den sonderbaren kleinen grauen Busch, der ordentlich auf uns los zu schreiten scheint", frug Clara. - Nathanael fasste mechanisch nach der Seitentasche; er fand Coppolas Perspektiv, er schaute seitwaerts - Clara stand vor dem Glase! - Da zuckte es krampfhaft in seinen Pulsen und Adern - totenbleich starrte er Clara an, aber bald gluehten und spruehten Feuerstroeme durch die rollenden Augen, graesslich bruellte er auf, wie ein gehetztes Tier; dann sprang er hoch in die Luefte und grausig dazwischen lachend schrie er in schneidendem Ton: "Holzpueppchen dreh dich - Holzpueppchen dreh dich" - und mit gewaltiger Kraft fasste er Clara und wollte sie herabschleudern, aber Clara krallte sich in verzweifelnder Todesangst fest an das Gelaender. Lothar hoerte den Rasenden toben, er hoerte Claras Angstgeschrei, graessliche Ahnung durchflog ihn, er rannte herauf, die Tuer der zweiten Treppe war verschlossen - staerker hallte Claras Jammergeschrei. Unsinnig vor Wut und Angst stiess er gegen die Tuer, die endlich aufsprang - Matter und matter wurden nun Claras Laute: "Huelfe - rettet - rettet -" so erstarb die Stimme in den Lueften. "Sie ist hin - ermordet von dem Rasenden", so schrie Lothar. Auch die Tuer zur Galerie war zugeschlagen. - Die Verzweiflung gab ihm Riesenkraft, er sprengte die Tuer aus den Angeln. Gott im Himmel - Clara schwebte von dem rasenden Nathanael erfasst ueber der Galerie in den Lueften - nur mit einer Hand hatte sie noch die Eisenstaebe umklammert. Rasch wie der Blitz erfasste Lothar die Schwester, zog sie hinein, und schlug im demselben Augenblick mit geballter Faust dem Wuetenden ins Gesicht, dass er zurueckprallte und die Todesbeute fallen liess. Lothar rannte herab, die ohnmaechtige Schwester in den Armen. - Sie war gerettet. - Nun raste Nathanael herum auf der Galerie und sprang hoch in die Luefte und schrie "_Feuerkreis_ dreh dich - _Feuerkreis_ dreh dich" - Die Menschen liefen auf das wilde Geschrei zusammen; unter ihnen ragte riesengross der Advokat Coppelius hervor, der eben in die Stadt gekommen und gerades Weges nach dem Markt geschritten war. Man wollte herauf, um sich des Rasenden zu bemaechtigen, da lachte Coppelius sprechend: "Ha ha - wartet nur, der kommt schon herunter von selbst", und schaute wie die uebrigen hinauf. Nathanael blieb ploetzlich wie erstarrt stehen, er bueckte sich herab, wurde den Coppelius gewahr und mit dem gellenden Schrei: "Ha! Skoene Oke - Skoene Oke", sprang er ueber das Gelaender. Als Nathanael mit zerschmettertem Kopf auf dem, Steinpflaster lag, war Coppelius im Gewuehl verschwunden. Nach mehreren Jahren will man in einer entfernten Gegend Clara gesehen haben, wie sie mit einem freundlichen Mann, Hand in Hand vor der Tuere eines schoenen Landhauses sass und vor ihr zwei muntre Knaben spielten. Es waere daraus zu schliessen, dass Clara das ruhige haeusliche Glueck noch fand, das ihrem heitern lebenslustigen Sinn zusagte und das ihr der im Innern zerrissene Nathanael niemals haette gewaehren koennen. Ignaz Denner Vor alter laengst verflossner Zeit lebte in einem wilden einsamen Forst des Fuldaischen Gebiets ein wackrer Jaegersmann, Andres mit Namen. Er war sonst Leibjaeger des Herrn Grafen Aloys von Vach gewesen, den er auf weiten Reisen durch das schoene Welschland begleitet, und einmal, als sie auf den unsichern Wegen in dem Koenigreich Neapel von Strassenraeubern angefallen wurden, durch seine Klugheit und Tapferkeit aus grosser Lebensgefahr gerettet hatte. In dem Wirtshause zu Neapel, wo sie eingekehrt waren, befand sich ein armes, bildschoenes Maedchen, die von dem Hauswirt, der sie als eine Waise aufgenommen, gar hart behandelt und zu den niedrigsten Arbeiten in Hof und Kueche gebraucht wurde. Andres suchte sie, so gut er sich ihr verstaendlich machen konnte, mit trostreichen Worten aufzurichten, und das Maedchen fasste solche Liebe zu ihm, dass sie sich nicht mehr von ihm trennen, sondern mitziehen wollte nach dem kalten Deutschland. Der Graf von Vach, geruehrt von Andres' Bitten und Giorginas Traenen, erlaubte, dass sie sich zu dem geliebten Andres auf den Kutschbock setzen, und so die beschwerliche Reise machen durfte. Schon ehe sie ueber die Grenzen von Italien hinausgekommen, liess sich Andres mit seiner Giorgina trauen und als sie dann nun endlich zurueckgekehrt waren auf die Gueter des Grafen von Vach, glaubte dieser den treuen Diener recht zu belohnen, da er ihn zu seinem Revierjaeger ernannte. Mit seiner Giorgina und einem alten Knecht zog er in den einsamen rauhen Wald, den er schuetzen sollte wider die Freijaeger und Holzdiebe. Statt des geholten Wohlstandes, den ihm der Graf von Vach verheissen, fuehrte er aber ein beschwerliches, muehseliges, duerftiges Leben und geriet bald in Kummer und Elend. Der kleine Lohn an barem Geld, den er von dem Grafen erhielt, reichte kaum hin, sich und seine Giorgina zu kleiden; die geringen Gefaelle, die ihm bei Holzverkaeufen zukamen, waren selten und ungewiss und den Garten, auf dessen Bebauung und Benutzung er angewiesen, verwuesteten oft die Woelfe und die wilden Schweine, er mochte mit seinem Knecht auf der Hut sein, wie er wollte, so dass bisweilen in einer Nacht die letzte Hoffnung des Lebensunterhalts vereitelt ward. Dabei war sein Leben stets bedroht von den Holzdieben und Freischuetzen. Jeder Lockung widerstand er als ein wackrer frommer Mann, der lieber darben, als ungerechtes Gut an sich bringen wollte und verwaltete sein Amt getreulich und tapfer, deshalb stellten sie ihm nach auf gefaehrliche Weise, und nur seine treuen Doggen schuetzten ihn vor naechtlichem Ueberfall des Raubgesindels. Giorgina, des Klimas und der Lebensweise in dem wilden Forst ganz ungewohnt, welkte zusehends hin. Ihre braeunliche Gesichtsfarbe verwandelte sich in fahles Gelb, ihre lebhaften blitzenden Augen wurden duester, und ihr voller, ueppiger Wuchs magerte mit jedem Tage mehr ab. Oft erwachte sie in mondheller Nacht. Schuesse krachten in der Ferne durch den Wald, die Doggen heulten, leise erhob sich der Mann vom Lager und schlich mit dem Knecht murmelnd hinaus in den Forst. Dann betete sie inbruenstig zu Gott und zu den Heiligen, dass sie und ihr treuer Mann errettet werden moechten aus dieser schrecklichen Einoede und aus der steten Todesgefahr. Die Geburt eines Knaben warf Giorgina endlich auf das Krankenlager, und immer schwaecher und schwaecher werdend, sah sie ihr Ende vor Augen. Dumpf in sich hinbruetend, schlich der unglueckliche Andres umher; alles Glueck war mit der Krankheit seines Weibes von ihm gewichen. Wie neckendes, gespenstisches Wesen guckte das Wild aus den Bueschen; sowie er sein Gewehr abdrueckte, war es verstoben in der Luft. Er konnte kein Tier mehr treffen und nur sein Knecht, ein geuebter Schuetze, beschaffte das Wild, welches er dem Grafen von Vach zu liefern gehalten war. Einst sass er an Giorginas Bette, den starren Blick auf das geliebte Weib gerichtet, die ermattet zum Tode kaum mehr atmete. In dumpfem, lautlosem Schmerz hatte er ihre Hand gefasst und hoerte nicht das Aechzen des Knaben, der nahrungslos verschmachten wollte. Der Knecht ging schon am fruehen Morgen nach Fulda, um fuer das letzte Ersparnis einige Erquickung fuer die Kranke herbeizuschaffen. Kein menschliches troestendes Wesen war weit und breit zu finden, nur der Sturm heulte in schneidenden Toenen des entsetzlichen Jammers durch die schwarzen Tannen und die Doggen winselten, wie in trostloser Klage, um den ungluecklichen Herrn. Da hoerte Andres auf einmal es vor dem Hause daherschreiten, wie menschliche Fusstritte. Er glaubte, es waere der zurueckkehrende Knecht, unerachtet er ihn nicht so frueh erwarten konnte, aber die Hunde sprangen heraus und bellten heftig. Es musste ein Fremder sein. Andres ging selbst vor die Tuer: da trat ihm ein langer, hagerer Mann entgegen, in grauem Mantel, die Reisemuetze tief ins Gesicht gedrueckt. "Ei", sagte der Fremde: "wie bin ich doch hier im Walde so irre gegangen! Der Sturm tobt von den Bergen herab, wir bekommen ein schrecklich Wetter. Moechtet Ihr nicht erlauben, lieber Herr! dass ich in Euer Haus eintreten und mich von dem beschwerlichen Wege erholen und erquicken duerfte zur weitern Reise?" - "Ach Herr", erwiderte der betruebte Andres, "Ihr kommt in ein Haus der Not und des Elends und ausser dem Stuhl, auf dem Ihr ausruhen koennt, vermag ich kaum Euch irgend eine Erquickung anzubieten; meinem armen kranken Weibe mangelt es selbst daran, und mein Knecht, den ich nach Fulda geschickt, wird erst am spaeten Abend etwas zur Labung herbeibringen." Unter diesen Worten waren sie in die Stube getreten. Der Fremde legte seine Reisemuetze und seinen Mantel ab, unter dem er ein Felleisen und ein Kistchen trug. Er zog auch ein Stilett und ein paar Terzerole hervor, die er auf den Tisch legte. Andres war an Giorginas Bett getreten, sie lag in bewusstlosem Zustande. Der Fremde trat ebenfalls hinzu, schaute die Kranke lange mit scharfen, bedaechtigen Blicken an und ergriff ihre Hand, den Puls sorglich erforschend. Als nun Andres voll Verzweiflung ausrief: "Ach Gott, nun stirbt sie wohl!" da sagte der Fremde: "Mit nichten, lieber Freund! seid ganz ruhig. Euerm Weibe fehlt nichts als kraeftige, gute Nahrung, und vor der Hand wird ihr ein Mittel, das zugleich reizt und staerkt, die besten Dienste tun. Ich bin zwar kein Arzt, sondern vielmehr ein Kaufmann, allein doch in der Arzneiwissenschaft nicht unerfahren, und besitze aus uralter Zeit her manches Arcanum, welches ich mit mir fuehre und auch wohl verkaufe." Damit oeffnete der Fremde sein Kistchen, holte eine Phiole heraus, troepfelte von dem ganz dunkelroten Liquor etwas auf Zucker und gab es der Kranken. Dann holte er aus dem Felleisen eine kleine geschliffene Flasche koestlichen Rheinweins und floesste der Kranken ein paar Loeffel voll ein. Den Knaben, befahl er, nur dicht an der Mutter Brust gelehnt ins Bette zu legen und beide der Ruhe zu ueberlassen. Dem Andres war es zumute, als sei ein Heiliger herabgestiegen in die Einoede, ihm Trost und Huelfe zu bringen. Anfangs hatte ihn der stechende, falsche Blick des Fremden abgeschreckt, jetzt wurde er durch die sorgliche Teilnahme, durch die augenscheinliche Huelfe, die er der armen Giorgina leistete, zu ihm hingezogen. Er erzaehlte dem Fremden unverhohlen, wie er eben durch die Gnade, die ihm sein Herr, der Graf von Vach, angedeihen lassen wollen, in Not und Elend geraten sei und wie er wohl Zeit seines Lebens nicht aus drueckender Armut und Duerftigkeit kommen werde. Der Fremde troestete ihn dagegen und meinte, wie oft ein unverhofftes Glueck dem Hoffnungslosesten alle Gueter des Lebens bringe, und dass man wohl etwas wagen muesse, das Glueck selbst sich dienstbar zu machen. "Ach lieber Herr!" erwiderte Andres, "ich vertraue Gott und der Fuersprache der Heiligen, zu denen wir, ich und mein treues Weib, jeden Tag mit Inbrunst beten. Was soll ich denn tun, um mir Geld und Gut zu verschaffen? Ist es mir nach Gottes Weisheit nicht beschieden, so waere es ja suendlich, darnach zu trachten; soll ich aber noch in dieser Welt zu Guetern gelangen, welches ich meines armen Weibes halber wuensche, die ihr schoenes Vaterland verlassen, um mir in diese wilde Einoede zu folgen, so kommt es wohl, ohne dass ich Leib und Leben wage um schnoedes, weltliches Gut." Der Fremde laechelte bei diesen Reden des frommen Andres auf ganz seltsame Weise und war im Begriff, etwas zu erwidern, als Giorgina mit einem tiefen Seufzer aus dem Schlaf, in den sie versunken, erwachte. Sie fuehlte sich wunderbarlich gestaerkt; auch der Knabe laechelte hold und lieblich an ihrer Brust. Andres war ausser sich vor Freude, er weinte, er betete, er jubelte durch das Haus. Der Knecht war indessen zurueckgekommen und bereitete, so gut er es vermochte, von den mitgebrachten Lebensmitteln das Mahl, an dem nun der Fremde teilnehmen sollte. Der Fremde kochte selbst eine Kraftsuppe fuer Giorgina, und man sah, dass er allerlei Gewuerz und andere Ingredienzien hineinwarf, die er bei sich getragen. Es war spaeter Abend worden, der Fremde musste daher bei dem Andres uebernachten, und er bat, dass man ihm in derselben Stube, wo Andres und Giorgina schliefen, ein Strohlager bereiten moege. Das geschah. Andres, den die Besorgnis um Giorgina nicht schlafen liess, bemerkte, wie der Fremde beinahe bei jedem staerkeren Atemzuge Giorginas auffuhr, wie er stuendlich aufstand, leise sich ihrem Bette naeherte, ihren Puls erforschte und ihr Arznei eintroepfelte. Als der Morgen angebrochen, war Giorgina wieder zusehends besser geworden. Andres dankte dem Fremden, den er seinen Schutzengel nannte, aus der Fuelle seines Herzens. Auch Giorgina aeusserte, wie ihn wohl, auf ihr inbruenstiges Gebet, Gott selbst gesendet habe zu ihrer Rettung. Dem Fremden schienen diese lebhaften Ausbrueche des Danks in gewisser Art beschwerlich zu fallen; er war sichtlich verlegen und aeusserte ein Mal ueber das andere, wie er ja ein Unmensch sein muesse, wenn er nicht der Kranken mit seiner Kenntnis und den Arzneimitteln, die er bei sich fuehre, habe beistehen sollen. Uebrigens sei nicht Andres, sondern er zum Dank verpflichtet, da man ihn, der Not unerachtet, die im Hause herrsche, so gastlich aufgenommen, und er wolle auch keineswegs diese Pflicht unerfuellt lassen. Er zog einen wohlgefuellten Beutel hervor und nahm einige Goldstuecke heraus, die er dem Andres hinreichte. "Ei Herr", sagte Andres, "wie und wofuer sollte ich denn so vieles Geld von Euch annehmen? Euch in meinem Hause zu beherbergen, da Ihr Euch in dem wilden weitlaeufigen Forst verirrt hattet, das war ja Christenpflicht, und duenkte Euch das irgend eines Dankes wert, so habt Ihr mich ja ueberreich, ja mehr, als ich es nur mit Worten sagen mag, dadurch belohnt, dass Ihr als ein weiser kunsterfahrner Mann mein liebes Weib vom augenscheinlichen Tode rettetet. Ach Herr! was Ihr an mir getan, werde ich Euch ewiglich nicht vergessen, und Gott moege es mir verleihen, dass ich die edle Tat Euch mit meinem Leben und Blut lohnen koenne." Bei diesen Worten des wackern Andres fuhr es wie ein rascher funkelnder Blitz aus den Augen des Fremden. "Ihr muesst, braver Mann", sprach er, "durchaus das Geld annehmen. Ihr seid das schon Euerm Weibe schuldig, der Ihr damit bessere Nahrungsmittel und Pflege verschaffen koennt; denn dieser bedarf sie nunmehro, um nicht wieder in ihren vorigen Zustand zurueckzufallen, und Euerm Knaben Nahrung geben zu koennen." - "Ach Herr", erwiderte Andres, "verzeiht es, aber eine innere Stimme sagt mir, dass ich Euer unverdientes Geld nicht nehmen darf. Diese innere Stimme, der ich, wie der hoehern Eingebung meines Schutzheiligen, immer vertraut, hat mich bisher sicher durch das Leben gefuehrt und mich beschuetzt vor allen Gefahren des Leibes und der Seele. Wollt Ihr grossmuetig handeln und an mir Armen ein uebriges tun, so lasst mir ein Flaeschlein von Eurer wundervollen Arznei zurueck, damit durch ihre Kraft mein Weib ganz genese." Giorgina richtete sich im Bette auf, und der schmerzvolle wehmuetige Blick, den sie auf Andres warf, schien ihn anzusehen, diesmal nicht so strenge auf sein inneres Widerstreben zu achten, sondern die Gabe des mildtaetigen Mannes anzunehmen. Der Fremde bemerkte das und sprach: "Nun wenn Ihr denn durchaus mein Geld nicht annehmen wollt, so schenke ich es Euerm lieben Weibe, die meinen guten Willen, Euch aus der bittern Not zu retten, nicht verschmaehen wird." Damit griff er noch einmal in den Beutel, und sich der Giorgina naehernd, gab er ihr wohl noch einmal so viel Geld, als er vorhin dem Andres angeboten hatte. Giorgina sah das schoene funkelnde Gold mit vor Freude leuchtenden Augen, sie konnte kein Wort des Danks herausbringen, die hellen Traenen schossen ihr die Wangen herab. Der Fremde wandte sich schnell von ihr weg, und sprach zu Andres: "Seht, lieber Mann! Ihr koennet meine Gabe getrost annehmen, da ich nur etwas von grossem Ueberfluss Euch mitteile. Gestehen will ich Euch, dass ich das nicht bin, was ich scheine. Nach meiner schlichten Kleidung, und da ich wie ein duerftiger wandernder Kraemer zu Fuss reise, glaubt Ihr gewiss, dass ich arm bin und mich nur kuemmerlich von kleinem Verdienst auf Messen und Jahrmaerkten naehre: ich muss Euch jedoch sagen, dass ich durch gluecklichen Handel mit den trefflichsten Kleinodien, den ich seit vielen Jahren treibe, ein sehr reicher Mann geworden, und nur die einfache Lebensweise aus alter Gewohnheit beibehalten habe. In diesem kleinen Felleisen und dem Kistchen bewahre ich Juwelen und koestliche, zum Teil noch im grauen Altertum geschnittene Steine, welche viele, viele Tausende wert sind. Ich habe diesmal in Frankfurt sehr glueckliche Geschaefte gemacht, so dass das wohl noch lange nicht der hundertste Teil des Gewinns sein mag, was ich Euerm lieben Weibe schenkte. Ueberdem gebe ich Euch das Geld keineswegs umsonst, sondern verlange von Euch dafuer allerlei Gefaelligkeiten. Ich wollte, wie gewoehnlich, von Frankfurt nach Kassel gehen und kam von Schluechtern aus vom richtigen Wege ab. Indessen habe ich gefunden, dass der Weg durch diesen Forst, den sonst die Reisenden scheuen, gerade fuer einen Fussgaenger recht anmutig ist, weshalb ich denn kuenftig auf gleicher Reise immer diese Strasse einschlagen und bei Euch einsprechen will. Ihr werdet daher mich jaehrlich zweimal bei Euch eintreffen sehen; naemlich zu Ostern, wenn ich von Frankfurt nach Kassel wandere, und im spaeten Herbst, wenn ich von der Leipziger Michaelismesse nach Frankfurt und von dort nach der Schweiz und wohl auch nach Welschland gehe. Dann sollt Ihr mich fuer gute Bezahlung - einen - zwei auch wohl drei Tage bei Euch beherbergen und das ist die erste Gefaelligkeit, um die ich Euch ersuche. Ferner bitte ich Euch, dieses kleine Kistchen, worin Waren sind, die ich in Kassel nicht brauche, und das mir beim Wandern hinderlich ist, zu behalten, bis ich kuenftigen Herbst wieder bei Euch einspreche. Nicht verhehlen will ich, dass die Waren viele Tausende wert sind, aber ich mag Euch deshalb doch kaum groessere Sorglichkeit empfehlen, da ich nach der Treue und Froemmigkeit, die Ihr an den Tag legt, Euch zutraue, dass Ihr auch das Geringste, was ich Euch zurueckliesse, sorgfaeltig aufbewahren wuerdet; zumal werdet Ihr das bei Sachen von solch grossem Werte, als die sind, welche in dem Kistchen verschlossen, sicherlich tun. Seht, das ist der zweite Dienst, den ich von Euch fordere. Das Dritte, was ich verlange, wird Euch wohl am schwersten fallen, unerachtet es mir jetzt am noetigsten tut. Ihr sollt Euer liebes Weib nur auf diesen Tag verlassen und mich aus dem Forst bis auf die Strasse nach Hirschfeld geleiten, wo ich bei Bekannten einsprechen und dann meine Reise nach Kassel fortsetzen will. Denn ausser dem, dass ich des Weges im Forst nicht recht kundig bin und mich daher zum zweitenmal verirren koennte, ohne von einem so wackern Mann, wie Ihr es seid, aufgenommen zu werden, ist es auch in der Gegend nicht recht geheuer. Euch als einem Jaegersmann aus der Gegend wird man nichts anhaben, aber ich, als einsamer Wanderer, koennte wohl gefaehrdet werden. Man sprach in Frankfurt davon, dass eine Raeuberbande, die sonst die Gegend von Schaffhausen unsicher machte und sich bis nach Strassburg herauf ausdehnte, nunmehr sich ins Fuldaische geworfen haben soll, da die von Leipzig nach Frankfurt reisenden Kaufleute ihnen reicheren Gewinst versprachen, als sie dort finden konnten. Wie leicht waer es moeglich, dass sie mich schon von Frankfurt aus als reichen Juwelenhaendler kennten. Hab ich also ja durch die Rettung Eures Weibes Dank verdient, so koennt Ihr mich dadurch reichlich lohnen, dass Ihr aus diesem Forste mich auf Weg und Steg leitet." Andres war mit Freuden bereit, alles zu erfuellen, was man von ihm verlangte, und machte sich gleich, wie es der Fremde wuenschte, zur Wanderung fertig, indem er seine Jaegeruniform anzog, seine Doppelbuechse und seinen tuechtigen Hirschfaenger umschnallte und dem Knecht befahl, zwei von den Doggen anzukuppeln. Der Fremde hatte unterdessen das Kistchen geoeffnet und die praechtigsten Geschmeide, Halsketten - Ohrringe - Spangen herausgenommen, die er auf Giorginas Bette ausbreitete, so dass sie ihre Verwunderung und Freude gar nicht bergen konnte. Als nun aber der Fremde sie aufforderte, doch eine der schoensten Halsketten umzuhaengen, die reichen Spangen auf ihre wunderschoen geformten Aerme zu streifen, und ihr dann einen kleinen Taschenspiegel vorhielt, worin sie sich nach Herzenslust beschauen konnte, so dass sie in kindischer Lust aufjauchzte, da sagte Andres zu dem Fremden: "Ach lieber Herr! wie moeget Ihr doch in meinem armen Weibe solche Luesternheit erregen, dass sie sich mit Dingen putzt, die ihr nimmermehr zukommen, und auch gar nicht anstehen. Nehmt mir es nicht uebel, Herr! aber die einfache rote Korallenschnur, die meine Giorgina um den Hals gehaengt hatte, als ich sie zum erstenmal in Neapel sah, ist mir tausendmal lieber, als das funkelnde blitzende Geschmeide, das mir recht eitel und truegerisch vorkommt." - "Ihr seid auch gar zu strenge", erwiderte der Fremde hoehnisch laechelnd, "dass Ihr Euerm Weibe nicht einmal in ihrer Krankheit die unschuldige Freude lassen wollt, sich mit meinen schoenen Geschmeiden herauszuputzen, die keineswegs truegerisch, sondern wahrhaft echt sind. Wisst Ihr denn nicht, dass eben den Weibern solche Dinge rechte Freude verursachen? Und was Ihr da sagt, dass solcher Prunk Eurer Giorgina nicht zukomme, so muss ich das Gegenteil behaupten. Euer Weib ist huebsch genug, sich so herauszuputzen und Ihr wisst ja nicht, ob sie nicht einmal auch noch reich genug sein wird, dergleichen Schmuck selbst zu besitzen und zu tragen." Andres sprach mit sehr ernstem nachdruecklichen Ton: "Ich bitte Euch, Herr! fuehrt nicht solche geheimnisvolle verfaengliche Reden! Wollt Ihr denn mein armes Weib betoeren, dass sie von eitlem Geluest nach solchem weltlichen Prunk und Staat nur drueckender unsere Armut fuehle und um alle Lebensruhe, um alle Heiterkeit gebracht werde? Packt nur Eure schoene Sachen ein, lieber Herr! ich will sie Euch treulich bewahren, bis Ihr zurueckkommt. Aber sagt mir nun, wenn, wie es der Himmel verhueten moege! Euch unterdessen ein Unglueck zustossen sollte, so dass Ihr nicht mehr zurueckkehrtet in mein Haus, wohin soll ich dann das Kistchen abliefern, und wie lange soll ich auf Euch warten, ehe ich die Juwelen _dem_ einhaendige, den Ihr mir nennen werdet, so wie ich Euch jetzt um Euern Namen bitte?" - "Ich heisse", erwiderte der Fremde, "Ignaz Denner, und bin, wie Ihr schon wisset, Kauf- und Handelsmann. Ich habe weder Weib, noch Kinder, und meine Verwandte wohnen im Walliser Lande. _Die_ kann ich aber keineswegs lieben und achten, da sie sich, als ich noch arm und beduerftig war, um mich gar nicht gekuemmert haben. Sollte ich in drei Jahren mich nicht sehen lassen, so behaltet das Kistchen ruhig an Euch und, da ich wohl weiss, dass beide, Ihr und Giorgina, Euch straeuben werdet, das reiche Vermaechtnis von mir anzunehmen, so schenke ich in jenem Fall das Kaestchen mit Kleinodien Euerm Knaben, dem ich, wenn Ihr ihn firmeln lasst, den Namen Ignatius beizugeben bitte." Andres wusste in der Tat nicht, was er aus der seltenen Freigebigkeit und Grossmut des fremden Mannes machen sollte. Er stand ganz verstummt vor ihm, indes Giorgina ihm fuer seinen guten Willen dankte und versicherte, zu Gott und den Heiligen fleissig beten zu wollen, dass sie ihn auf seinen weiten beschwerlichen Reisen beschuetzen und ihn stets gluecklich in ihr Haus zurueckfuehren moechten. Der Fremde laechelte, so wie es seine Art war, auf seltsame Weise und meinte, dass wohl das Gebet einer schoenen Frau mehr Kraft haben moege, als das seinige. Das Beten wolle er daher ihr ueberlassen und uebrigens seinem kraeftigen abgehaerteten Koerper und seinen guten Waffen vertrauen. Dem frommen Andres missfiel diese Aeusserung des Fremden hoechlich; indessen verschwieg er das, was er darauf zu erwidern schon im Begriff stand, und trieb vielmehr den Fremden an, jetzt die Wanderung durch den Forst zu beginnen, da er sonst erst in spaeter Nacht in sein Haus zurueckkehren und seine Giorgina in Furcht und Angst setzen wuerde. Der Fremde sagte beim Abschied noch Giorginen: dass er ausdruecklich ihr erlaube, sich, wenn es ihr Vergnuegen mache, mit seinen Geschmeiden zu schmuecken, da es ihr ja ohnedies in diesem einsamen wilden Forst an jeder Belustigung mangle. Giorgina erroetete vor innerm Vergnuegen, da sie freilich die ihrer Nation eigne Lust an glaenzendem Staat und vorzueglich an kostbaren Steinen nicht unterdruecken konnte. - Nun schritten Denner und Andres rasch vorwaerts durch den finstern oeden Wald. In dem dicksten Gebuesch schnupperten die Doggen umher und klafften, den Herrn mit klugen beredten Augen anschauend. "Hier ist es nicht geheuer", sprach Andres, spannte den Hahn seiner Buechse und schritt mit den Hunden bedaechtig vor dem fremden Kaufmann her. Oft war es ihm, als rausche es in den Baeumen und bald erblickte er in der Ferne finstre Gestalten, die gleich wieder in dem Gebuesch verschwanden. Er wollte seine Doggen loskuppeln. "Tut das nicht, lieber Mann!" rief Denner, "denn ich kann Euch versichern, dass wir nicht das mindeste zu fuerchten haben." Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als nur wenige Schritte von ihnen ein grosser schwarzer Kerl mit struppigen Haaren und grossem Knebelbart, eine Buechse in der Hand, aus dem Gebuesch heraustrat. Andres machte sich schussfertig; "schiesst nicht, schiesst nicht!" rief Denner; der schwarze Kerl nickte ihm freundlich zu und verlor sich in den Baeumen. Endlich waren sie aus dem Walde heraus, auf der lebhaften Landstrasse. "Nun danke ich Euch herzlich fuer Euer Geleite", sprach Denner; "kehrt nur jetzt in Eure Wohnung zurueck; sollten Euch wieder solche Gestalten aufstossen, wie wir sie gesehen, so zieht ruhig Eure Strasse fort, ohne Euch darum zu kuemmern. Tut, als wenn Ihr gar nichts bemerktet, behaltet Eure Doggen am Strick, Ihr werdet ohne alle Gefahr Eure Wohnung erreichen." Andres wusste nicht, was er von dem allen und von dem wunderlichen Kaufmann denken sollte, der, wie ein Geisterbeschwoerer, den Feind zu bannen und von sich abzuhalten schien. Er konnte nicht begreifen, warum er denn erst sich habe durch den Wald geleiten lassen. Getrost schritt Andres durch den Forst zurueck, es stiess ihm durchaus nichts Verdaechtiges auf und er kam wohlbehalten in sein Haus, wo ihm seine Giorgina, die sich munter und kraeftig aus dem Bette gemacht, voll Freude in die Arme fiel. Durch die Freigebigkeit des fremden Kaufmanns bekam die kleine Haushaltung des Andres eine ganz andere Gestalt. Kaum war naemlich Giorgina ganz genesen, als er mit ihr nach Fulda ging und ausser den noetigsten Beduerfnissen noch manches Stueck einkaufte, das ihrer haeuslichen Einrichtung abging und wodurch diese das Ansehen eines gewissen Wohlstandes erhielt. Dazu kam, dass seit dem Besuch des Fremden die Freijaeger und Holzdiebe aus der Gegend gebannt schienen, und Andres seinem Posten ruhig vorstehen konnte. Auch sein Jagdglueck war wiedergekehrt, so dass er, wie sonst, beinahe niemals einen Fehlschuss tat. Der Fremde stellte sich zu Michaelis wieder ein und blieb drei Tage. Der hartnaeckigen Weigerung der Wirtsleute unerachtet war er doch wieder so freigebig, wie das erstemal. Er versicherte, es sei nun einmal seine Absicht, sie in Wohlstand zu versetzen, und so sich selbst das Absteigequartier im Walde freundlicher und angenehmer zu machen. Nun konnte die bildhuebsche Giorgina sich besser kleiden; sie gestand dem Andres, dass sie der Fremde mit einer zierlich gearbeiteten goldnen Nadel, wie sie die Maedchen und Weiber in mancher Gegend Italiens durch das in Zoepfen zusammengeflochtene aufgewirbelte Haar zu stecken pflegen, beschenkt habe. Andres zog ein finstres Gesicht, aber in dem Augenblick war Giorgina zur Tuer herausgesprungen und nicht lange dauerte es, so kehrte sie zurueck ganz so gekleidet und geschmueckt, wie Andres sie in Neapel gesehen hatte. Die schoene goldne Nadel prangte in dem schwarzen Haar, in das sie mit malerischem Sinn bunte Blumen geflochten, und Andres musste sich nun selbst gestehen, dass der Fremde sein Geschenk recht sinnig gewaehlt hatte, um seine Giorgina wahrhaft zu erfreuen. Andres aeusserte dies unverhohlen und Giorgina meinte, dass der Fremde wohl ihr Schutzengel sei, der sie aus der tiefsten Duerftigkeit zum Wohlstande erhebe, und dass sie gar nicht begreife, wie Andres so wortkarg, so verschlossen gegen den Fremden und ueberhaupt so traurig, so in sich gekehrt, bleiben koenne. "Ach, liebes Herzensweib!" sprach Andres, "die innere Stimme, welche mir damals so laut sagte, dass ich durchaus nichts von dem Fremden annehmen duerfe, die schweigt bis jetzt keineswegs. Ich werde oft von innern Vorwuerfen gemartert; es ist mir, als ob mit dem Gelde des Fremden unrechtes Gut in mein Haus gekommen sei und deshalb kann mich nichts recht freuen, was dafuer angeschafft wurde. Ich kann mich jetzt wohl oefter mit einer kraeftigen Speise, mit einem Glase Wein erlaben; glaube mir aber, liebe Giorgina! war einmal ein guter Holzverkauf vorgefallen und hatte mir der liebe Gott ein paar ehrlich verdiente Groschen mehr beschert, als gewoehnlich, dann schmeckte mir ein Glas geringen Weins viel besser, als jetzt der gute Wein, den der Fremde uns mitbringt. Ich kann mich mit diesem sonderbaren Kaufmann durchaus nicht befreunden, ja es ist mir in seiner Gegenwart oft ganz unheimlich zumute. Hast du wohl bemerkt, liebe Giorgina! dass er niemanden fest anzuschauen vermag? Und dabei blitzt es zuweilen aus seinen tiefliegenden kleinen Augen so sonderbar heraus, und dann kann er bei unsern schlichten Reden oft so - buebisch moecht ich sagen, lachen, dass es mich eiskalt ueberlaeuft. - Ach, moechten nur nicht meine innern Gedanken wahr werden, aber oft ist es mir, als liege allerlei schwarzes Unheil im Hintergrunde, das nun der Fremde mit einemmal hervorrufen werde, nachdem er uns in seinen kuenstlichen Schlingen gefangen." Giorgina suchte ihrem Mann die schwarzen Vorstellungen auszureden, indem sie versicherte, wie sie oft in ihrem Vaterlande und vorzueglich bei ihren Pflegeeltern im Wirtshause, Personen kennen gelernt, deren Aeusseres noch viel widriger gewesen sei, unerachtet es am Ende grundgute Menschen waren. Andres schien getroestet, im Innern beschloss er aber auf der Hut zu sein. Der Fremde sprach bei Andres wieder ein, als sein Knabe, ein wunderschoenes Kind, ganz der Mutter Ebenbild, gerade neun Monate alt geworden. Es war Giorginas Namenstag; sie hatte den Kleinen fremdartig und sonderbar herausgeputzt, sich selbst in ihre liebe neapolitanische Tracht geworfen und ein besseres Mahl, als gewoehnlich, bereitet, wozu der Fremde eine Flasche koestlichen Weins aus dem Felleisen hergab. Als sie nun froehlich bei Tische sassen und der kleine Knabe mit solch wunderbar verstaendigen Augen umherblickte, hub der Fremde an: "Euer Kind verspricht in der Tat mit seinem besondern Wesen schon jetzt recht viel und es ist schade, dass ihr nicht imstande sein werdet, es gehoerig zu erziehen. Ich haette euch wohl einen Vorschlag zu tun, ihr werdet ihn aber verwerfen wollen, unerachtet ihr bedenken moechtet, dass er nur euer Glueck, euern Wohlstand bezweckt. Ihr wisst, dass ich reich und ohne Kinder bin, ich fuehle eine ganz besondere Liebe und Zuneigung zu euerm Knaben - Gebt mir ihn! - Ich bringe ihn nach Strassburg, wo er von einer Freundin von mir, einer alten ehrbaren Frau, auf das beste erzogen werden und mir sowie euch grosse Freude machen soll. Ihr werdet mit euerm Kinde einer grossen Last frei; doch muesst ihr euern Entschluss schnell fassen, da ich genoetigt bin, noch heute abend abzureisen. Auf meinen Armen trage ich das Kind bis in das naechste Dorf; dort nehme ich dann ein Fuhrwerk." Bei diesen Worten des Fremden riss Giorgina das Kind, das er auf seinen Knien geschaukelt hatte, hastig fort und drueckte es an ihren Busen, indem ihr die Traenen in die Augen traten. "Seht, lieber Herr!" sprach Andres, "wie meine Frau Euch auf Euern Vorschlag antwortet, und ebenso bin auch ich gesinnt. Eure Absicht mag recht gut sein; aber wie moeget Ihr doch uns das Liebste rauben wollen, das wir auf Erden besitzen? wie moeget Ihr doch das eine Last nennen, was unser Leben aufheitern wuerde, waeren wir auch noch in der tiefsten Duerftigkeit, aus der uns Eure Guete gerissen? Seht, lieber Herr! Ihr sagtet selbst, dass Ihr ohne Frau und ohne Kinder waeret; Euch ist daher wohl die Seligkeit fremd, die gleichsam aus der Glorie des offnen Himmelreichs herabstroemt auf Mann und Weib bei der Geburt eines Kindes. Es ist ja die reinste Liebe und Himmelswonne selbst, von der die Eltern erfuellt werden, wenn sie ihr Kind schauen, das stumm und still an der Mutter Brust liegend, doch mit gar beredten Zungen von ihrer Liebe, von ihrem hoechsten Lebensglueck spricht. - Nein, lieber Herr! so gross auch die Wohltaten sind, die Ihr uns erzeigt habt, so wiegen sie doch lange nicht das auf, was uns unser Kind wert ist; denn wo gaebe es Schaetze der Welt, die diesem Besitz gleichzustellen? Scheltet uns daher nicht undankbar, lieber Herr! dass wir Euch Euer Ansinnen so ganz und gar abschlagen. Waeret Ihr selbst Vater, so beduerfte es weiter gar keiner Entschuldigung fuer uns." - "Nun, nun", erwiderte der Fremde, indem er finster seitwaerts blickte, "ich glaubte Euch wohlzutun, indem ich Euern Sohn reich und gluecklich machte. Seid ihr nicht damit zufrieden, so ist davon weiter nicht die Rede." - Giorgina kuesste und herzte den Knaben, als sei er aus grosser Gefahr errettet, und ihr wiedergegeben worden. Der Fremde strebte sichtlich wieder unbefangen und heiter zu scheinen; man merkte es indessen doch nur zu deutlich, wie sehr ihn die Weigerung seiner Wirtsleute, ihm den Knaben zu geben, verdrossen hatte. Statt, wie er gesagt, noch denselben Abend fortzureisen, blieb er wieder drei Tage, in welchen er jedoch nicht so, wie sonst bei Giorgina verweilte, sondern mit Andres auf die Jagd zog und sich bei dieser Gelegenheit viel von dem Grafen Aloys von Vach erzaehlen liess. Als in der Folge Ignaz Denner wieder bei seinem Freunde Andres einsprach, dachte er nicht mehr an seinen Plan, den Knaben mit sich zu nehmen. Er war nach seiner Art freundlich wie vorher, und fuhr fort, Giorgina reichlich zu beschenken, die er noch ueberdem wiederholt aufforderte, so oft sie Lust habe sich mit den Juwelen aus dem Kistchen, das er Andres in Verwahrung gegeben, zu schmuecken, welches sie auch wohl dann und wann heimlich tat. Oft wollte Denner, wie sonst, mit dem Knaben spielen; dieser straeubte sich aber und weinte, durchaus mochte er nicht mehr zu dem Fremden gehen, als wisse er etwas von dem feindlichen Anschlag, ihn seinen Eltern zu entfuehren. - Zwei Jahre hindurch hatte der Fremde nun auf seinen Wanderungen den Andres besucht, und Zeit und Gewohnheit hatten die Scheu, das Misstrauen wider Denner endlich ueberwunden, so dass Andres seinen Wohlstand ruhig und heiter genoss. Im Herbst des dritten Jahres, als die Zeit, in der Denner gewoehnlich einzusprechen pflegte, schon vorueber war, pochte es in einer stuermischen Nacht hart an Andres' Tuer, und mehrere rauhe Stimmen riefen seinen Namen. Erschrocken sprang er aus dem Bette; als er aber zum Fenster herausfrug, wer ihn in finstrer Nacht so stoere und wie er gleich seine Doggen loslassen werde, um solche ungebetene Gaeste wegzuhetzen, da sagte einer, er moege nur aufmachen, ein Freund sei da, und Andres erkannte Denners Stimme. Als er nun mit dem Licht in der Hand die Haustuer oeffnete, trat ihm Denner allein entgegen. Andres aeusserte, wie es ihm vorgekommen, als ob mehrere Stimmen seinen Namen gerufen haetten; Denner meinte dagegen, dass den Andres das Heulen des Windes getaeuscht haben muesse. Als sie in die Stube traten, erstaunte Andres nicht wenig, als er den Denner naeher betrachtete und seinen ganz veraenderten Anzug gewahr wurde. Statt der grauen schlichten Kleidung und des Mantels trug er ein dunkelrotes Wams und einen breiten ledernen Gurt, in dem ein Stilett und vier Pistolen staken; ausserdem war er noch mit einem Saebel bewaffnet, selbst das Gesicht schien veraendert, indem auf der sonst glatten Stirn nun buschichte Augenbrauen lagen und ein starker schwarzer Bart sich ueber Lippe und Wangen zog. "Andres!" sprach Denner, indem er ihn mit seinen funkelnden Augen anblitzte, "Andres! als ich vor beinahe drei Jahren dein Weib vom Tode errettet hatte, da wuenschtest du, dass Gott es dir verleihen moege, mir die dir erzeigte Wohltat mit deinem Blut und Leben lohnen zu koennen. Dein Wunsch ist erfuellt; denn es ist nunmehr der Augenblick gekommen, in dem du mir deine Dankbarkeit, deine Treue beweisen kannst. Kleide dich an; nimm deine Buechse und komme mit mir, nur wenige Schritte von deiner Wohnung sollst du das uebrige erfahren." Andres wusste nicht, was er von Denners Zumutung halten sollte; der Worte, die er ihm vorhielt, indessen wohl eingedenk, versicherte er, wie er bereit sei, alles nur moegliche fuer ihn zu unternehmen, sobald es nicht der Rechtschaffenheit, Tugend und Religion zuwiderlaufe. "Darueber kannst du ganz ruhig sein", rief Denner, indem er ihm laechelnd auf die Schulter klopfte; und da er bemerkte, dass Giorgina aufgesprungen war, und vor Angst zitternd und bebend ihren Mann umklammerte, nahm er sie bei den Armen und sprach, sie sanft zurueckziehend: "Lasst Euern Mann nur immer mit mir ziehen, in wenigen Stunden ist er wieder gesund bei Euch, und bringt Euch vielleicht was Schoenes mit. Hab ich es denn jemals boese mit euch gemeint? Habe ich selbst dann, wenn ihr mich verkanntet, nicht immer euch Gutes erzeigt? Wahrhaftig, ihr seid recht besondere misstrauische Leute." Andres zauderte noch immer sich anzukleiden, da wandte Denner sich zu ihm und sprach mit zornigem Blick: "Ich hoffe du wirst deine Zusage halten, denn es gilt nunmehr, das zu beweisen mit der Tat, was du gesprochen!" Schnell war nun Andres angekleidet, und indem er mit Denner zur Tuere herausschritt, sprach er noch einmal: "Alles, lieber Herr! will ich fuer Euch tun, doch etwas Unrechtes werdet Ihr wohl von mir nicht fordern, da ich auch das Kleinste, was wider mein Gewissen liefe, nicht vollbringen wuerde." Denner antwortete nichts, sondern schritt rasch vorwaerts. Sie waren durch das Dickicht gedrungen bis auf einen ziemlich geraeumigen Rasenplatz; da pfiff Denner dreimal, dass der Ton ringsumher aus den schaurigen Klueften widerhallte und ueberall in den Bueschen flackerten Windlichter auf und es rauschte und klirrte in den dunklen Gaengen, bis sich schwarze graessliche Gestalten gespenstisch hervordraengten und den Denner im Kreise umringten. Einer aus dem Kreise trat hervor und sprach auf Andres hindeutend: "Das ist ja wohl unser neuer Geselle, nicht wahr Hauptmann?" - "Ja", antwortete Denner, "ich hab ihn aus dem Bette geholt, er soll sein Probestueck machen, es kann nun gleich vorwaerts gehen." Andres erwachte bei diesen Worten wie aus dumpfer Betaeubung, kalter Schweiss stand ihm auf der Stirne; aber er ermannte sich und rief heftig: "Was, du schaendlicher Betrueger, fuer einen Kaufmann gabst du dich aus, und treibst ein hoellisches verruchtes Gewerbe, und bist ein verworfener Raeuber? Nimmermehr will ich dein Geselle sein und teilnehmen an deinen Schandtaten, zu denen du mich, wie der Satan selbst, auf kuenstliche haemische Weise verlocken wolltest? - Lass mich gleich fort, du frevelicher Boesewicht, und raeume mit deiner Rotte dies Gebiet, sonst verrate ich deine Schlupfwinkel der Obrigkeit, und du bekommst den Lohn fuer deine Schandtaten; denn nun weiss ich es wohl, dass du selbst der schwarze Ignaz bist, der mit seiner Bande an der Grenze gehauset und geraubt, und gemordet hat. - Gleich lasse mich fort, ich will dich nie mehr schauen." Denner lachte laut auf. "Was, du feiger Bube?" sprach er: "du unterstehst dich, mir zu trotzen, dich meinem Willen, meinem Machtwort entziehen zu wollen? Bist du nicht laengst schon unser Geselle? lebst du nicht schon seit beinahe drei Jahren von unserm Gelde? schmueckt sich dein Weib nicht mit unserm Raube? Nun stehst du unter uns und willst nicht arbeiten dafuer was du genossen? Folgst du uns nun nicht, zeigst du dich nicht gleich als unsern ruestigen Kumpan, so lasse ich dich gebunden in unsere Hoehle werfen und meine Gesellen ziehen nach deiner Wohnung, zuenden sie an und ermorden dein Weib und deinen Knaben. Doch ich werde wohl diese Massregel, die nur eine Folge deiner Halsstarrigkeit sein wuerde, nicht ergreifen duerfen. Nun! - waehle! - es ist Zeit, wir muessen fort!" - Andres sah nun wohl ein, dass die mindeste Weigerung seiner geliebten Giorgina und dem Knaben das Leben kosten wuerde; den verraeterischen buebischen Denner im Innern zur Hoelle verfluchend, beschloss er daher, in seinen Willen sich scheinbar zu fuegen, rein von Diebstahl und Mord zu bleiben und das tiefere Eindringen in die Schlupfwinkel der Bande nur dazu zu benutzen, bei der ersten guenstigen Gelegenheit ihre Aufhebung und Einziehung zu bewirken. Nach diesem im stillen gefassten Entschluss erklaerte er dem Denner, wie trotz seines innern Widerstrebens doch die Dankbarkeit fuer Giorginas Rettung ihn verpflichte, etwas zu wagen, und er wolle daher die Expedition mitmachen, wobei er nur bitte, ihn als einen Neuling, soviel moeglich mit dem taetigen Anteil daran zu verschonen. Denner lobte seinen Entschluss, indem er hinzufuegte, wie er keineswegs verlange, dass er foermlich zur Bande uebertreten solle, vielmehr muesse er Revierjaeger bleiben; denn so waere er ihm und der Bande schon jetzt von grossem Nutzen gewesen, was denn auch kuenftig der Fall sein wuerde. Es war auf nichts Geringeres abgesehen, als die Wohnung eines reichen Pachters, die von dem Dorfe abgelegen, unfern dem Walde, stand, zu ueberfallen und auszupluendern. Man wusste, dass der Pachter ausser dem vielen Gelde und den Kostbarkeiten, die er besass, eben jetzt fuer verkauftes Getreide eine sehr bedeutende Summe eingenommen hatte, die er bei sich bewahrte und um so mehr versprachen sich die Raeuber einen reichen Fang. Die Windlichter wurden ausgeloescht und still zogen die Raeuber durch die engen Schleichwege, bis sie dicht an dem Gebaeude standen, welches einige von der Bande umringten. Andere dagegen stiegen ueber die Mauer, und sprengten von innen das Hoftor; einige wurden auf Wache ausgestellt, und unter diesen befand sich Andres. Bald hoerte er, wie die Raeuber die Tueren erbrachen und ins Haus stuermten, er vernahm ihr Fluchen, ihr Geschrei, das Geheul der Gemisshandelten. Es fiel ein Schuss; der Pachter, ein beherzter Mann, mochte sich zur Wehre setzen - dann wurde es stiller - aufgesprengte Schloesser klirrten, Raeuber schleppten Kisten zum Hoftor heraus. Einer von des Pachters Leuten musste in der Finsternis entwischt und ins Dorf gerannt sein; denn auf einmal toente die Sturmglocke durch die Nacht, und bald darauf stroemten Haufen mit hellauflodernden Lichtern die Strasse herauf nach der Pachterwohnung. Nun fiel Schuss auf Schuss, die Raeuber sammelten sich im Hofe und streckten alles nieder, was sich der Mauer naeherte. Sie hatten ihre Windfackeln angezuendet. Andres, der auf einer Anhoehe stand, konnte alles uebersehen. Mit Entsetzen erblickte er unter den Bauern, Jaeger in der Liverei seines Herrn, des Grafen von Vach! - Was sollte er tun? - Sich zu ihnen zu begeben, war unmoeglich, nur die schnellste Flucht konnte ihn retten; aber wie festgezaubert stand er da hinstarrend in den Pachterhof, wo das Gefecht immer moerderischer wurde; denn durch eine kleine Pforte an der andern Seite waren die Vachschen Jaeger gedrungen und mit den Raeubern handgemein geworden. Die Raeuber mussten zurueck, sie draengten sich fechtend durch das Tor nach der Gegend hin, wo Andres stand. Er sah Dennern, der unaufhoerlich lud und schoss und niemals fehlte. Ein junger reichgekleideten Mann, von Vachschen Jaegern umgeben, schien den Anfuehrer zu machen; auf ihn legte Denner an, aber noch ehe er abdrueckte, stuerzte er von einer Kugel getroffen mit einem dumpfen Schrei nieder. Die Raeuber flohen - schon stuerzten die Vachschen Jaeger herbei, da sprang, wie von unwiderstehlicher Macht getrieben, Andres herbei und rettete Dennern, den er, stark wie er war, auf die Schultern warf und schnell forteilte. Ohne verfolgt zu werden, erreichte er gluecklich den Wald. Nur einzelne Schuesse fielen hin und wieder und bald wurde es ganz still; ein Zeichen, dass es den Raeubern, die nicht verwundet auf dem Platze liegen geblieben, geglueckt war, in den Wald zu entkommen und dass es den Jaegern und Bauern nicht ratsam schien, in das Dickicht einzubrechen. "Setze mich nur nieder, Andres! " sprach Denner, "ich bin in den Fuss verwundet und verdammt, dass ich umstuerzte, denn, unerachtet mich die Wunde sehr schmerzt, glaub ich doch nicht einmal, dass sie bedeutend ist." Andres tat es, Denner holte eine kleine Phiole aus der Tasche und als er sie oeffnete, strahlte ein helles Licht heraus, bei dem Andres die Wunde genau untersuchen konnte: Denner hatte recht; nur ein starker Streifschuss hatte den rechten Fuss getroffen, der stark blutete. Andres verband die Wunde mit seinem Schnupftuch, Denner liess seine Pfeife ertoenen, aus der Ferne wurde geantwortet und nun bat er den Andres, ihn sachte den schmalen Waldweg heraufzufuehren, denn bald wuerden sie an Ort und Stelle sein. Wirklich dauerte es auch nicht lange, so sahen sie den Schein von Windlichtern durch das dunkle Gebuesch brechen und hatten jenen Rasenplatz erreicht, von dem sie ausgegangen und wo sie die uebriggebliebenen Raeuber bereits versammelt fanden. Alle jauchzten vor Freude auf, als Denner unter sie trat und ruehmten den Andres, der, tief in sich gekehrt, kein Wort vorzubringen vermochte. Es fand sich, dass ueber die Haelfte der Bande tot, oder hart verwundet auf dem Platze liegen geblieben war; indessen hatten einige von den Raeubern, die dazu bestimmt waren, den Raub in Sicherheit zu bringen, mitten im Gefecht wirklich mehrere Kisten mit kostbarem Geraet, sowie eine ansehnliche Summe Geld, fortzuschaffen gewusst, so dass, unerachtet das Unternehmen schlimm ausgegangen, doch die Beute ansehnlich blieb. Als nun das Noetige besprochen, wandte sich Denner, den man unterdessen ordentlich verbunden hatte, und der kaum irgend einen Schmerz mehr zu fuehlen schien, zu Andres und sprach: "Ich habe dein Weib vom Tode errettet, du hast mich in dieser Nacht der Gefangenschaft entzogen und mich folglich auch von dem mir gewissen Tode befreit, wir sind quitt! du kannst in deine Wohnung zurueckkehren. In den naechsten Tagen, vielleicht schon morgen, verlassen wir die Gegend; du magst daher ganz ruhig darueber sein, dass wir dir Aehnliches, so wie heute, zumuten werden. Du bist ja so ein gottesfuerchtiger Narr und uns nicht brauchbar. Es ist indessen billig, dass du teil am heutigen Raube nehmest und ueberdem fuer meine Rettung belohnt werdest. Nimm daher diesen Beutel mit Gold und behalte mich in gutem Andenken; denn uebers Jahr hoffe ich bei dir einzusprechen." - "Gott der Herr soll mich behueten", erwiderte Andres heftig, "dass ich auch nur einen Pfennig von Eurem schaendlichen Raube nehmen sollte. Habt Ihr mich doch nur durch die abscheulichsten Drohungen gezwungen mitzugehen, welches ich ewiglich bereuen werde. Wohl mag es Suende gewesen sein, dass ich dich, du schaendlicher Boesewicht! der gerechten Strafe entzogen habe; aber Gott im Himmel mag es mir nach seiner Langmut verzeihen. Es war, als flehe in dem Augenblick meine Giorgina um dein Leben, da du das ihrige errettet, und ich konnte nicht anders, als dass ich dich mit Gefahr meines Lebens und meiner Ehre, ja das Wohl und Weh meines Weibes und meines Kindes aufs Spiel setzend, der Gefahr entriss. Denn sprich, was waere aus mir, wenn man mich verwundet, ja was waere aus meinem armen Weibe, meinem Knaben geworden, wenn man mich erschlagen unter deiner verruchten Moerderbande gefunden haette? - Aber sei ueberzeugt, dass, wenn du die Gegend nicht verlaessest, wenn nur ein einziger hier geschehener Raub, oder Mord mir kund wird, ich augenblicklich nach Fulda gehe und der Obrigkeit deine Schlupfwinkel verrate." - Die Raeuber wollten ueber den Andres herfallen, um ihn fuer seine Reden zu zuechtigen; Denner verbot es ihnen jedoch, indem er sagte: "Lasst doch den albernen Kerl schwatzen, was tut das uns? - Andres", fuhr Denner fort, "du bist in meiner Gewalt, so wie dein Weib und dein Knabe. Du sowohl, als diese, sollen aber ungefaehrdet bleiben, wenn du mir versprichst, dich ruhig in deiner Wohnung zu halten und ueber deine Mitwissenschaft von dem Vorfall dieser Nacht gaenzlich zu schweigen. Das letzte rate ich dir um so mehr, als meine Rache dich furchtbar treffen und ueberdem die Obrigkeit dir selbst wohl deine Huelfe bei der Tat, sowie, dass du schon lange von meinem Reichtum genossest, nicht so hingehen lassen wuerde. Dagegen verspreche ich dir noch einmal, dass ich die Gegend gaenzlich raeumen will und wenigstens von mir und meiner Bande hier kein Unternehmen mehr ausgefuehrt werden soll." Nachdem Andres notgedrungen diese Bedingungen des Raeuberhauptmanns eingegangen war und feierlich versprochen hatte zu schweigen, wurde er von zwei Raeubern durch wildverwachsne Fusssteige auf den breiten Waldweg gefuehrt und es war laengst heller Morgen worden, als er in sein Haus trat und die vor Sorge und Angst totenbleiche Giorgina umarmte. Er sagte ihr nur im allgemeinen, dass sich ihm Denner als der verruchteste Boesewicht offenbart, und er daher alle Gemeinschaft mit ihm abgebrochen habe; nie solle er mehr seine Schwelle betreten. "Aber das Juwelenkaestchen?" unterbrach ihn Giorgina. Da fiel es dem Andres wie eine schwere Last aufs Herz. An die Kleinodien, die Denner bei ihm zurueckgelassen, hatte er nicht gedacht, und unerklaerlich schien es ihm, dass Dennern auch nicht ein Wort darueber entfallen war. Er ging mit sich zu Rate, was er wohl mit diesem Kaestchen anfangen solle. Zwar dachte er daran, es nach Fulda zu bringen und der Obrigkeit zu uebergeben; wie sollte er aber den Besitz desselben beschoenigen, ohne sich wenigstens dringender Gefahr auszusetzen, das dem Denner einmal gegebene Wort zu brechen? Er beschloss endlich, diesen Schatz getreulich zu bewahren, bis der Zufall ihm Gelegenheit darbieten wuerde, es Dennern wieder zuzustellen, oder besser noch, es, ohne sein Wort zu brechen, an die Obrigkeit zu bringen. Der Ueberfall der Pachterwohnung hatte nicht geringen Schreck in der ganzen Gegend verursacht; denn es war das kuehnste Wagestueck, das die Raeuber seit Jahren unternommen und ein sichrer Beweis, dass die Bande, welche sich erst durch gemeine Diebereien, dann durch das Anhalten und Berauben einzelner Reisenden kund tat, [sich] bedeutend verstaerkt haben musste. Nur dem Zufall, dass der Neffe des Grafen von Vach, von mehreren Leuten seines Oheims begleitet, eben in dem Dorfe, das unfern der Pachterwohnung lag, uebernachtete und auf den ersten Laerm den Bauern, die gegen die Raeuber auszogen, zu Huelfe eilte, hatte der Pachter die Rettung seines Lebens und des groessten Teils seiner Barschaft zu verdanken. Drei von den Raeubern, die auf dem Platz geblieben waren, lebten noch den andern Tag und gaben Hoffnung, von ihren Wunden zu genesen. Man hatte sie sorgfaeltig verbunden und in das Dorfgefaengnis gesperrt; als man indessen am fruehen Morgen des dritten Tages sie abfuehren wollte, fand man sie durch viele Stiche ermordet, ohne dass man haette erraten koennen, wie das zugegangen. Jede Hoffnung der Gerichte, von den Gefangenen naeheren Aufschluss ueber die Bande zu erhalten, war daher vereitelt. Andres schauderte im Innern, als er das alles erzaehlen hoerte, als er vernahm, wie mehrere Bauern und Jaeger des Grafen von Vach zum Teil getoetet, zum Teil schwer verwundet worden. - Starke Patrouillen von Fuldaischen Reitern durchstreiften den Wald, und sprachen oefters bei ihm ein; jeden Augenblick musste Andres befuerchten, dass man Dennern selbst, oder wenigstens einen von der Bande einbringen, und dieser ihn dann als Genosse jener kuehnen Freveltat erkennen und angeben werde. Zum erstenmal in seinem Leben fuehlte er die folternde Qual des boesen Gewissens, und doch hatte ihn nur die Liebe zu seinem Weibe, zu dem Knaben, gezwungen, dem frevelichen Ansinnen Denners nachzugeben. Alle Nachforschungen blieben fruchtlos, es war unmoeglich den Raeubern auf die Spur zu kommen, und Andres ueberzeugte sich bald, dass Denner Wort gehalten und die Gegend mit seiner Bande verlassen hatte. Das Geld, welches er noch von Denners Geschenken uebrig behalten, sowie die goldene Nadel, legte er zu den Kleinodien in das Kistchen; denn er wollte nicht noch mehr Suende auf sich laden und von geraubtem Gelde sich guetlich tun. So kam es denn, dass Andres bald wieder in die vorige Duerftigkeit und Armut geriet; aber immer mehr erheiterte sich sein Inneres, je laengere Zeit verstrich, ohne dass irgend etwas sein ruhiges Leben verstoert haette. Nach zwei Jahren gebar ihm sein Weib noch einen Knaben, ohne jedoch, wie das erstemal, zu erkranken, wiewohl sie sich herzlich nach jener bessern Kost und Pflege sehnte, die ihr damals so wohl getan. Andres sass einst in der Abenddaemmerung traulich mit seinem Weibe zusammen, die den juengstgebornen Knaben an der Brust hatte, waehrend der aeltere sich mit dem grossen Hunde herumbalgte, der, als Liebling seines Herrn, wohl in der Stube sein durfte. Da kam der Knecht hinein und sagte, wie ein Mensch, der ihm ganz verdaechtig vorkomme, schon seit beinahe einer Stunde um das Haus herumschleiche. Andres war im Begriff mit seiner Buechse hinauszugehen, als er vor dem Hause seinen Namen rufen hoerte. Er oeffnete das Fenster und erkannte auf den ersten Blick den verhassten Ignaz Denner, der sich wieder in den grauen Kaufmannshabit geworfen hatte, und ein Felleisen unter dem Arme trug. "Andres", rief Denner, "du musst mir diese Nacht Herberge geben in deinem Hause, morgen ziehe ich weiter." - "Was? Du unverschaemter verruchter Boesewicht?" rief Andres in vollem Zorn, "du wagst es dich wieder hier sehen zu lassen? Habe ich dir nicht treulich Wort gehalten, nur damit du dein Versprechen erfuellen und auf immer diese Gegend verlassen solltest? Du darfst nicht mehr meine Schwelle betreten - entferne dich schnell, oder ich schiesse dich moerderischen Buben nieder! - Doch warte, ich will dir dein Gold, dein Geschmeide, womit du Satan mein Weib verblenden wolltest, hinabwerfen; dann magst du schnell forteilen. Ich lasse dir drei Tage Zeit, spuere ich aber dann nur auf irgend eine Weise deine und deiner Bande Gegenwart, so eile ich schnell nach Fulda und entdecke alles, was ich weiss, der Obrigkeit. Magst du nun deine Drohungen gegen mich und mein Weib erfuellen wollen, ich verlasse mich auf den Beistand Gottes, und werde dich Boesewicht mit meinem guten Gewehr zu treffen wissen." Nun holte Andres schnell das Kaestchen herbei, um es hinabzuwerfen; als er aber ans Fenster trat, war Denner verschwunden, und unerachtet die Doggen die ganze Gegend rings ums Haus durchspueren mussten, war es doch nicht moeglich ihn aufzufinden. Andres sah nun wohl ein, wie er, Denners Bosheit ausgesetzt, nun in grosser Gefahr schwebe; er war daher allnaechtlich auf seiner Hut, indessen blieb alles ruhig und Andres ueberzeugte sich, dass Denner nur allein den Wald durchstrichen hatte. Um indessen seinen aengstlichen Zustand zu enden, ja um sein Gewissen zu beruhigen, das ihn mit Vorwuerfen quaelte, beschloss er nun nicht laenger zu schweigen, sondern dem Rat in Fulda sein ganzes unverschuldetes Verhaeltnis mit Denner zu berichten und zugleich das Kistchen mit den Kleinodien abzuliefern. Andres wusste wohl, dass er ohne Strafe nicht abkommen wuerde, jedoch verliess er sich auf sein reuiges Bekenntnis eines Fehltritts, zu dem ihn der verruchte Ignaz Denner, wie der Satan selbst, verlockt und gezwungen, sowie auf die Fuersprache seines Herrn, des Grafen von Vach, der dem treuen Diener ein guenstiges Zeugnis nicht versagen konnte. Er hatte mit seinem Knechte mehrmals den Wald durchstreift und nie war ihm etwas Verdaechtiges aufgestossen; fuer sein Weib war daher jetzt keine Gefahr vorhanden und er wollte nun ungesaeumt nach Fulda gehen, um seinen Vorsatz auszufahren. An dem Morgen, als er sich zur Reise bereit gemacht, kam ein Bote von dem Grafen von Vach, der ihn augenblicklich auf das Schloss seines Herrn mitgehen hiess. Statt nach Fulda wanderte er also fort mit dem Boten nach dem Schloss, nicht ohne Bangigkeit, was wohl dieser ganz ungewoehnliche Ruf seines Herrn zu bedeuten haben werde. Als er in dem Schloss angekommen, musste er gleich in das Zimmer des Grafen treten. "Freue dich, Andres", rief dieser ihm entgegen, "dich hat ein ganz unerwartetes Glueck getroffen. Erinnerst du dich wohl noch unsers alten muerrischen Hauswirts in Neapel, des Pflegevaters deiner Giorgina? Der ist gestorben; aber auf dem Sterbebette hatte ihn noch das Gewissen geruehrt wegen der abscheulichen Behandlung des armen verwaisten Kindes, und deshalb hat er ihr zweitausend Dukaten vermacht, die bereits in Wechselbriefen in Frankfurt angekommen sind und die du bei meinem Bankier heben kannst. Willst du dich gleich nach Frankfurt aufmachen, so lasse ich dir auf der Stelle das noetige Zertifikat ausfertigen, damit dir das Geld ohne Anstand ausgezahlt werde." Den Andres machte die Freude sprachlos, und der Graf von Vach ergoetzte sich nicht wenig an dem Entzuecken seines treuen Dieners. Andres beschloss, als er sich gefasst hatte, seinem Weibe eine unvermutete Freude zu bereiten; er nahm daher seines Herrn gnaediges Anerbieten an, und machte sich, nachdem er die Urkunde zu seiner Legitimation erhalten, auf den Weg nach Frankfurt. Seinem Weibe liess er sagen, wie ihn der Graf mit wichtigen Auftraegen verschickt habe, und er daher einige Tage ausbleiben werde. - Als er in Frankfurt angekommen, wies ihn der Bankier des Grafen, bei dem er sich meldete, an einen andern Kaufmann, der mit der Auszahlung des Legats beauftragt sein sollte. Andres fand ihn endlich und erhielt die ansehnliche Summe wirklich ausgezahlt. Immer nur an Giorgina denkend, immer darnach trachtend, ihre Freude recht vollkommen zu machen, kaufte er fuer sie allerlei schoene Sachen und auch eine goldene Nadel, der ganz gleich, welche ihr Denner geschenkt hatte, und da er nun das schwere Felleisen nicht wohl als Fussgaenger fortbringen konnte, verschaffte er sich ein Pferd. So trat er nun, nachdem er sechs Tage abwesend gewesen, wohlgemut seine Rueckreise an. Bald hatte er den Forst und seine Wohnung erreicht. Er fand das Haus fest verschlossen. Laut rief er den Knecht, seine Giorgina, niemand antwortete: die Hunde winselten im Hause eingesperrt. Da ahnete er grosses Unglueck und schlug heftig an die Tuer und schrie laut: "Giorgina! - Giorgina!" - Nun rauschte es am Bodenfenster, Giorgina schaute heraus und rief.- "Ach Gott! - Ach Gott! Andres, bist du es? Gepriesen sei die Macht des Himmels, dass du nur wieder da bist." Als Andres nun durch die geoeffnete Tuer eintrat, fiel ihm sein Weib totenbleich und laut heulend in die Arme. Regungslos stand er da; endlich fasste er sein Weib, die mit erschlafften Gliedern zu Boden sinken wollte, und trug sie in die Stube. Aber wie mit eisigen Krallen packte ihn das Entsetzen bei dem graesslichen Anblick. Die ganze Stube voller Blutflecke an dem Boden, an den Waenden, sein juengster Knabe mit zerschnittener Brust tot auf seinem Bettchen! - "Wo ist George, wo ist George?" schrie Andres endlich auf in wilder Verzweiflung, aber in dem Augenblick hoerte er, wie der Knabe die Treppe herabtrippelte und nach dem Vater rief. - Zerbrochene Glaeser, Flaschen, Teller lagen umher. Der grosse schwere Tisch, sonst an der Wand stehend, war in die Mitte des Zimmers gerueckt, eine sonderbar geformte Kohlpfanne, mehrere Phiolen und eine Schuessel mit geronnenem Blut standen auf demselben. Andres nahm sein armes Knaeblein aus dem Bette. Giorgina verstand ihn, sie holte Tuecher herbei, in die sie den Leichnam wickelten und im Garten begruben. Andres schnitt ein kleines Kreuz aus Eichenholz und setzte es auf den Grabhuegel. Kein Wort, kein Laut entfloh den Lippen der ungluecklichen Eltern. In dumpfem duesterem Schweigen hatten sie die Arbeit vollendet und sassen nun vor dem Hause in der Abenddaemmerung, den starren Blick in die Ferne gerichtet. Erst den andern Tag konnte Giorgina den Verlauf dessen, was sich in Andres' Abwesenheit zugetragen, erzaehlen. Am vierten Tage, nachdem Andres sein Haus verlassen, hatte der Knecht zur Mittagszeit wieder allerlei verdaechtige Gestalten durch den Wald wanken gesehen, und Giorgina deshalb des Mannes Rueckkehr herzlich gewuenscht. Mitten in der Nacht wurde sie durch lautes Toben und Schreien dicht vor dem Hause aus dem Schlafe geweckt, der Knecht stuerzte herein und verkuendete voller Schreck, dass das ganze Haus von Raeubern umringt und an eine Gegenwehr gar nicht zu denken sei. Die Doggen wueteten, aber bald schien es, als wuerden sie beschwichtigt und man rief laut: "Andres! - Andres!" - Der Knecht fasste sich ein Herz, oeffnete ein Fenster und rief herab, dass der Revierjaeger Andres nicht zu Hause sei. "Nun, es tut nichts", antwortete eine Stimme von unten herauf, "oeffne nur die Tuer, denn wir muessen bei euch einkehren, Andres wird bald nachfolgen." Was blieb dem Knecht uebrig, als die Tuer zu oeffnen; da stroemte der helle Haufe der Raeuber herein und begruesste Giorgina als die Frau ihres Kameraden, dem der Hauptmann Freiheit und Leben zu danken habe. Sie verlangten, dass Giorgina ihnen ein tuechtiges Essen bereiten moege, weil sie nachts ein schweres Stueck Arbeit vollbracht, das aber herrlich gelungen sei. Zitternd und bebend machte Giorgina in der Kueche ein grosses Feuer an und bereitete das Mahl, wozu sie Wildpret, Wein und allerlei andere Ingredienzien von einem der Raeuber empfing, der der Kuechen- und Kellermeister der Bande zu sein schien. Der Knecht musste den Tisch decken und das Geschirr herbeibringen. Er nahm den Augenblick wahr und schlich sich fort zu seiner Frau in die Kueche. "Ach wisst Ihr wohl", fing er voller Entsetzen an, "was fuer eine Tat die Raeuber in dieser Nacht veruebt haben? Nach langer Abwesenheit und nach langer Vorbereitung haben sie vor etlichen Stunden das Schloss des Herrn Grafen von Vach ueberfallen, und nach tapferer Gegenwehr mehrere seiner Leute und ihn selbst getoetet, das Schloss aber angezuendet." Giorgina schrie unaufhoerlich: "Ach mein Mann, wenn mein Mann nur auf dem Schlosse gewesen waere - Ach, der arme Herr!" - Die Raeuber tobten und sangen unterdessen in der Stube und liessen sich den Wein wohl schmecken, bis ihnen das Mahl aufgetragen wurde. Der Morgen fing schon an zu daemmern als der verhasste Denner erschien; nun wurden die Kisten und Felleisen, die sie auf ihren Packpferden mitgebracht hatten, geoeffnet. Giorgina hoerte, wie sie vieles Geld zaehlten und wie die Silbergeschirre klirrten; es schien alles verzeichnet zu werden. Endlich als es schon Lichter Tag geworden, brachen die Raeuber auf, nur Denner blieb zurueck. Er nahm eine freundliche leutselige Miene an, und sprach zu Giorgina: "Ihr seid wohl recht erschreckt worden, liebe Frau; denn Euer Mann scheint Euch nicht gesagt zu haben, dass er schon seit geraumer Zeit unser Kamerad geworden. Es tut mir in der Tat leid, dass er nicht zu Hause gekommen ist; er muss einen andern Weg eingeschlagen und uns verfehlt haben. Er war mit uns auf dem Schlosse des Boesewichts, des Grafen von Vach, der uns vor zwei Jahren auf alle nur moegliche Weise verfolgt hat und an dem in voriger Nacht wir Rache nahmen. - Er fiel, kaempfend, von Eures Mannes Hand. Beruhigt Euch nur, liebe Frau, und sagt dem Andres, dass er mich nun so bald nicht wieder sehen wuerde, da die Bande sich auf einige Zeit trennt. Heute abend verlasse ich Euch. - Ihr habt lauter huebsche Kinder, liebe Frau! Das ist ja wieder ein herrlicher Knabe." Mit diesen Worten nahm er den Kleinen von Giorginas Arm und wusste mit ihm so freundlich zu spielen, dass das Kind lachte und jauchzte und gern bei ihm blieb, bis er es wieder der Mutter zurueckgab. Schon war es Abend geworden, als Denner zu Giorgina sagte: "Ihr merkt wohl, dass ich, unerachtet ich kein Weib und keine Kinder habe, welches mir manchmal recht nahe geht, doch gar zu gern mit kleinen Kindern spiele und taendle. Gebt mir doch Euern Kleinen auf die wenigen Augenblicke, die ich noch bei Euch zubringe. Nicht wahr? der Kleine ist jetzt gerade neun Wochen alt." Giorgina bejahte das und gab, jedoch nicht ohne inneres Widerstreben, den kleinen Knaben Dennern hin, der sich mit ihm vor die Haustuer setzte und Giorgina bat, ihm nun das Abendessen zu bereiten, weil er in einer Stunde fort muesste. Kaum war Giorgina in die Kueche getreten, als sie sah, wie Denner mit dem Kinde auf dem Arm in die Stube ging. Bald darauf verbreitete sich ein seltsam riechender Dampf durch das Haus, der aus der Stube zu quirlen schien. Giorgina wurde von unbeschreiblicher Angst ergriffen; sie lief schnell nach der Stube und fand die Tuer von innen verriegelt. Es war ihr, als hoere sie das Kind leise wimmern. "Rette, rette mein Kind aus den Klauen des Boesewichts!" so schrie sie, eine graessliche Tat ahnend, dem Knecht entgegen, der eben in das Haus trat. Dieser ergriff schnell die Axt und sprengte die Tuer. Dicker stinkender Dampf schlug ihnen entgegen. Mit einem Sprunge war Giorgina im Zimmer; der Knabe lag nackt ueber einer Schuessel, in die sein Blut troepfelte. Sie sah nur noch, wie der Knecht mit der Axt ausholte, um den Denner zu treffen, wie dieser dem Schlage auswich, den Knecht unterlief und mit ihm rang. Es war ihr, als hoere sie jetzt mehrere Stimmen dicht vor den Fenstern, bewusstlos sank sie zu Boden. Als sie wieder erwachte, war es finstre Nacht worden, aber ganz betaeubt vermochte sie nicht die erstarrten Glieder zu regen. Endlich wurde es Tag und nun sah sie mit Entsetzen, wie das Blut im Zimmer schwamm. Stuecke von Denners Kleidern lagen ueberall umher - ein ausgerissener Schopf von des Knechts Haaren - die Axt blutig daneben - der Knabe vom Tische herabgeschleudert mit zerschnittener Brust. Aufs neue wurde Giorgina ohnmaechtig, sie glaubte zu sterben, aber sie erwachte wie aus dem Todesschlummer, als es schon Mittag geworden. Sie raffte sich muehsam auf, sie rief laut den Georg, aber als niemand antwortete, glaubte sie, auch Georg sei ermordet. Die Verzweiflung gab ihr Kraefte, sie floh aus dem Zimmer in den Hof und schrie laut: "Georg! - Georg!" Da antwortete es mit matter klaeglicher Stimme vom Bodenfenster herab: "Mutter, ach liebe Mutter, bist du denn da? Komm herauf zu mir! mich hungert sehr!" - Schnell sprang jetzt Giorgina hinauf und fand den Kleinen, der vor Angst bei dem Laerm im Hause in die Bodenkammer gekrochen war und nicht gewagt hatte herauszukommen. Mit Entzuecken drueckte Giorgina den Kleinen an die Brust. Sie verschloss das Haus und wartete nun von Stunde zu Stunde in der Bodenkammer auf Andres, den sie auch verloren glaubte. Der Knabe hatte von oben herab gesehen, wie mehrere Maenner ins Haus gingen und mit Dennern einen toten Menschen heraustrugen. - Endlich bemerkte auch Giorgina das Geld und die schoenen Sachen, die Andres mitgebracht hatte. "Ach, so ist es doch wahr?" schrie sie entsetzt auf, "so bist du doch -" Andres liess sie nicht ausreden, sondern erzaehlte ausfuehrlich, welches Glueck sie betroffen und wie er in Frankfurt gewesen sei, wo er sich ihre Erbschaft habe auszahlen lassen. Der Neffe des ermordeten Grafen von Vach war nun Besitzer der Gueter worden; bei diesem wollte sich Andres melden, getreulich alles Geschehene erzaehlen, Denners Schlupfwinkel entdecken und bitten, ihn seines Dienstes zu entlassen, der ihm so viel Not und Gefahr bringe. Giorgina durfte mit dem Knaben im Hause nicht zurueckbleiben. Andres beschloss daher, seine besten leicht fortzuschaffenden Sachen auf einen kleinen Leiterwagen zu packen, das Pferd vorzuspannen und so mit seinem Weibe und Kinde eine Gegend auf immer zu verlassen, die ihm nur die schrecklichsten Erinnerungen erregen und ueberdem niemals Ruhe und Sicherheit gewaehren konnte. Der dritte Tag war zur Abreise bestimmt, und eben packten sie einen Kasten, als ein starkes Pferdegetrappel immer naeher und naeher kam. Andres erkannte den Vachschen Foerster, der bei dem Schlosse wohnte; hinter ihm ritt ein Kommando Fuldaischer Dragoner. "Nun da finden wir ja den Boesewicht gerade bei der Arbeit, seinen Raub in Sicherheit zu bringen", rief der Kommissarius des Gerichts, der mitgekommen. Andres erstarrte vor Staunen und Schreck. Giorgina war halb ohnmaechtig. Sie fielen ueber ihn her, banden ihn und sein Weib mit Stricken und warfen sie auf den Leiterwagen, der schon vor dem Hause stand. Giorgina jammerte laut um den Knaben und flehte um Gottes willen, dass man ihn ihr mitgeben moege. "Damit du deine Brut auch noch ins hoellische Verderben bringen kannst?" sprach der Kommissarius und riss den Knaben mit Gewalt aus Giorginas Armen. Schon sollte es fortgehen, da trat der alte Foerster, ein rauher aber biederer Mann, noch einmal an den Wagen und sagte: "Andres, Andres, wie hast du dich denn von dem Satan verlocken lassen, solche Freveltaten zu begehen? Immer warst du ja sonst so fromm und ehrlich!" - "Ach lieber Herr!" schrie Andres auf im hoechsten Jammer, "so wahr Gott im Himmel lebt, so wie ich dereinst selig zu sterben hoffe, ich bin unschuldig. Ihr habt mich ja gekannt von frueher Jugend her; wie sollte ich, der ich niemals Unrechtes getan, solch ein abscheulicher Boesewicht geworden sein? - denn ich weiss wohl, dass Ihr mich fuer einen verruchten Raeuber und Teilnehmer an der Freveltat haltet, die auf dem Schlosse meines geliebten ungluecklichen Herrn veruebt worden ist. Aber ich bin unschuldig bei meinem Leben und meiner Seligkeit!" - "Nun", sagte der alte Foerster, "wenn du unschuldig bist, so wird das an den Tag kommen, mag auch noch so viel wider dich sprechen. Deines Knaben und des Besitztums, was du zuruecklaessest, will ich mich getreulich annehmen, so dass, wenn deine und deines Weibes Unschuld erwiesen, du den Jungen frisch und munter und deine Sachen unversehrt wiederfinden sollst." Das Geld nahm der Kommissarius des Gerichts in Beschlag. Unterweges frug Andres Giorginen, wo sie denn das Kaestchen verwahrt habe; sie gestand, wie es ihr jetzt leid tue, dass sie es dem Denner ueberliefert, da es jetzt der Obrigkeit haette uebergeben werden koennen. In Fulda trennte man den Andres von seinem Weibe und warf ihn in ein tiefes finstres Gefaengnis. Nach einigen Tagen wurde er zum Verhoer gefuehrt. Man beschuldigte ihn der Teilnahme an dem im Vachschen Schlosse veruebten Raubmorde und ermahnte ihn die Wahrheit zu gestehen, da schon alles wider ihn so gut als ausgemittelt sei. Andres erzaehlte nun getreulich alles, was sich mit ihm zugetragen, von dem ersten Eintritt des abscheulichen Denners in sein Haus bis zu dem Augenblick seiner Verhaftung. Er klagte sich selbst voll Reue des einzigen Vergehens an, dass er, um Weib und Kind zu retten, bei der Pluenderung des Pachters zugegen war, und den Denner von der Gefangennehmung befreite, und beteuerte seine gaenzliche Unschuld ruecksichts des letzten von der Dennerschen Bande veruebten Raubmordes, da er zu ebenderselben Zeit in Frankfurt gewesen sei. Jetzt oeffneten sich die Tueren des Gerichtssaals und der abscheuliche Denner wurde hereingefuehrt. Als er den Andres erblickte, lachte er auf in teuflischem Hohn und sprach: "Nun, Kamerad, hast du dich auch erwischen lassen? Hat dir deines Weibes Gebet denn nicht herausgeholfen?" Die Richter forderten Dennern auf, sein Bekenntnis ruecksichts des Andres zu wiederholen und er sagte aus, dass eben der Vachsche Revierjaeger Andres, der jetzt vor ihm stehe, schon seit fuenf Jahren mit ihm verbunden und das Jaegerhaus sein bester und sicherster Schlupfwinkel gewesen sei. Andres habe immer den ihm gebuehrenden Anteil vom Raube erhalten, wiewohl er nur zweimal taetig bei den Raeubereien mitgewirkt. Einmal naemlich bei der Beraubung des Pachters, wo er ihn, den Denner, aus der dringendsten Gefahr errettet, und dann bei dem Unternehmen gegen den Grafen Aloys von Vach, der eben durch einen gluecklichen Schuss des Andres getoetet worden sei. - Andres geriet in Wut, als er diese schaendliche Luege hoerte. "Was?" schrie er, "du verruchter teuflischer Boesewicht, du wagst es, mich der Ermordung meines lieben armen Herrn anzuklagen, die du selbst veruebt? - Ja! ich weiss es, nur du selbst bist solcher Tat faehig; aber deine Rache verfolgt mich, weil ich aller Gemeinschaft mit dir entsagt habe, weil ich drohte, dich als einen verruchten Raeuber und Moerder niederzuschiessen, so wie du meine Schwelle betreten wuerdest. Darum hast du mit deiner Bande mein Haus ueberfallen, als ich abwesend war; darum hast du mein armes unschuldiges Kind und meinen braven Knecht ermordet! - Aber du wirst der schrecklichen Strafe des gerechten Gottes nicht entgehen, sollte ich auch deiner Bosheit unterliegen." Nun wiederholte Andres sein voriges Bekenntnis unter den heiligsten Beteurungen der Wahrheit; aber Denner lachte hoehnisch und meinte, warum er denn aus allzugrosser Furcht vor dem Tode noch erst das Gericht zu beluegen sich unterfange, und dass es sich schlecht mit der Froemmigkeit, von der er so viel Aufhebens mache, vereinbare, dass er Gott und die Heiligen zur Bekraeftigung seiner falschen Aussagen anrufe. Die Richter wussten in der Tat nicht, was sie von dem Andres, dessen Miene und Sprache die Wahrheit seiner Aussage zu bestaetigen schien, sowie von Denners kalter Festigkeit denken sollten. - Nun wurde Giorgina vorgefuehrt, die in namenlosem Jammer laut weinend auf den Mann zustuerzte. Sie wusste nur Unzusammenhaengendes zu erzaehlen, und unerachtet sie den Denner des entsetzlichen Mordes ihres Knaben anklagte, schien Denner doch keineswegs entruestet, sondern behauptete, wie er schon frueher getan, dass Giorgina nie etwas von den Unternehmungen ihres Mannes gewusst habe, sondern ganz unschuldig sei. Andres wurde in sein Gefaengnis zurueckgefuehrt. Einige Tage nachher sagte ihm der ziemlich gutmuetige Gefangenwaerter, dass sein Weib, da sowohl Denner, als die uebrigen Raeuber fortwaehrend ihre Unschuld behauptet, sonst auch nichts wider sie ausgemittelt worden, der Haft entlassen sei. Der junge Graf von Vach, ein edelmuetiger Herr, der sogar an seiner, des Andres, Schuld zu zweifeln scheinen habe Kaution gestellt, und der alte Foerster Giorginen in einem schoenen Wagen abgeholt. Vergebens habe Giorgina gebeten, ihren Mann sehen zu duerfen; das sei ihr vom Gericht gaenzlich abgeschlagen worden. Den armen Andres troestete diese Nachricht nicht wenig, da mehr, als sein Unglueck ihm seines Weibes elender Zustand im Gefaengnis zu Herzen ging. Sein Prozess verschlimmerte sich indessen von Tage zu Tage. Es war erwiesen, dass eben, wie Denner es angegeben, seit fuenf Jahren Andres in einen gewissen Wohlstand geriet, dessen Quelle nur die Teilnahme an den Raeubereien sein konnte. Ferner gestand Andres selbst seine Abwesenheit von Hause waehrend der auf dem Vachschen Schlosse veruebten Tat, und seine Angabe wegen seiner Erbschaft und seines Aufenthalts in Frankfurt blieb verdaechtig, weil er den Namen des Kaufmanns, von dem er das Geld ausgezahlt erhalten haben wollte, durchaus nicht anzugeben wusste. Der Bankier des Grafen von Vach, sowie der Hauswirt in Frankfurt, bei dem Andres eingekehrt war, versicherten einstimmig, wie sie sich des beschriebenen Revierjaegers gar nicht erinnern koennten; der Gerichtshalter des Grafen von Vach, der das Zertifikat fuer den Andres ausgefertigt hatte, war gestorben, und niemand von den Vachschen Dienern wusste etwas von der Erbschaft, da der Graf nichts davon geaeussert, Andres aber auch davon geschwiegen, weil er, aus Frankfurt zurueckkehrend, sein Weib mit dem Gelde ueberraschen wollte. So blieb alles, was Andres vorbrachte, um nachzuweisen, dass er zur Zeit des Raubes in Frankfurt gewesen und das Geld ehrlich erworben sei, unausgemittelt. Denner blieb dagegen bei seiner fruehern Behauptung und ihm stimmten saemtliche Raeuber, die eingefangen worden, in allem bei. Alles dieses haette aber die Richter noch nicht so von der Schuld des ungluecklichen Andres ueberzeugt, als die Aussage von zwei Vachschen Jaegern, die bei dem Schein der Flammen ganz genau den Andres erkannt und gesehen haben wollten, wie von ihm der Graf niedergestreckt wurde. Nun war Andres in den Augen des Gerichts ein verstockter heuchlerischer Boesewicht und gestuetzt auf das Resultat aller jener Aussagen und Beweise wurde ihm die Tortur zuerkannt, um seinen starren Sinn zu beugen, und ihn zum Gestaendnis zu bringen. Schon ueber ein Jahr schmachtete Andres im Kerker, der Gram hatte seine Kraefte aufgezehrt, und sein sonst robuster starker Koerper war schwach und ohnmaechtig geworden. Der schreckliche Tag, an dem die Pein ihm das Gestaendnis einer Tat, welche er niemals begangen, abdringen sollte, kam heran. Man fuehrte ihn in die Folterkammer, wo die entsetzlichen mit sinnreicher Grausamkeit erfundenen Instrumente lagen, und die Henkersknechte sich bereiteten, den Ungluecklichen zu martern. Nochmals wurde Andres ermahnt, die Tat, deren er so dringend verdaechtig, ja deren er durch das Zeugnis jener Jaeger ueberfuehrt worden, zu gestehen. Er beteuerte wiederum seine Unschuld, und wiederholte alle Umstaende seiner Bekanntschaft mit Dennern in denselben Worten, wie er es im ersten Verhoer getan. Da ergriffen ihn die Knechte, banden ihn mit Stricken und marterten ihn, indem sie seine Glieder ausrenkten und Stacheln einbohrten in das gedehnte Fleisch. Andres vermochte nicht die Qual zu ertragen: vom Schmerz gewaltsam zerrissen, den Tod wuenschend, gestand er alles was man wollte, und wurde ohnmaechtig in den Kerker zurueckgeschleppt. Man staerkte ihn, wie es nach erlittener Tortur gewoehnlich, mit Wein und er fiel in einen zwischen Wachen und Schlafen hinbruetenden Zustand. Da war es ihm als loesten sich die Steine aus der Mauer, und als fielen sie krachend herab auf den Boden des Kerkers. Ein blutroter Schimmer drang durch und in ihm trat eine Gestalt hinein, die, unerachtet sie Denners Zuege hatte, ihm doch nicht Denner zu sein schien. Gluehender funkelten die Augen, schwaerzer starrte das struppige Haar auf der Stirn empor und tiefer senkten sich die finstern Augenbrauen in die dicke Muskel herab, die ueber der krummgebogenen Habichtsnase lag. Auf graesslich seltsame Weise war das Gesicht verschrumpft und verzerrt, und die Kleidung fremd und abenteuerlich, wie er Dennern niemals gesehen. Ein feuerroter mit Gold stark verbraemter weiter Mantel hing in bauschichten Falten der Gestalt ueber die Schultern, ein breiter niedergekrempter spanischer Hut mit herabhaengender roter Feder sass schief auf dem Kopfe, ein langer Stossdegen hing an der Seite, und unter dem linken Arm trug die Gestalt ein kleines Kistchen. So schritt der gespenstische Unhold auf Andres zu in hohlem dumpfen Tone sprechend: "Nun, Kamerad, wie hat dir die Folter geschmeckt? Du hast das alles bloss deinem Eigensinn zu verdanken; haettest du dich als zur Bande gehoerig bekannt, so waerst du nun schon gerettet. Versprichst du aber, dich mir und meiner Leitung ganz zu ergeben, und gewinnst du es ueber dich, von diesen Tropfen zu trinken, die aus deines Kindes Herzblut gekocht sind, so bist du augenblicklich aller Qual entledigt. Du fuehlst dich gesund und kraeftig, und fuer deine weitere Rettung will ich dann sorgen." - Andres konnte vor Schreck, Angst und Ermattung nicht sprechen; er sah, wie seines Kindes Blut in der Phiole, die ihm die Gestalt hinhielt, in roten Flaemmchen spielte; inbruenstig betete er zu Gott und den Heiligen, dass sie ihn retten moechten aus den Klauen des Satans, der ihn verfolge und um die ewige Seligkeit bringen wolle, die er zu erlangen hoffe, sollte er auch eines schimpflichen Todes sterben. Nun lachte die Gestalt, dass es im Kerker widergellte, und verschwand im dicken Dampf. Andres erwachte endlich aus dumpfer Betaeubung, er vermochte sich aufzurichten vom Lager; aber wie ward ihm, als er sah, dass das Stroh, was unter seinem Haupte gelegen, sich staerker und staerker zu ruehren begann und endlich weggeschoben wurde. Er gewahrte, dass ein Stein aus dem Fussboden von unten herausgedraengt worden und hoerte mehrmals seinen Namen leise rufen. Er erkannte Denners Stimme und sprach: "Was willst du von mir? Lass mich ruhen, ich habe mit dir nichts zu schaffen!"- "Andres", sprach Denner, "ich bin durch mehrere Gewoelbe gedrungen, um dich zu retten; denn, wenn du auf den Richtplatz kommst, von dem ich errettet wurde, bist du verloren. Bloss um deines Weibes willen, die mir mehr angehoert, als du wohl denken magst, helfe ich dir. Du bist ein mutloser Feigling. Was hat dir nun dein erbaermliches Leugnen gefruchtet? Bloss, dass du vom Vachschen Schloss nicht zu rechter Zeit nach Hause zurueckkehrtest und ich mich zu lange bei deinem Weibe aufhielt, ist schuld, dass man mich auffing! Da! nimm die Feile und die Saege, befreie dich in kuenftiger Nacht von den Ketten und durchsage das Schloss der Kerkertuere; schleiche durch den Gang! Die aeussere Tuer linker Hand wird offen stehn, und draussen wirst du einen von uns finden, der dich weiter geleitet. Halte dich gut!" Andres nahm die Saege und die Feile, die ihm Denner hineinreichte und hob dann den Stein wieder in die Oeffnung. Er war entschlossen, _das_ zu tun, wozu ihn die innere Stimme des Gewissens aufforderte. - Als es Tag geworden und der Gefangenwaerter hineintrat, da sagte er, wie er sehnlich wuensche vor den Richter gefuehrt zu werden, indem er Wichtiges zu entdecken habe. Noch an demselben Vormittage wurde sein Verlangen erfuellt, weil man nicht anders glaubte, als dass Andres neue, bisher noch unbekannt gebliebene, Freveltaten der Bande gestehen werde. Andres ueberreichte den Richtern die von Dennern erhaltenen Instrumente, und erzaehlte den Vorgang der Nacht. "Unerachtet ich gewiss und wahrhaftig unschuldig leide, so soll mich doch Gott behueten, dass ich darnach trachten sollte, meine Freiheit auf unerlaubte Weise zu erlangen; denn das wuerde mich ja dem verruchten Denner, der mich in Schande und Tod gestuerzt hat, in die Haende liefern und ich dann erst durch mein suendliches freveliches Unternehmen die Strafe verdienen, die ich jetzt unschuldig leiden werde." So beschloss Andres seinen Vortrag. Die Richter schienen erstaunt und von Mitleid fuer den Ungluecklichen durchdrungen, wiewohl sie durch die mannigfachen Tatsachen, die wider ihn sprachen, zu sehr von seiner Schuld ueberzeugt waren, um sein jetziges Benehmen nicht auch fuer zweifelhaft zu halten. Die Aufrichtigkeit des Andres und vorzueglich der Umstand, dass nach jener Anzeige der von Denner beabsichtigten Flucht, in der Stadt und zwar in der naechsten Umgebung des Gefaengnisses wirklich noch einige von der Bande ertappt und aufgegriffen wurden, hatte jedoch den wohltaetigen Einfluss auf ihn, dass er aus dem unterirdischen Kerker, in den er gesperrt gewesen, herausgenommen wurde, und eine lichte Gefaengnisstube neben der Wohnung des Gefangenwaerters erhielt. Da brachte er seine Zeit mit Gedanken an sein treues Weib, an seinen Knaben, und mit gottseligen Betrachtungen hin, und bald fuehlte er sich ermutigt, das Leben auch auf schmerzliche Weise, wie eine Buerde, abzuwerfen. Nicht genug konnte sich der Gefangenwaerter ueber den frommen Verbrecher wundern und er musste notgedrungen beinahe an seine Unschuld glauben. Endlich, nachdem beinahe noch ein Jahr verflossen, war der schwierige verwickelte Prozess wider Denner und seine Mitschuldigen geschlossen. Es hatte sich gefunden, dass die Bande bis an die Grenze von Italien ausgebreitet war und schon seit geraumer Zeit ueberall raubte und mordete. Denner sollte gehaengt, und dann sein Koerper verbrannt werden. Auch dem ungluecklichen Andres war der Strang zuerkannt; seiner Reue halber, und da er durch das Bekenntnis der ihm von Denner geratenen Flucht die Entdeckung des Anschlags der Bande, durchzubrechen, veranlasst hatte, durfte jedoch sein Koerper herabgenommen, und auf der Gerichtsstaette verscharrt werden. Der Morgen, an dem Denner und Andres hingerichtet werden sollten, war angebrochen; da ging die Tuer des Gefaengnisses auf, und der junge Graf von Vach trat hinein zum Andres, der auf den Knien lag und still betete. "Andres", sprach der Graf, "du musst sterben. Erleichtere dein Gewissen noch durch ein offnes Gestaendnis! Sage mir, hast du deinen Herrn getoetet? Bist du wirklich der Moerder meines Oheims?" - Da stuerzten dem Andres die Traenen aus den Augen, und er wiederholte nochmals alles, was er vor Gericht ausgesagt, ehe ihm die unleidliche Qual der Tortur eine Luege auspresste. Er rief Gott und die Heiligen an, die Wahrheit seiner Aussage und seine gaenzliche Unschuld an dem Tode des geliebten Herrn zu bekraeftigen. "So ist hier", fuhr der Graf von Vach fort, "ein unerklaerliches Geheimnis im Spiele. Ich selbst, Andres, war von deiner Unschuld ueberzeugt, unerachtet vieles wider dich sprach; denn ich wusste ja, dass du von Jugend auf der treuste Diener meines Oheims gewesen bist, und ihn selbst einmal in Neapel mit Gefahr deines Lebens aus Raeuberhaenden gerettet hast. Allein nur noch gestern haben mir die beiden alten Jaeger meines Oheims Franz und Nikolaus geschworen, dass sie dich leibhaftig unter den Raeubern gesehen und genau bemerkt haetten, wie du selbst meinen Oheim niederstrecktest." Andres wurde von den peinlichsten, schrecklichsten Gefuehlen durchbohrt; es war ihm, als wenn der Satan selbst seine Gestalt angenommen habe, um ihn zu verderben; denn auch Denner hatte ja sogar im Kerker davon gesprochen, dass er den Andres wirklich gesehen, und so schien selbst die falsche Beschuldigung vor Gericht auf innerer wahrer Ueberzeugung zu beruhen. Andres sagte dies alles unverhohlen, indem er hinzusetzte, dass er sich der Schickung des Himmels ergebe, nach welcher er den schmaehlichen Tod eines Verbrechers sterben solle, dass aber, sei es auch lange Zeit nachher, seine Unschuld gewiss an den Tag kommen werde. Der Graf von Vach schien tief erschuettert; er konnte kaum noch dem Andres sagen, dass, nach seinem Wunsche, der Tag der Hinrichtung seinem ungluecklichen Weibe verschwiegen geblieben sei, und dass sie sich nebst dem Knaben bei dem alten Foerster aufhalte. Die Rathausglocke erklang dumpf und schauerlich in abgemessenen Pulsen. Andres wurde angekleidet und der Zug ging mit den gewoehnlichen Feierlichkeiten unter dem Zustroemen unzaehligen Volks nach der Richtstaette. Andres betete laut und ruehrte durch sein frommes Betragen alle, die ihn sahen. Denner hatte die Miene des trotzigen verstockten Boesewichts. Er schaute munter und kraeftig um sich, und lachte oft den armen Andres tueckisch und schadenfroh an. Andres sollte zuerst hingerichtet werden; er bestieg gefasst mit dem Henker die Leiter, da kreischte ein Weib auf und sank ohnmaechtig einem alten Mann in die Arme. Andres blickte hin, es war Giorgina; laut erflehte er vom Himmel Fassung und Staerke. "Dort, dort, sehe ich dich wieder, mein armes unglueckliches Weib, ich sterbe unschuldig!" rief er, indem er den Blick sehnsuchtsvoll zum Himmel erhob. Der Richter rief dem Henker zu, er moege sich foerdern, denn es entstand ein Murren unter dem Volke und es flogen Steine nach Dennern, der ebenfalls schon die Leiter bestiegen hatte und die Zuschauer verhoehnte ob ihres Mitleids mit dem frommen Andres. Der Henker legte dem Andres den Strick um den Hals, da scholl es aus der Ferne her: "Halt - halt - um Christus willen halt! - Der Mann ist unschuldig! - ihr richtet einen Unschuldigen hin!" - "Halt - halt!" schrieen tausend Stimmen und kaum vermochte die Wache zu steuern dem Volk, das hinzudrang und den Andres von der Leiter herabreissen wollte. Naeher sprengte nun der Mann zu Pferde, der erst gerufen hatte, und Andres erkannte auf den ersten Blick in dem Fremden den Kaufmann, der ihm in Frankfurt Giorginas Erbschaft ausgezahlt hatte. Seine Brust wollte zerspringen vor Freude und Seligkeit, kaum konnte er sich aufrecht erhalten als er von der Leiter herabgestiegen. Der Kaufmann sagte dem Richter, dass zu derselben Zeit, als der Raubmord im Vachschen Schlosse veruebt worden, Andres in Frankfurt, also viele Meilen davon entfernt, gewesen sei, und dass er dies vor Gericht auf die unzweifelhafteste Weise durch Urkunden und Zeugen dartun wolle. Da rief der Richter: "Die Hinrichtung des Andres kann keineswegs geschehen; denn dieser hoechstwichtige Umstand beweiset, wenn er ausgemittelt wird, die voellige Unschuld des Angeklagten. Man fuehre ihn sogleich nach dem Gefaengnisse zurueck." Denner hatte alles von der Leiter herab ruhig angesehen; als aber der Richter diese Worte gesprochen, da rollten seine gluehenden Augen, er knirschte mit den Zaehnen, er heulte in wilder Verzweiflung, dass es graesslich, wie der namenlose Jammer des wuetenden Wahnsinns, durch die Luefte hallte: "Satan, Satan! du hast mich betrogen - weh mir! weh mir! es ist aus - aus - alles verloren!" Man brachte ihn von der Leiter herab, er fiel zu Boden und roechelte dumpf: "Ich will alles bekennen - ich will alles bekennen!" Auch _seine_ Hinrichtung wurde verschoben und er ins Gefaengnis zurueckgefuehrt, wo ihm jedes Entspringen unmoeglich gemacht worden. Der Hass seiner Waechter war die beste Schutzwehr gegen die Schlauheit seiner Verbuendeten. - Wenige Augenblicke nachher, als Andres bei dem Gefangenenwaerter angekommen, lag Giorgina in seinen Armen. "Ach Andres, Andres", rief sie, "nun habe ich dich ganz wieder, da ich weiss, dass du unschuldig bist; denn auch ich habe an deiner Redlichkeit, an deiner Froemmigkeit gezweifelt!" - Unerachtet man Giorginen den Tag der Hinrichtung verschwiegen, war sie doch von unbeschreiblicher Angst, von seltsamer Ahnung getrieben, nach Fulda geeilt, und gerade auf die Richtstaette gekommen, als ihr Mann die verhaengnisvolle Leiter bestieg, die ihn zum Tode fuehren sollte. Der Kaufmann war die ganze lange Zeit der Untersuchung ueber auf Reisen in Frankreich und Italien gewesen, und jetzt ueber Wien und Prag zurueckgekehrt. Der Zufall, oder vielmehr eine besondere Schickung des Himmels, wollte, dass er gerade in dem entscheidendsten Augenblick auf dem Richtplatze ankam, und den armen Andres von dem schmaehlichen Tode des Verbrechers rettete. Im Gasthofe erfuhr er die ganze Geschichte des Andres und es fiel ihm gleich schwer aufs Herz, dass Andres wohl derselbe Revierjaeger sein koenne, der vor zwei Jahren eine Erbschaft, die seinem Weibe von Neapel aus zugefallen, erhob. Schnell eilte er fort und ueberzeugte sich, als er nur Andres sah, sogleich von der Wahrheit seiner Vermutung. Durch die eifrigen Bemuehungen des wackern Kaufmanns und des jungen Grafen von Vach wurde Andres' Aufenthalt in Frankfurt bis auf die Stunde ausgemittelt, dadurch aber seine voellige Unschuld an dem Raubmorde dargetan. Denner selbst gestand nun die Richtigkeit der Angabe des Andres ueber das Verhaeltnis mit ihm und meinte nur, der Satan muesse ihn geblendet haben; denn in der Tat haette er geglaubt, Andres fechte auf dem Vachschen Schloss an seiner Seite. Fuer die erzwungene Teilnahme an der Auspluenderung des Pachterhofes, sowie fuer die gesetzwidrige Rettung Denners, hatte, nach dem Ausspruch der Richter, Andres genug gebuesst durch das lange harte Gefaengnis und durch die ausgestandene Marter und Todesangst; er wurde daher durch Urtel und Recht von jeder weiteren Strafe freigesprochen und eilte mit seiner Giorgina auf das Vachsche Schloss, wo ihm der edle wohltaetige Graf im Nebengebaeude eine Wohnung einraeumte, von ihm nur die geringen Jagddienste fordernd, die des Grafen persoenliche Liebhaberei notwendig machte. Auch die Gerichtskosten bezahlte der Graf, so dass Andres und Giorgina in dem ungekraenkten Besitz ihres Vermoegens blieben. Der Prozess wider den verruchten Ignaz Denner nahm jetzt eine ganz andere Wendung. Die Begebenheit auf der Gerichtsstaette schien ihn ganz umgewandelt zu haben. Sein hoehnender teuflischer Stolz war gebeugt, und aus seinem zerknirschten Innern brachen Gestaendnisse hervor, die den Richtern das Haar straeubten. Denner klagte sich selbst mit allen Zeichen tiefer Reue des Buendnisses mit dem Satan an, das er von seiner fruehen Jugendzeit unterhalten, und so wurde vorzueglich hierauf die fernere Untersuchung mit dem Zutritt dazu verordneter Geistlichkeit gerichtet. Ueber seine frueheren Lebensverhaeltnisse erzaehlte Denner so viel Sonderbares, dass man es fuer das Erzeugnis wahnsinniger Ueberspannung haette halten muessen, wenn nicht durch die Erkundigungen, die man in Neapel, seinem angeblichen Geburtsort, einziehen liess, alles bestaetigt worden waere. Ein Auszug aus den von dem geistlichen Gericht in Neapel verhandelten Akten ergab ueber Denners Herkunft folgende merkwuerdige Umstaende. Vor langen Jahren lebte in Neapel ein alter wunderlicher Doktor, Trabacchio mit Namen, den man seiner geheimnisvollen stets gluecklichen Kuren wegen insgemein den Wunderdoktor zu nennen pflegte. Es schien, als wenn das Alter nichts ueber ihn vermoege; denn er schritt rasch und jugendlich daher, unerachtet mehrere Eingeborne ihm nachrechnen konnten, dass er an die achtzig Jahre alt sein muesste. Sein Gesicht war auf eine seltsame grausige Weise verzerrt und verschrumpft, und seinen Blick konnte man kaum ohne innern Schauer ertragen, wiewohl er oft den Kranken wohl tat, so dass man sagte, bloss durch den scharf auf den Kranken gehefteten Blick heile er oftmals schwere hartnaeckige Uebel. Ueber seinen schwarzen Anzug warf er gewoehnlich einen weiten roten Mantel mit goldnen Tressen und Troddeln, unter dessen bauschichten Falten der lange Stossdegen hervorragte. So lief er mit einer Kiste seiner Arzneien, die er selbst bereitete, durch die Strassen von Neapel zu seinen Kranken, und jeder wich ihm scheu aus. Nur in der hoechsten Not wandte man sich an ihn, aber niemals schlug er es aus einen Kranken zu besuchen, hatte er dabei auch nicht sonderlichen Gewinn zu hoffen. Mehrere Weiber starben ihm schnell; immer waren sie ausnehmend schoen und insgemein Landdirnen gewesen. Er sperrte sie ein und erlaubte ihnen, nur unter Begleitung einer alten ekelhaft haesslichen Frau die Messe zu hoeren. Diese Alte war unbestechlich; jeder noch so listig angelegte Versuch junger Luestlinge, den schoenen Frauen des Doktor Trabacchio naeher zu kommen, blieb fruchtlos. Unerachtet Doktor Trabacchio von Reichen sich gut bezahlen liess, so stand doch seine Einnahme mit dem Reichtum an Geld und Kleinodien, den er in seinem Hause aufgehaeuft hatte und den er niemanden verhehlte, in keinem Verhaeltnis. Dabei war er zu Zeiten freigebig bis zur Verschwendung, und hatte die Gewohnheit jedesmal, wenn ihm eine Frau gestorben, ein Gastmahl zu geben, dessen Aufwand wohl doppelt soviel betrug, als die reichste Einnahme, die ihm seine Praxis ein ganzes Jahr hindurch verschaffte. Mit seiner letzten Frau hatte er einen Sohn erzeugt, den er ebenso einsperrte, wie seine Weiber; niemand bekam ihn zu sehen. Nur bei dem Gastmahl, das er nach dem Tode dieser Frau gab, sass der kleine dreijaehrige Knabe an seiner Seite, und alle Gaeste waren ueber die Schoenheit und die Klugheit des Kindes [verwundert], das man, verriet sein koerperliches Ansehen nicht sein Alter, seinem Benehmen nach wenigstens fuer zwoelfjaehrig haette halten koennen. Eben bei diesem Gastmahl aeusserte der Doktor Trabacchio, dass, da nunmehr sein Wunsch, einen Sohn zu haben, erreicht sei, er nicht mehr heiraten werde. Sein uebermaessiger Reichtum, aber noch mehr sein geheimnisvolles Wesen, seine wunderbaren Kuren, die bis ins Unglaubliche gingen, da bloss einigen von ihm bereiteten und eingefloessten Tropfen, ja oft bloss seiner Betastung, seinem Blick, die hartnaeckigsten Krankheiten wichen, gaben endlich Anlass zu allerlei seltsamen Geruechten, die sich in Neapel verbreiteten. Man hielt den Doktor Trabacchio fuer einen Alchymisten, fuer einen Teufelsbeschwoerer, ja man gab ihm endlich schuld, dass er mit dem Satan im Buendnis stehe. Die letzte Sage entstand aus einer seltsamen Begebenheit, die sich mit einigen Edelleuten in Neapel zutrug. Diese kehrten einst spaet in der Nacht von einem Gastmahl zurueck und gerieten, da sie im Weinrausch den Weg verfehlt, in eine einsame verdaechtige Gegend. Da rauschte und raschelte es vor ihnen und sie wurden mit Entsetzen gewahr, dass ein grosser leuchtendroter Hahn, ein zackicht Hirschgeweihe auf dem Kopfe tragend, mit ausgebreiteten Fluegeln. daherschritt, und sie mit menschlichen funkelnden Augen anstarrte. Sie draengten sich in eine Ecke, der Hahn schritt vorueber, und ihm folgte eine grosse Figur im glaenzenden goldverbraemten Mantel. Sowie die Gestalten vorueber waren, sagte einer von den Edelleuten leise: "Das war der Wunderdoktor Trabacchio." Alle, nuechtern geworden durch den entsetzlichen Spuk, ermutigten sich und folgten dem angeblichen Doktor mit dem Hahn, dessen Leuchten den genommenen Weg zeigte. Sie sahen, wie die Gestalten wirklich auf das Haus des Doktors, das auf einem fernen leeren oeden Platze stand, zuschritten. Vor dem Hause angekommen, rauschte der Hahn in die Hoehe, und schlug mit den Fluegeln an das grosse Fenster ueber dem Balkon, das sich klirrend oeffnete; die Stimme eines alten Weibes meckerte: "Kommt - kommt nach Haus - kommt nach Haus - warm ist das Bett, und Liebchen wartet lange schon - lange schon!" Da war es, als stiege der Doktor auf einer unsichtbaren Leiter empor, und rausche nach dem Hahn durch das Fenster, welches zugeschlagen wurde, dass es die einsame Strasse entlang klirrte und droehnte. Alles war im schwarzen Dunkel der Nacht verschwunden und die Edelleute standen stumm und starr vor Grausen und Entsetzen. Dieser Spuk, die Ueberzeugung der Edelleute, dass die Gestalt, der der teuflische Hahn vorleuchtete, niemand anders, als der verrufene Doktor Trabacchio gewesen, war fuer das geistliche Gericht, dem alles zu Ohren kam, genug, dem satanischen Wundermann sorglich in aller Stille nachzuspueren. Man brachte in der Tat heraus, dass in den Zimmern des Doktors sich oft ein roter Hahn befand, mit dem er auf wunderliche Weise zu sprechen und zu disputieren schien, als spraechen Gelehrte ueber zweifelhafte Gegenstaende ihres Wissens. Das geistliche Gericht war im Begriff den Doktor Trabacchio einzuziehen als einen verruchten Hexenmeister; aber das weltliche Gericht kam dem geistlichen zuvor und liess den Doktor durch die Sbirren aufheben und ins Gefaengnis schleppen, da er eben von dem Besuch eines Kranken heimkehrte. Die Alte war schon frueher aus dem Hause geholt worden, den Knaben hatte man nicht finden koennen. Die Tueren der Zimmer wurden verschlossen und versiegelt, Wachen rings um das Haus gestellt. - Folgendes war der Grund dieses gerichtlichen Verfahrens. Seit einiger Zeit starben mehrere angesehene Personen in Neapel und in der umliegenden Gegend und zwar nach der Aerzte einstimmigem Urteil an Gift. Dies hatte viele Untersuchungen veranlasst, die fruchtlos blieben, bis endlich ein junger Mann in Neapel, ein bekannter Luestling und Verschwender, dessen Oheim vergiftet worden, die graessliche Tat mit dem Zusatz eingestand, dass er das Gift von dem alten Weibe, der Haushaelterin Trabacchios, gekauft habe. Man spuerte der Alten nach, und ertappte sie, als sie eben ein festverschlossenes kleines Kistchen forttragen wollte, in dem man kleine Phiolen fand, die mit dem Namen von allerlei Arzneimitteln versehen waren, unerachtet sie fluessiges Gift enthielten. Die Alte wollte nichts eingestehen; als man ihr indessen mit der Tortur drohte, da bekannte sie, dass der Doktor Trabacchio schon seit vielen Jahren jenes kuenstliche Gift, das unter dem Namen Aqua Toffana bekannt sei, bereite, und dass der geheime Verkauf dieses Gifts, der durch sie bewirkt worden, bestaendig seine reichste Erwerbsquelle gewesen. Ferner sei es nur zu gewiss, dass er mit dem Satan im Buendnis stehe, der in verschiedenen Gestalten bei ihm einkehre. Jedes seiner Weiber habe ihm ein Kind geboren, ohne dass es jemand ausser dem Hause geahnet. Das Kind habe er denn allemal, nachdem es neun Wochen, oder neun Monate alt worden, unter besonderen Zuruestungen und Feierlichkeiten auf unmenschliche Weise geschlachtet, indem er ihm die Brust aufgeschnitten und das Herz herausgenommen. Jedesmal sei der Satan bei dieser Operation, bald in dieser, bald in jener Gestalt, meistens aber als Fledermaus mit menschlicher Larve, erschienen, und habe mit breiten Fluegeln das Kohlfeuer angefacht, bei dem Trabacchio aus des Kindes Herzblut koestliche Tropfen bereitet, die jeder Siechheit kraeftig widerstaenden. Die Weiber haette Trabacchio bald nachher auf diese, oder jene heimliche Weise getoetet, so dass der schaerfste Blick des Arztes wohl nie auch die kleinste Spur der Ermordung habe auffinden koennen. Nur Trabacchios letztes Weib, die ihm einen Sohn geboren, der noch lebe, sei des natuerlichen Todes gestorben. Der Doktor Trabacchio gestand alles unverhohlen ein und schien eine Freude daran zu finden, das Gericht mit den schauerlichen Erzaehlungen seiner Untaten und vorzueglich der naehern Umstaende seines entsetzlichen Buendnisses mit dem Satan in Verwirrung zu setzen, Die Geistlichen, welche dem Gericht beiwohnten, gaben sich alle nur ersinnliche Muehe, den Doktor zur Reue und zur Erkenntnis seiner Suenden zu bringen; aber es blieb vergebens, da Trabacchio sie nur verhoehnte und verlachte. Beide, die Alte und Trabacchio, wurden zum Scheiterhaufen verurteilt. - Man hatte unterdessen das Haus des Doktors untersucht und alle seine Reichtuemer hervorgeholt, die, nach Abzug der Gerichtskosten, an die Hospitaeler verteilt werden sollten. In Trabacchios Bibliothek fand man nicht ein einziges verdaechtiges Buch und noch viel weniger gab es Geraetschaften, die auf die satanische Kunst, die der Doktor getrieben, haetten hindeuten sollen. Nur ein verschlossenes Gewoelbe, dessen viele durch die Mauer herausragende Roehren das Laboratorium verrieten, widerstand, als man es oeffnen wollte, aller Kunst und aller Gewalt. Ja, wenn Schlosser und Maurer unter der Aufsicht des Gerichts sich eifrig bemuehten, endlich durchzubrechen, so dass wohl der Zweck erreicht worden waere, da kreischten im Innern des Gewoelbes entsetzliche Stimmen, es rauschte auf und nieder, wie mit eiskalten Fluegeln schlug es an die Gesichter der Arbeiter und ein schneidender Zugwind pfiff in gellenden graesslichen Toenen durch den Gang, so dass von Grausen und Entsetzen ergriffen alle flohen, und am Ende niemand mehr sich an die Tuer des Gewoelbes wagen wollte, aus Furcht wahnsinnig zu werden vor Angst und Schrecken. Den Geistlichen, die sich der Tuer nahten, ging es nicht besser und es blieb nichts uebrig, als die Ankunft eines alten Dominikaners aus Palermo zu erwarten, dessen Standhaftigkeit und Froemmigkeit bisher alle Kuenste des Satans weichen mussten. Als dieser Moench sich nun in Neapel befand, war er bereit den teuflischen Spuk in Trabacchios Gewoelbe zu bekaempfen, und verfuegte sich hin, ausgeruestet mit Kreuz und Weihwasser, begleitet von mehreren Geistlichen und Gerichtspersonen, die aber weit von der Tuer entfernt blieben. Der alte Dominikaner ging betend auf die Tuer los; aber da erhob sich heftiger das Rauschen und Brausen, und die entsetzlichen Stimmen verworfener Geister lachten gellend heraus. Der Geistliche liess sich jedoch nicht irre machen; er betete kraeftiger das Kruzifix emporhaltend und die Tuer mit Weihwasser besprengend. "Man gebe mir ein Brecheisen!" rief er laut; zitternd reichte es ihm ein Maurerbursche hin, aber kaum setzte es der alte Moench an die Tuere, als sie mit furchtbar erschuetterndem Knall aufsprang. Blaue Flammen leckten ueberall an den Waenden des Gewoelbes herauf und eine betaeubende erstickende Hitze stroemte aus dem Innern. Demunerachtet wollte der Dominikaner hineintreten; da stuerzte der Boden des Gewoelbes ein, dass das ganze Haus erdroehnte und Flammen prasselten aus dem Abgrunde hervor, die wuetend um sich griffen und alles rings umher erfassten. Schnell musste der Dominikaner mit seiner Begleitung fliehen, um nicht zu verbrennen, oder verschuettet zu werden. Kaum waren sie auf der Strasse, als das ganze Haus des Doktor Trabacchio in Flammen stand. Das Volk lief zusammen und jauchzte und jubelte, als es des verruchten Hexenmeisters Wohnung brennen sah, ohne auch nur das mindeste zur Rettung zu tun. Schon war das Dach eingestuerzt, das inwendige Holzwerk flammte zu den Waenden heraus und nur die starken Balken des obern Stocks widerstanden noch der Gewalt des Feuers. Aber vor Entsetzen schrie das Volk auf, als es Trabacchios zwoelfjaehrigen Sohn mit einem Kistchen unter dem Arm einen dieser glimmenden Balken entlang schreiten sah. Nur einen Moment dauerte diese Erscheinung, sie verschwand ploetzlich in den hochaufschlagenden Flammen. - Der Doktor Trabacchio schien sich herzinniglich zu freuen, als er diese Begebenheit erfuhr und ging mit verwegener Frechheit zum Tode. Als man ihn an den Pfahl band, lachte er hell auf und sagte zu dem Henker, der ihn mordlustig recht fest anschnuerte: "Sieh dich vor, Geselle, dass diese Stricke nicht an deinen Faeusten brennen." Dem Moench, der sich ihm zuletzt noch nahen wollte, rief er mit fuerchterlicher Stimme zu: "Fort! - zurueck von mir! Glaubst du denn, dass ich so dumm sein werde, euch zu Gefallen einen schmerzlichen Tod zu leiden? - noch ist meine Stunde nicht gekommen." - Nun fing das angezuendete Holz an zu prasseln; kaum erreichte aber die Flamme den Trabacchio, als es hell aufloderte, wie Strohfeuer und von einer fernen Anhoehe ein gellendes Hohngelaechter sich hoeren liess. Alles schaute hin und Grausen ergriff das Volk, als [es] den Doktor Trabacchio leibhaftig in dem schwarzen Kleide, dem goldverbraemten Mantel, den Stossdegen an der Seite, den niedergekrempten spanischen Hut mit der roten Feder auf dem Kopfe, das Kistchen unter dem Arm, ganz wie er sonst durch die Strassen von Neapel zu laufen pflegte, erblickte. Reiter, Sbirren, hundert andere aus dem Volk stuerzten hin nach dem Huegel, aber Trabacchio war und blieb verschwunden. Die Alte gab ihren Geist auf unter den entsetzlichsten Qualen, unter den graesslichsten Verwuenschungen ihres verruchten Herrn, mit dem sie unzaehlige Verbrechen geteilt. Der sogenannte Ignaz Denner war nun kein anderer, als eben der Sohn des Doktors, der sich damals durch die hoellischen Kuenste seines Vaters mit einem Kistchen der seltensten und geheimnisvollsten Kostbarkeiten aus den Flammen rettete. Schon seit der fruehesten Jugend unterrichtete ihn der Vater in den geheimen Wissenschaften und seine Seele war dem Teufel verschrieben, noch ehe er sein volles Bewusstsein erlangt. Als man den Doktor Trabacchio ins Gefaengnis warf, blieb der Knabe in dem geheimnisvollen verschlossenen Gewoelbe unter den verworfenen Geistern, die des Vaters hoellischer Zauber hineingebannt; da aber endlich dieser Zauber der Macht des Dominikaners weichen musste, liess der Knabe die verborgenen mechanischen Kraefte wirken, und Flammen entzuendeten sich, die in wenigen Minuten das ganze Haus in Brand steckten, waehrend der Knabe selbst unversehrt durch das Feuer fort zum Tore hinaus in den Wald eilte, den ihm der Vater bezeichnet hatte. Nicht lange dauerte es, so erschien auch Doktor Trabacchio, und floh schnell mit dem Sohne, bis sie wohl an drei Tagereisen von Neapel in die Ruinen eines alten roemischen Gebaeudes kamen, wo der Eingang zu einer weiten geraeumigen Hoehle versteckt lag. Hier wurde der Doktor Trabacchio von einer zahlreichen Raeuberbande, mit der er laengst in Verbindung gestanden, und der er durch seine geheime Wissenschaft die wesentlichsten Dienste geleistet, mit lautem Jubel empfangen. Die Raeuber wollten ihn mit nichts Geringerem lohnen, als mit der Kroenung zum Raeuberkoenige, wodurch er sich zum Oberhaupt aller Banden, die in Italien und dem suedlichen Deutschland verbreitet waren, aufgeschwungen haette. Der Doktor Trabacchio erklaerte, diese Wuerde nicht annehmen zu koennen, da er der besondern Konstellation wegen, die ueber ihn walte, nunmehr ein ganz unstetes Leben fuehren muesse, und von keinem Verhaeltnis gebunden werden koenne; doch werde er noch immer den Raeubern mit seiner Kunst und Wissenschaft beistehn, und sich dann und wann sehen lassen. Da beschlossen die Raeuber, den zwoelfjaehrigen Trabacchio zum Raeuberkoenige zu waehlen und damit war der Doktor hoechlich zufrieden, so dass der Knabe von Stund an unter den Raeubern blieb, und, als er funfzehn Jahr alt worden, schon als wirkliches Oberhaupt mit ihnen auszog. Sein ganzes Leben war von nun an ein Gewebe von Greueltaten und Teufelskuensten, in welche ihn der Vater, der sich oftmals blicken liess und zuweilen wochenlang einsam mit seinem Sohne in der Hoehle blieb, immer mehr einweihte. Die kraeftigen Massregeln des Koenigs von Neapel gegen die Raeuberbanden, die immer kecker und verwegener wurden, noch mehr aber die entstandenen Zwistigkeiten der Raeuber hoben endlich das gefaehrliche Buendnis unter _einem_ Oberhaupte auf und den Trabacchio selbst, der sich durch seinen Stolz und durch seine Grausamkeit verhasst gemacht hatte, konnten seine vom Vater erlernte Teufelskuenste nicht vor den Dolchen seiner Untergebenen schuetzen. Er floh nach der Schweiz, gab sich den Namen Ignaz Denner, und besuchte als reisender Kaufmann die Messen und Jahrmaerkte in Deutschland, bis sich aus den zerstreuten Gliedern jener grossen Bande eine kleinere bildete, die den vormaligen Raeuberkoenig zu ihrem Oberhaupt waehlte. Trabacchio versicherte, wie sein Vater noch zur Stunde lebe, ihn noch im Gefaengnis besucht, und Rettung von der Gerichtsstaette versprochen habe. Nur dadurch, dass, wie er nun wohl einsehe, goettliche Schickung den Andres vom Tode errettet, sei die Macht seines Vaters entkraeftet worden, und er wolle nun als reuiger Suender allen Teufelskuensten abschwoeren und geduldig die gerechte Todesstrafe erleiden. Andres, der alles dieses aus dem Munde des Grafen von Vach erfuhr, zweifelte keinen Augenblick, dass es wohl eben Trabacchios Bande gewesen, die ehemals im Neapolitanischen seinen Herrn anfiel, so wie er ueberzeugt war, dass der alte Doktor Trabacchio selbst im Gefaengnis ihm wie der leibhaftige Satan erschien und verlocken wollte zum boesen Beginnen. Nun sah er erst recht ein, in welch grosser Gefahr er geschwebt hatte seit der Zeit, als Trabacchio in sein Haus getreten; wiewohl er noch immer nicht begreifen konnte, warum es denn der Verruchte so ganz und gar auf ihn und sein Weib gemuenzt hatte, da der Vorteil, den er aus seinem Aufenthalt in dem Jaegerhause zog, nicht so bedeutend sein konnte. Andres befand sich nach den entsetzlichen Stuermen nun in ruhiger gluecklicher Lage, allein zu erschuetternd hatten jene Stuerme getobt, um nicht in seinem ganzen Leben dumpf nachzuhallen. Ausser dem, dass Andres, sonst ein starker kraeftiger Mann, durch den Gram, durch das lange Gefaengnis, ja durch den unsaeglichen Schmerz der Tortur koerperlich zugrunde gerichtet, siech und krank daherschwankte und kaum noch die Jagd treiben konnte, so welkte auch Giorgina, deren suedliche Natur von dem Grame, von der Angst, von dem Entsetzen wie von brennender Glut aufgezehrt wurde, zusehends hin. Keine Huelfe war fuer sie mehr vorhanden, sie starb wenige Monate nach ihres Mannes Rueckkehr. Andres wollte verzweifeln und nur der wunderschoene kluge Knabe, der Mutter getreues Ebenbild, vermochte ihn zu troesten. Um dieses willen tat er alles, sein Leben zu erhalten, und sich soviel als moeglich zu kraeftigen, so dass er nach Verlauf von beinahe zwei Jahren wohl an Gesundheit zugenommen und manchen lustigen Jaegergang in den Forst unternehmen konnte. - Der Prozess wider den Trabacchio hatte endlich sein Ende erreicht und er war, so wie vor alter Zeit sein Vater, zum Tode durchs Feuer verdammt worden, den er in weniger Zeit erleiden sollte. Andres kam eines Tages, als die Abenddaemmerung schon eingebrochen, mit seinem Knaben aus dem Forst zurueck; schon war er dem Schlosse nahe, als er ein klaegliches Gewimmer vernahm, das aus dem ihm nahen ausgetrockneten Feldgraben zu kommen schien. Er eilte naeher und erblickte einen Menschen, der in elende schmutzige Lumpen gehuellt, im Graben lag und unter grossen Schmerzen den Geist aufgeben zu wollen schien. Andres warf Flinte und Buechsensack ab, und zog mit Muehe den Ungluecklichen heraus; aber als er nun dem Menschen ins Gesicht blickte, erkannte er mit Entsetzen den Trabacchio. Zurueckschaudernd liess er von ihm ab; aber da wimmerte Trabacchio dumpf. "Andres, Andres, bist du es? um der Barmherzigkeit Gottes willen, der ich meine Seele empfohlen, habe Mitleid mit mir! Wenn du mich rettest, rettest du eine Seele von ewiger Verdammnis; denn bald ereilt mich ja der Tod, und noch nicht vollendet ist meine Busse!" - "Verdammter Heuchler", schrie Andres auf; "Moerder meines Kindes, meines Weibes, hat dich nicht der Satan wieder hergefuehrt, damit du mich vielleicht noch verderbest? Ich habe mit dir nichts zu schaffen. Stirb und vermodere wie ein Aas, Verruchter!" Andres wollte ihn zurueckstossen in den Graben; da heulte Trabacchio in wildem Jammer: "Andres! du rettest den Vater deines Weibes, deiner Giorgina, die fuer mich betet am Throne des Hoechsten!" Andres schauderte zusammen; mit Giorginas Namen fuehlte er sich von schmerzlicher Wehmut ergriffen. Mitleid mit dem Moerder seiner Ruhe, seines Gluecks, durchdrang ihn, er fasste den Trabacchio, lud ihn mit Muehe auf und trug ihn nach seiner Wohnung, wo er ihn mit staerkenden Mitteln erquickte. Bald erwachte Trabacchio aus der Ohnmacht, in die er versunken. In der Nacht vor der Hinrichtung ergriff den Trabacchio die entsetzlichste Todesangst; er war ueberzeugt, dass ihn nichts mehr von der namenlosen Marter des Feuertodes retten wuerde. Da fasste und ruettelte er in wahnsinniger Verzweiflung die Eisenstaebe des Gitterfensters und zerbroeckelt blieben sie in seinen Haenden. Ein Strahl der Hoffnung fiel in seine Seele. Man hatte ihn in einen Turm dicht neben dem trocknen Stadtgraben gesperrt; er schaute in die Tiefe und der Entschluss sich hinabzustuerzen, und so sich zu retten, oder zu sterben, war auf der Stelle gefasst. Der Ketten hatte er sich bald mit geringer Anstrengung entledigt. Als er sich hinauswarf, vergingen ihm die Sinne, er erwachte, als die Sonne hell strahlte. Da sah er, wie er zwischen Strauchwerk in hohes Gras gefallen, aber an allen Gliedern verstaucht und verrenkt, vermochte er sich nicht zu regen und zu ruehren. Schmeissfliegen und anderes Ungeziefer setzten sich auf seinen halbnackten Koerper und stachen und leckten sein Blut, ohne dass er sie abwehren konnte. So brachte er einen martervollen Tag hin. Erst des Nachts gelang es ihm weiter zu kriechen und er war gluecklich genug, an eine Stelle zu kommen, wo sich etwas Regenwasser gesammelt hatte, welches er begierig einschluerfte. Er fuehlte sich gestaerkt und vermochte muehsam hinanzuklimmen und sich fortzuschleichen, bis er den Forst erreichte, der unfern von Fulda anhob und sich beinahe bis an das Vachsche Schloss erstreckte. So war er bis in die Gegend gekommen, wo ihn Andres mit dem Tode ringend fand. Die entsetzliche Anstrengung der letzten Kraft hatte ihn ganz erschoepft und wenige Minuten spaeter haette ihn Andres sicherlich tot gefunden. Ohne daran zu denken, was kuenftig mit dem Trabacchio, der der Obrigkeit entflohen, werden sollte, brachte ihn Andres in ein einsames Zimmer und pflegte ihn auf alle nur moegliche Weise, aber so behutsam ging er dabei zu Werke, dass niemand die Anwesenheit des Fremden ahnte; denn selbst der Knabe, gewohnt dem Vater blindlings zu gehorchen, verschwieg getreulich das Geheimnis. Andres frug nun den Trabacchio, ob er denn gewiss und wahrhaftig Giorginas Vater sei. "Allerdings bin ich das", erwiderte Trabacchio. "In der Gegend von Neapel entfuehrte ich einst ein bildschoenes Maedchen, die mir eine Tochter gebar. Nun weisst du schon, Andres, dass eines der groessten Kunststuecke meines Vaters die Bereitung jenes koestlichen wundersamen Liquors war, wozu das Hauptingredienz das Herzblut von Kindern ist, die neun Wochen, neun Monate, oder neun Jahre alt und von den Eltern dem Laboranten freiwillig anvertraut sein muessen. Je naeher die Kinder mit dem Laboranten in Beziehung stehen, desto wirkungsvoller entsteht aus ihrem Herzblut Lebenskraft, stete Verjuengung, ja selbst die Bereitung des kuenstlichen Goldes. Deshalb schlachtete mein Vater seine Kinder und ich war froh, das Toechterlein, das mir mein Weib geboren, auf solche verruchte Weise hoeheren Zwecken opfern zu koennen. Noch kann ich nicht begreifen, auf welche Weise mein Weib die boese Absicht ahnte; aber sie war vor Ablauf der neunten Woche verschwunden und erst nach mehrern Jahren erfuhr ich, dass sie in Neapel gestorben sei und ihre Tochter Giorgina bei einem graemlichen geizhalsigen Gastwirt erzogen wuerde. Ebenso wurde mir ihre Verheiratung mit dir und dein Aufenthalt bekannt. Nun kannst du dir erklaeren, Andres, warum ich deinem Weibe gewogen war und warum ich, ganz erfuellt von meinen verruchten Teufelskuensten, deinen Kindern so nachstellte. - Aber dir, Andres, dir allein und deiner wunderbaren Rettung durch Gottes Allmacht verdanke ich meine tiefe Reue, meine innere Zerknirschung. Uebrigens ist das Kistchen mit Kleinodien, das ich deinem Weibe gab, dasjenige, welches ich auf des Vaters Geheiss aus den Flammen rettete, du kannst es getrost aufbewahren fuer deinen Knaben." - "Das Kistchen", fiel Andres ein, "hat Euch ja Giorgina wiedergegeben an jenem schrecklichen Tag, da Ihr den graesslichen Mord veruebtet?" "Allerdings", erwiderte Trabacchio; "allein ohne dass es Giorgina wusste, kam es wieder in Euern Besitz. Seht nur nach in der grossen schwarzen Truhe, die in Euerm Hausflur steht, da werdet Ihr das Kistchen auf dem Boden finden." Andres suchte in der Truhe und fand das Kistchen wirklich ganz in dem Zustande wieder, wie er es damals zum erstenmal von Trabacchio in Verwahrung erhalten. Andres fuehlte in sich unheimlichen Unmut, ja er konnte sich des Wunsches nicht erwehren, dass Trabacchio tot gewesen sein moege, als er ihn im Graben fand. Freilich schien Trabacchios Reue und Busse wahrhaft zu sein; denn ohne seine Klause zu verlassen, brachte er seine Zeit nur damit hin, in andaechtigen Buechern zu lesen und seine einzige Ergoetzlichkeit war die Unterhaltung mit dem kleinen Georg, den er ueber alles zu lieben schien. Andres beschloss indessen doch auf seiner Hut zu sein und eroeffnete bei erster Gelegenheit das ganze Geheimnis dem Grafen von Vach, der ueber das seltene Spiel des Schicksals nicht wenig verwundert war. So vergingen einige Monate, der Spaetherbst war eingetreten und Andres mehr auf der Jagd, als sonst. Der Kleine blieb gewoehnlich bei dem Grossvater und einem alten Jaeger, der um das Geheimnis wusste. Eines Abends war Andres von der Jagd zurueckgekehrt, als der alte Jaeger hineintrat und nach seiner treuherzigen Weise anfing: "Herr, Ihr habt einen boesen Kumpan im Hause. Zu dem kommt der Gottseibeiuns! durchs Fenster und geht wieder ab in Rauch und Dampf." Dem Andres wurde es bei dieser Rede zumut, als haett ihn ein Blitzstrahl getroffen. Er wusste nur zu genau, was das zu bedeuten hatte; als ihm der alte Jaeger weiter erzaehlte, wie er schon mehrere Tage hintereinander in spaeter Abenddaemmerung in Trabacchios Zimmer seltsame Stimmen gehoert, die wie im Zank durcheinander geplappert, und heute zum zweitenmal habe es ihm, indem er Trabacchios Tuere schnell geoeffnet, geschienen, als rausche eine Gestalt im roten goldverbraemten Mantel zum Fenster hinaus. In vollem Zorn eilte Andres herauf zum Trabacchio, hielt ihm vor, was sein Jaeger ausgesagt und kuendigte ihm an, dass er sich's gefallen lassen muesse, ins Schlossgefaengnis gesperrt zu werden, wenn er nicht allen boesen Tritten entsage. Trabacchio blieb ruhig, und erwiderte im wehmuetigen Ton: "Ach, lieber Andres! nur zu wahr ist es, dass mein Vater, dessen Stuendlein noch immer nicht gekommen, mich auf unerhoerte Weise peinigt und quaelt. Er will, dass ich mich ihm wieder zuwende, und der Froemmigkeit, dem Heil meiner Seele entsage, allein ich bin standhaft geblieben, und glaube nicht, dass er wiederkehren wird, da er gesehen, dass er nicht mehr ueber mich Macht hat. Bleibe ruhig, lieber Sohn Andres! und lass mich bei dir als ein frommer Christ versoehnt mit Gott sterben!" In der Tat schien auch die feindliche Gestalt auszubleiben, indessen war es, als wuerden Trabacchios Augen wieder gluehender, er laechelte zuweilen so seltsam hoehnisch, wie sonst. Waehrend der Betstunde, die Andres jeden Abend mit ihm zu halten pflegte, schien er oft krampfhaft zu erzittern; zuweilen strich eine seltsam pfeifende Zugluft durch das Zimmer, welche die Blaetter der Gebetbuecher raschelnd umschlug, ja die Buecher selbst dem Andres aus den Haenden warf. "Gottloser Trabacchio, verruchter Satan! _Du_ bist es, der hier hoellischen Spuk treibt! Was willst du von mir? hebe dich weg, denn du hast keine Macht ueber mich! - hebe dich weg!" - So rief Andres mit starker Stimme! Da lachte es hoehnisch durch das Zimmer hin, und schlug wie mit schwarzen Fittigen an das Fenster. Und doch war es nur der Regen, der an das Fenster geschlagen, und der Herbstwind, der durch das Zimmer geheult, wie Trabacchio meinte, als das Unwesen wieder einmal recht arg war und Georg vor Angst weinte. "Nein", rief Andres: "Euer gottloser Vater koennte hier nicht so herumspuken, wenn Ihr aller und jeder Gemeinschaft mit ihm entsagt haettet. Ihr muesst fort von mir. Eure Wohnung ist Euch laengst bereitet. Ihr muesst fort ins Schlossgefaengnis; dort moeget Ihr Euern Spuk treiben wie Ihr wollt." Trabacchio weinte heftig, er bat um aller Heiligen willen ihn im Hause zu dulden und Georg, ohne zu begreifen, was das alles wohl bedeute, stimmte in seine Bitten ein. "So bleibt denn noch morgen hier", sagte Andres, "ich will sehen, wie es mit der Betstunde gehen wird, wenn ich heimkomme von der Jagd." Am andern Tage gab es herrliches Herbstwetter, und Andres versprach sich eine reiche Beute. Als er von dem Anstand zurueckkehrte, war es ganz finster geworden. Er fuehlte sich im innersten Gemuet besonders bewegt; seine merkwuerdigen Schicksale, Giorginas Bild, sein ermordeter Knabe traten ihm so lebendig vor Augen, dass er tief in sich gekehrt, immer langsamer und langsamer den Jaegern nachschlenderte, bis er sich endlich unversehends auf einem Nebenwege allein im Forst befand. Im Begriff zurueckzukehren in den breiten Waldweg, wurde er ein blendendes Licht gewahr, welches durch das dickste Gebuesch flackerte. Da ergriff ihn eine wunderbare verworrene Ahnung grosser Greueltat, die veruebt werde; er drang durch das Dickicht, er war dem Feuer nahe, da stand des alten Trabacchio Gestalt im goldverbraemten Mantel, den Stossdegen an der Seite, den niedergekrempten Hut mit roter Feder auf dem Kopfe, das Arzneikistchen unterm Arm. Mit gluehenden Augen blickte die Gestalt in das Feuer, das wie in rot und blau flammenden Schlangen unter einer Retorte hervorloderte. Vor dem Feuer lag Georg nackt ausgebreitet auf einer Art Rost und der verruchte Sohn des satanischen Doktors hatte hoch das funkelnde Messer erhoben zum Todesstoss. Andres schrie auf vor Entsetzen; aber sowie der Moerder sich umblickte, sauste schon die Kugel aus Andres' Buechse und Trabacchio stuerzte mit zerschmettertem Gehirn ueber das Feuer hin, das im Augenblick erlosch. Die Gestalt des Doktors war verschwunden. Andres sprang hinzu, stiess den Leichnam beiseite, band den armen Georg los und trug ihn schnell fort bis ins Haus. Dem Knaben fehlte nichts; nur die Todesangst hatte ihn ohnmaechtig gemacht. Den Andres trieb es heraus in den Wald, er wollte sich von Trabacchios Tode ueberzeugen und den Leichnam gleich verscharren; er weckte daher den alten Jaeger, der in tiefen, wahrscheinlich von Trabacchio bewirkten Schlaf gesunken, und beide gingen mit Laterne, Hacke und Spaten an die nicht weit entlegene Stelle. Da lag der blutige Trabacchio; aber sowie Andres sich naeherte, richtete er sich mit halbem Leibe auf, starrte ihn graesslich an und roechelte dumpf. "Moerder! Moerder des Vaters deines Weibes, aber meine Teufel sollen dich quaelen!" - "Fahre zur Hoelle, du satanischer Boesewicht", schrie Andres, der dem Entsetzen, das ihn uebermannen wollte, widerstand; "fahre hin zur Hoelle, du, der du den Tod hundertfaeltig verdient hast, dem ich den Tod gab, weil er versuchten Mord an meinem Kinde, an dem Kinde seiner Tochter verueben wollte! Du hast nur Busse und Froemmigkeit geheuchelt um schaendlichen Verrats willen, aber nun bereitet der Satan manche Qual deiner Seele, die du ihm verkauft." Da sank Trabacchio heulend zurueck und immer dumpfer und dumpfer wimmernd gab er seinen Geist auf. Nun gruben die beiden Maenner ein tiefes Loch, in das sie Trabacchios Koerper warfen. "Sein Blut komme nicht ueber mich!" sprach Andres, "aber ich konnte nicht anders, ich war dazu ausersehen von Gott, meinen Georg zu retten und hundertfaeltige Frevel zu raechen. Doch will ich fuer seine Seele beten und ein kleines Kreuz auf sein Grab stellen." Als andern Tages Andres dieses Vorhaben ausfahren wollte, fand er die Erde aufgewuehlt, der Leichnam war verschwunden. Ob das nun von wilden Tieren, oder wie sonst bewirkt, blieb in Zweifel. Andres ging mit seinem Knaben und dem alten Jaeger zum Grafen von Vach, und berichtete treulich die ganze Begebenheit. Der Graf von Vach billigte die Tat des Andres, der zur Rettung seines Sohnes einen Raeuber und Moerder niedergestreckt hatte und liess den ganzen Verlauf der Sache niederschreiben und im Archiv des Schlosses aufbewahren. Die schreckliche Begebenheit hatte den Andres tief im Innersten erschuettert, und wohl mochte er sich deshalb, wenn die Nacht eingebrochen, schlaflos auf dem Lager waelzen. Aber wenn er so zwischen Wachen und Traeumen hinbruetete, da hoerte er es im Zimmer knistern und rauschen, und ein roter Schein fuhr hindurch und verschwand wieder. Sowie er anfing zu horchen und zu schauen, da murmelte es dumpf. "Nun bist du Meister - du hast den Schatz - du hast den Schatz - gebeut ueber die Kraft, sie ist dein!" - Dem Andres war es, als wolle ein unbekanntes Gefuehl ganz eigner Wohlbehaglichkeit und Lebenslust in ihm aufgehen; aber sowie die Morgenroete durch die Fenster brach, da ermannte sich Andres und betete, wie er es zu tun gewohnt, kraeftig und inbruenstig zu dem Herrn, der seine Seele erleuchtete. "Ich weiss was nun noch meines Amts und Berufs ist, um den Versucher zu bannen und die Suende abzuwenden von meinem Hause!" - So sprach Andres, nahm Trabacchios Kistchen und warf es, ohne es zu oeffnen, in eine tiefe Bergschlucht. Nun genoss Andres eines ruhigen heitern Alters, das keine feindliche Macht zu zerstoeren vermochte. Die Jesuiterkirche in G. In eine elende Postchaise gepackt, die die Motten, wie die Ratten Prosperos Fahrzeug, aus Instinkt verlassen hatten, hielt ich endlich, nach halsbrechender Fahrt, halbgeraedert, vor dem Wirtshause auf dem Markte in G. Alles Unglueck, das mir selbst begegnen koennen, war auf meinen Wagen gefallen, der zerbrochen bei dem Postmeister der letzten Station lag. Vier magere abgetriebene Pferde schleppten nach mehrern Stunden endlich mit Huelfe mehrerer Bauern und meines Bedienten das baufaellige Reisehaus herbei; die Sachverstaendigen kamen, schuettelten die Koepfe und meinten, dass eine Hauptreparatur noetig sei, die zwei, auch wohl drei Tage dauern koenne. Der Ort schien mir freundlich, die Gegend anmutig und doch erschrak ich nicht wenig ueber den mir gedrohten Aufenthalt. Warst du, guenstiger Leser! jemals genoetigt, in einer kleinen Stadt, wo du niemanden - niemanden kanntest, wo du jedem fremd bliebst, drei Tage zu verweilen, und hat nicht irgend ein tiefer Schmerz den Drang nach gemuetlicher Mitteilung in dir weggezehrt, so wirst du mein Unbehagen mit mir fuehlen. In dem Wort geht ja erst der Geist des Lebens auf in allem um uns her; aber die Kleinstaedter sind wie ein in sich selbst veruebtes, abgeschlossenes Orchester eingespielt und eingesungen, nur ihre eignen Stuecke gehen rein und richtig, jeder Ton des Fremden dissoniert ihren Ohren und bringt sie augenblicklich zum Schweigen. - Recht misslaunig schritt ich in meinem Zimmer auf und ab; da fiel mir ploetzlich ein, dass ein Freund in der Heimat, der ehemals ein paar Jahre hindurch in G. gewesen, oft von einem gelehrten geistreichen Manne sprach, mit dem er damals viel umgegangen. Auch des Namens erinnerte ich mich: es war der Professor im Jesuiter-Kollegio Aloysius Walther. Ich beschloss hinzugehen und meines Freundes Bekanntschaft fuer mich selbst zu nutzen. Man sagte mir im Kollegio, dass Professor Walther zwar eben lese, aber in kurzer Zeit endigen werde, und stellte mir frei, ob ich wiederkommen, oder in den aeusseren Saelen verweilen wolle. Ich waehlte das letzte. Ueberall sind die Kloester, die Kollegien, die Kirchen der Jesuiten in jenem italienischen Stil gebaut, der auf antike Form und Manier gestuetzt, die Anmut und Pracht dem heiligen Ernst, der religioesen Wuerde vorzieht. So waren auch hier die hohen, luftigen, hellen Saele mit reicher Architektur geschmueckt, und sonderbar genug stachen gegen Heiligenbilder, die hie und da an den Waenden zwischen ionischen Saeulen hingen, die Superporten ab, welche durchgehends Genientaenze, oder gar Fruechte und Leckerbissen der Kueche darstellten. - Der Professor trat ein, ich erinnerte ihn an meinen Freund, und nahm auf die Zeit meines gezwungenen Aufenthalts seine Gastlichkeit in Anspruch. Ganz, wie ihn mein Freund beschrieben, fand ich den Professor; hellgespraechig - weltgewandt - kurz, ganz in der Manier des hoeheren Geistlichen, der wissenschaftlich ausgebildet, oft genug ueber das Brevier hinweg in das Leben geschaut hat, um genau zu wissen, wie es darin hergeht. Als ich sein Zimmer auch mit moderner Eleganz eingerichtet fand, kam ich auf meine vorigen Bemerkungen in den Saelen zurueck, die ich gegen den Professor laut werden liess. "Es ist wahr", erwiderte er, "wir haben jenen duestern Ernst, jene sonderbare Majestaet des niederschmetternden Tyrannen, die im gotischen Bau unsere Brust beklemmt, ja wohl ein unheimliches Grauen erregt, aus unseren Gebaeuden verbannt, und es ist wohl verdienstlich, unsern Werken die regsame Heiterkeit der Alten anzueignen." - "Sollte aber", erwiderte ich, "nicht eben jene heilige Wuerde, jene hohe zum Himmel strebende Majestaet des gotischen Baues recht von dem wahren Geist des Christentums erzeugt sein, der, uebersinnlich, dem sinnlichen, nur in dem Kreis des Irdischen bleibenden Geiste der antiken Welt geradezu widerstrebt?" - Der Professor laechelte. "Ei", sprach er, "das hoehere Reich soll man erkennen in dieser Welt und diese Erkenntnis darf geweckt werden durch heitere Symbole, wie sie das Leben, ja der aus jenem Reich ins irdische Leben herabgekommene Geist, darbietet. Unsere Heimat ist wohl dort droben; aber solange wir hier hausen, ist unser Reich auch von dieser Welt." Jawohl, dachte ich: in allem was ihr tatet, bewieset ihr, dass euer Reich von dieser Welt, ja nur allein von dieser Welt ist. Ich sagte aber das, was ich dachte, keinesweges dem Professor Aloysius Walther, welcher also fortfuhr: "Was Sie von der Pracht unserer Gebaeude hier am Orte sagen, moechte sich wohl nur auf die Annehmlichkeit der Form beziehen. Hier, wo der Marmor unerschwinglich ist, wo grosse Meister der Malerkunst nicht arbeiten moegen, hat man sich, der neuern Tendenz gemaess, mit Surrogaten behelfen muessen. Wir tun viel, wenn wir uns zum polierten Gips versteigen, mehrenteils schafft nur der Maler die verschiedenen Marmorarten, wie es eben jetzt in unserer Kirche geschieht, die, Dank sei es der Freigebigkeit unserer Patronen, neu dekoriert wird." Ich aeusserte den Wunsch, die Kirche zu sehen; der Professor fuehrte mich hinab, und als ich in den korinthischen Saeulengang, der das Schiff der Kirche formte, eintrat, fuehlte ich wohl den nur zu freundlichen Eindruck der zierlichen Verhaeltnisse. Dem Hochaltare links war ein hohes Gerueste errichtet, auf dem ein Mann stand, der die Waende in Giallo antik uebermalte. "Nun wie geht es, Berthold?" rief der Professor hinauf Der Maler wandte sich nach uns um, aber gleich fuhr er wieder fort zu arbeiten, indem er mit dumpfer beinahe unvernehmbarer Stimme sprach: "Viel Plage - krummes verworrenes Zeug - kein Lineal zu brauchen - Tiere - Affen - Menschengesichter - Menschengesichter - o ich elender Tor!" Das letzte rief er laut mit einer Stimme, die nur der tiefste im Innersten wuehlende Schmerz erzeugt; ich fuehlte mich auf die seltsamste Weise angeregt, jene Worte und der Ausdruck des Gesichts, der Blick, womit er zuvor den Professor anschaute, brachten mir das ganze zerrissene Leben eines ungluecklichen Kuenstlers vor Augen. Der Mann mochte kaum ueber vierzig Jahre alt sein; seine Gestalt, war sie auch durch den unfoermlichen schmutzigen Maleranzug entstellt, hatte was unbeschreiblich Edles, und der tiefe Gram konnte nur das Gesicht entfaerben, das Feuer, was in den schwarzen Augen strahlte, aber nicht ausloeschen. Ich frug den Professor, was es mit dem Maler wohl fuer eine Bewandtnis haette. "Es ist ein fremder Kuenstler", erwiderte er, "der sich gerade zu der Zeit hier einfand, als die Reparatur der Kirche beschlossen worden. Er unternahm die Arbeit, die wir ihm antrugen, mit Freuden, und in der Tat war seine Ankunft ein Gluecksfall fuer uns; denn weder hier, noch in der Gegend weit umher haetten wir einen Maler auftreiben koennen, der fuer alles, dessen es hier zu malen bedarf, so tuechtig gewesen waere. Uebrigens ist es der gutmuetigste Mensch von der Welt, den wir alle recht lieben, und so kommt es denn, dass er in unserm Kollegio gut aufgenommen wurde. Ausser dem ansehnlichen Honorar, das er fuer seine Arbeit erhaelt, verkoestigen wir ihn; dies ist aber fuer uns ein sehr geringer Aufwand, denn er ist beinahe zu maessig, welches freilich seinem kraenklichen Koerper zusagen mag." "Aber", fiel ich ein, "er schien heute so muerrisch - so aufgeregt." - "Das hat seine besondere Ursache", erwiderte der Professor, "doch lassen Sie uns einige schoene Gemaelde der Seiten-Altaere anschauen, die vor einiger Zeit ein gluecklicher Zufall uns verschaffte. Nur ein einziges Original, ein Dominichino, ist dabei, die anderen sind von unbekannten Meistern der italienischen Schule, aber, sind Sie vorurteilsfrei, so werden Sie gestehen muessen, dass jedes den beruehmtesten Namen tragen duerfte." Ich fand es ganz so, wie der Professor gesagt hatte. Es war seltsam, dass das einzige Original gerade zu den schwaechern Stuecken gehoerte, war es nicht wirklich das schwaechste, und dass dagegen die Schoenheit mancher Gemaelde ohne Namen mich unwiderstehlich hinriss. Ueber das Gemaelde eines Altars war eine Decke herabgelassen; ich frug nach der Ursache. "Dies Bild", sprach der Professor, "ist das schoenste was wir besitzen, es ist das Werk eines jungen Kuenstlers der neueren Zeit - gewiss sein letztes, denn sein Flug ist gehemmt. - Wir mussten in diesen Tagen das Gemaelde aus gewissen Gruenden verhaengen lassen, doch bin ich vielleicht morgen, oder uebermorgen imstande, es Ihnen zu zeigen." - Ich wollte weiter fragen, indessen schritt der Professor rasch durch den Gang fort, und das war genug, um seine Unlust zu zeigen, mir weiter zu antworten. Wir gingen in das Kollegium zurueck, und gern nahm ich des Professors Einladung an, der mit mir nachmittags einen nahgelegenen Lustort besuchen wollte. Spaet kehrten wir heim, ein Gewitter war aufgestiegen, und kaum langte ich in meiner Wohnung an, als der Regen herabstroemte. Es mochte wohl schon Mitternacht sein, da klaerte sich der Himmel auf, und nur noch entfernt murmelte der Donner. Durch die geoeffneten Fenster wehte die laue, mit Wohlgeruechen geschwaengerte, Luft in das dumpfe Zimmer, ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, unerachtet ich muede genug war, noch einen Gang zu machen; es glueckte mir, den muerrischen Hausknecht, der schon seit zwei Stunden schnarchen mochte, zu erwecken, und ihn zu bedeuten, dass es kein Wahnsinn sei, noch um Mitternacht spazieren zu gehen, bald befand ich mich auf der Strasse. Als ich bei der Jesuiterkirche vorueberging, fiel mir das blendende Licht auf, das durch ein Fenster strahlte. Die kleine Seitenpforte war nur angelehnt, ich trat hinein und wurde gewahr, dass vor einer hohen Blende eine Wachsfackel brannte. Naeher gekommen bemerkte ich, dass vor der Blende ein Netz von Bindfaden ausgespannt war, hinter dem eine dunkle Gestalt eine Leiter hinauf und hinunter sprang, und in die Blende etwas hineinzuzeichnen schien. Es war Berthold, der den Schatten des Netzes mit schwarzer Farbe genau ueberzog. Neben der Leiter auf einer hohen Staffelei stand die Zeichnung eines Altars. Ich erstaunte ueber den sinnreichen Einfall. Bist du, guenstiger Leser, mit der edlen Malerkunst was weniges vertraut, so wirst du ohne weitere Erklaerung sogleich wissen, was es mit dem Netz, dessen Schattenstriche Berthold in die Blende hineinzeichnete, fuer eine Bewandtnis hat. Berthold sollte in die Blende einen hervorspringenden Altar malen. Um die kleine Zeichnung richtig in das Grosse zu uebertragen, musste er beides, den Entwurf und die Flaeche, worauf der Entwurf ausgefuehrt werden sollte, dem gewoehnlichen Verfahren gemaess mit einem Netz ueberziehn. Nun war es aber keine Flaeche, sondern eine halbrunde Blende, worauf gemalt werden sollte; die Gleichung der Quadrate, die die krummen Linien des Netzes auf der Hoehlung bildeten, mit den geraden des Entwurfs und die Berichtigung der architektonischen Verhaeltnisse, die sich herausspringend darstellen sollten, war daher nicht anders zu finden, als auf jene einfache geniale Weise. Wohl huetete ich mich vor die Fackel zu treten und mich so durch meinen Schlagschatten zu verraten, aber nahe genug zur Seite stand ich, um den Maler genau zu beobachten. Er schien mir ganz ein anderer, vielleicht war es nur Wirkung des Fackelscheins, aber sein Gesicht war geroetet, seine Augen blitzten wie vor innerm Wohlbehagen, und als er seine Linien fertig gezeichnet, stellte er sich mit in die Seite gestemmten Haenden vor die Blende hin, und pfiff, die Arbeit beschauend, ein muntres Liedchen. Nun wandte er sich um und riss das ausgespannte Netz herunter. Da fiel ihm meine Gestalt ins Auge, "he da! he da!" rief er laut: "seid Ihr es Christian?" - Ich trat auf ihn zu, erklaerte ihm was mich in die Kirche gelockt, und, den sinnreichen Einfall mit dem Schattennetz hochpreisend, gab ich mich als Kenner und Ausueber der edlen Malerkunst zu erkennen. Ohne mir darauf weiter zu antworten, sprach Berthold: "Christian ist auch weiter nichts, als ein Faulenzer; treu wollte er aushalten bei mir die ganze Nacht hindurch, und nun liegt er gewiss irgendwo auf dem Ohr! - Mein Werk muss vorruecken, denn morgen malt sich's vielleicht hier in der Blende teufelmaessig schlecht - und allein kann ich doch jetzt nichts machen." Ich erbot mich ihm behilflich zu sein. Er lachte laut auf, fasste mich bei beiden Schultern und rief.- "Das ist ein exzellenter Spass; was wird Christian sagen, wenn er morgen merkt, dass er ein Esel ist, und ich seiner gar nicht bedurft habe? Nun so kommt, fremder Geselle und Bruder, helft mir erst fein bauen." Er zuendete einige Kerzen an, wir liefen durch die Kirche, schleppten Boecke und Bretter herbei und bald stand ein hohes Geruest in der Blende. "Nun frisch zugereicht", rief Berthold, indem er heraufstieg. Ich erstaunte ueber die Schnelligkeit, mit der Berthold die Zeichnung ins Grosse uebertrug; keck zog er seine Linien, niemals gefehlt, immer richtig und rein. An dergleichen Dinge, in frueherer Zeit gewoehnt, half ich dem Maler treulich, indem ich, bald oben, bald unter ihm stehend, die langen Lineale in die angedeuteten Punkte einsetzte und festhielt, die Kohlen spitz schliff und ihm zureichte usw. "Ihr seid ja gar ein wackerer Gehuelfe", rief Berthold ganz froehlich, "und Ihr", erwiderte ich, "in der Tat einer der geuebtesten Architektur-Maler, die es geben mag; habt Ihr denn bei Eurer fertigen kecken Faust nie andere Malerei getrieben als diese? - Verzeiht meine Frage." - "Was meint ihr denn eigentlich?" sprach Berthold, "Nun", erwiderte ich, "ich meine, dass Ihr zu etwas Besserem taugt, als Kirchenwaende mit Marmorsaeulen zu bemalen. Architektur-Malerei bleibt doch immer etwas Untergeordnetes; der Historien-Maler, der Landschafter steht unbedingt hoeher. Geist und Fantasie, nicht in die engen Schranken geometrischer Linien gebannt, erheben sich in freiem Fluge. Selbst das einzige Fantastische Eurer Malerei, die sinnetaeuschende Perspektive, haengt von genauer Berechnung ab, und so ist die Wirkung das Erzeugnis, nicht des genialen Gedankens, sondern nur mathematischer Spekulation." Der Maler hatte, waehrend ich dies sprach, den Pinsel abgesetzt und den Kopf in die Hand gestuetzt. "Unbekannter Freund", fing er jetzt mit dumpfer feierlicher Stimme an: "Unbekannter Freund, du frevelst, wenn du die verschiedenen Zweige der Kunst in Rangordnung stellen willst, wie die Vasallen eines stolzen Koenigs. Und noch groesserer Frevel ist es, wenn du nur die Verwegenen achtest, welche taub fuer das Klirren der Sklavenkette, fuehllos fuer den Druck des Irdischen, sich frei, ja selbst sich Gott waehnen und schaffen und herrschen wollen ueber Licht und Leben. - Kennst du die Fabel von dem Prometheus, der Schoepfer sein wollte, und das Feuer vom Himmel stahl, um seine toten Figuren zu beleben? - Es gelang ihm, lebendig schritten die Gestalten daher, und aus ihren Augen strahlte jenes himmlische Feuer, das in ihrem Innern brannte; aber rettungslos wurde der Frevler, der sich angemasst Goettliches zu fahen, verdammt zu ewiger fuerchterlicher Qual. Die Brust, die das Goettliche geahnt, in der die Sehnsucht nach dem Ueberirdischen aufgegangen, zerfleischte der Geier, den die Rache geboren und der sich nun naehrte von dem eignen Innern des Vermessenen. Der das Himmlische gewollt, fuehlte ewig den irdischen Schmerz." - Der Maler stand in sich versunken da. "Aber", rief ich: "Aber Berthold, wie beziehen Sie das alles auf Ihre Kunst? Ich glaube nicht, dass irgend jemand es fuer vermessenen Frevel halten kann, Menschen zu bilden, sei es durch Malerei, oder Plastik." Wie in bitterm Hohn lachte Berthold auf. "Ha ha - Kinderspiel ist kein Frevel! - Kinderspiel ist's wie sie's machen, die Leute, die getrost ihre Pinsel in die Farbentoepfe stecken und eine Leinwand beschmieren, mit der wahrhaftigen Begier, Menschen darzustellen; aber es kommt so heraus, als habe, wie es in jenem Trauerspiele steht, irgend ein Handlanger der Natur versucht Menschen zu bilden, und es sei ihm misslungen. - Das sind keine freveliche Suender, das sind nur arme unschuldige Narren! Aber Herr! - wenn man nach dem Hoechsten strebt - nicht Fleischeslust, wie Tizian - nein das Hoechste der goettlichen Natur, der Prometheusfunken im Menschen - Herr! - es ist eine Klippe - ein schmaler Strich, auf dem man steht - der Abgrund ist offen! - ueber ihm schwebt der kuehne Segler und ein teuflischer Trug laesst ihn unten - unten _das_ erblicken, was er oben ueber den Sternen erschauen wollte!" - Tief seufzte der Maler auf, er fuhr mit der Hand ueber die Stirn, und blickte dann in die Hoehe. "Aber was schwatze ich mit Euch, Geselle, da drunten fuer tolles Zeug, und male nicht weiter? - Schaut her Geselle, das nenne ich treu und ehrlich gezeichnet. Wie herrlich ist die Regel! - alle Linien einen sich zum bestimmten Zweck, zu bestimmter deutlich gedachter Wirkung. Nur das Gemessene ist rein menschlich; was drueber geht, vom Uebel. Das Uebermenschliche muss Gott, oder Teufel sein; sollten beide nicht in der Mathematik von Menschen uebertroffen werden? Sollt es nicht denkbar sein, dass Gott uns ausdruecklich erschaffen haette, um das, was nach gemessenen erkennbaren Regeln darzustellen ist, kurz, das rein Kommensurable, zu besorgen fuer seinen Hausbedarf, so wie wir unsrerseits wieder Saegemuehlen und Spinnmaschinen bauen, als mechanische Werkmeister unseres Bedarfs. Professor Walther behauptete neulich, dass gewisse Tiere bloss erschaffen waeren, um von andern gefressen zu werden, und das kaeme doch am Ende zu unserm Nutzen heraus, so wie z.B. die Katzen den angebornen Instinkt haetten, Maeuse zu fressen, damit diese uns nicht den Zucker, der zum Fruehstueck bereit laege, wegknappern sollten. Am Ende hat der Professor recht - Tiere und wir selbst sind gut eingerichtete Maschinen, um gewisse Stoffe zu verarbeiten, und zu verknoten fuer den Tisch des unbekannten Koenigs. - Nun frisch - frisch, Geselle - reiche mir die Toepfe! - Alle Toene hab ich gestern beim lieben Sonnenlicht abgestimmt, damit mich der Fackelschein nicht truege, sie stehn numeriert im Winkel. Reich mir Numero eins, mein Junge! - Grau in Grau! - Und was waere das trockne muehselige Leben, wenn der Herr des Himmels uns nicht so manches bunte Spielzeug in die Haende gegeben haette! - Wer artig ist, trachtet nicht, wie der neugierige Bube, den Kasten zu zerbrechen, in dem es orgelt, wenn er die aeussere Schraube dreht. - Man sagt, es ist ganz natuerlich, dass es drinnen klingt; denn ich drehe ja die Schraube! - Indem ich dies Gebaelk richtig aus dem Augenpunkt aufgezeichnet, weiss ich bestimmt, dass es sich dem Beschauer plastisch darstellt - Numero zwei heraufgereicht, Junge! - Nun male ich es aus in den regelrecht abgestimmten Farben - es erscheint vier Ellen zuruecktretend. Das weiss ich alles gewiss; oh! man ist erstaunlich klug - wie kommt es, dass die Gegenstaende in der Ferne sich verkleinern? Die einzige dumme Frage eines Chinesen koennte selbst den Professor Eytelwein in Verlegenheit setzen; doch koennte er sich mit dem orgelnden Kasten helfen und sprechen, er habe manchmal an der Schraube gedreht, und immer dieselbe Wirkung erfahren - Violett Numero eins, Junge! - ein anderes Lineal - dicken ausgewaschenen Pinsel! Ach, was ist all unser Ringen und Streben nach dem Hoeheren anders, als das unbeholfene bewusstlose Hantieren des Saeuglings, der die Amme verletzt, die ihn wohltaetig naehrt! - Violett Numero zwei - frisch Junge! - das Ideal ist ein schnoeder luegnerischer Traum vom gaerenden Blute erzeugt. - Die Toepfe weg, Junge - ich steige herab. - Der Teufel narrt uns mit Puppen, denen er Engelsfittige angeleimt." - Nicht moeglich ist es mir, alles das woertlich zu wiederholen, was Berthold sprach, indem er rasch fortmalte, und mich ganz wie seinen Handlanger brauchte. In der angegebenen Manier fuhr er fort, die Beschraenktheit alles irdischen Beginnens auf das bitterste zu verhoehnen; ach er schaute in die Tiefe eines auf den Tod verwundeten Gemuets, dessen Klage sich nur in schneidender Ironie erhebt. Der Morgen daemmerte, der Schein der Fackel verblasste vor den hereinbrechenden Sonnenstrahlen. Berthold malte eifrig fort, aber er wurde stiller und stiller und nur einzelne Laute - zuletzt nur Seufzer, entflohen der gepressten Brust. Er hatte den ganzen Altar mit gehoeriger Farbenabstufung angelegt, und schon jetzt, ohne weiter ausgefuehrt zu sein, sprang das Gemaelde wunderbar hervor. "In der Tat herrlich - ganz herrlich", rief ich voll Bewunderung aus. "Meinen Sie", sprach Berthold mit matter Stimme: "Meinen Sie, dass etwas daraus werden wird? - Ich gab mir wenigstens alle Muehe richtig zu zeichnen; aber nun kann ich nicht mehr." - "Keinen Pinselstrich weiter, lieber Berthold!" sprach ich: "es ist beinahe unglaublich, wie Sie mit einem solchen Werk in wenigen Stunden so weit vorruecken konnten; aber Sie greifen sich zu sehr an, und verschwenden Ihre Kraft." - "Und doch", erwiderte Berthold, "sind das meine gluecklichsten Stunden. - Vielleicht schwatzte ich zu viel, aber es sind ja nur Worte, in die sich der das Innere zerreissende Schmerz aufloest." - "Sie scheinen sich sehr ungluecklich zu fuehlen, mein armer Freund", sprach ich: "irgend ein furchtbares Ereignis trat feindlich zerstoerend in Ihr Leben!" - Der Maler trug langsam seine Geraetschaften in die Kapelle, loeschte die Fackel aus, kam dann auf mich zu, fasste meine Hand und sprach mit gebrochener Stimme: "Koennten Sie einen Augenblick Ihres Lebens ruhigen, heitern Geistes sein, wenn Sie sich eines graesslichen, nie zu suehnenden Verbrechens bewusst waeren?" - Erstarrt blieb ich stehen. Die hellen Sonnenstrahlen fielen in des Malers leichenblasses zerstoertes Gesicht, und er war beinahe gespenstisch anzusehen, als er fortwankte durch die kleine Pforte in das Innere des Kollegiums. Kaum erwarten konnte ich am folgenden Tage die Stunde, die mir Professor Walther zum Wiedersehen bestimmt hatte. Ich erzaehlte ihm den ganzen Auftritt der vorigen Nacht, der mich nicht wenig aufgeregt hatte; ich schilderte mit den lebendigsten Farben des Malers wunderliches Benehmen, und verschwieg kein Wort, das er gesprochen, selbst das nicht, was ihn selbst betroffen. Je mehr ich aber auf des Professors Teilnahme hoffte, desto gleichgueltiger schien er mir, ja er laechelte selbst ueber mich auf eine hoechst widrige Weise, als ich nicht nachliess, von Berthold zu reden und in ihn zu dringen, mir ja alles, was er von dem Ungluecklichen wuesste, zu sagen. "Es ist ein wunderlicher Mensch, dieser Maler", fing der Professor an: "sanft - gutmuetig - arbeitsam - nuechtern, wie ich Ihnen schon frueher sagte, aber schwachen Verstandes; denn sonst haette er sich nicht durch irgend ein Ereignis im Leben, sei es selbst ein Verbrechen, das er beging, herabstimmen lassen vom herrlichen Historienmaler zum duerftigen Wandpinsler. " Der Ausdruck Wandpinsler aergerte mich so wie des Professors Gleichgueltigkeit ueberhaupt. Ich suchte ihm darzutun, dass noch jetzt Berthold ein hoechst achtungswerten Kuenstler, und der hoechsten regsamen Teilnahme wert sei. "Nun", fing der Professor endlich an: "wenn Sie einmal unser Berthold in solch hohem Grade interessiert, so sollen Sie alles, was ich von ihm weiss, und das ist nicht wenig, ganz genau erfahren. Zur Einleitung dessen, lassen Sie uns gleich in die Kirche gehen! Da Berthold die ganze Nacht hindurch mit Anstrengung gearbeitet hat, wird er heute vormittags rasten. Wenn wir ihn in der Kirche faenden, waere mein Zweck verfehlt." Wir gingen nach der Kirche, der Professor liess das Tuch von dem verhaengten Gemaelde herunternehmen und in zauberischem Glanze ging vor mir ein Gemaelde auf, wie ich es nie gesehen. Die Komposition war wie Raffaels Stil, einfach und himmlisch erhaben! - Maria und Elisabeth in einem schoenen Garten auf einem Rasen sitzend, vor ihnen die Kinder Johannes und Christus mit Blumen spielend, im Hintergrunde seitwaerts eine betende maennliche Figur! - Marias holdes himmlisches Gesicht, die Hoheit und Froemmigkeit ihrer ganzen Figur erfuellten mich mit Staunen und tiefer Bewunderung. Sie war schoen, schoener als je ein Weib auf Erden, aber so wie Raffaels Maria in der Dresdner Galerie verkuendete ihr Blick die hoehere Macht der Gottes-Mutter. Ach! musste vor diesen wunderbaren, von tiefem Schatten umflossenen Augen nicht in des Menschen Brust die ewigduerstende Sehnsucht aufgehen? Sprachen die weichen halbgeoeffneten Lippen nicht troestend, wie in holden Engels-Melodien, von der unendlichen Seligkeit des Himmels? - Nieder mich zu werfen in den Staub vor ihr, der Himmels-Koenigin, trieb mich ein unbeschreibliches Gefuehl - keines Wortes maechtig konnte ich den Blick nicht abwenden von dem Bilde ohnegleichen. Nur Maria und die Kinder waren ganz ausgefuehrt, an der Figur Elisabeths schien die letzte Hand zu fehlen, und der betende Mann war noch nicht uebermalt. Naeher getreten erkannte ich in dem Gesicht dieses Mannes Bertholds Zuege. Ich ahnte, was mir der Professor gleich darauf sagte: "Dieses Bild", sprach er, "ist Bertholds letzte Arbeit, das wir vor mehreren Jahren aus N. in Oberschlesien, wo es von einem unserer Kollegen in einer Versteigerung gekauft wurde, erhielten. Unerachtet es nicht vollendet ist, liessen wir es doch statt des elenden Altarblatts, das sonst hier stand, einfuegen. Als Berthold angekommen war und dies Gemaelde erblickte, schrie er laut auf und stuerzte bewusstlos zu Boden. Nachher vermied er sorgfaeltig, es anzublicken und vertraute mir, dass es seine letzte Arbeit in diesem Fache sei. Ich hoffte ihn nach und nach zur Vollendung des Bildes zu ueberreden, aber mit Entsetzen und Abscheu wies er jeden Antrag der Art zurueck. Um ihn nur einigermassen heiter und kraeftig zu erhalten, musste ich das Bild verhaengen lassen, solange er in der Kirche arbeitet. Fiel es ihm nur von ungefaehr ins Auge, so lief er wie von unwiderstehlicher Macht getrieben hin, warf sich laut schluchzend nieder, bekam seinen Paroxysmus, und war auf mehrere Tage unbrauchbar." - "Armer - armer ungluecklicher Mann!" rief ich aus, "welch eine Teufelsfaust griff so grimmig zerstoerend in dein Leben."-"Oh!" sprach der Professor: "die Hand samt dem Arm ist ihm an den Leib gewachsen - ja ja! - er selbst war gewiss sein eigner Daemon - sein Luzifer, der in sein Leben mit der Hoellenfackel hineinleuchtete. Wenigstens geht das aus seinem Leben sehr deutlich hervor." Ich bat den Professor, mir doch nur jetzt gleich alles zu sagen, was er ueber des ungluecklichen Malers Leben wuesste. "Das wuerde viel zu weitlaeufig sein, und viel zu viel Atem kosten", erwiderte der Professor. "Verderben wir uns den heitern Tag nicht mit dem trueben Zeuge! Lassen Sie uns fruehstuecken, und dann nach der Muehle gehen, wo uns ein tuechtig zubereitetes Mittagsmahl erwartet." Ich hoerte nicht auf, in den Professor zu dringen, und nach vielem Hin- und Herreden kam es endlich heraus, dass gleich nach der Ankunft Bertholds sich ein Juengling, der auf dem Kollegio studierte, mit voller Liebe an ihn anschloss, dass diesem Berthold nach und nach die Begebenheiten seines Lebens vertraute, die der junge Mann sorglich aufschrieb und dem Professor Walther das Manuskript uebergab. "Es war", sprach der Professor: "solch ein Enthusiast, wie Sie, mein Herr, mit Ihrer Erlaubnis! Aber das Aufschreiben der wunderlichen Begebenheiten des Malers diente ihm in der Tat zur trefflichen Stiluebung." Mit vieler Muehe erhielt ich von dem Professor das Versprechen, dass er mir abends nach geendeter Lustpartie das Manuskript anvertrauen wolle. Sei es, dass es die gespannte Neugierde war, oder war der Professor wirklich selbst daran schuld, kurz, niemals hab ich mehr Langeweile empfunden, als _den_ Tag. Schon die Eiskaelte des Professors ruecksichts Bertholds war mir fatal; aber seine Gespraeche, die er mit den Kollegen, die an dem Mahl teilnahmen, fuehrte, ueberzeugten mich, dass, trotz aller Gelehrsamkeit, aller Weltgewandtheit, sein Sinn fuers Hoehere gaenzlich verschlossen, und er der krasseste Materialist war, den es geben konnte. Das System von dem Fressen und Gefressenwerden, wie es Berthold anfuehrte, hatte er wirklich adoptiert. Alles geistige Streben, Erfindungs-, Schoepfungskraft leitete er aus gewissen Konjunkturen der Eingeweide und des Magens her, und dabei kramte er noch mehr naerrische abnorme Einfaelle aus. Er behauptete z.B. sehr ernsthaft, dass jeder Gedanke durch die Begattung zweier Faeserchen im menschlichen Gehirne erzeugt wuerde. Ich begriff, auf welche Weise der Professor mit solchen tollen Dingen den armen Berthold, der in verzweifelter Ironie alle guenstige Einwirkung des Hoeheren anfocht, quaelen, und in die noch blutenden Wunden spitze Dolche einsetzen musste. Endlich am Abend gab mir der Professor ein paar beschriebene Bogen mit den Worten: "Hier, lieber Enthusiast, ist das Studenten-Machwerk. Es ist nicht uebel geschrieben, aber hoechst sonderbar und wider alle Regel rueckt der Herr Verfasser, ohne es weiter anzudeuten, Reden des Malers woertlich in der ersten Person ein. Uebrigens mache ich Ihnen mit dem Aufsatz, ueber den ich von Amtswegen verfuegen kann, ein Geschenk, da ich weiss, dass Sie kein Schriftsteller sind. Der Verfasser der Fantasiestuecke in Callots Manier haette es eben nach seiner tollen Manier arg zugeschnitten und gleich drucken lassen, welches ich nicht von Ihnen zu erwarten habe." Der Professor Aloysius Walther wusste nicht, dass er wirklich den reisenden Enthusiasten vor sich hatte, wiewohl er es haette merken koennen, und so gebe ich dir, mein guenstiger Leser! des Jesuiten-Studenten kurze Erzaehlung von dem Maler Berthold. Die Weise, wie er sich mir zeigte, wird dadurch ganz erklaert, und du, o mein Leser! wirst dann auch gewahren, wie des Schicksals wunderliches Spiel uns oft zu verderblichem Irrtum treibt. "Lasst euern Sohn nur getrost nach Italien reisen! Schon jetzt ist er ein wackrer Kuenstler, und es fehlt ihm hier in D. keinesweges an Gelegenheit, nach den trefflichsten Originalen jeder Art zu studieren, aber dennoch darf er nicht hier bleiben. Das freie Kuenstlerleben muss ihm in dem heitern Kunstlande aufgehen, sein Studium wird dort sich erst lebendig gestalten, und den eignen Gedanken erzeugen. Das Kopieren allein hilft ihm nun nichts mehr. Mehr Sonne muss die aufspriessende Pflanze erhalten, um zu gedeihen und Bluet und Frucht zu tragen. Euer Sohn hat ein reines wahrhaftiges Kuenstlergemuet, darum seid um alles uebrige unbesorgt!" So sprach der alte Maler Stephan Birkner zu Bertholds Eltern. _Die_ rafften alles zusammen was ihr duerftiger Haushalt entbehren konnte, und statteten den Juengling aus zur langen Reise. So ward Bertholds heissester Wunsch, nach Italien zu gehen, erfuellt. "Als mir Birkner den Entschluss meiner Eltern verkuendete, sprang ich hoch auf vor Freude und Entzuecken. - Wie im Traum ging ich umher die Tage hindurch, bis zu meiner Abreise. Es war mir nicht moeglich, auf der Galerie einen Pinsel anzusetzen. Der Inspektor, alle Kuenstler, die in Italien gewesen, mussten mir erzaehlen von dem Lande, wo die Kunst gedeiht. Endlich war Tag und Stunde gekommen. Schmerzlich war der Abschied von den Eltern, die von duestrer Ahnung gequaelt, dass sie mich nicht wiedersehen wuerden, mich nicht lassen wollten. Selbst der Vater, sonst ein entschlossener fester Mann, hatte Muehe, Fassung zu erringen. 'Italien - Italien wirst du sehen', riefen die Kunstbrueder, da loderte von tiefer Wehmut nur staerker entzuendet das Verlangen auf und rasch schritt ich fort - vor der Eltern Hause schien mir die Bahn des Kuenstlers zu beginnen." Berthold, in jedem Fache der Malerei vorbereitet, hatte sich doch vorzueglich der Landschaftsmalerei ergeben, die er mit Liebe und Eifer trieb. In Rom glaubte er reiche Nahrung fuer diesen Zweig der Kunst zu finden; es war dem nicht so. Gerade in dem Kreis der Kuenstler und Kunstfreunde, in dem er sich bewegte, wurde ihm unaufhoerlich vorgeredet, dass der Historienmaler allein auf der hoechsten Spitze stehe, und ihm alles uebrige untergeordnet sei. Man riet ihm, wolle er ein bedeutender Kuenstler werden, doch nur gleich von seinem Fach abzugehen und sich dem Hoeheren zuzuwenden, und, dies, verbunden mit dem nie sonst gefehlten Eindruck, den Raffaels maechtige Fresko-Gemaelde im Vatikan auf ihn machten, bestimmte ihn wirklich, die Landschaft zu verlassen. Er zeichnete nach jenen Raffaels, er kopierte kleine Oelgemaelde anderer beruehmter Meister; alles fiel bei seiner tuechtigen Praktik recht wohl und schicklich aus, aber nur zu sehr fuehlte er, dass das Lob der Kuenstler und Kenner ihn nur troesten, aufmuntern sollte. Er sah es ja selbst, dass seinen Zeichnungen, seinen Kopien alles Leben des Originals fehle. Raffaels, Correggios himmlische Gedanken begeisterten (so glaubte er) zum eignen Schaffen, aber sowie er sie in der Fantasie festhalten wollte, verschwammen sie wie im Nebel, und alles, was er auswendig zeichnete, hatte, wie jedes nur undeutlich, verworren Gedachte, kein Regen, keine Bedeutung. Ueber dieses vergebliche Ringen und Streben schlich trueber Unmut in seine Seele, und oft entrann er den Freunden, um in der Gegend von Rom Baumgruppen - einzelne landschaftliche Partien heimlich zu zeichnen und zu malen. Aber auch dies geriet nicht mehr wie sonst, und zum erstenmal zweifelte er an seinem wahren Kuenstlerberuf. Die schoensten Hoffnungen schienen untergehn zu wollen. "Ach mein hochverehrter Freund und Lehrer", schrieb Berthold an Birkner, "Du hast mir Grosses zugetraut, aber - hier, wo es erst recht licht werden sollte in meiner Seele, bin ich inne worden, dass das, was Du wahrhaftes Kuenstlergenie nanntest, nur etwa Talent - aeussere Fertigkeit der Hand war. Sage meinen Eltern, dass ich bald zurueckkehren wuerde, um irgend ein Handwerk zu erlernen, das mich kuenftig ernaehre usw." Birkner schrieb zurueck: "Oh, koennte ich doch bei Dir sein, mein Sohn! um Dich aufzurichten in Deinem Unmut. Aber glaube mir, Deine Zweifel sind es gerade, die fuer Dich, fuer Deinen Kuenstlerberuf sprechen. Der, welcher in stetem unwandelbaren Vertrauen auf seine Kraft immer fortzuschreiten gedenkt, ist ein bloeder Tor, der sich selbst taeuscht; denn ihm fehlt ja der eigentliche Impuls zum Streben, der nur in dem Gedanken der Mangelhaftigkeit ruht. Harre aus! - Bald wirst Du Dich erkraeftigen, und dann ruhig, nicht durch das Urteil, durch den Rat der Freunde, die Dich zu verstehen vielleicht gar nicht imstande, gezuegelt, _den_ Weg fortwandeln, den Dir Deines Ichs eigne Natur vorgeschrieben. Ob Du Landschafter bleiben, ob Du Historienmaler werden willst, wirst Du dann selbst entscheiden koennen, und an keine feindliche Absonderung der Zweige eines Stammes denken." Es begab sich, dass gerade zu der Zeit, als Berthold diesen troestenden Brief von seinem alten Lehrer und Freunde erhielt, sich Philipp Hackerts Ruhm in Rom verbreitet hatte. Einige von ihm dort aufgestellte Stuecke von wunderbarer Anmut und Klarheit bewaehrten des Kuenstlers Ruf und selbst die Historienmaler gestanden, es laege auch in dieser reinen Nachahmung der Natur viel Grosses und Vortreffliches. Berthold schoepfte Atem - er hoerte nicht mehr seine Lieblingskunst verhoehnen, er sah einen Mann, der sie trieb, hochgestellt und verehrt; wie ein Funke fiel es in seine Seele, dass er nach Neapel wandern und unter Hackert studieren muesse. Ganz jubilierend schrieb er an Birkner und an seine Eltern, dass er nun nach hartem Kampf den rechten Weg gefunden habe, und bald in seinem Fach ein tuechtiger Kuenstler zu werden hoffe. Freundlich nahm der ehrliche deutsche Hackert den deutschen Schueler auf, und bald strebte dieser dem Lehrer in regem Schwunge nach. Berthold erlangte grosse Fertigkeit, die verschiedenen Baum- und Gestraeucharten der Natur getreu darzustellen; auch leistete er nicht Geringes in dem Dunstigen und Duftigen, wie es auf Hackertschen Gemaelden zu finden. Das erwarb ihm vieles Lob, aber auf ganz eigene Weise schien es ihm bisweilen, als wenn seinen, ja selbst den Landschaften des Lehrers etwas fehle, das er nicht zu nennen wusste, und das ihm doch in Gemaelden Claude Lorrains, ja selbst in Salvator Rosas rauhen Wuesteneien entgegentrat. Es erhoben sich allerlei Zweifel gegen den Lehrer in ihm, und er wurde vorzueglich ganz unmutig, wenn Hackert mit angestrengter Muehe totes Wild malte, das ihm der Koenig zugeschickt. Doch ueberwand er bald dergleichen, wie er glaubte, freveliche Gedanken und fuhrt fort, mit frommer Hingebung und deutschem Fleiss nach seines Lehrers Muster zu arbeiten, so dass er in kurzer Zeit es ihm beinahe gleichtat. So kam es denn, dass er auf Hackerts ausdruecklichen Anlass eine grosse Landschaft, die er treu nach der Natur gemalt hatte, zu einer Ausstellung, die mehrenteils aus Hackertschen Landschaften und Stilleben bestand, hergeben musste. Alle Kuenstler und Kenner bewunderten des Juenglings treue saubre Arbeit und priesen ihn laut. Nur ein aeltlicher, sonderbar gekleideter Mann sagte selbst zu Hackerts Gemaelden kein Wort, sondern laechelte nur bedeutsam, wenn die Lobeserhebungen der Menge recht ausgelassen und toll daherbrausten. Berthold bemerkte deutlich, wie der Fremde, als er vor seiner Landschaft stand, mit einer Miene des tiefsten Bedauerns den Kopf schuettelte und dann sich entfernen wollte. Berthold etwas aufgeblaeht durch das allgemeine Lob, das ihm zuteil geworden, konnte sich des innern Aergers ueber den Fremden nicht erwehren. Er trat auf ihn zu und frug, indem er die Worte schaerfer betonte, als gerade noetig. "Ihr scheint mit dem Bilde nicht zufrieden, mein Herr, unerachtet es doch wackre Kuenstler und Kenner nicht ganz uebel finden wollen? Sagt mir gefaelligst, woran es liegt, damit ich die Fehler nach Euerm guetigen Rat abaendere und bessere." Mit scharfem Blicke schaute der Fremde Berthold an, und sprach sehr ernst: "Juengling, aus dir haette viel werden koennen." Berthold erschrak bis ins Innerste vor des Mannes Blick und seinen Worten; er hatte nicht den Mut, etwas weiter zu sagen, oder ihm zu folgen, als er langsam zum Saale hinausschritt. Hackert trat bald darauf selbst hinein, und Berthold eilte, ihm den Vorfall mit dem wunderlichen Mann zu erzaehlen. "Ach!" rief Hackert lachend: "Lass dir das ja nicht zu Herzen gehen! Das war ja unser brummige Alte, dem nichts recht ist, der alles tadelt; ich begegnete ihm auf dem Vorsaal. Er ist auf Malta von griechischen Eltern geboren, ein reicher wunderlicher Kauz, gar kein uebler Maler; aber alles was er macht, hat ein fantastisches Ansehen, welches wohl daher ruehrt, weil er ueber jede Darstellung durch die Kunst ganz tolle absurde Meinungen und sich ein kuenstlerisches System gebaut hat, das den Teufel nichts taugt. Ich weiss recht gut, dass er gar nichts auf mich haelt, welches ich ihm gern verzeihe, da er mir wohlerworbnen Ruhm nicht streitig machen wird." Dem Berthold war es zwar, als habe der Malteser irgend einen wunden Fleck seines Innersten schmerzhaft beruehrt, aber so wie der wohltaetige Wundarzt, um zu forschen und zu heilen; indessen schlug er sich das bald aus dem Sinn und arbeitete froehlich fort, wie zuvor. Das grosse, wohlgelungene, allgemein bewunderte Bild hatte ihm Mut gemacht, das Gegenstueck zu beginnen. Einen der schoensten Punkte in Neapels reicher Umgebung waehlte Hackert selbst aus, und so wie jenes Bild den Sonnenuntergang darstellte, sollte diese Landschaft im Sonnenaufgang gehalten werden. Berthold bekam viel fremde Baeume, viele Weinberge, vorzueglich aber viel Nebel und Duft zu malen. Auf der Platte eines grossen Steins, eben in jenem von Hackert gewaehlten Punkte, sass Berthold eines Tages, den Entwurf des grossen Bildes nach der Natur vollendend. "Wohl getroffen in der Tat!" sprach es neben ihm. Berthold blickte auf, der Malteser sah in sein Blatt hinein, und fuegte mit sarkastischem Laecheln hinzu: "Nur eins habt Ihr vergessen, lieber junger Freund! Schaut doch dort herueber nach der gruen berankten Mauer des fernen Weinbergs! Die Tuere steht halb offen; das muesst Ihr ja anbringen mit gehoerigem Schlagschatten - die halbgeoeffnete Tuere macht erstaunliche Wirkung!" - "Ihr spottet", erwiderte Berthold, "ohne Ursache, mein Herr! Solche Zufaelligkeiten sind keinesweges so veraechtlich wie Ihr glaubt und deshalb mag sie mein Meister wohl anbringen. Erinnert Euch doch nur des aufgehaengten weissen Tuchs in der Landschaft eines alten niederlaendischen Malers, das nicht fehlen darf, ohne die Wirkung zu verderben. Aber Ihr scheint ueberhaupt kein Freund der Landschaftsmalerei, der ich mich nun einmal ganz ergeben habe mit Leib und Seele, und darum bitt ich Euch, lasst mich ruhig fortarbeiten." - "Du bist in grossem Irrtum befangen, Juengling", sprach der Malteser. "Noch einmal sage ich, aus dir haette viel werden koennen; denn sichtlich zeugen deine Werke das rastlose Bestreben nach dem Hoeheren, aber nimmer wirst du dein Ziel erreichen, denn der Weg, den du eingeschlagen, fuehrt nicht dahin. Merk wohl auf, was ich dir sagen werde! Vielleicht glueckt es mir, die Flamme in deinem Innern, die du, Unverstaendiger! zu ueberbauen trachtest, anzumachen, dass sie hell auflodert und dich erleuchtet; dann wirst du den wahren Geist, der in dir lebt, zu erschauen vermoegen. Haeltst du mich denn fuer so toericht, dass ich die Landschaft dem historischen Gemaelde unterordne, dass ich nicht das gleiche Ziel, nach dem beide, Landschafter und Historienmaler, streben sollen, erkenne? - Auffassung der Natur in der tiefsten Bedeutung des hoehern Sinns, der alle Wesen zum hoeheren Leben entzuendet, das ist der heilige Zweck aller Kunst. Kann denn das blosse genaue Abschreiben der Natur jemals dahin fuehren? - Wie aermlich, wie steif und gezwungen sieht die nachgemalte Handschrift in einer fremden Sprache aus, die der Abschreiber nicht verstand und daher den Sinn der Zuege, die er muehsam abschnoerkelte, nicht zu deuten wusste. So sind die Landschaften deines Meisters korrekte Abschriften eines in ihm fremder Sprache geschriebenen Originals. - Der Geweihte vernimmt die Stimme der Natur, die in wunderbaren Lauten aus Baum, Gebuesch, Blume, Berg und Gewaesser von unerforschlichem Geheimnis spricht, die in seiner Brust sich zu frommer Ahnung gestalten; dann kommt, wie der Geist Gottes selbst, die Gabe ueber ihn, diese Ahnung sichtlich in seine Werke zu uebertragen. Ist dir, Juengling! denn bei dem Beschauen der Landschaften alter Meister nicht ganz wunderbarlich zumute geworden? Gewiss hast du nicht daran gedacht, dass die Blaetter des Lindenbaums, dass die Pinien, die Platanen der Natur getreuer, dass der Hintergrund duftiger, das Wasser klarer sein koennte; aber der Geist, der aus dem Ganzen wehte, hob dich empor in ein hoeheres Reich, dessen Abglanz du zu schauen waehntest. - Daher studiere die Natur zwar auch im Mechanischen fleissig und sorgfaeltig, damit du die Praktik des Darstellens erlangen moegest, aber halte die Praktik nicht fuer die Kunst selbst. Bist du eingedrungen in den tiefern Sinn der Natur, so werden selbst in deinem Innern ihre Bilder in hoher glaenzender Pracht aufgehen." - Der Malteser schwieg; als aber Berthold tief ergriffen, gebueckten Hauptes, keines Wortes maechtig dastand, verliess ihn der Malteser mit den Worten: "Ich habe dich durchaus nicht verwirren wollen in deinem Beruf; aber ich weiss, dass ein hoher Geist in dir schlummert: ich rief ihn an mit starken Worten, damit er erwache und frisch und frei seine Fittige rege. Lebe wohl!" Dem Berthold war es so, als habe der Malteser nur dem, was in seiner Seele gaerte und brauste, Worte gegeben; die innere Stimme brach hervor. - "Nein! Alles dieses Streben - dieses Muehen ist das ungewisse, truegerische Umhertappen des Blinden, weg - weg mit allem, was mich geblendet bis jetzt!" - Er war nicht imstande auch nur einen Strich weiter an dem Bilde zu zeichnen. Er verliess seinen Meister, und streifte voll wilder Unruhe umher und flehte laut, dass die hoehere Erkenntnis, von der der Malteser gesprochen, ihm aufgehen moege. "Nur in suessen Traeumen war ich gluecklich - selig. Da wurde alles wahr, was der Malteser gesprochen. Ich lag von zauberischen Dueften umspielt im gruenen Gebuesch, und die Stimme der Natur ging vernehmbar im melodisch klingenden Wehen durch den dunklen Wald. - 'Horch - horch auf - Geweihter! Vernimm die Urtoene der Schoepfung, die sich gestalten zu Wesen deinem Sinn empfaenglich.' - Und indem ich die Akkorde deutlicher und deutlicher erklingen hoerte, war es, als sei ein neuer Sinn in mir erwacht, der mit wunderbarer Klarheit das erfasste, was mir unerforschlich geschienen. - Wie in seltsamen Hieroglyphen zeichnete ich das mir aufgeschlossene Geheimnis mit Flammenzuegen in die Luefte; aber die Hieroglyphen-Schrift war eine wunderherrliche Landschaft, auf der Baum, Gebuesch, Blume, Berg und Gewaesser, wie in lautem wonnigem Klingen sich regten und bewegten." Doch eben nur im Traume kam solche Seligkeit ueber den armen Berthold, dessen Kraft gebrochen, und der im Innersten verwirrter war, als in Rom, da er Historienmaler werden wollte. Schritt er durch den dunklen Wald, so ueberfiel ihn ein unheimliches Grauen; trat er heraus, und schaute in die fernen Berge, so griff es wie mit eiskalten Krallen in seine Brust - sein Atem stockte - er wollte vergehen vor innerer Angst. Die ganze Natur, ihm sonst freundlich laechelnd, ward ihm zum bedrohlichen Ungeheuer, und ihre Stimme, die sonst in des Abendwindes Saeuseln, in dem Plaetschern des Baches, in dem Rauschen des Gebuesches mit suessem Wort ihn begruesst, verkuendete ihm nun Untergang und Verderben. Endlich wurde er, je mehr ihn jene holden Traeume troesteten, desto ruhiger, doch mied er es im Freien allein zu sein, und so kam es, dass er sich zu ein paar muntern deutschen Malern gesellte, und mit ihnen haeufig Ausfluege nach den schoensten Gegenden Neapels machte. Einer von ihnen, wir wollen ihn Florentin nennen, hatte es in dem Augenblick nicht sowohl auf tiefes Studium seiner Kunst, als auf heitern Lebensgenuss abgesehen, seine Mappe zeugte davon. - Gruppen tanzender Bauernmaedchen - Prozessionen laendliche Feste - alles das wusste Florentin, so wie es ihm aufstiess, mit sichrer leichter Hand schnell aufs Blatt zu werfen. Jede Zeichnung, war sie auch kaum mehr als Skizze, hatte Leben und Bewegung. Dabei war Florentins Sinn keinesweges fuer das Hoehere verschlossen; im Gegenteil drang er mehr, als je ein moderner Maler, tief ein in den frommen Sinn der Gemaelde alter Meister. In sein Malerbuch hatte er die Fresko-Gemaelde einer alten Klosterkirche in Rom, ehe die Mauern eingerissen wurden, in blossen Umrissen hineingezeichnet. Sie stellten das Martyrium der heiligen Katharina dar. Man konnte nichts Herrlicheres, reiner Aufgefasstes sehen, als jene Umrisse, die auf Berthold einen ganz eignen Eindruck machten. Er sah Blitze leuchten durch die finstre Oede, die ihn umfangene und es kam dahin, dass er fuer Florentins heiteren Sinn empfaenglich wurde, und da dieser zwar den Reiz der Natur, in ihr aber bestaendig mehr das menschliche Prinzip mit reger Lebendigkeit auffasste, eben dieses Prinzip fuer den Stuetzpunkt erkannte, an den er sich halten muesse, um nicht gestaltlos im leeren Raum zu verschwimmen. Waehrend Florentin irgend eine Gruppe, der er begegnete, schnell zeichnete, hatte Berthold des Freundes Malerbuch aufgeschlagen, und versuchte Katharinas wunderholde Gestalt nachzubilden, welches ihm endlich so ziemlich glueckte, wiewohl er, so wie in Rom vergebens darnach strebte, seine Figuren dem Original gleich zu beleben. Er klagte dies dem, wie er glaubte, an wahrer Kuenstlergenialitaet ihm weit ueberlegenen Florentin, und erzaehlte zugleich, wie der Malteser zu ihm ueber die Kunst gesprochen. "Ei, lieber Bruder Berthold!" sprach Florentin: "der Malteser hat in der Tat recht, und ich stelle die wahre Landschaft den tief bedeutsamen heiligen Historien, wie sie die alten Maler darstellen, voellig gleich. Ja, ich halte sogar dafuer, dass man erst durch das Darstellen der uns naeher liegenden organischen Natur sich staerken muesse, um Licht zu finden in ihrem naechtlichen Reich. Ich rate dir Berthold, dass du dich gewoehnst Figuren zu zeichnen, und in ihnen deine Gedanken zu ordnen; vielleicht wird es dann heller um dich werden." Berthold tat so wie ihm der Freund geboten, und es war ihm, als zoegen die finstern Wolkenschatten, die sich ueber sein Leben gelegt, vorueber. "Ich muehte mich, das, was nur wie dunkle Ahnung tief in meinem Innern lag, wie in jenem Traum hieroglyphisch darzustellen, aber die Zuege dieser Hieroglyphenschrift waren menschliche Figuren, die sich in wunderlicher Verschlingung um einen Lichtpunkt bewegten. - Dieser Lichtpunkt sollte die herrlichste Gestalt sein, die je eines Bildners Fantasie aufgegangen; aber vergebens strebte ich, wenn sie im Traume von Himmelsstrahlen umflossen mir erschien, ihre Zuege zu erfassen. Jeder Versuch, sie darzustellen, misslang auf schmaehliche Weise, und ich verging in heisser Sehnsucht." - Florentin bemerkte den bis zur Krankheit aufgeregten Zustand des Freundes, er troestete ihn, so gut er es vermochte. Oft sagte er ihm, dass dies eben die Zeit des Durchbruchs zur Erleuchtung sei; aber wie ein Traeumer schlich Berthold einher, und alle seine Versuche blieben nur ohnmaechtige Anstrengungen des kraftlosen Kindes. Unfern Neapel lag die Villa eines Herzogs, die, weil sie die schoenste Aussicht nach dem Vesuv und ins Meer hinein gewaehrte, den fremden Kuenstlern, vorzueglich den Landschaftern gastlich geoeffnet war. Berthold hatte hier oefters gearbeitet, oefter noch in einer Grotte des Parks zur guten Zeit sich dem Spiel seiner fantastischen Traeume hingegeben. Hier in dieser Grotte sass er eines Tages, von gluehender Sehnsucht, die seine Brust zerriss, gemartert, und weinte heisse Traenen, dass der Stern des Himmels seine dunkle Bahn erleuchten moege; da rauschte es im Gebuesch, und die Gestalt eines hochherrlichen Weibes stand vor der Grotte. "Die vollen Sonnenstrahlen fielen in das Engelsgesicht. - Sie schaute mich an mit unbeschreiblichen Blick. - Die heilige Katharina - nein, mehr als sie - mein Ideal, mein Ideal war es! Wahnsinnig vor Entzuecken stuerzte ich nieder, da verschwebte die Gestalt freundlich laechelnd! - Erhoert war mein heissestes Gebet!" Florentin trat in die Grotte, er erstaunte ueber Berthold, der mit verklaertem Blick ihn an sein Herz drueckte. - Traenen stuerzten ihm aus den Augen - "Freund - Freund!" stammelte er: "ich bin gluecklich - selig - sie ist gefunden - gefunden!" Rasch schritt er fort, in seine Werkstatt - er spannte die Leinwand auf, er fing an zu malen. Wie von goettlicher Kraft beseelt, zauberte er mit der vollen Glut des Lebens das ueberirdische Weib, wie es ihm erschienen, hervor. - Sein Innerstes war von diesem Augenblicke ganz umgewendet. Statt des Truebsinns, der an seinem Herzmark gezehrt hatte, erhob ihn Frohsinn und Heiterkeit. Er studierte mit Fleiss und Anstrengung die Meisterwerke der alten Maler. Mehrere Kopien gelangen ihm vortrefflich, und nun fing er an selbst Gemaelde zu schaffen, die alle Kenner in Erstaunen setzten. An Landschaften war nicht mehr zu denken, und Hackert bekannte selbst, dass der Juengling nun erst seinen eigentlichen Beruf gefunden habe. So kam es, dass er mehrere grosse Werke, Altarblaetter fuer Kirchen, zu malen bekam. Er waehlte mehrenteils heitere Gegenstaende christlicher Legenden, aber ueberall strahlte die wunderherrliche Gestalt seines Ideals hervor. Man fand, dass Gesicht und Gestalt der Prinzessin Angiola T... zum Sprechen aehnlich sei, man aeusserte dies dem jungen Maler selbst, und Schlaukoepfe gaben spoettisch zu verstehen, der deutsche Maler sei von dem Feuerblick der wunderschoenen Donna tief ins Herz getroffen. Berthold war hoch erzuernt ueber das alberne Gewaesch der Leute, die das Himmlische in das Gemeinirdische herabziehen wollten. "Glaubt ihr denn", sprach er, "dass solch ein Wesen wandeln koenne hier auf Erden? In einer wunderbaren Vision wurde mir das Hoechste erschlossen; es war der Moment der Kuenstlerweihe." - Berthold lebte nun froh und gluecklich, bis nach Bonapartes Siegen in Italien sich die franzoesische Armee dem Koenigreich Neapel nahte, und die alle ruhigen gluecklichen Verhaeltnisse furchtbar zerstoerende Revolution ausbrach. Der Koenig hatte mit der Koenigin Neapel verlassen, die Citta war angeordnet. Der General-Vikar schloss mit dem franzoesischen General einen schmachvollen Waffenstillstand, und bald kamen die franzoesischen Kommissarien, um die Summe, die gezahlt werden sollte, in Empfang zu nehmen. Der General-Vikar entfloh, um der Wut des Volks, das sich von ihm, von der Citta, von allen, die ihm Schutz gewaehren konnten gegen den andringenden Feind, verlassen glaubte, zu entgehen. Da waren alle Bande der Gesellschaft geloest; in wilder Anarchie verhoehnte der Poebel Ordnung und Gesetz, und unter dem Geschrei: "Viva la santa fede" rannten seine wahnsinnigen Horden durch die Strassen, die Haeuser der Grossen, von welchen sie sich an den Feind verkauft waehnten, pluendernd und in Brand steckend. Vergebens waren die Bemuehungen Moliternos und Rocca Romanas, Guenstlinge des Volks und zu Anfuehrern gewaehlt, die Rasenden zu baendigen. Die Herzoge della Torre und Clemens Filomarino waren ermordet, aber noch war des wuetenden Poebels Blutdurst nicht gestillt. - Berthold hatte sich aus einem brennenden Hause nur halb angekleidet gerettet, er stiess auf einen Haufen des Volks, der mit angezuendeten Fackeln und blinkenden Messern nach dem Palast des Herzogs von T. eilte. Ihn fuer ihresgleichen haltend, draengten sie ihn mit sich fort - "viva la santa fede" bruellten die Wahnsinnigen, und in wenigen Minuten waren der Herzog - die Bediensteten, alles was sich widersetzte, ermordet, und der Palast loderte hoch in Flammen auf. - Berthold war immer fort und fort in den Palast hineingedraengt. - Dicker Rauch wallte durch die langen Gaenge. - Er lief schnell durch die aufgesprengten Zimmer, aufs neue in Gefahr, in den Flammen umzukommen - vergebens den Ausgang suchend. - Ein schneidendes Angstgeschrei schallt ihm entgegen - er stuerzt durch den Saal. - Ein Weib ringt mit einem Lazzarone, der es mit starker Faust erfasst hat, und im Begriff ist ihm das Messer in die Brust zu stossen. - Es ist die Prinzessin - es ist Bertholds Ideal! - Bewusstlos vor Entsetzen, springt Berthold hinzu - den Lazzarone bei der Gurgel packen - ihn zu Boden werfen, ihm sein eignes Messer in die Kehle stossen - die Prinzessin in die Arme nehmen - mit ihr fliehen durch die flammenden Saele - die Treppen hinab - fort fort, durch das dickste Volksgewuehl - alles das ist die Tat eines Moments! - Keiner hielt den fliehenden Berthold auf, mit dem blutigen Messer in der Hand, vom Dampfe schwarz gefaerbt, in zerrissenen Kleidern sah das Volk in ihm den Moerder und Pluenderer, und goennte ihm seine Beute. In einem oeden Winkel der Stadt unter einem alten Gemaeuer, in das er, wie aus Instinkt, sich vor der Gefahr zu verbergen gelaufen, sank er ohnmaechtig nieder. Als er erwachte, kniete die Prinzessin neben ihm, und wusch seine Stirne mit kaltem Wasser. "O Dank!" lispelte sie mit wunderlieblicher Stimme; "Dank den Heiligen, dass du erwacht bist, du mein Rettet, mein alles!" - Berthold richtete sich auf, er waehnte zu traeumen, er blickte mit starren Augen die Prinzessin an -ja sie war es selbst - die herrliche Himmelsgestalt, die den Goetterfunken in seiner Brust entzuendet. - "Ist es moeglich - ist es wahr - lebe ich denn?" rief er aus. "Ja, du lebst", sprach die Prinzessin - "du lebst fuer mich; was du nicht zu hoffen wagtest, geschah wie durch ein Wunder. Oh, ich kenne dich wohl, du bist der deutsche Maler Berthold, du liebtest mich ja, und verherrlichtest mich in deinen schoensten Gemaelden. - Konnte ich denn dein sein? - Aber nun bin ich es immerdar und ewig. - Lass uns fliehen, o lass uns fliehen!" - Ein sonderbares Gefuehl, wie wenn jaehlinger Schmerz suesse Traeume zerstoert, durchzuckte Berthold bei diesen Worten der Prinzessin. Doch als das holde Weib ihn mit den vollen schneeweissen Armen umfing, als er sie ungestuem an seinen Busen drueckte, da durchbebten ihn suesse nie gekannte Schauer und im Wahnsinn des Entzueckens hoechster Erdenlust rief er aus: "Oh, kein Trugbild des Traumes - nein! es ist mein Weib, das ich umfange, es nie zu lassen - das meine gluehende duerstende Sehnsucht stillt!" Aus der Stadt zu fliehen war unmoeglich; denn vor den Toren stand das franzoesische Heer, dem das Volk, war es gleich schlecht bewaffnet und ohne alle Anfuehrung, zwei Tage hindurch den Einzug in die Stadt streitig machte. Endlich gelang es Berthold mit Angiola von Schlupfwinkel zu Schlupfwinkel, und dann aus der Stadt zu fliehen. Angiola, von heisser Liebe zu ihrem Retter entbrannt, verschmaehte es in Italien zu bleiben, die Familie sollte sie fuer tot halten, und so Bertholds Besitz ihr gesichert bleiben. Ein diamantnes Halsband und kostbare Ringe, die sie getragen, waren hinlaenglich, in Rom (bis dahin waren sie langsam fortgepilgert) sich mit allen noetigen Beduerfnissen zu versehen, und so kamen sie gluecklich nach M. im suedlichen Deutschland, wo Berthold sich niederzulassen, und durch die Kunst sich zu ernaehren gedachte. - War's denn nicht ein nie getraeumtes, nie geahntes Glueck, dass Angiola, das himmlischschoene Weib, das Ideal seiner wonnigsten Kuenstlertraeume sein werden muesste, unerachtet sich alle Verhaeltnisse des Lebens, wie eine unuebersteigbare Mauer zwischen ihm und der Geliebten auftuermten? - Berthold konnte in der Tat dies Glueck kaum fassen, und schwelgte in namenlosen Wonnen, bis lauter und lauter die innere Stimme ihn mahnte, seiner Kunst zu gedenken. In M. beschloss er seinen Ruf durch ein grosses Gemaelde zu begruenden, das er fuer die dortige Marienkirche malen wollte. Der einfache Gedanke, Maria und Elisabeth in einem schoenen Garten auf einem Rasen sitzend, die Kinder Christus und Johannes vor ihnen im Grase spielend, sollte der ganze Vorwurf des Bildes sein, aber vergebens war alles Ringen nach einer reinen geistigen Anschauung des Gemaeldes. So wie in jener ungluecklichen Zeit der Krisis, verschwammen ihm die Gestalten, und nicht die himmlische Maria, nein, ein irdisches Weib, ach seine Angiola selbst stand auf greuliche Weise verzerrt, vor seines Geistes Augen. - Er gedachte Trotz zu bieten der unheimlichen Gewalt, die ihn zu erfassen schien, er bereitete die Farben, er fing an zu malen; aber seine Kraft war gebrochen, all sein Bemuehen, so wie damals, nur die ohnmaechtige Anstrengung des unverstaendigen Kindes. Starr und leblos blieb was er malte, und selbst Angiola - Angiola, sein Ideal, wurde, wenn sie ihm sass und er sie malen wollte, auf der Leinwand zum toten Wachsbilde, das ihn mit glaesernen Augen anstierte. Da schlich sich immer mehr und mehr trueber Unmut in seine Seele, der alle Freude des Lebens wegzehrte. Er wollte - er konnte nicht weiter arbeiten, und so kam es, dass er in Duerftigkeit geriet, die ihn desto mehr niederbeugte, je weniger Angiola auch nur ein Wort der Klage hoeren liess. "Der immer mehr in mein Innerstes hereinzehrende Gram, erzeugt von stets getaeuschter Hoffnung, wenn ich immer vergebens Kraefte aufbot, die nicht mehr mein waren, versetzte mich bald in einen Zustand, der dem Wahnsinne gleich zu achten war. Mein Weib gebar mir einen Sohn, das vollendete mein Elend und der lange verhaltene Groll brach aus in hell aufflammenden Hass. _Sie_, _sie_ allein schuf mein Unglueck. Nein - sie war nicht das Ideal, das mir erschien, nur mir zum rettungslosen Verderben hatte sie truegerisch jenes Himmelsweibes Gestalt und Gesicht geborgt. In wilder Verzweiflung fluchte ich ihr und dem unschuldigen Kinde. - Ich wuenschte beider Tod, damit ich erloest werden moege von der unertraeglichen Qual, die wie mit gluehenden Messern in mir wuehlte! - Gedanken der Hoelle stiegen in mir auf. Vergebens las ich in Angiolas leichenblassem Gesicht, in ihren Traenen mein rasendes freveliches Beginnen. - 'Du hast mich um mein Leben betrogen, verruchtes Weib', bruellte ich auf, und stiess sie mit dem Fusse von mir, wenn sie ohnmaechtig niedersank, und meine Knie umfasste." Bertholds grausames wahnsinniges Betragen gegen Weib und Kind erregte die Aufmerksamkeit der Nachbaren, die es der Obrigkeit anzeigten. Man wollte ihn verhaften, als aber die Polizeidiener in seine Wohnung traten, war er samt Frau und Kind spurlos verschwunden. Berthold erschien bald darauf zu N. in Oberschlesien; er hatte sich seines Weibes und Kindes entledigt, und fing voll heitern Mutes an, das Bild zu malen, das er in M. vergebens begonnen hatte. Aber nur die Jungfrau Maria und die Kinder Christus und Johannes konnte er vollenden, dann fiel er in eine furchtbare Krankheit, die ihn dem Tode, den er wuenschte, nahe brachte. Um ihn zu pflegen, hatte man alle seine Geraetschaften und auch jenes unvollendete Gemaelde verkauft, und er zog, nachdem er nur einigermassen sich wieder erkraeftigt, als ein siecher elender Bettler von dannen. In der Folge naehrte er sich duerftig durch Wandmalerei, die ihm hie und da uebertragen wurde. "Bertholds Geschichte hat etwas Entsetzliches und Grauenvolles", sprach ich zu dem Professor, "ich halte ihn, unerachtet er es nicht geradezu ausgesprochen, fuer den ruchlosen Moerder seines unschuldigen Weibes und seines Kindes." - "Es ist ein wahnsinniger Tor", erwiderte der Professor, "dem ich den Mut zu solcher Tat gar nicht zutraue. Ueber diesen Punkt laesst er sich niemals deutlich aus, und es ist die Frage, ob er sich nicht bloss einbildet, an dem Tode seiner Frau und seines Kindes schuld zu sein; er malt eben wieder Marmor, erst in kuenftiger Nacht vollendet er den Altar, dann ist er bei guter Laune, und Sie koennen vielleicht mehr ueber jenen kitzlichen Punkt von ihm herausbekommen." - Ich muss gestehen, dass, dachte ich es mir lebhaft, um Mitternacht mit Berthold allein in der Kirche mich zu befinden, mir, nachdem ich seine Geschichte gelesen, ein leiser Schauer durch die Glieder lief. Ich meinte, er koennte mitunter was weniges der Teufel sein, trotz seiner Gutmuetigkeit und seines treuherzigen Wesens, und wollte mich deshalb lieber gleich mittags im lieben heitern Sonnenschein mit ihm abfinden. Ich fand ihn auf dem Gerueste muerrisch und in sich gekehrt, Marmoradern sprenkelnd; zu ihm herausgestiegen, reichte ich ihm stillschweigend die Toepfe. Erstaunt sah er sich nach mir um, "ich bin ja Ihr Handlanger", sprach ich leise, das zwang ihm ein Laecheln ab. Nun fing ich an von seinem Leben zu sprechen, so dass er merken musste, ich wisse alles, und er schien zu glauben, er habe mir alles selbst in jener Nacht erzaehlt. Leise - leise kam ich auf die graessliche Katastrophe, dann sprach ich ploetzlich: "Also in heillosem Wahnsinn mordeten Sie Weib und Kind?" - Da liess er Farbentopf und Pinsel fallen, und rief, mich mit graesslichem Blick anstarrend und beide Haende hoch erhebend: "Rein sind diese Haende vom Blute meines Weibes, meines Sohnes! Noch ein solches Wort, und ich stuerze mich mit Euch hier vom Gerueste herab, dass unsere Schaedel zerschellen auf dem steinernen Boden der Kirche!" - Ich befand mich in dem Augenblick wirklich in seltsamer Lage, am besten schien es mir mit ganz Fremden hineinzufahren. "O sehn Sie doch, lieber Berthold", sprach ich so ruhig und kalt, als es mir moeglich war, "wie das haessliche Dunkelgelb auf der Wand dort so verfliesst." Er schauete hin, und indem er das Gelb mit dem Pinsel verstrich, stieg ich leise das Geruest herab, verliess die Kirche und ging zum Professor, um mich ueber meinen bestraften Vorwitz tuechtig auslachen zu lassen. Mein Wagen war repariert und ich verliess G., nachdem mir der Professor Aloysius Walther feierlich versprochen, sollte sich etwas Besonderes mit Berthold ereignen, mir es gleich zu schreiben. Ein halbes Jahr mochte vergangen sein, als ich wirklich von dem Professor einen Brief erhielt, in welchem er sehr weitschweifig unser Beisammensein in G. ruehmte. Ueber Berthold schrieb er mir folgendes: "Bald nach Ihrer Abreise trug sich mit unserm wunderlichen Maler viel Sonderbares zu. Er wurde ploetzlich ganz heiter, und vollendete auf die herrlichste Weise das grosse Altarblatt, welches nun vollends alle Menschen in Erstaunen setzt. Dann verschwand er, und da er nicht das mindeste mitgenommen, und man ein paar Tage darauf Hut und Stock unfern des O - Stromes fand, glauben wir alle, er habe sich freiwillig den Tod gegeben." Das Sanctus Der Doktor schuettelte bedenklich den Kopf. - "Wie", rief der Kapellmeister heftig, indem er vom Stuhle aufsprang, "wie! so sollte Bettinas Katarrh wirklich etwas zu bedeuten haben?" - Der Doktor stiess ganz leise drei- oder viermal mit seinem spanischen Rohr auf den Fussboden, nahm die Dose heraus und steckte sie wieder ein ohne zu schnupfen, richtete den Blick starr empor, als zaehle er die Rosetten an der Decke und huestelte misstoenig ohne ein Wort zu reden. Das brachte den Kapellmeister ausser sich, denn er wusste schon, solches Gebaerdenspiel des Doktors hiess in deutlichen lebendigen Worten nichts anders, als: "Ein boeser boeser Fall - und ich weiss mir nicht zu raten und zu helfen, und ich steure umher in meinen Versuchen, wie jener Doktor im Gilblas di Santillana." - "Nun, so sag Er es denn nur geradezu heraus", rief der Kapellmeister erzuernt, "sag Er es heraus, ohne so verdammt wichtig zu tun mit der simplen Heiserkeit, die sich Bettina zugezogen, weil sie unvorsichtigerweise den Shawl nicht umwarf, als sie die Kirche verliess - das Leben wird es ihr doch eben nicht kosten, der Kleinen." - "Mit nichten", sprach der Doktor, indem er nochmals die Dose herausnahm, jetzt aber wirklich schnupfte, "mit nichten, aber hoechstwahrscheinlich wird sie in ihrem ganzen Leben keine Note mehr singen!" Da fuhr der Kapellmeister mit beiden Faeusten sich in die Haare, dass der Puder weit umherstaeubte und rannte im Zimmer auf und ab, und schrie wie besessen: "Nicht mehr singen? - nicht mehr singen? - Bettina nicht mehr singen? - Gestorben all die herrlichen Kanzonette - die wunderbaren Boleros und Seguidillas, die wie klingender Blumenhauch von ihren Lippen stroemten? - Kein frommes Agnus, kein troestendes Benedictus von ihr mehr hoeren? - Oh! oh! - Kein Miserere, das mich reinbuerstete von jedem irdischen Schmutz miserabler Gedanken - das in mir oft eine ganze reiche Welt makelloser Kirchenthemas aufgehen liess? - Du luegst Doktor, du luegst! - Der Satan versucht dich, mich aufs Eis zu fuehren. - Der Dom-Organist, der mich mit schaendlichem Neide verfolgt, seitdem ich ein achtstimmiges Qui tollis ausgearbeitet zum Entzuecken der Welt, _der_ hat dich bestochen! Du sollst mich in schnoede Verzweiflung stuerzen, damit ich meine neue Messe ins Feuer werfe, aber es gelingt _ihm_ - es gelingt _dir_ nicht! - Hier - hier trage ich sie bei mir, Bettinas Soli" (er schlug auf die rechte Rocktasche, so dass es gewaltig darin klatschte) "und gleich soll herrlicher, als je, die Kleine sie mir mit hocherhabener Glockenstimme vorsingen." Der Kapellmeister griff nach dem Hute und wollte fort, der Doktor hielt ihn zurueck, indem er sehr sanft und leise sprach: "Ich ehre Ihren werten Enthusiasmus, holdseligster Freund! aber ich uebertreibe nichts und kenne den Dom-Organisten gar nicht, es ist nun einmal so! Seit der Zeit, dass Bettina in der katholischen Kirche bei dem Amt die Solos im Gloria und Credo gesungen, ist sie von einer solch seltsamen Heiserkeit oder vielmehr Stimmlosigkeit befallen, die meiner Kunst trotzt und die mich, wie gesagt, befuerchten laesst, dass sie nie mehr singen wird." - "Gut denn", rief der Kapellmeister wie in resignierter Verzweiflung, "gut denn, so gib ihr Opium - Opium und so lange Opium bis sie eines sanften Todes dahinscheidet, denn singt Bettina nicht mehr, so darf sie auch nicht mehr leben, denn sie lebt nur, wenn sie singt - sie existiert nur im Gesange - himmlischer Doktor, tu mir den Gefallen, vergifte sie je eher desto lieber. Ich habe Konnexionen im Kriminal-Kollegio, mit dem Praesidenten studierte ich in Halle, es war ein grosser Hornist, wir bliesen Bizinien zur Nachtzeit mit einfallenden Choeren obligater Huendelein und Kater! - Sie sollen dir nichts tun des ehrlichen Mords wegen. - Aber vergifte sie - vergifte sie" - "Man ist", unterbrach der Doktor den sprudelnden Kapellmeister, "man ist doch schon ziemlich hoch in Jahren, muss sich das Haar pudern seit geraumer Zeit und doch noch vorzueglich die Musik anlangend vel quasi ein Hasenfuss. Man schreie nicht so, man spreche nicht so verwegen vom suendlichen Mord und Totschlag, man setze sich ruhig hin dort in jenen bequemen Lehnstuhl und hoere mich gelassen an." Der Kapellmeister rief mit sehr weinerlicher Stimme: "Was werd ich hoeren?" und tat uebrigens wie ihm geheissen. "Es ist", fing der Doktor an, "es ist in der Tat in Bettinas Zustand etwas ganz Sonderbares und Verwunderliches. Sie spricht laut, mit voller Kraft des Organs, an irgend eines der gewoehnlichen Halsuebel ist gar nicht zu denken, sie ist selbst imstande einen musikalischen Ton anzugeben, aber sowie sie die Stimme zum Gesange erheben will, laehmt ein unbegreifliches Etwas, das sich durch kein Stechen, Prickeln, Kitzeln oder sonst als ein affirmatives krankhaftes Prinzip dartut, ihre Kraft, so dass jeder versuchte Ton ohne gepresst-unrein, kurz katarrhalisch zu klingen, matt und farblos dahinschwindet. Bettina selbst vergleicht ihren Zustand sehr richtig demjenigen im Traum, wenn man mit dem vollsten Bewusstsein der Kraft zum Fliegen doch vergebens strebt in die Hoehe zu steigen. Dieser negative krankhafte Zustand spottet meiner Kunst und wirkungslos bleiben alle Mittel. Der Feind, den ich bekaempfen soll, gleicht einem koerperlosen Spuk, gegen den ich vergebens meine Streiche fuehre. Darin habt Ihr recht Kapellmeister, dass Bettinas ganze Existenz im Leben durch den Gesang bedingt ist, denn eben im Gesange kann man sich den kleinen Paradiesvogel nur denken, deshalb ist sie aber schon durch die Vorstellung, dass ihr Gesang und mit ihm sie selbst untergehe, so im Innersten aufgeregt, und fast bin ich ueberzeugt, dass eben diese fortwaehrende geistige Agitation ihr Uebelbefinden foerdert und meine Bemuehungen vereitelt. Sie ist, wie sie sich selbst ausdrueckt, von Natur sehr apprehensiv, und so glaube ich, nachdem ich monatelang, wie ein Schiffbruechiger, der nach jedem Splitter hascht, nach diesem, jenem Mittel gegriffen und darueber ganz verzagt worden, dass Bettinas ganze Krankheit mehr psychisch als physisch ist." - "Recht Doktor", rief hier der reisende Enthusiast, der so lange schweigend mit uebereinander geschlagenen Aermen im Winkel gesessen, "recht Doktor, mit einemmal habt Ihr den richtigen Punkt getroffen, mein vortrefflicher Arzt! Bettinas krankhaftes Gefuehl ist die physische Rueckwirkung eines psychischen Eindrucks, eben deshalb aber desto schlimmer und gefaehrlicher. _Ich_, _ich_ allein kann euch alles erklaeren, ihr Herren!" - "Was werd ich hoeren", sprach der Kapellmeister noch weinerlicher als vorher, der Doktor rueckte seinen Stuhl naeher heran zum reisenden Enthusiasten und guckte ihm mit sonderbar laechelnder Miene ins Gesicht. Der reisende Enthusiast warf aber den Blick in die Hoehe und sprach ohne den Doktor oder den Kapellmeister anzusehen: "Kapellmeister! ich sah einmal einen kleinen buntgefaerbten Schmetterling, der sich zwischen den Saiten Eures Doppelklavichords eingefangen hatte. Das kleine Ding flatterte lustig auf und nieder und mit den glaenzenden Fluegelein um sich schlagend beruehrte es bald die obern bald die untern Saiten, die dann leise leise nur dem schaerfsten geuebtesten Ohr vernehmbare Toene und Akkorde hauchten, so dass zuletzt das Tierchen nur in den Schwingungen wie in sanftwogenden Wellen zu schwimmen oder vielmehr von ihnen getragen zu werden schien. Aber oft kam es, dass eine staerker beruehrte Saite, wie erzuernt in die Fluegel des froehlichen Schwimmers schlug, so dass sie wund geworden den Schmuck des bunten Bluetenstaubs von sich streuten, doch dessen nicht achtend kreiste der Schmetterling fort und fort im froehlichen Klingen und Singen bis schaerfer und schaerfer die Saiten ihn verwundeten, und er lautlos hinabsank in die Oeffnung des Resonanzbodens." - "Was wollen wir damit sagen", frug der Kapellmeister, "fiat applicatio mein Bester!" sprach der Doktor. "Von einer besonderen Anwendung ist hier nicht die Rede", fuhr der Enthusiast fort, "ich wollte, da ich obbesagten Schmetterling wirklich auf des Kapellmeisters Klavichord spielen gehoert habe, nur im allgemeinen eine Idee andeuten, die mir damals einkam, und die alles das, was ich ueber Bettinas Uebel sagen werde, so ziemlich einleitet. Ihr koennet das Ganze aber auch fuer eine Allegorie ansehen, und es in das Stammbuch irgend einer reisenden Virtuosin hineinzeichnen. Es schien mir naemlich damals, als habe die Natur ein tausendchoerigtes Klavichord um uns herum gebaut, in dessen Saiten wir herumhantierten, ihre Toene und Akkorde fuer unsere eigne willkuerlich hervorgebrachte haltend und als wuerden wir oft zum Tode wund, ohne zu ahnden, dass der unharmonisch beruehrte Ton uns die Wunde schlug." - "Sehr dunkel", sprach der Kapellmeister. "Oh", rief der Doktor lachend, "o nur Geduld, er wird gleich auf seinem Steckenpferde sitzen und gestreckten Galopps in die Welt der Ahnungen, Traeume, psychischen Einfluesse, Sympathien, Idiosynkrasien usw. hineinreiten, bis er auf der Station des Magnetismus absitzt und ein Fruehstueck nimmt." - "Gemach gemach, mein weiser Doktor", sprach der reisende Enthusiast, "schmaeht nicht auf Dinge, die Ihr, straeuben moegt Ihr Euch auch wie Ihr wollt, doch mit Demut anerkennen und hoechlich beachten muesst. Habt Ihr es denn nicht selbst eben erst ausgesprochen, dass Bettinas Krankheit von psychischer Anregung herbeigefuehrt oder vielmehr nur ein psychisches Uebel ist?" - "Wie kommt", unterbrach der Doktor den Enthusiasten, "wie kommt aber Bettina mit dem unglueckseligen Schmetterling zusammen?" - "Wenn man", fuhr der Enthusiast fort, "wenn man nun alles haarklein auseinandersieben soll, und jedes Koernchen beaeugeln und bekucken, so wird das eine Arbeit, die selbst langweilig Langeweile verbreitet! - Lasst den Schmetterling im Klavichordkasten des Kapellmeisters ruhen! - Uebrigens, sagt selbst, Kapellmeister! ist es nicht ein wahres Unglueck, dass die hochheilige Musik ein integrierender Teil unserer Konversation geworden ist? Die herrlichsten Talente werden herabgezogen in das gemeine duerftige Leben! Statt dass sonst aus heiliger Ferne wie aus dem wunderbaren Himmelsreiche selbst, Ton und Gesang auf uns herniederstrahlte, hat man jetzt alles huebsch bei der Hand und man weiss genau, wie viel Tassen Tee die Saengerin oder wie viel Glaeser Wein der Bassist trinken muss, um in die gehoerige Tramontane zu kommen. Ich weiss wohl, dass es Vereine gibt, die ergriffen von dem wahren Geist der Musik sie untereinander mit wahrhafter Andacht ueben, aber jene miserablen geschmueckten, geschniegelten - doch ich will mich nicht aergern! - Als ich voriges Jahr hieher kam, war die arme Bettina gerade recht in der Mode - sie war, wie man sagt, recherchiert, es konnte kaum Tee getrunken werden ohne Zutat einer spanischen Romanze, einer italienischen Kanzonetta oder auch wohl eines franzoesischen Liedleins: Souvent l'amour etc. zu dem sich Bettina hergeben musste. Ich fuerchtete in der Tat, dass das gute Kind mit samt ihrem herrlichen Talent untergehen wuerde in dem Meer von Teewasser, das man ueber sie ausschuettete, das geschah nun nicht, aber die Katastrophe trat ein." - "Was fuer eine Katastrophe?" riefen Doktor und Kapellmeister. "Seht liebe Herren!" fuhr der Enthusiast fort, "eigentlich ist die arme Bettina - wie man so sagt, verwuenscht oder verhext worden, und so hart es mir ankommt, es zu bekennen, ich - ich selbst bin der Hexenmeister, der das boese Werk vollbracht hat, und nun gleich dem Zauberlehrling den Bann nicht zu loesen vermag." - "Possen - Possen, und wir sitzen hier und lassen uns mit der groessten Ruhe von dem ironischen Boesewicht mystifizieren." So rief der Doktor, indem er aufsprang. "Aber zum Teufel die Katastrophe - die Katastrophe", schrie der Kapellmeister. "Ruhig ihr Herren", sprach der Enthusiast, "jetzt kommt eine Tatsache, die ich verbuergen kann, haltet uebrigens meine Hexerei fuer Scherz, unerachtet es mir zuweilen recht schwer aufs Herz faellt, dass ich ohne Wissen und Willen einer unbekannten psychischen Kraft zum Medium des Entwickelns und Einwirkens auf Bettina gedient haben mag. Gleichsam als Leiter mein ich, so wie in der elektrischen Reihe einer den andern ohne Selbsttaetigkeit und eignen Willen pruegelt." - "Hop hop", rief der Doktor, "seht wie das Steckenpferd gar herrliche Courbetten verfuehrt." - "Aber die Geschichte - die Geschichte", schrie der Kapellmeister dazwischen! "Ihr erwaehntet", fuhr der Enthusiast fort, "Ihr erwaehntet Kapellmeister schon zuvor, dass Bettina das letztemal, ehe sie die Stimme verlor, in der katholischen Kirche sang. Erinnert Euch, dass dies am ersten Osterfeiertage vorigen Jahres geschah. Ihr hattet Euer schwarzes Ehrenkleid angetan und dirigiertet die herrliche Haydnsche Messe aus dem D-Moll. In dem Sopran tat sich ein Flor junger anmutig gekleideter Maedchen auf, die zum Teil sangen, zum Teil auch nicht; unter ihnen stand Bettina, die mit wunderbar starker voller Stimme die kleinen Soli vortrug. Ihr wisst, dass ich mich im Tenor angestellt hatte, das Sanctus war eingetreten, ich fuehlte die Schauer der tiefsten Andacht mich durchbeben, da rauschte es hinter mir stoerend, unwillkuerlich drehte ich mich um, und erblickte zu meinem Erstaunen Bettina, die sich durch die Reihen der Spielenden und Singenden draengte um den Chor zu verlassen. 'Sie wollen fort?' redete ich sie an. 'Es ist die hoechste Zeit', erwiderte sie sehr freundlich, 'dass ich mich jetzt nach der ***Kirche begebe, um noch, wie ich versprochen, dort in einer Kantate mitzusingen, auch muss ich noch vormittag ein paar Duetts probieren, die ich heute abend in dem Singetee bei *** vortragen werde, dann ist Souper bei ***. Sie kommen doch hin? es werden ein paar Choere aus dem Haendelschen Messias und das erste Finale aus Figaros Hochzeit gemacht.' Waehrend dieses Gespraechs erklangen die vollen Akkorde des Sanctus, und das Weihrauchopfer zog in blauen Wolken durch das hohe Gewoelbe der Kirche. 'Wissen Sie denn nicht', sprach ich, 'dass es suendlich ist, dass es nicht straflos bleibt, wenn man waehrend des Sanctus die Kirche verlaesst? - Sie werden so bald nicht mehr in der Kirche singen!' - Es sollte Scherz sein, aber ich weiss nicht, wie es kam, dass mit einemmal meine Worte so feierlich klangen. Bettina erblasste und verliess schweigend die Kirche. Seit diesem Moment verlor sie die Stimme. -" Der Doktor hatte sich waehrend der Zeit wieder gesetzt, und das Kinn auf den Stockknopf gestuetzt, er blieb stumm, aber der Kapellmeister rief: "Wunderbar in der Tat, sehr wunderbar!" - "Eigentlich", fuhr der Enthusiast fort, "eigentlich kam mir damals bei meinen Worten nichts Bestimmtes in den Sinn und ebensowenig setzte ich Bettinas Stimmlosigkeit mit dem Vorfall in der Kirche nur in den mindesten Bezug. Erst jetzt, als ich wieder hieher kam und von Euch Doktor erfuhr, dass Bettina noch immer an der verdriesslichen Kraenklichkeit leide, war es mir, als haette ich schon damals an eine Geschichte gedacht, die ich vor mehreren Jahren in einem alten Buche las, und die ich Euch, da sie mir anmutig und ruehrend scheint, mitteilen will." - "Erzaehlen Sie", rief der Kapellmeister, "vielleicht liegt ein guter Stoff zu einer tuechtigen Oper darin." - "Koennt Ihr", sprach der Doktor, "koennt Ihr, Kapellmeister, Traeume - Ahnungen - magnetische Zustaende in Musik setzen, so wird Euch geholfen, auf so was wird die Geschichte doch wieder herauslaufen." Ohne dem Doktor zu antworten raeusperte sich der reisende Enthusiast und fing mit erhabener Stimme an: "Unabsehbar breitete sich das Feldlager Isabellens und Ferdinands von Aragonien vor den Mauern von Granada aus." - "Herr des Himmels und der Erden", unterbrach der Doktor den Erzaehler, "das faengt an als wollt es in neun Tagen und neun Naechten nicht endigen, und ich sitze hier und die Patienten lamentieren. Ich schere mich den Teufel um Eure maurischen Geschichten, den Gonzalvo von Cordova habe ich gelesen, und Bettinas Seguidillas gehoert, aber damit basta, alles was recht ist - Gott befohlen!" Schnell sprang der Doktor zur Tuere heraus, aber der Kapellmeister blieb ruhig sitzen, indem er sprach: "Es wird eine Geschichte aus den Kriegen der Mauren mit den Spaniern, wie ich merke, so was haett ich laengst gar zu gern komponiert. - Gefechte - Tumult - Romanzen - Aufzuege - Cymbeln - Choraele - Trommeln und Pauken - ach Pauken! - Da wir nun einmal so zusammen sind, erzaehlen Sie, liebenswuerdiger Enthusiast, wer weiss, welches Samenkorn die erwuenschte Erzaehlung in mein Gemuet wirft und was fuer Riesenlilien daraus entspriessen." - "Euch wird", erwiderte der Enthusiast, "Euch wird nun Kapellmeister! alles einmal gleich zur Oper und daher kommt es denn auch, dass die vernuenftigen Leute, die die Musik behandeln wie einen starken Schnaps, den man nur dann und wann in kleinen Portionen geniesst zur Magenstaerkung, Euch manchmal fuer toll halten. Doch erzaehlen will ich Euch, und keck moeget Ihr, wandelt Euch die Lust an, manchmal ein paar Akkorde dazwischen werfen." - Schreiber dieses fuehlt sich gedrungen, ehe er dem Enthusiasten die Erzaehlung nachschreibt, dich guenstigen Leser zu bitten, du moegest ihm der Kuerze halber zugute halten, wenn er den dazwischen anschlagenden Akkorden den Kapellmeister vorzeichnet. Statt also zu schreiben: Hier sprach der Kapellmeister, heisst es bloss der Kapellmeister. Unabsehbar breitete sich das Feldlager Isabellens und Ferdinands von Aragonien vor den festen Mauern von Granada aus. Vergebens auf Huelfe hoffend, immer enger und enger eingeschlossen, verzagte der feige Boabdil und im bittern Hohn vom Volk, das ihn den kleinen Koenig nannte, verspottet, fand er nur in den Opfern blutduerstiger Grausamkeit augenblicklichen Trost. Aber eben in dem Grade, wie die Mutlosigkeit und Verzweiflung taeglich mehr Volk und Kriegsheer in Granada erfasste, wurde lebendiger Siegeshoffnung und Kampfeslust im spanischen Lager. Es bedurfte keines Sturms. Ferdinand begnuegte sich die Waelle zu beschiessen, und die Ausfaelle der Belagerten zurueckzutreiben. Diese kleinen Gefechte glichen mehr froehlichen Turnieren als ernsten Kaempfen und selbst der Tod der im Kampfe Gefallnen konnte die Gemueter nur erheben, da sie hochgefeiert im Gepraenge des kirchlichen Kultus wie in der strahlenden Glorie des Maertyrtums fuer den Glauben erschienen. Gleich nachdem Isabella in das Lager eingezogen, liess sie in dessen Mitte ein hohes hoelzernes Gebaeude mit Tuermen auffuehren, von deren Spitzen die Kreuzesfahne herabwehte. Das Innere wurde zum Kloster und zur Kirche eingerichtet, und Benediktiner-Nonnen zogen ein, taeglichen Gottesdienst uebend. Die Koenigin, von ihrem Gefolge, von ihren Rittern begleitet, [erschien] jeden Morgen, die Messe zu hoeren, die ihr Beichtvater las, von dem Gesange der im Chor versammelten Nonnen unterstuetzt. Da begab es sich, dass Isabella an einem Morgen eine Stimme vernahm, die mit wunderbarem Glockenklang die andern Stimmen im Chor uebertoente. Der Gesang war anzuhoeren wie das siegende Schmettern einer Nachtigall, die, die Fuerstin des Hains, dem jauchzenden Volk gebietet. Und doch war die Aussprache der Worte so fremdartig und selbst die sonderbare ganz eigentuemliche Art des Gesanges tat kund, dass eine Saengerin des kirchlichen Stils noch ungewohnt, vielleicht zum erstenmal das Amt singen muesse. Verwundert schaute Isabella um sich und bemerkte, dass ihr Gefolge von demselben Erstaunen ergriffen worden; doch ahnen musste sie wohl, dass hier ein besonderes Abenteuer im Spiel sein muesse, als ihr der tapfere Heerfuehrer Aguillar, der sich eben im Gefolge befand, ins Auge fiel. Im Betstuhl kniend, die Haende gefaltet, starrte er zum Gitter des Chors herauf, gluehende inbruenstige Sehnsucht im duestern Auge. Als die Messe geendet war, begab sich Isabella nach Donna Marias, der Priorin, Zimmern und frug nach der fremden Saengerin. "Wollet Euch o Koenigin", sprach Donna Maria, "wollet Euch erinnern, dass vor Mondesfrist Don Aguillar jenes Aussenwerk zu ueberfallen und zu erobern gedachte, das mit einer herrlichen Terrasse geziert den Mauren zum Lustort dient. In jeder Nacht schallen die ueppigen Gesaenge der Heiden in unser Lager herueber wie verlockende Sirenenstimmen und eben deshalb wollte der tapfere Aguillar das Nest der Suende zerstoeren. Schon war das Werk genommen, schon wurden die gefangenen Weiber waehrend des Gefechts abgefuehrt, als eine unvermutete Verstaerkung ihn tapferer Wehr unerachtet noetigte, abzulassen und sich zurueckzuziehen in das Lager. Der Feind wagte nicht ihn zu verfolgen und so kam es, dass die Gefangenen und reiche Beute sein blieben. Unter den gefangenen Weibern befand sich eine, deren trostloses Jammern, deren Verzweiflung Don Aguillars Aufmerksamkeit erregte. Er nahte sich der Verschleierten mit freundlichen Worten, aber als haette ihr Schmerz keine andere Sprache als Gesang, fing sie, nachdem sie auf der Zither, die ihr an einem goldnen Bande um den Hals hing, einige seltsame Akkorde gegriffen hatte, eine Romanze an, die in tiefaufseufzenden herzzerschneidenden Lauten die Trennung von dem Geliebten, von aller Lebensfreude klagte. Aguillar tief ergriffen von den wunderbaren Toenen, beschloss das Weib zurueckbringen zu lassen nach Granada; sie stuerzte vor ihm nieder, indem sie den Schleier zurueckschlug. Da rief Aguillar wie ausser sich: 'Bist du denn nicht Zulema, das Licht des Gesanges in Granada?' - Zulema, die der Feldherr bei einer Sendung an Boabdils Hof gesehen, deren wunderbarer Gesang seitdem tief in seiner Brust widerhallte, war es wirklich. 'Ich gebe dir die Freiheit', rief Aguillar, aber da sprach der ehrwuerdige Vater Agostino Sanchez, der das Kreuz in der Hand mitgezogen: 'Erinnere dich, Herr! dass du, indem du die Gefangene freilaessest, ihr grosses Unrecht tust, da sie dem Goetzendienst entrissen, vielleicht bei uns von der Gnade des Herrn erleuchtet, in den Schoss der Kirche zurueckgekehrt waere.' Aguillar sprach: 'Sie mag bei uns bleiben einen Monat hindurch und dann, fuehlt sie sich nicht durchdrungen von dem Geist des Herrn, zurueckgebracht werden nach Granada.' So kam es, o Herrin! dass Zulema von uns in dem Kloster aufgenommen wurde. Anfangs ueberliess sie sich ganz dem trostlosesten Schmerz und bald waren es wild und schauerlich toenende, bald tiefklagende Romanzen, mit denen sie das Kloster erfuellte, denn ueberall hoerte man ihre durchdringende Glockenstimme. Es begab sich, dass wir einst um Mitternacht im Chor der Kirche versammelt waren und die Hora nach jener wundervollen heiligen Weise absangen, die der hohe Meister des Gesanges, Ferreras, uns lehrte. Ich bemerkte im Schein der Lichter Zulema in der offnen Pforte des Chors stehend und mit ernstem Blick still und andaechtig hineinschauend; als wir paarweise daherziehend den Chor verliessen, kniete Zulema im Gange unfern eines Marienbildes. Den andern Tag sang sie keine Romanze, sondern blieb still und in sich gekehrt. Bald versuchte sie auf der tiefgestimmten Zither die Akkorde jenes Chorals, den wir in der Kirche gesungen, und dann fing sie an leise leise zu singen, ja selbst die Worte unsers Gesanges zu versuchen, die sie freilich wunderlich wie mit gebundener Zunge aussprach. Ich merkte wohl, dass der Geist des Herrn mit milder troestender Stimme im Gesange zu ihr gesprochen, und dass sich ihre Brust oeffnen wuerde seiner Gnade, daher schickte ich Schwester Emanuela, die Meisterin des Chors, zu ihr, dass sie den glimmenden Funken anfache, und so geschah es, dass im heiligen Gesange der Kirche der Glaube in ihr entzuendet wurde. Noch ist Zulema nicht durch die heilige Taufe in den Schoss der Kirche aufgenommen, aber vergoennt wurde es ihr unserm Chor sich beizugesellen, und so ihre wunderbare Stimme zur Glorie der Religion zu erheben." Die Koenigin wusste nun wohl, was in Aguillars Innerm vorgegangen, als er auf Agostinos Einrede Zulema nicht zuruecksandte nach Granada, sondern sie im Kloster aufnehmen liess und um so mehr war sie erfreut ueber Zulemas Bekehrung zum wahren Glauben. Nach wenigen Tagen wurde Zulema getauft und erhielt den Namen Julia. Die Koenigin selbst, der Marquis von Cadix, Heinrich von Gusman, die Feldherren Mendoza, Villena, waren die Zeugen des heiligen Akts. Man haette glauben sollen, dass Julias Gesang nun noch inniger und wahrer die Herrlichkeit des Glaubens haette verkuenden muessen und so geschah es auch wirklich eine kurze Zeit hindurch, indessen bemerkte Emanuela bald, dass Julia oft auf seltsame Weise von dem Choral abwich, fremdartige Toene einmischend. Oft hallte urploetzlich der dumpfe Klang einer tiefgestimmten Zither durch den Chor. Der Ton glich dem Nachklingen vom Sturm durchrauschter Saiten. Dann wurde Julia unruhig und es geschah sogar, dass sie wie willkuerlos in den lateinischen Hymnus ein mohrisches Wort einwarf. Emanuela warnte die Neubekehrte, standhaft zu widerstehen dem Feinde, aber leichtsinnig achtete Julia dessen nicht und zum Aergernis der Schwestern sang sie oft, wenn eben die ernsten heiligen Choraele des alten Ferreras erklungen, taendelnde mohrische Liebeslieder zur Zither, die sie wieder hochgestimmt hatte. Sonderbarerweise klangen jetzt die Zithertoene, die oft durch den Chor sausten, auch hoch und recht widrig beinahe wie das gellende Gepfeife der kleinen mohrischen Floeten. Der Kapellmeister. Flauti piccoli - Oktavfloetchen. Aber, mein Bester, noch bis jetzt nichts, gar nichts fuer die Oper - keine Exposition und das ist immer die Hauptsache, doch mit der tiefen und hohen Stimmung der Zither, das hat mich angeregt. Glaubt Ihr nicht, dass der Teufel ein Tenorist ist? Er ist falsch wie - der Teufel, und daher macht er alles im Falsett! Der Enthusiast. Gott im Himmel! - Ihr werdet von Tage zu Tage witziger, Kapellmeister! Aber Ihr habt recht, lassen wir dem teuflischen Prinzip alles ueberhohe unnatuerliche Gepfeife, Gequieke etc. Doch weiter fort in der Erzaehlung, die mir eigentlich blutsauer wird, weil ich jeden Augenblick Gefahr laufe, ueber irgend einen wohl zu beachtenden Moment wegzuspringen. Es begab sich, dass die Koenigin, begleitet von den edlen Feldherren des Lagers, nach der Kirche der Benedektiner-Nonnen schritt, um wie gewoehnlich die Messe zu hoeren. Vor der Pforte lag ein elender zerlumpter Bettler, die Trabanten wollten ihn fortschaffen, doch halb erhoben riss er sich wieder los und warf sich heulend nieder, so dass er die Koenigin beruehrte. Ergrimmt sprang Aguillar hervor und wollte den Elenden mit dem Fusse fortstossen. Der richtete sich aber mit halbem Leibe gegen ihn empor und schrie: "Tritt die Schlange - tritt die Schlange, sie wird dich stechen zum Tode!" und dazu griff er in die Saiten der unter den Lumpen versteckten Zither, dass sie im gellenden widrig pfeifenden Tone zerrissen und alle von unheimlichem Grauen ergriffen, zurueckbebten. Die Trabanten schafften das widrige Gespenst fort und es hiess: der Mensch sei ein gefangener wahnsinniger Mohr, der aber durch seine tollen Spaesse und durch sein verwunderliches Zitherspiel die Soldaten im Lager belustige. Die Koenigin trat ein und das Amt begann. Die Schwestern im Chor intonierten das Sanctus, eben sollte Julia mit maechtiger Stimme wie sonst eintreten: "Pleni sunt coeli gloria tua", da ging ein gellender Zitherton durch den Chor, Julia schlug schnell das Blatt zusammen und wollte den Chor verlassen. "Was beginnst du?" rief Emanuela. "Oh!" sagte Julia, "hoerst du denn nicht die praechtigen Toene des Meisters? dort bei ihm, mit ihm muss ich singen!" damit eilte Julia nach der Tuere, aber Emanuela sprach mit sehr ernster feierlicher Stimme: "Suenderin, die du den Dienst des Herrn entweihst, da du mit dem Munde sein Lob verkuendest und im Herzen weltliche Gedanken traegst, flieh von hinnen, gebrochen ist die Kraft des Gesanges in dir, verstummt sind die wunderbaren Laute in deiner Brust die der Geist des Herrn entzuendet!" - Von Emanuelas Worten wie vom Blitz getroffen, schwankte Julia fort. Eben wollten die Nonnen zur Nachtzeit sich versammeln, um die Hora zu singen, als ein dicker Qualm schnell die ganze Kirche erfuellte. Bald darauf drangen die Flammen zischend und prasselnd durch die Waende des Nebengebaeudes und erfassten das Kloster. Mit Muehe gelang es den Nonnen ihr Leben zu retten, Trompeten und Hoerner schmetterten durch das Lager, aus dem ersten Schlaf taumelten die Soldaten auf; man sah den Feldherrn Aguillar mit versengtem Haar, mit halbverbrannten Kleidern aus dem Kloster stuerzen, er hatte Julia, die man vermisste, vergebens zu retten gesucht, keine Spur von ihr war zu finden. Fruchtlos blieb der Kampf gegen das Feuer, das von dem Sturm, der sich erhoben, angefacht, immer mehr um sich griff: in kurzer Zeit lag Isabellens ganzes reiches herrliches Lager in Asche. Die Mauren im Vertrauen, dass der Christen Unglueck ihnen Sieg bringen wuerde, wagten mit einer bedeutenden Macht einen Ausfall, glaenzender war aber fuer die Waffen der Spanier nie ein Kampf gewesen, als eben dieser, und als sie unter dem jauchzenden Schall der Trompeten sieggekroent in ihre Verschanzungen zurueckzogen, da bestieg die Koenigin Isabella den Thron, den man im Freien errichtet hatte und verordnete, dass an der Stelle des abgebrannten Lagers eine Stadt gebaut werde! Zeigen sollte dies den Mauren in Granada, dass niemals die Belagerung aufgehoben werden wuerde. Der Kapellmeister. Duerfte man sich nur mit geistlichen Dingen auf das Theater wagen, hat man nicht schon seine Not mit dem lieben Publikum, wenn man hie und da ein bisschen Choral anbringt. Sonst waer die Julia gar keine ueble Partie. Denkt Euch den doppelten Stil, in welchem sie glaenzen kann, erst die Romanzen, dann die Kirchengesaenge. Einige allerliebste spanische und mohrische Lieder hab ich bereits fertig, auch ist der Sieges-Marsch der Spanier gar nicht uebel, so wie ich das Gebot der Koenigin melodramatisch zu behandeln willens bin, wie indessen das Ganze sich zusammenfuegen soll, das weiss der Himmel! - Aber erzaehlt weiter, kommen wir wieder auf Julia, die hoffentlich nicht verbrannt sein wird. Der Enthusiast. Denkt Euch, liebster Kapellmeister, dass jene Stadt, die die Spanier in einundzwanzig Tagen aufbauten und mit Mauern umgaben, eben das heute noch stehende Santa Fe ist. Doch indem ich das Wort so unmittelbar an Euch richte, falle ich aus dem feierlichen Ton, der allein sich zu dem feierlichen Stoffe passt. Ich wollte Ihr spieltet eins von Palestrinas Responsorien, die dort auf dem Pult des Fortepianos aufgeschlagen liegen. Der Kapellmeister tat es und hierauf fuhr der reisende Enthusiast fort: Die Mauren unterliessen nicht, die Spanier waehrend des Aufbaues ihrer Stadt auf mannigfache Weise zu beunruhigen, die Verzweiflung trieb sie zur verwegensten Kuehnheit und so wurden die Gefechte ernster als jemals. Aguillar hatte einst ein maurisches Geschwader, das die spanischen Vorwachen ueberfallen, bis in die Mauern von Granada zurueckgetrieben. Er kehrte mit seinen Reitern zurueck, und hielt unfern den ersten Verschanzungen bei einem Myrtenwaeldchen, sein Gefolge fortschickend, um so ernstem Gedanken und wehmuetiger Erinnerung sich mit ganzem Gemuet hingeben zu koennen. Julias Bild stand lebendig vor seines Geistes Augen. Schon waehrend des Gefechts hoerte er ihre Stimme bald drohend bald klagend ertoenen und auch jetzt war es ihm als saeusle ein seltsamer Gesang, halb mohrisches Lied halb christlicher Kirchengesang, durch die dunklen Myrten. Da rauschte ploetzlich ein mohrischer Ritter im silbernen Schuppenharnisch auf leichtem arabischen Pferde aus dem Walde hervor und gleich sauste auch der geworfene Speer dicht bei Aguillars Haupt vorbei. Er wollte mit gezogenem Schwert auf den Feind losstuerzen, als der zweite Speer flog und seinem Pferde tief in der Brust stecken blieb, dass es sich vor Wut und Schmerz hoch emporbaeumte und Aguillar sich schnell von der Seite herabschwingen musste, um schwerem Falle nicht zu erliegen. Der Mohr war herangesprengt und hieb herab mit der Sichelklinge nach Aguillars entbloesstem Haupt. Aber geschickt parierte Aguillar den Todesstreich und hieb so gewaltig nach, dass der Mohr sich nur rettete, indem er tief vom Pferde niedertauchte. In demselben Augenblick draengte sich des Mohren Pferd dicht an Aguillar, so dass er keinen zweiten Hieb fuehren konnte, der Mohr riss seinen Dolch hervor, aber noch ehe er zustossen konnte, hatte ihn Aguillar mit Riesenstaerke erfasst, vom Pferde heruntergezogen und ringend zu Boden geworfen. Er kniete auf des Mohren Brust und indem er mit der linken Faust des Mohren rechten Arm so gewaltig gepackt hatte, dass er regungslos blieb, zog er seinen Dolch. Schon hatte er den Arm erhoben, um des Mohren Kehle zu durchstossen, als dieser tief aufseufzte: "Zulema!" - Zur Bildsaeule erstarrt vermochte Aguillar nicht die Tat zu vollenden. "Unseliger", rief er, "welch einen Namen nanntest du?" - "Stosse zu", stoehnte der Mohr, "stosse zu, du toetest den, der dir Tod und Verderben geschworen hat. Ja! wisse, verraeterischer Christ, wisse, dass es Hichem der letzte des Stammes Alhamar ist, dem du Zulema raubtest! - Wisse, dass jener zerlumpte Bettler, der mit den Gebaerden des Wahnsinns in eurem Lager umherschlich, Hichem war, wisse dass es mir gelang, das dunkle Gefaengnis, in dem ihr Verruchte das Licht meiner Gedanken eingeschlossen, anzuzuenden, und Zulema zu retten." "Zulema -Julia lebt?" rief Aguillar. Da lachte Hichem gellend auf im grausigen Hohn: "Ja sie lebt, aber Euer blutiges dornengekroentes Goetzenbild hat mit fluchwuerdigem Zauber sie befangen und die duftende gluehende Blume des Lebens eingehuellt in die Leichentuecher der wahnsinnigen Weiber, die Ihr Braeute Eures Goetzen nennt. Wisse, dass Ton und Gesang in ihrer Brust wie angeweht vom giftigen Hauch des Samums erstorben ist. Dahin ist alle Lust des Lebens mit Zulemas suessen Liedern, darum toete mich - toete mich, da ich nicht Rache zu nehmen vermag an dir, der du mir schon mehr als mein Leben entrissest." Aguillar liess ab von Hichem und erhob sich, sein Schwert von dem Boden aufnehmend langsam. "Hichem", sprach er: "Zulema, die in heiliger Taufe den Namen Julia empfing, wurde meine Gefangene im ehrlichen offenen Kampf. Erleuchtet von der Gnade des Herrn, entsagte sie Mahoms schnoedem Dienst und was du verblendeter Mohr boesen Zauber eines Goetzenbildes nennst, war nur die Versuchung des Boesen, dem sie nicht zu widerstehen vermochte. Nennst du Zulema deine Geliebte, so sei Julia, die zum Glauben Bekehrte, die Dame meiner Gedanken, und _sie_ im Herzen, zur Glorie des wahren Glaubens will ich gegen dich bestehen im wackern Kampf. Nimm deine Waffen und falle gegen mich aus wie du willst nach deiner Sitte." Schnell ergriff Hichem Schwert und Tartsche, aber auf Aguillar losrennend, wankte er laut aufbruellend zurueck, warf sich auf das Pferd, das neben ihm stehen geblieben und sprengte gestreckten Galopps davon. Aguillar wusste nicht was das zu bedeuten haben koennte, aber in dem Augenblick stand der ehrwuerdige Greis Agostino Sanchez hinter ihm und sprach sanft laechelnd: "Fuerchtet Hichem mich oder den Herrn, der in mir wohnt und dessen Liebe er verschmaeht?" Aguillar erzaehlte alles was er von Julia vernommen und beide erinnerten sich nun wohl an die prophetischen Worte Emanuelas, als Julia verlockt von Hichems Zithertoenen alle Andacht im Innern ertoetend, den Chor waehrend des Sanctus verliess. Der Kapellmeister. Ich denke an keine Oper mehr, aber das Gefecht zwischen dem Mohren Hichem im Schuppenharnisch und dem Feldherrn Aguillar ging mir auf in Musik. - Hol es der Teufel! - wie kann man nun besser gegeneinander ausfallen lassen als es Mozart im Don Giovanni getan hat. Ihr wisst doch - in der ersten - Der reisende Enthusiast. Still Kapellmeister! Ich werde nun meiner schon zu langen Erzaehlung den letzten Ruck geben. Noch allerlei kommt vor, und es ist noetig die Gedanken zusammenzuhalten, um so mehr, da ich immer dabei an Bettina denke, welches mich nicht wenig verwirrt. Vorzueglich moecht ich gar nicht, dass sie jemals etwas von meiner spanischen Geschichte erfuehre und doch ist es mir so, als wenn sie dort an jener Tuere lauschte, welches natuerlicherweise pure Einbildung sein muss. Also weiter. Immer und immer geschlagen in allen Gefechten, von der taeglich-stuendlich zunehmenden Hungersnot gedrueckt, sahen sich die Mauren endlich genoetigt, zu kapitulieren und im festlichen Gepraenge unter dem Donner des Geschuetzes zogen Ferdinand und Isabella in Granada ein. Priester hatten die grosse Moschee eingeweiht zur Kathedrale und dorthin ging der Zug, um in andaechtiger Messe, im feierlichen Te deum laudamus dem Herrn der Heerscharen zu danken fuer den glorreichen Sieg ueber die Diener Mahoms, des falschen Propheten. Man kannte die nur muehsam unterdrueckte, immer neu aufgeifernde Wut der Mohren und daher deckten Truppenabteilungen, die durch entferntere Strassen schlagfertig zogen, die durch die Hauptstrasse sich bewegende Prozession. So geschah es, dass Aguillar an der Spitze einer Abteilung Fussvolks eben auf entfernterem Wege sich nach der Kathedrale, wo das Amt schon begonnen, begeben wollte, als er sich ploetzlich durch einen Pfeilschuss an der linken Schulter verwundet fuehlte. In demselben Augenblick stuerzte ein Haufen Mohren aus einem dunklen Bogengange hervor, und ueberfiel die Christen mit verzweifelnder Wut. Hichem an der Spitze rannte gegen Aguillar an, dieser nur leicht verletzt, kaum den Schmerz der Wunde fuehlend, parierte geschickt den gewaltigen Hieb und in demselben Augenblick lag auch Hichem mit gespaltenem Kopf zu seinen Fuessen. Die Spanier drangen wuetend ein auf die verraeterischen Mohren, die bald heulend flohen und sich in ein steinernes Haus warfen, dessen Tor sie schnell verschlossen. Die Spanier stuermten heran, aber da regnete es Pfeile aus den Fenstern, Aguillar befahl Feuerbraende hineinzuwerfen. Schon loderten die Flammen aus dem Dache hoch auf, als durch den Donner des Geschuetzes eine wunderbare Stimme aus dem brennenden Gebaeude erklang: "Sanctus - Sanctus Dominus deus Sabaoth." - "Julia - Julia!" rief Aguillar in trostlosem Schmerz, da oeffneten sich die Pforten, und Julia im Gewande der Benediktiner-Nonne trat hervor mit starker Stimme singend: "Sanctus - Sanctus dominus deus Sabaoth", hinter ihr zogen die Mohren in gebeugter Stellung die Haende auf der Brust zum Kreuz verschraenkt. Erstaunt wichen die Spanier zurueck und durch ihre Reihen zog Julia mit den Mohren nach der Kathedrale - hineintretend intonierte sie das: "Benedictus qui venit in nomine domini." Unwillkuerlich, als komme die Heilige vom Himmel gesendet, Heiliges zu verkuenden den Gesegneten des Herrn, beugte das Volk die Knie. Festen Schrittes, den verklaerten Blick gen Himmel gerichtet, trat Julia vor den Hochaltar zwischen Ferdinand und Isabellen, das Amt singend und die heiligen Gebraeuche mit inbruenstiger Andacht uebend. Bei den letzten Lauten des: "Dona nobis pacem", sank Julia entseelt der Koenigin in die Arme. Alle Mohren, die ihr gefolgt, empfingen, zum Glauben bekehrt, selbigen Tages die heilige Taufe. So hatte der Enthusiast seine Geschichte geendet, als der Doktor mit vielem Geraeusch eintrat, heftig mit dem Stock auf die Erde stiess und zornig schrie: "Da sitzen sie noch und erzaehlen sich tolle fantastische Geschichten ohne Ruecksicht auf Nachbarschaft und machen die Leute kraenker." - "Was ist denn nun wieder geschehen, mein Wertester", sprach der Kapellmeister ganz erschrocken. "Ich weiss es recht gut", fiel der Enthusiast ganz gelassen ein. "Nichts mehr und nichts weniger, als dass Bettina uns stark reden gehoert hat, dort ins Kabinett gegangen ist und alles weiss." - "Das habt Ihr nun", sprudelte der Doktor, "von Euren verdammten luegenhaften Geschichten, wahnsinniger Enthusiast, dass Ihr reizbare Gemueter vergiftet - ruiniert, mit Eurem tollen Zeuge; aber ich werde Euch das Handwerk legen." - "Herrlicher Doktor!" unterbrach der Enthusiast den Zornigen, "ereifert Euch nicht und bedenkt, dass Bettinas psychische Krankheit psychische Mittel erfordert und dass vielleicht meine Geschichte" - "Still still", fiel der Doktor ganz gelassen ein, "ich weiss schon, was Ihr sagen wollt." - "Zu einer Oper taugt es nicht, aber sonst gab es darin einige sonderbar klingende Akkorde." So murmelte der Kapellmeister, indem er den Hut ergriff und den Freunden folgte. Als drei Monat darauf der reisende Enthusiast der gesundeten Bettina, die mit herrlicher Glocken-Stimme Pergoleses Stabat mater (jedoch nicht in der Kirche, sondern im maessig grossen Zimmer) gesungen hatte, voll Freude und andaechtigen Entzueckens die Hand kuesste, sprach sie: "Ein Hexenmeister sind Sie gerade nicht, aber zuweilen etwas widerhaarigter Natur", "wie alle Enthusiasten", setzte der Kapellmeister hinzu. Zweiter Teil Das oede Haus Man war darueber einig, dass die wirklichen Erscheinungen im Leben oft viel wunderbarer sich gestalten, als alles, was die regste Fantasie zu erfinden trachte. "Ich meine", sprach Lelio, "dass die Geschichte davon hinlaenglichen Beweis gibt und dass eben deshalb die sogenannten historischen Romane, worin der Verfasser, in seinem muessigen Gehirn bei aermlichem Feuer ausgebruetete Kindereien, den Taten der ewigen, im Universum wartenden Macht beizugesellen sich unterfaengt, so abgeschmackt und widerlich sind." - "Es ist", nahm Franz das Wort, "die tiefe Wahrheit der unerforschlichen Geheimnisse, von denen wir umgeben, welche uns mit einer Gewalt ergreift, an der wir den ueber uns herrschenden, uns selbst bedingenden Geist erkennen." - "Ach!" fuhr Lelio fort, "die Erkenntnis, von der du sprichst! - Ach das ist ja eben die entsetzlichste Folge unserer Entartung nach dem Suendenfall, dass diese Erkenntnis uns fehlt!" - "Viele", unterbrach Franz den Freund, "viele sind berufen und wenige auserwaehlt! Glaubst du denn nicht, dass das Erkennen, das beinahe noch schoenere Ahnen der Wunder unseres Lebens manchem verliehen ist, wie ein besonderer Sinn? Um nur gleich aus der dunklen Region, in die wir uns verlieren koennten, heraufzuspringen in den heitren Augenblick, werf ich euch das skurrile Gleichnis hin, dass Menschen, denen die Sehergabe [gegeben], das Wunderbare zu schauen, mir wohl wie die Fledermaeuse beduenken wollen, an denen der gelehrte Anatom Spalanzani einen vortrefflichen sechsten Sinn entdeckte, der als schalkhafter Stellvertreter nicht allein alles, sondern viel mehr ausrichtet, als alle uebrige Sinne zusammengenommen." - "Ho ho", rief Franz laechelnd, "so waeren denn die Fledermaeuse eigentlich recht die gebornen natuerlichen Somnambulen! Doch in dem heitern Augenblick, dessen du gedachtest, will ich Posto fassen und bemerken, dass jener sechste bewundrungswuerdige Sinn vermag an jeder Erscheinung, sei es Person, Tat oder Begebenheit, sogleich dasjenige Exzentrische zu schauen, zu dem wir in unserm gewoehnlichen Leben keine Gleichung finden und es daher wunderbar nennen. Was ist denn aber gewoehnliches Leben? - Ach das Drehen in dem engen Kreise, an den unsere Nase ueberall stoesst, und doch will man wohl Courbetten versuchen im taktmaessigen Passgang des Alltagsgeschaefts. Ich kenne jemanden, dem jene Sehergabe, von der wir sprechen, ganz vorzueglich eigen scheint. Daher kommt es, dass er oft unbekannten Menschen, die irgend etwas Verwunderliches in Gang, Kleidung, Ton, Blick haben, tagelang nachlaeuft, dass er ueber eine Begebenheit, ueber eine Tat, leichthin erzaehlt, keiner Beachtung wert und von niemanden beachtet, tiefsinnig wird, dass er antipodische Dinge zusammenstellt und Beziehungen herausfantasiert, an die niemand denkt." Lelio rief laut: "Halt, halt, das ist ja unser Theodor, der ganz was Besonderes im Kopfe zu haben scheint, da er mit solch seltsamen Blicken in das Blaue herausschaut." - "In der Tat", fing Theodor an, der so lange geschwiegen, "in der Tat, waren meine Blicke seltsam, solang darin der Reflex des wahrhaft Seltsamen, das ich im Geiste schaute. Die Erinnerung eines unlaengst erlebten Abenteuers" - "O erzaehle, erzaehle", unterbrachen ihn die Freunde. "Erzaehlen", fuhr Theodor fort, "moecht ich wohl, doch muss ich zuvoerderst dir, lieber Lelio, sagen, dass du die Beispiele, die meine Sehergabe dartun sollten, ziemlich schlecht waehltest. Aus Eberhards Synonymik musst du wissen, dass _wunderlich_ alle Aeusserungen der Erkenntnis und des Begehrens genannt werden, die sich durch keinen vernuenftigen Grund rechtfertigen lassen, _wunderbar_ aber dasjenige heisst, was man fuer unmoeglich, fuer unbegreiflich haelt, was die bekannten Kraefte der Natur zu uebersteigen, oder wie ich hinzufuege, ihrem gewoehnlichen Gange entgegen zu sein scheint. Daraus wirst du entnehmen, dass du vorhin ruecksichts meiner angeblichen Sehergabe das Wunderliche mit dem Wunderbaren verwechseltest. Aber gewiss ist es, dass das anscheinend Wunderliche aus dem Wunderbaren sprosst, und dass wir nur oft den wunderbaren Stamm nicht sehen, aus dem die wunderlichen Zweige mit Blaettern und Blueten hervorsprossen. In dem Abenteuer, das ich euch mitteilen will, mischt sich beides, das Wunderliche und Wunderbare, auf, wie mich duenkt, recht schauerliche Weise." Mit diesen Worten zog Theodor sein Taschenbuch hervor, worin er, wie die Freunde wussten, allerlei Notizen von seiner Reise her eingetragen hatte, und erzaehlte, dann und wann in dies Buch hineinblickend, folgende Begebenheit, die der weiteren Mitteilung nicht unwert scheint. "Ihr wisst" (so fing Theodor an), "dass ich den ganzen vorigen Sommer in ***n zubrachte. Die Menge alter Freunde und Bekannten, die ich vorfand, das freie gemuetliche Leben, die mannigfachen Anregungen der Kunst und der Wissenschaft, das alles hielt mich fest. Nie war ich heitrer, und meiner alten Neigung, oft allein durch die Strassen zu wandeln, und mich an jedem ausgehaengten Kupferstich, an jedem Anschlagzettel zu ergoetzen, oder die mir begegnenden Gestalten zu betrachten, ja wohl manchem in Gedanken das Horoskop zu stellen, hing ich hier mit Leidenschaft nach, da nicht allein der Reichtum der ausgestellten Werke der Kunst und des Luxus, sondern der Anblick der vielen herrlichen Prachtgebaeude unwiderstehlich mich dazu antrieb. Die mit Gebaeuden jener Art eingeschlossene Allee, welche nach dem ***ger Tore fuehrt, ist der Sammelplatz des hoeheren, durch Stand oder Reichtum zum ueppigeren Lebensgenuss berechtigten Publikums. In dem Erdgeschoss der hohen breiten Palaeste werden meistenteils Waren des Luxus feilgeboten, indes in den obern Stockwerken Leute der beschriebenen Klasse hausen. Die vornehmsten Gasthaeuser liegen in dieser Strasse, die fremden Gesandten wohnen meistens darin, und so koennt ihr denken, dass hier ein besonderes Leben und Regen mehr als in irgend einem andern Teile der Residenz stattfinden muss, die sich eben auch hier volkreicher zeigt, als sie es wirklich ist. Das Zudraengen nach diesem Orte macht es, dass mancher sich mit einer kleineren Wohnung, als sein Beduerfnis eigentlich erfordert, begnuegt, und so kommt es, dass manches von mehreren Familien bewohnte Haus einem Bienenkorbe gleicht. Schon oft war ich die Allee durchwandelt, als mir eines Tages ploetzlich ein Haus ins Auge fiel, das auf ganz wunderliche seltsame Weise von allen uebrigen abstach. Denkt euch ein niedriges, vier Fenster breites, von zwei hohen schoenen Gebaeuden eingeklemmtes Haus, dessen Stock ueber dem Erdgeschoss nur wenig ueber die Fenster im Erdgeschoss des nachbarlichen Hauses hervorragt, dessen schlecht verwahrtes Dach, dessen zum Teil mit Papier verklebte Fenster, dessen farblose Mauern von gaenzlicher Verwahrlosung des Eigentuemers zeugen. Denkt euch, wie solch ein Haus zwischen mit geschmackvollem Luxus ausstaffierten Prachtgebaeuden sich ausnehmen muss. Ich blieb stehen und bemerkte bei naeherer Betrachtung, dass alle Fenster dicht verzogen waren, ja dass vor die Fenster des Erdgeschosses eine Mauer aufgefuehrt schien, dass die gewoehnliche Glocke an dem Torwege, der, an der Seite angebracht, zugleich zur Haustuere diente, fehlte, und dass an dem Torwege selbst nirgends ein Schloss, ein Druecker zu entdecken war. Ich wurde ueberzeugt, dass dieses Haus ganz unbewohnt sein muesse, da ich niemals, niemals, so oft und zu welcher Tageszeit ich auch voruebergehen mochte, auch nur die Spur eines menschlichen Wesens darin wahrnahm. Ein unbewohntes Haus in dieser Gegend der Stadt! Eine wunderliche Erscheinung und doch findet das Ding vielleicht darin seinen natuerlichen einfachen Grund, dass der Besitzer auf einer lange dauernden Reise begriffen oder auf fernen Guetern hausend, dies Grundstueck weder vermieten noch veraeussern mag, um, nach ***n zurueckkehrend, augenblicklich seine Wohnung dort aufschlagen zu koennen. - So dacht ich, und doch weiss ich selbst nicht wie es kam, dass bei dem oeden Hause vorueberschreitend ich jedesmal wie festgebannt stehen bleiben und mich in ganz verwunderliche Gedanken nicht sowohl vertiefen, als verstricken musste. - Ihr wisst es ja alle, ihr wackern Kumpane meines froehlichen Jugendlebens, ihr wisst es ja alle, wie ich mich von jeher als Geisterseher gebaerdete und wie mir nur einer wunderbaren Welt seltsame Erscheinungen ins Leben treten wollten, die ihr mit derbem Verstande wegzuleugnen wusstet! - Nun! zieht nur eure schlauen spitzfuendigen Gesichter, wie ihr wollt, gern zugestehen darf ich ja, dass ich oft mich selbst recht arg mystifiziert habe, und dass mit dem oeden Hause sich dasselbe ereignen zu wollen schien, aber - am Ende kommt die Moral, die euch zu Boden schlaegt, horcht nur auf! - Zur Sache! - Eines Tages und zwar in der Stunde, wenn der gute Ton gebietet, in der Allee auf und ab zu gehen, stehe ich, wie gewoehnlich, in tiefen Gedanken hinstarrend vor dem oeden Hause. Ploetzlich bemerke ich, ohne gerade hinzusehen, dass jemand neben mir sich hingestellt und den Blick auf mich gerichtet hatte. Es ist Graf P., der sich schon in vieler Hinsicht als mir geistesverwandt kundgetan hat, und sogleich ist mir nichts gewisser, als dass auch ihm das Geheimnisvolle des Hauses aufgegangen war. Um so mehr fiel es mir auf, dass, als ich von dem seltsamen Eindruck sprach, den dies veroedete Gebaeude hier in der belebtesten Gegend der Residenz auf mich gemacht hatte, er sehr ironisch laechelte, bald war aber alles erklaert. Graf P. war viel weiter gegangen als ich, aus manchen Bemerkungen, Kombinationen etc. hatte er die Bewandtnis herausgefunden, die es mit dem Hause hatte, und eben diese Bewandtnis lief auf eine solche ganz seltsame Geschichte heraus, die nur die lebendigste Fantasie des Dichters ins Leben treten lassen konnte. Es waere wohl recht, dass ich euch die Geschichte des Grafen, die ich noch klar und deutlich im Sinn habe, mitteilte, doch schon jetzt fuehle ich mich durch das, was sich wirklich mit mir zutrug, so gespannt, dass ich unaufhaltsam fortfahren muss. Wie war aber dem guten Grafen zu Mute, als er mit der Geschichte fertig, erfuhr, dass das veroedete Haus nichts anders enthalte, als die Zuckerbaeckerei des Konditors, dessen prachtvoll eingerichteter Laden dicht anstiess. Daher waren die Fenster des Erdgeschosses, wo die Oefen eingerichtet, vermauert und die zum Aufbewahren des Gebacknen im obern Stock bestimmten Zimmer mit dicken Vorhaengen gegen Sonne und Ungeziefer verwahrt. Ich erfuhr, als der Graf mir dies mitteilte, so wie er, die Wirkung des Sturzbades, oder es zupfte wenigstens der allem Poetischen feindliche Daemon den Suesstraeumenden empfindlich und schmerzhaft bei der Nase. - Unerachtet der prosaischen Aufklaerung musste ich doch noch immer voruebergehend nach dem oeden Hause hinschauen, und noch immer gingen im leisen Froesteln, das mir durch die Glieder bebte, allerlei seltsame Gebilde von dem auf, was dort verschlossen. Durchaus konnte ich mich nicht an den Gedanken der Zuckerbaeckerei, des Marzipans, der Bonbons, der Torten, der eingemachten Fruechte usw. gewoehnen. Eine seltsame Ideen-Kombination liess mir das alles erscheinen wie suesses beschwichtigendes Zureden. Ungefaehr: 'Erschrecken Sie nicht, Bester! wir alle sind liebe suesse Kinderchen, aber der Donner wird gleich ein bisschen einschlagen.' Dann dachte ich wieder: 'Bist du nicht ein recht wahnsinniger Tor, dass du das Gewoehnlichste in das Wunderbare zu ziehen trachtest, schelten deine Freunde dich nicht mit Recht einen ueberspannten Geisterseher?' - Das Haus blieb, wie es bei der angeblichen Bestimmung auch nicht anders sein konnte, immer unveraendert, und so geschah es, dass mein Blick sich daran gewoehnte, und die tollen Gebilde, die sonst ordentlich aus den Mauern hervorzuschweben schienen, allmaehlig verschwanden. Ein Zufall weckte alles, was eingeschlummert, wieder auf. - Dass, unerachtet ich mich, so gut es gehen wollte, ins Alltaegliche gefuegt hatte, ich doch nicht unterliess, das fabelhafte Haus im Auge zu behalten, das koennt ihr euch bei meiner Sinnesart, die nun einmal mit frommer ritterlicher Treue am Wunderbaren festhaelt, wohl denken. So geschah es, dass ich eines Tages, als ich wie gewoehnlich zur Mittagsstunde in der Allee lustwandelte meinen Blick auf die verhaengten Fenster des oeden Hauses richtete. Da bemerkte ich, dass die Gardine an dem letzten Fenster dicht neben dem Konditorladen sich zu bewegen begann. Eine Hand, ein Arm kam zum Vorschein. Ich riss meinen Operngucker heraus und gewahrte nun deutlich die blendend weisse, schoen geformte Hand eines Frauenzimmers, an deren kleinem Finger ein Brillant mit ungewoehnlichem Feuer funkelte, ein reiches Band blitzte an dem in ueppiger Schoenheit geruendeten Arm. Die Hand setzte eine hohe seltsam geformte Kristallflasche hin auf die Fensterbank und verschwand hinter dem Vorhange. Erstarrt blieb ich stehen, ein sonderbar baenglich wonniges Gefuehl durchstroemte mit elektrischer Waerme mein Inneres, unverwandt blickte ich herauf nach dem verhaengnisvollen Fenster, und wohl mag ein sehnsuchtsvoller Seufzer meiner Brust entflohen sein. Ich wurde endlich wach und fand mich umringt von vielen Menschen allerlei Standes, die so wie ich mit neugierigen Gesichtern heraufguckten. Das verdross mich, aber gleich fiel mir ein, dass jedes Hauptstadtvolk jenem gleiche, das zahllos vor dem Hause versammelt, nicht zu gaffen und sich darueber zu verwundern aufhoeren konnte, dass eine Schlafmuetze aus dem sechsten Stock herabgestuerzt, ohne eine Masche zu zerreissen. - Ich schlich mich leise fort, und der prosaische Daemon fluesterte mir sehr vernehmlich in die Ohren, dass soeben die reiche, sonntaeglich geschmueckte Konditorsfrau eine geleerte Flasche feinen Rosenwassers o. s. auf die Fensterbank gestellt. - Seltner Fall! - mir kam urploetzlich ein sehr gescheuter Gedanke. - Ich kehrte um und geradezu ein, in den leuchtenden Spiegelladen des dem oeden Hause nachbarlichen Konditors. - Mit kuehlendem Atem den heissen Schaum von der Schokolade wegblasend, fing ich leicht hingeworfen an: 'In der Tat, Sie haben da nebenbei Ihre Anstalt sehr schoen erweitert.' Der Konditor warf noch schnell ein paar bunte Bonbons in die Viertel-Tuete, und diese dem lieblichen Maedchen, das darnach verlangte, hinreichend, lehnte er sich mit aufgestemmtem Arm weit ueber den Ladentisch herueber und schaute mich mit solch laechelnd fragendem Blick an, als habe er mich gar nicht verstanden. Ich wiederholte, dass er sehr zweckmaessig in dem benachbarten Hause seine Baeckerei angelegt, wiewohl das dadurch veroedete Gebaeude in der lebendigen Reihe der uebrigen duester und traurig absteche. 'Ei mein Herr!' fing nun der Konditor an, 'wer hat Ihnen denn gesagt, dass das Haus nebenan uns gehoert? - Leider blieb jeder Versuch es zu akquirieren vergebens, und am Ende mag es auch gut sein, denn mit dem Hause nebenan hat es eine eigne Bewandtnis.' - Ihr, meine treuen Freunde, koennt wohl denken, wie mich des Konditors Antwort spannte, und wie sehr ich ihn bat, mir mehr von dem Hause zu sagen. 'Ja, mein Herr!' sprach er, 'recht Sonderliches weiss ich selbst nicht davon, so viel ist aber gewiss, dass das Haus der Graefin von S. gehoert, die auf ihren Guetern lebt und seit vielen Jahren nicht in ***n gewesen ist. Als noch keins der Prachtgebaeude existierte, die jetzt unsere Strasse zieren, stand dies Haus, wie man mir erzaehlt hat, schon in seiner jetzigen Gestalt da, und seit der Zeit wurd es nur gerade vor dem gaenzlichen Verfall gesichert. Nur zwei lebendige Wesen hausen darin, ein steinalter menschenfeindlicher Hausverwalter und ein graemlicher lebenssatter Hund, der zuweilen auf dem Hinterhofe den Mond anheult. Nach der allgemeinen Sage soll es in dem oeden Gebaeude haesslich spuken, und in der Tat, mein Bruder (der Besitzer des Ladens) und ich, wir beide haben in der Stille der Nacht, vorzueglich zur Weihnachtszeit, wenn uns unser Geschaeft hier im Laden wach erhielt, oft seltsame Klagelaute vernommen, die offenbar sich hier hinter der Mauer im Nebenhause erhoben. Und dann fing es an so haesslich zu scharren und zu rumoren, dass uns beiden ganz graulich zumute wurde. Auch ist es nicht lange her, dass sich zur Nachtzeit ein solch sonderbarer Gesang hoeren liess, den ich Ihnen nun gar nicht beschreiben kann. Es war offenbar die Stimme eines alten Weibes, die wir vernahmen, aber die Toene waren so gellend klar, und liefen in bunten Kadenzen und langen schneidenden Trillern so hoch hinauf, wie ich es, unerachtet ich doch in Italien, Frankreich und Deutschland so viel Saengerinnen gekannt, noch nie gehoert habe. Mir war so, als wuerden franzoesische Worte gesungen, doch konnt ich das nicht genau unterscheiden, und ueberhaupt das tolle gespenstige Singen nicht lange anhoeren, denn mir standen die Haare zu Berge. Zuweilen, wenn das Geraeusch auf der Strasse nachlaesst, hoeren wir auch in der hintern Stube tiefe Seufzer, und dann ein dumpfes Lachen, das aus dem Boden hervor zu droehnen scheint, aber das Ohr an die Wand gelegt, vernimmt man bald, dass es eben auch im Hause nebenan so seufzt und lacht. - Bemerken Sie' - (er fuehrte mich in das hintere Zimmer und zeigte durchs Fenster), 'bemerken Sie jene eiserne Roehre, die aus der Mauer hervorragt, die raucht zuweilen so stark, selbst im Sommer, wenn doch gar nicht geheizt wird, dass mein Bruder schon oft wegen Feuersgefahr mit dem alten Hausverwalter gezankt hat, der sich aber damit entschuldigt, dass er sein Essen koche, was der aber essen mag, das weiss der Himmel, denn oft verbreitet sich, eben wenn jene Roehre recht stark raucht, ein sonderbarer ganz eigentuemlicher Geruch.' - Die Glastuere des Ladens knarrte, der Konditor eilte hinein und warf mir, nach der hineingetretenen Figur hinnickend, einen bedeutenden Blick zu. - Ich verstand ihn vollkommen. Konnte denn die sonderbare Gestalt jemand anders sein als der Verwalter des geheimnisvollen Hauses? - Denkt euch einen kleinen duerren Mann mit einem mumienfarbnen Gesichte, spitzer Nase, zusammengekniffenen Lippen, gruen funkelnden Katzenaugen, stetem wahnsinnigem Laecheln, altmodig mit aufgetuermtem Toupet und Klebeloeckchen frisiertem stark gepudertem Haar, grossem Haarbeutel, Postillion d'Amour, kaffeebraunem altem verbleichtem, doch wohlgeschontem, gebuerstetem Kleide, grauen Struempfen, grossen abgestumpften Schuhen mit Steinschnaellchen. Denkt euch, dass diese kleine duerre Figur doch, vorzueglich was die uebergrossen Faeuste mit langen starken Fingern betrifft, robust geformt ist, und kraeftig nach dem Ladentisch hinschreitet, dann aber stets laechelnd und starr hinausschauend nach den in Kristallglaesern aufbewahrten Suessigkeiten mit ohnmaechtiger klagender Stimme herausweint: 'Ein paar eingemachte Pomeranzen - ein paar Makronen - ein paar Zuckerkastanien etc.' Denkt euch das und urteilt selbst, ob hier Grund war, Seltsames zu ahnen oder nicht. Der Konditor suchte alles, was der Alte gefordert, zusammen. 'Wiegen Sie, wiegen Sie, verehrter Herr Nachbar', jammerte der seltsame Mann, holte aechzend und keuchend einen kleinen ledernen Beutel aus der Tasche, und suchte muehsam Geld hervor. Ich bemerkte, dass das Geld, als er es auf den Ladentisch aufzaehlte, aus verschiedenen alten zum Teil schon ganz aus dem gewoehnlichen Kurs gekommenen Muenzsorten bestand. Er tat dabei sehr klaeglich und murmelte: 'Suess - suess - suess soll nun alles sein - suess meinethalben; der Satan schmiert seiner Braut Honig ums Maul - puren Honig.' Der Konditor schaute mich lachend an, und sprach dann zu dem Alten: 'Sie scheinen nicht recht wohl zu sein, ja, ja das Alter, das Alter, die Kraefte nehmen ab immer mehr und mehr.' Ohne die Miene zu aendern rief der Alte mit erhoehter Stimme: 'Alter? - Alter? - Kraefte abnehmen? Schwach - matt werden! Ho ho - ho ho - ho ho!' Und damit schlug er die Faeuste zusammen, dass die Gelenke knackten und sprang, in der Luft ebenso gewaltig die Fuesse zusammenklappend, hoch auf, dass der ganze Laden droehnte und alle Glaeser zitternd erklangen. Aber in dem Augenblick erhob sich auch ein graessliches Geschrei, der Alte hatte den schwarzen Hund getreten der hinter ihm hergeschlichen dicht an seine Fuesse geschmiegt auf dem Boden lag. 'Verruchte Bestie! satanischer Hoellenhund', stoehnte leise im vorigen Ton der Alte, oeffnete die Tuete und reichte dem Hunde eine grosse Makrone hin. Der Hund, der in ein menschliches Weinen ausgebrochen, war sogleich still, setzte sich auf die Hinterpfoten und knapperte an der Makrone wie ein Eichhoernchen. Beide waren zu gleicher Zeit fertig, der Hund mit seiner Makrone, der Alte mit dem Verschliessen und Einstecken seiner Tuete. 'Gute Nacht, verehrter Herr Nachbar', sprach er jetzt, reichte dem Konditor die Hand, und drueckte die des Konditors so, dass er laut aufschrie vor Schmerz. 'Der alte schwaechliche Greis wuenscht Ihnen eine gute Nacht, bester Herr Nachbar Konditor', wiederholte er dann und schritt zum Laden heraus, hinter ihm der schwarze Hund mit der Zunge die Makronenreste vom Maule wegleckend. Mich schien der Alte gar nicht bemerkt zu haben, ich stand da ganz erstarrt vor Erstaunen. 'Sehn Sie', fing der Konditor an, 'sehen Sie, so treibt es der wunderliche Alte hier zuweilen, wenigstens in vier Wochen zwei-, dreimal, aber nichts ist aus ihm herauszubringen, als dass er ehemals Kammerdiener des Grafen von S. war, dass er jetzt hier das Haus verwaltet, und jeden Tag (schon seit vielen Jahren) die Graeflich S-sche Familie erwartet, weshalb auch nichts vermietet werden kann. Mein Bruder ging ihm einmal zu Leibe wegen des wunderlichen Getoens zur Nachtzeit, da sprach er aber sehr gelassen: ,Ja! - die Leute sagen alle, es spuke im Hause, glauben Sie es aber nicht, es tut nicht wahr sein.`' - Die Stunde war gekommen, in der der gute Ton gebot, diesen Laden zu besuchen, die Tuer oeffnete sich, elegante Welt stroemte hinein und ich konnte nicht weiter fragen. So viel stand nun fest, dass die Nachrichten des Grafen P. ueber das Eigentum und die Benutzung des Hauses falsch waren, dass der alte Verwalter dasselbe seines Leugnens unerachtet nicht allein bewohnte, und dass ganz gewiss irgend ein Geheimnis vor der Welt dort verhuellt werden sollte. Musste ich denn nicht die Erzaehlung von dem seltsamen, schauerlichen Gesange mit dem Erscheinen des schoenen Arms am Fenster in Verbindung setzen? Der Arm sass nicht, konnte nicht sitzen an dem Leibe eines alten verschrumpften Weibes, der Gesang nach des Konditors Beschreibung nicht aus der Kehle des jungen bluehenden Maedchens kommen. Doch fuer das Merkzeichen des Arms entschieden, konnt ich leicht mich selbst ueberreden, dass vielleicht nur eine akustische Taeuschung die Stimme alt und gellend klingen lassen, und dass ebenso vielleicht nur des, vom Graulichen befangenen, Konditors truegliches Ohr die Toene so vernommen. - Nun dacht ich an den Rauch, den seltsamen Geruch, an die wunderlich geformte Kristallflasche, die ich sah, und bald stand das Bild eines herrlichen, aber in verderblichen Zauberdingen befangenen Geschoepfs mir lebendig vor Augen. Der Alte wurde mir zum fatalen Hexenmeister, zum verdammten Zauberkerl, der vielleicht ganz unabhaengig von der Graeflich S-schen Familie geworden, nun auf seine eigne Hand in dem veroedeten Hause unheilbringendes Wesen trieb. Meine Fantasie war im Arbeiten und noch in selbiger Nacht nicht sowohl im Traum, als im Delirieren des Einschlafens, sah ich deutlich die Hand mit dem funkelnden Diamant am Finger, den Arm mit der glaenzenden Spange. Wie aus duennen grauen Nebeln trat nach und nach ein holdes Antlitz mit wehmuetig flehenden blauen Himmelsaugen, dann die ganze wunderherrliche Gestalt eines Maedchens, in voller anmutiger Jugendbluete hervor. Bald bemerkte ich, dass das, was ich fuer Nebel hielt, der feine Dampf war, der aus der Kristallflasche, die die Gestalt in den Haenden hielt, in sich kreiselndem Gewirbel emporstieg. 'O du holdes Zauberbild', rief ich voll Entzuecken, 'o du holdes Zauberbild, tu es mir kund, wo du weilst, was dich gefangen haelt? - O wie du mich so voll Wehmut und Liebe anblickst! - Ich weiss es, die schwarze Kunst ist es, die dich befangen, du bist die unglueckselige Sklavin des boshaften Teufels, der herumwandelt kaffeebraun und behaarbeutelt in Zuckerladen und in gewaltigen Spruengen alles zerschmeissen will und Hoellenhunde tritt, die er mit Makronen fuettert, nachdem sie den satanischen Murki im Fuenfachteltakt abgeheult. - O ich weiss ja alles, du holdes, anmutiges Wesen! - Der Diamant ist der Reflex innerer Glut! - ach haettst du ihn nicht mit deinem Herzblut getraenkt, wie koennt er so funkeln, so tausendfarbig strahlen in den allerherrlichsten Liebestoenen, die je ein Sterblicher vernommen. - Aber ich weiss es wohl, das Band, was deinen Arm umschlingt, ist das Glied einer Kette, von der der Kaffeebraune spricht, sie sei magnetisch - Glaub es nicht Herrliche! - ich sehe ja, wie sie herabhaengt in die, von blauem Feuer gluehende Retorte. - Die werf ich um und du bist befreit! - Weiss ich denn nicht alles - weiss ich denn nicht alles, du Liebliche? Aber nun, Jungfrau! - nun oeffne den Rosenmund, o sage' - In dem Augenblick griff eine knotige Faust ueber meine Schulter weg nach der Kristallflasche, die in tausend Stuecke zersplittert in der Luft verstaeubte. Mit einem leisen Ton dumpfer Wehklage war die anmutige Gestalt verschwunden in finstrer Nacht. - Ha! - ich merk es an euerm Laecheln, dass ihr schon wieder in mir den traeumerischen Geisterseher findet, aber versichern kann ich euch, dass der ganze Traum, wollt ihr nun einmal nicht abgehen von dieser Benennung, den vollendeten Charakter der Vision hatte. Doch da ihr fortfahrt, mich so im prosaischen Unglauben anzulaecheln, so will ich lieber gar nichts mehr davon sagen, sondern nur rasch weitergehen. - Kaum war der Morgen angebrochen als ich voll Unruhe und Sehnsucht nach der Allee lief, und mich hinstellte vor das oede Haus! - Ausser den innern Vorhaengen waren noch dichte Jalousien vorgezogen. Die Strasse war noch voellig menschenleer, ich trat dicht an die Fenster des Erdgeschosses und horchte und horchte, aber kein Laut liess sich hoeren, still blieb es wie im tiefen Grabe. - Der Tag kam herauf, das Gewerbe ruehrte sich, ich musste fort. Was soll ich euch damit ermueden, wie ich viele Tage hindurch das Haus zu jeder Zeit umschlich, ohne auch nur das mindeste zu entdecken, wie alle Erkundigung, alles Forschen zu keiner bestimmten Notiz fuehrte, und wie endlich das schoene Bild meiner Vision zu verblassen begann. - Endlich, als ich einst am spaeten Abend von einem Spaziergange heimkehrend bei dem oeden Hause herangekommen, bemerkte ich, dass das Tor halb geoeffnet war; ich schritt heran, der Kaffeebraune guckte heraus. Mein Entschluss war gefasst. 'Wohnt nicht der Geheime Finanzrat Binder hier in diesem Hause?' So frug ich den Alten, indem ich ihn beinahe zurueckdraengend in den, von einer Lampe matt erleuchteten Vorsaal trat. Der Alte blickte mich an mit seinem stehenden Laecheln und sprach leise und gezogen: 'Nein, _der_ wohnt nicht hier, hat niemals hier gewohnt, wird niemals hier wohnen, wohnt auch in der ganzen Allee nicht. - Aber die Leute sagen, es spuke hier in diesem Hause, jedoch kann ich versichern, dass es nicht wahr ist, es ist ein ruhiges, huebsches Haus, und morgen zieht die gnaedige Graefin von S. ein und Gute Nacht, mein lieber Herr!' - Damit manoevrierte mich der Alte zum Hause hinaus, und verschloss hinter mir das Tor. Ich vernahm, wie er keuchend und hustend mit dem klirrenden Schluesselbunde ueber den Flur wegscharrte und dann Stufen, wie mir vorkam, _herab_stieg. Ich hatte in der kurzen Zeit so viel bemerkt, dass der Flur mit alten bunten Tapeten behaengt, und wie ein Saal mit grossen, mit rotem Damast beschlagenen Lehnsesseln moebliert war, welches denn doch ganz verwunderlich aussah. Nun gingen, wie geweckt, durch mein Eindringen in das geheimnisvolle Haus, die Abenteuer auf! - Denkt euch, denkt euch, sowie ich den andern Tag in der Mittagsstunde die Allee durchwandere und mein Blick schon in der Ferne sich unwillkuerlich nach dem oeden Hause richtet, sehe ich an dem letzten Fenster des obern Stocks etwas schimmern. - Naeher getreten bemerke ich, dass die aeussere Jalousie ganz, der innere Vorhang halb aufgezogen ist. Der Diamant funkelt mir entgegen. - O Himmel! gestuetzt auf den Arm blickt mich wehmuetig flehend jenes Antlitz meiner Vision an. - War es moeglich in der auf- und abwogenden Masse stehenzubleiben? - In dem Augenblick fiel mir die Bank ins Auge, die fuer die Lustwandler in der Allee in der Richtung des oeden Hauses, wiewohl man sich darauf niederlassend dem Hause den Ruecken kehrte, angebracht war. Schnell sprang ich in die Allee, und mich ueber die Lehne der Bank wegbeugend konnt ich nun ungestoert nach dem verhaengnisvollen Fenster schauen. Ja! Sie war es, das anmutige, holdselige Maedchen, Zug fuer Zug! - Nur schien ihr Blick ungewiss. Nicht nach mir, wie es vorhin schien, blickte sie, vielmehr hatten die Augen etwas Todstarres, und die Taeuschung eines lebhaft gemalten Bildes waere moeglich gewesen, haetten sich nicht Arm und Hand zuweilen bewegt. Ganz versunken in den Anblick des verwunderlichen Wesens am Fenster, das mein Innerstes so seltsam aufregte, hatte ich nicht die quaekende Stimme des italienischen Tabulettkraemers gehoert, der mir vielleicht schon lange unaufhoerlich seine Waren anbot. Er zupfte mich endlich am Arm; schnell mich umdrehend, wies ich ihn ziemlich hart und zornig ab. Er liess aber nicht nach mit Bitten und Quaelen. Noch gar nichts habe er heute verdient, nur ein paar Bleifedern, ein Buendelchen Zahnstocher moege ich ihm abkaufen. Voller Ungeduld, den Ueberlaestigen nur geschwind los zu werden, griff ich in die Tasche nach dem Geldbeutel. Mit den Worten: 'Auch hier hab ich noch schoene Sachen!' zog er den untern Schub seines Kastens heraus, und hielt mir einen kleinen runden Taschenspiegel, der in dem Schub unter andern Glaesern lag, in kleiner Entfernung seitwaerts vor. - Ich erblickte das oede Haus hinter mir, das Fenster und in den schaerfsten deutlichsten Zuegen die holde Engelsgestalt meiner Vision. - Schnell kaufte ich den kleinen Spiegel, der mir es nun moeglich machte, in bequemer Stellung, ohne den Nachbarn aufzufallen, nach dem Fenster hinzuschauen. - Doch, indem ich nun laenger und laenger das Gesicht im Fenster anblickte, wurd ich von einem seltsamen, ganz unbeschreiblichen Gefuehl, das ich beinahe waches Traeumen nennen moechte, befangen. Mir war es, als laehme eine Art Starrsucht nicht sowohl mein ganzes Regen und Bewegen als vielmehr nur meinen Blick, den ich nun niemals mehr wuerde abwenden koennen von dem Spiegel. Mit Beschaemung muss ich euch bekennen, dass mir jenes Ammenmaerchen einfiel, womit mich in frueher Kindheit meine Wartfrau augenblicklich zu Bette trieb, wenn ich mich etwa geluesten liess, abends vor dem grossen Spiegel in meines Vaters Zimmer stehen zu bleiben und hinein zu gucken. Sie sagte naemlich, wenn Kinder nachts in den Spiegel blickten, gucke ein fremdes, garstiges Gesicht heraus, und der Kinder Augen blieben dann erstarrt stehen. Mir war das ganz entsetzlich graulich, aber in vollem Grausen konnt ich doch oft nicht unterlassen, wenigstens nach dem Spiegel hinzublinzeln, weil ich neugierig war auf das fremde Gesicht. Einmal glaubt ich ein Paar graessliche gluehende Augen aus dem Spiegel fuerchterlich herausfunkeln zu sehen, ich schrie auf und stuerzte dann ohnmaechtig nieder. In diesem Zufall brach eine langwierige Krankheit aus, aber noch jetzt ist es mir, als haetten jene Augen mich wirklich angefunkelt. - Kurz, alles dieses tolle Zeug aus meiner fruehen Kindheit fiel mir ein, Eiskaelte bebte durch meine Adern - ich wollte den Spiegel von mir schleudern - ich vermocht es nicht - nun blickten mich die Himmelsaugen der holden Gestalt an - ja ihr Blick war auf mich gerichtet und strahlte bis ins Herz hinein. Jenes Grausen, das mich ploetzlich ergriffen, liess von mir ab und gab Raum dem wonnigen Schmerz suesser Sehnsucht, die mich mit elektrischer Waerme durchglueht. 'Sie haben da einen niedlichen Spiegel', sprach eine Stimme neben mir. Ich erwachte aus dem Traum und war nicht wenig betroffen, als ich neben mir von beiden Seiten mich zweideutig anlaechelnde Gesichter erblickte. Mehrere Personen hatten auf derselben Bank Platz genommen, und nichts war gewisser, als dass ich ihnen mit dem starren Hineinblicken in den Spiegel und vielleicht auch mit einigen seltsamen Gesichtern, die ich in meinem exaltiertem Zustande schnitt, auf meine Kosten ein ergoetzliches Schauspiel gegeben. 'Sie haben da einen niedlichen Spiegel', wiederholte der Mann, als ich nicht antwortete, mit einem Blick, der jener Frage noch hinzufuegte: 'Aber sagen Sie mir, was soll das wahnsinnige Hineinstarren, erscheinen Ihnen Geister' etc. Der Mann, schon ziemlich hoch in Jahren, sehr sauber gekleidet, hatte im Ton der Rede, im Blick etwas ungemein Gutmuetiges und Zutrauen Erweckendes. Ich nahm gar keinen Anstand, ihm geradehin zu sagen, dass ich im Spiegel ein wundervolles Maedchen erblickt, das hinter mir im Fenster des oeden Hauses gelegen. - Noch weiter ging ich, ich fragte den Alten, ob er nicht auch das holde Antlitz gesehen. 'Dort drueben? - in dem alten Hause - in dem letzten Fenster?' so fragte mich nun wieder ganz verwundert der Alte. 'Allerdings, allerdings', sprach ich; da laechelte der Alte sehr und fing an: 'Nun das ist doch eine wunderliche Taeuschung - nun meine alten Augen - Gott ehre mir meine alten Augen. Ei ei, mein Herr, wohl habe ich mit unbewaffnetem Auge das huebsche Gesicht dort im Fenster gesehen, aber es war ja ein, wie es mir schien, recht gut und lebendig in Oel gemaltes Portraet.' Schnell drehte ich mich um nach dem Fenster, alles war verschwunden, die Jalousie heruntergelassen. 'Ja!' fuhr der Alte fort, 'ja, mein Herr, nun ist's zu spaet, sich davon zu ueberzeugen, denn eben nahm der Bediente, der dort, wie ich weiss, als Kastellan das Absteigequartier der Graefin von S. ganz allein bewohnt, das Bild, nachdem er es abgestaubt, vom Fenster fort und liess die Jalousie herunter.' - 'War es denn gewiss ein Bild?' fragte ich nochmals ganz bestuerzt. 'Trauen Sie meinen Augen', erwiderte der Alte. 'Dass Sie nur den Reflex des Bildes im Spiegel sahen, vermehrte gewiss sehr die optische Taeuschung und - wie ich noch in Ihren Jahren war, haett ich nicht auch das Bild eines schoenen Maedchens, kraft meiner Fantasie, ins Leben gerufen?' - 'Aber Hand und Arm bewegten sich doch', fiel ich ein. 'Ja, ja, sie regten sich, alles regte sich', sprach der Alte, laechelnd und sanft mich auf die Schulter klopfend. Dann stand er auf und verliess mich, hoeflich sich verbeugend, mit den Worten: 'Nehmen Sie sich doch vor Taschenspiegeln in acht, die so haesslich luegen. - Ganz gehorsamster Diener.' - Ihr koennt denken, wie mir zu Mute war, als ich mich so als einen toerichten, bloedsichtigen Fantasten behandelt sah. Mir kam die Ueberzeugung, dass der Alte recht hatte, und dass nur in mir selbst das tolle Gaukelspiel aufgegangen, das mich mit dem oeden Hause, zu meiner eignen Beschaemung, so garstig mystifizierte. Ganz voller Unmut und Verdruss lief ich nach Hause, fest entschlossen, mich ganz loszusagen von jedem Gedanken an die Mysterien des oeden Hauses, und wenigstens einige Tage hindurch die Allee zu vermeiden. Dies hielt ich treulich, und kam noch hinzu, dass mich den Tag ueber dringend gewordene Geschaefte am Schreibtisch, an den Abenden aber geistreiche froehliche Freunde in ihrem Kreise festhielten, so musst es wohl geschehen, dass ich beinahe gar nicht mehr an jene Geheimnisse dachte. Nur begab es sich in dieser Zeit, dass ich zuweilen aus dem Schlaf auffuhr, wie ploetzlich durch aeussere Beruehrung geweckt, und dann war es mir doch deutlich, dass nur der Gedanke an das geheimnisvolle Wesen, das ich in meiner Vision und in dem Fenster des oeden Hauses erblickt, mich geweckt hatte. Ja selbst waehrend der Arbeit, waehrend der lebhaftesten Unterhaltung mit meinen Freunden, durchfuhr mich oft ploetzlich, ohne weitern Anlass, jener Gedanke, wie ein elektrischer Blitz. Doch waren dies nur schnell voruebergehende Momente. Den kleinen Taschenspiegel, der mir so taeuschend das anmutige Bildnis reflektiert, hatte ich zum prosaischen Hausbedarf bestimmt. Ich pflegte mir vor demselben die Halsbinde festzuknuepfen. So geschah es, dass er mir, als ich einst dies wichtige Geschaeft abtun wollte, blind schien, und ich ihn nach bekannter Methode anhauchte, um ihn dann hell zu polieren. - Alle meine Pulse stockten, mein innerstes bebte vor wonnigem Grauen! - ja so muss ich das Gefuehl nennen, das mich uebermannte, als ich sowie mein Hauch den Spiegel ueberlief, im blaeulichen Nebel das holde Antlitz sah, das mich mit jenem wehmuetigem, das Herz durchbohrendem Blick anschaute! - Ihr lacht? - Ihr seid mit mir fertig, ihr haltet mich fuer einen unheilbaren Traeumer, aber sprecht, denkt was ihr wollt, genug, die Holde blickte mich an aus dem Spiegel, aber sowie der Hauch zerrann, verschwand das Gesicht in dem Funkeln des Spiegels. - Ich will euch nicht ermueden, ich will euch nicht herzaehlen alle Momente, die sich, einer aus dem andern, entwickelten. Nur so viel will ich sagen, dass ich unaufhoerlich die Versuche mit dem Spiegel erneuerte, dass es mir oft gelang, das geliebte Bild durch meinen Hauch hervorzurufen, dass aber manchmal die angestrengtesten Bemuehungen ohne Erfolg blieben. Dann rannte ich wie wahnsinnig auf und ab vor dem oeden Hause und starrte in die Fenster, aber kein menschliches Wesen wollte sich zeigen. - Ich lebte nur in dem Gedanken an _sie_, alles uebrige war abgestorben fuer mich, ich vernachlaessigte meine Freunde, meine Studien. - Dieser Zustand, wollte er in mildern Schmerz, in traeumerische Sehnsucht uebergehen, ja schien es, als wolle das Bild an Leben und Kraft verlieren, wurde oft bis zur hoechsten Spitze gesteigert, durch Momente, an die ich noch jetzt mit tiefem Entsetzen denke. - Da ich von einem _Seelen_zustande rede, der mich haette ins Verderben stuerzen koennen, so ist fuer euch, ihr Unglaeubigen, da nichts zu belaecheln und zu bespoetteln, hoert und fuehlt mit mir, was ich ausgestanden. - Wie gesagt, oft, wenn jenes Bild ganz verblasst war, ergriff mich ein koerperliches Uebelbefinden, die Gestalt trat, wie sonst niemals, mit einer Lebendigkeit, mit einem Glanz hervor, dass ich sie zu erfassen waehnte. Aber dann kam es mir auf greuliche Weise vor, ich sei selbst die Gestalt, und von den Nebeln des Spiegels umhuellt und umschlossen. Ein empfindlicher Brustschmerz, und dann gaenzliche Apathie endigte den peinlichen Zustand, der immer eine, das innerste Mark wegzehrende Erschoepfung hinterliess. In diesen Momenten misslang jeder Versuch mit dem Spiegel, hatte ich mich aber erkraeftigt, und trat dann das Bild wieder lebendig aus dem Spiegel hervor, so mag ich nicht leugnen, dass sich damit ein besonderer, mir sonst fremder physischer Reiz verband. - Diese ewige Spannung wirkte gar verderblich auf mich ein, blass wie der Tod und zerstoert im ganzen Wesen schwankte ich umher, meine Freunde hielten mich fuer krank, und ihre ewigen Mahnungen brachten mich endlich dahin, ueber meinen Zustand, so wie ich es nur vermochte, ernstlich nachzusinnen. War es Absicht oder Zufall, dass einer der Freunde, welcher Arzneikunde studierte, bei einem Besuch Reils Buch ueber Geisteszerruettungen zurueckliess. Ich fing an zu lesen, das Werk zog mich unwiderstehlich an, aber wie ward mir, als ich in allem, was ueber fixen Wahnsinn gesagt wird, mich selbst wiederfand! - Das tiefe Entsetzen, das ich, mich selbst auf dem Wege zum Tollhause erblickend, empfand, brachte mich zur Besinnung und zum festen Entschluss, den ich rasch ausfuehrte. Ich steckte meinen Taschenspiegel ein und eilte schnell zu dem Doktor K., beruehmt durch seine Behandlung und Heilung der Wahnsinnigen, durch sein tieferes Eingehen in das psychische Prinzip, welches oft sogar koerperliche Krankheiten hervorzubringen und wieder zu heilen vermag. Ich erzaehlte ihm alles, ich verschwieg ihm nicht den kleinsten Umstand und beschwor ihn mich zu retten, von dem ungeheuern Schicksal, von dem bedroht ich mich glaubte. Er hoerte mich sehr ruhig an, doch bemerkte ich wohl in seinem Blick tiefes Erstaunen. 'Noch', fing er an, 'noch ist die Gefahr keinesweges so nahe als Sie glauben und ich kann mit Gewissheit behaupten, dass ich sie ganz abzuwenden vermag. Dass Sie auf unerhoerte Weise psychisch angegriffen sind, leidet gar keinen Zweifel, aber die voellige klare Erkenntnis dieses Angriffs irgend eines boesen Prinzips gibt Ihnen selbst die Waffen in die Hand, sich dagegen zu wehren. Lassen Sie mir Ihren Taschenspiegel, zwingen Sie sich zu irgend einer Arbeit, die Ihre Geisteskraefte in Anspruch nimmt, meiden Sie die Allee, arbeiten Sie von der Fruehe an, solange Sie es nur auszuhalten vermoegen, dann aber, nach einem tuechtigen Spaziergange, fort in die Gesellschaft Ihrer Freunde, die Sie so lange vermisst. Essen Sie nahrhafte Speisen, trinken Sie starken kraeftigen Wein. Sie sehen, dass ich bloss die fixe Idee, das heisst, die Erscheinung des Sie betoerenden Antlitzes im Fenster des oeden Hauses und im Spiegel vertilgen, Ihren Geist auf andere Dinge leiten und Ihren Koerper staerken will. Stehen Sie selbst meiner Absicht redlich bei.' - Es wurde mir schwer, mich von dem Spiegel zu trennen, der Arzt, der ihn schon genommen, schien es zu bemerken, er hauchte ihn an und frug, indem er mir ihn vorhielt: 'Sehen Sie etwas?' - 'Nicht das mindeste', erwiderte ich, wie es sich auch in der Tat verhielt. 'Hauchen Sie den Spiegel an', sprach dann der Arzt, indem er mir den Spiegel in die Hand gab. Ich tat es, das Wunderbild trat deutlicher als je hervor. 'Da ist sie', rief ich laut. Der Arzt schaute hinein und sprach dann: 'Ich sehe nicht das mindeste, aber nicht verhehlen mag ich Ihnen, dass ich in dem Augenblick, als ich in Ihren Spiegel sahe, einen unheimlichen Schauer fuehlte, der aber gleich vorueberging. Sie bemerken, dass ich ganz aufrichtig bin, und eben deshalb wohl Ihr ganzes Zutrauen verdiene. Wiederholen Sie doch den Versuch.' Ich tat es, der Arzt umfasste mich, ich fuehlte seine Hand auf dem Rueckenwirbel. - Die Gestalt kam wieder, der Arzt, mit mir in den Spiegel schauend erblasste, dann nahm er mir den Spiegel aus der Hand, schauete nochmals hinein, verschloss ihn in dem Pult, und kehrte erst, als er einige Sekunden hindurch die Hand vor der Stirn schweigend dagestanden, zu mir zurueck. 'Befolgen Sie', fing er an, 'befolgen Sie genau meine Vorschriften. Ich darf Ihnen bekennen, dass jene Momente, in denen Sie ausser sich selbst gesetzt Ihr eignes Ich in physischem Schmerz fuehlten, mir noch sehr geheimnisvoll sind, aber ich hoffe Ihnen recht bald mehr darueber sagen zu koennen.' Mit festem, unabaenderlichem Willen, so schwer es mir auch ankam, lebte ich zur Stunde den Vorschriften des Arztes gemaess, und sosehr ich auch bald den wohltaetigen Einfluss anderer Geistesanstrengung und der uebrigen verordneten Diaet verspuerte, so blieb ich doch nicht frei von jenen furchtbaren Anfaellen, die mittags um zwoelf Uhr, viel staerker aber nachts um zwoelf Uhr sich einzustellen pflegten. Selbst in munterer Gesellschaft bei Wein und Gesang war es oft, als durchfuehren ploetzlich mein Inneres spitzige gluehende Dolche, und alle Macht des Geistes reichte dann nicht hin zum Widerstande, ich musste mich entfernen und durfte erst wiederkehren, wenn ich aus dem ohnmachtaehnlichen Zustande erwacht. - Es begab sich, dass ich mich einst bei einer Abendgesellschaft befand, in der ueber psychische Einfluesse und Wirkungen, ueber das dunkle unbekannte Gebiet des Magnetismus gesprochen wurde. Man kam vorzueglich auf die Moeglichkeit der Einwirkung eines entfernten psychischen Prinzips, sie wurde aus vielen Beispielen bewiesen, und vorzueglich fuehrte ein junger, dem Magnetismus ergebener, Arzt an, dass er, wie mehrere andere, oder vielmehr wie _alle_ kraeftige Magnetiseurs, es vermoege, aus der Ferne bloss durch den festfixierten Gedanken und Willen auf seine Somnambulen zu wirken. Alles was Kluge, Schubert, Bartels u.m. darueber gesagt haben, kam nach und nach zum Vorschein. 'Das Wichtigste', fing endlich einer der Anwesenden, ein als scharfsinniger Beobachter bekannter Mediziner, an, 'das Wichtigste von allem bleibt mir immer, dass der Magnetismus manches Geheimnis, das wir als gemeine schlichte Lebenserfahrung nun eben fuer kein Geheimnis erkennen wollen, zu erschliessen scheint. Nur muessen wir freilich behutsam zu Werke gehn. - Wie kommt es denn, dass ohne allen aeussern oder innern uns bekannten Anlass, ja unsere Ideenkette zerreissend, irgend eine Person, oder wohl gar das treue Bild irgend einer Begebenheit so lebendig, so sich unsers ganzen Ichs bemeisternd [uns] in den Sinn kommt, dass wir selbst darueber erstaunen. Am merkwuerdigsten ist es, dass wir oft im Traume auffahren. Das ganze Traumbild ist in den schwarzen Abgrund versunken, und im neuen, von jenem Bilde ganz unabhaengigen Traum tritt uns mit voller Kraft des Lebens ein Bild entgegen, das uns in ferne Gegenden versetzt und ploetzlich scheinbar uns ganz fremd gewordene Personen, an die wir seit Jahren nicht mehr dachten, uns entgegenfuehrt. Ja, noch mehr! oft schauen wir auf eben die Weise ganz fremde unbekannte Personen, die wir vielleicht Jahre nachher erst kennen lernen. Das bekannte: ,Mein Gott, der Mann, die Frau, kommt mir so zum Erstaunen bekannt vor, ich daecht, ich haett ihn, sie, schon irgendwo gesehen`, ist vielleicht, da dies oft schlechterdings unmoeglich, die dunkle Erinnerung an ein solches Traumbild. Wie wenn dies ploetzliche Hineinspringen fremder Bilder in unsere Ideenreihe, die uns gleich mit besonderer Kraft zu ergreifen pflegen, eben durch ein fremdes psychisches Prinzip veranlasst wuerde? Wie wenn es dem fremden Geiste unter gewissen Umstaenden moeglich waere, den magnetischen Rapport auch ohne Vorbereitung so herbeizufuehren, dass wir uns willenlos ihm fuegen muessten?' - 'So kaemen wir', fiel ein anderer lachend ein, 'mit einem gar nicht zu grossen Schritt auf die Lehre von Verhexungen, Zauberbildern, Spiegeln und andern unsinnigen aberglaeubischen Fantastereien laengst verjaehrter alberner Zeit.' - 'Ei', unterbrach der Mediziner den Unglaeubigen, 'keine Zeit kann verjaehren und noch viel weniger hat es jemals eine alberne Zeit gegeben, wenn wir nicht etwa jede Zeit, in der Menschen zu denken sich unterfangen moegen, mithin auch die unsrige, fuer albern erkennen wollen. - Es ist ein eignes Ding, etwas geradezu wegleugnen zu wollen, was oft sogar durch streng juristisch gefuehrten Beweis festgestellt ist, und so wenig ich der Meinung bin, dass in dem dunklen geheimnisvollen Reiche, welches unseres Geistes Heimat ist, auch nur ein einziges, unserm bloedem Auge recht hell leuchtendes Laempchen brennt, so ist doch so viel gewiss, dass uns die Natur das Talent und die Neigung der Maulwuerfe nicht versagt hat. Wir suchen, verblindet wie wir sind, uns weiterzuarbeiten auf finstern Wegen. Aber so wie der Blinde auf Erden an dem fluesternden Rauschen der Baeume, an dem Murmeln und Plaetschern des Wassers, die Naehe des Waldes, der ihn in seinen kuehlenden Schatten aufnimmt, des Baches, der den Durstenden labt, erkennt, und so das Ziel seiner Sehnsucht erreicht, so ahnen wir an dem toenenden Fluegelschlag unbekannter, uns mit Geisteratem beruehrender Wesen, dass der Pilgergang uns zur Quelle des Lichts faehrt, vor dem unsere Augen sich auftun!' - Ich konnte mich nicht laenger halten, 'Sie statuieren also', wandte ich mich zu dem Mediziner, 'die Einwirkung eines fremden geistigen Prinzips, dem man sich willenlos fuegen muss?' - 'Ich halte', erwiderte der Mediziner, 'ich halte, um nicht zu weit zu gehen, diese Einwirkung nicht allein fuer moeglich, sondern auch andern, durch den magnetischen Zustand deutlicher gewordenen Operationen des psychischen Prinzips fuer ganz homogen.' - 'So koennt es auch', fuhr ich fort, 'daemonischen Kraeften verstattet sein, feindlich verderbend auf uns zu wirken?' - 'Schnoede Kunststuecke gefallner Geister', erwiderte der Mediziner laechelnd. - 'Nein, denen wollen wir nicht erliegen. Und ueberhaupt bitt ich, meine Andeutungen fuer nichts anders zu nehmen, als eben nur fuer Andeutungen, denen ich noch hinzufuege, dass ich keinesweges an _unbedingte_ Herrschaft eines geistigen Prinzips ueber das andere glauben, sondern vielmehr annehmen will, dass entweder irgend eine Abhaengigkeit, Schwaeche des innern Willens, oder eine Wechselwirkung stattfinden muss, die jener Herrschaft Raum gibt.' - 'Nun erst', fing ein aeltlicher Mann an, der so lange geschwiegen und nur aufmerksam zugehoert, 'nun erst kann ich mich mit Ihren seltsamen Gedanken ueber Geheimnisse, die uns verschlossen bleiben sollen, einigermassen befreunden. Gibt es geheimnisvolle taetige Kraefte, die mit bedrohlichen Angriffen auf uns zutreten, so kann uns dagegen nur irgend eine Abnormitaet im geistigen Organism Kraft und Mut zum sieghaften Widerstande rauben. Mit einem Wort, nur geistige Krankheit - die Suende macht uns untertan dem daemonischen Prinzip. Merkwuerdig ist es, dass von den aeltesten Zeiten her die den Menschen im Innersten verstoerendste Gemuetsbewegung es war, an der sich daemonische Kraefte uebten. Ich meine nichts anders als die Liebesverzauberungen, von denen alle Chroniken voll sind. In tollen Hexenprozessen kommt immer dergleichen vor, und selbst in dem Gesetzbuch eines sehr aufgeklaerten Staats wird von den Liebestruenken gehandelt, die insofern auch rein psychisch zu wirken bestimmt sind, als sie nicht Liebeslust im allgemeinen erwecken, sondern unwiderstehlich an eine bestimmte Person bannen sollen. Ich werde in diesen Gespraechen an eine tragische Begebenheit erinnert, die sich in meinem eignen Hause vor weniger Zeit zutrug. Als Bonaparte unser Land mit seinen Truppen ueberschwemmt hatte, wurde ein Obrister von der italienischen Nobelgarde bei mir einquartiert. Er war einer von den wenigen Offizieren der sogenannten Grossen Armee, die sich durch ein stilles bescheidnes edles Betragen auszeichneten. Sein todbleiches Gesicht, seine duestern Augen zeugten von Krankheit oder tiefer Schwermut. Nur wenige Tage war er bei mir, als sich auch der besondere Zufall kund tat, von dem er behaftet. Eben befand ich mich auf seinem Zimmer, als er ploetzlich mit tiefen Seufzern die Hand auf die Brust, oder vielmehr auf die Stelle des Magens legte, als empfinde er toedliche Schmerzen. Er konnte bald nicht mehr sprechen, er war genoetigt sich in den Sofa zu werfen, dann aber verloren ploetzlich seine Augen die Sehkraft und er erstarrte zur bewusstlosen Bildsaeule. Mit einem Ruck wie aus dem Traume auffahrend, erwachte er endlich, aber vor Mattigkeit konnte er mehrere Zeit hindurch sich nicht regen und bewegen. Mein Arzt, den ich ihm sandte, behandelte ihn, nachdem andere Mittel fruchtlos geblieben, magnetisch, und dies schien zu wirken; wiewohl der Arzt bald davon ablassen musste, da er selbst beim Magnetisieren des Kranken von einem unertraeglichen Gefuehl des Uebelseins ergriffen wurde. Er hatte uebrigens des Obristen Zutrauen gewonnen, und dieser sagte ihm, dass in jenen Momenten sich ihm das Bild eines Frauenzimmers nahe, die er in Pisa gekannt; dann wuerde es ihm als wenn ihre gluehenden Blicke in sein Inneres fuehren, und er fuehle die unertraeglichsten Schmerzen, bis er in voellige Bewusstlosigkeit versinke. Aus diesem Zustande bleibe ihm ein dumpfer Kopfschmerz, und eine Abspannung, als habe er geschwelgt im Liebesgenuss, zurueck. Nie liess er sich ueber die naeheren Verhaeltnisse aus, in denen er vielleicht mit jenem Frauenzimmer stand. Die Truppen sollten aufbrechen, gepackt stand der Wagen des Obristen vor der Tuere, er fruehstueckte, aber in dem Augenblicke, als er ein Glas Madera zum Munde fuhren wollte, stuerzte er mit einem dumpfen Schrei vom Stuhle herab. Er war tot. Die Aerzte fanden ihn vom Nervenschlag getroffen. Einige Wochen nachher wurde ein an den Obristen adressierter Brief bei mir abgegeben. Ich hatte gar kein Bedenken ihn zu oeffnen, um vielleicht ein Naeheres von den Verwandten des Obristen zu erfahren, und ihnen Nachricht von seinem ploetzlichen Tode geben zu koennen. Der Brief kam von Pisa und enthielt ohne Unterschrift die wenigen Worte: ,Unglueckseliger! Heute, am 7. - um zwoelf Uhr Mittag sank Antonia, dein truegerisches Abbild mit liebenden Armen umschlingend, tot nieder!` - Ich sah den Kalender nach, in dem ich des Obristen Tod angemerkt hatte und fand, dass Antonias Todesstunde auch die seinige gewesen.' - Ich hoerte nicht mehr, was der Mann noch seiner Geschichte hinzusetzte; denn in dem Entsetzen, das mich ergriffen, als ich in des italienischen Obristen Zustand den meinigen erkannte, ging mit wuetendem Schmerz eine solche wahnsinnige Sehnsucht nach dem unbekannten Bilde auf, dass ich davon ueberwaeltigt aufspringen und hineilen musste nach dem verhaengnisvollen Hause. Es war mir in der Ferne, als saeh ich Lichter blitzen, durch die festverschlossenen Jalousien, aber der Schein verschwand, als ich naeher kam. Rasend vor duerstendem Liebesverlangen stuerzte ich auf die Tuer; sie wich meinem Druck, ich stand auf dem matt erleuchteten Hausflur, von einer dumpfen, schwuelen Luft umfangene Das Herz pochte mir vor seltsamer Angst und Ungeduld, da ging ein langer, schneidender, aus weiblicher Kehle stroemender Ton durch das Haus, und ich weiss selbst nicht, wie es geschah, dass ich mich ploetzlich in einem mit vielen Kerzen hellerleuchteten Saale befand, der in altertuemlicher Pracht mit vergoldeten Moebeln und seltsamen japanischen Gefaessen verziert war. Starkduftendes Raeucherwerk wallte in blauen Nebelwolken auf mich zu. 'Willkommen - willkommen, suesser Braeutigam - die Stunde ist da, die Hochzeit nah!' - So rief laut und lauter die Stimme eines Weibes, und ebensowenig, als ich weiss, wie ich ploetzlich in den Saal kam, ebensowenig vermag ich zu sagen, wie es sich begab, dass ploetzlich aus dem Nebel eine hohe jugendliche Gestalt in reichen Kleidern hervorleuchtete. Mit dem wiederholten gellenden Ruf: 'Willkommen suesser Braeutigam', trat sie mit ausgebreiteten Armen mir entgegen - und ein gelbes, von Alter und Wahnsinn graesslich verzerrtes Antlitz starrte mir in die Augen. Von tiefem Entsetzen durchbebt wankte ich zurueck; wie durch den gluehenden, durchbohrenden Blick der Klapperschlange festgezaubert, konnte ich mein Auge nicht abwenden von dem greulichen alten Weibe, konnte ich keinen Schritt weiter mich bewegen. Sie trat naeher auf mich zu, da war es mir, als sei das scheussliche Gesicht nur eine Maske von duennem Flor, durch den die Zuege jenes holden Spiegelbildes durchblickten. Schon fuehlt ich mich von den Haenden des Weibes beruehrt, als sie laut aufkreischend vor mir zu Boden sank und hinter mir eine Stimme rief. 'Hu hu! - treibt schon wieder der Teufel sein Bocksspiel mit Ew. Gnaden, zu Bette, zu Bette, meine Gnaedigste, sonst setzt es Hiebe, gewaltige Hiebe!' - Ich wandte mich rasch um und erblickte den alten Hausverwalter im blossen Hemde, eine tuechtige Peitsche ueber dem Haupte schwingend. Er wollte losschlagen auf die Alte, die sich heulend am Boden kruemmte. Ich fiel ihm in den Arm, aber mich von sich schleudernd rief er: 'Donnerwetter, Herr, der alte Satan haette Sie ermordet, kam ich nicht dazwischen - fort, fort, fort.' - Ich stuerzte zum Saal heraus, vergebens sucht ich in dicker Finsternis die Tuer des Hauses. Nun hoert ich die zischenden Hiebe der Peitsche und das Jammergeschrei der Alten. Laut wollte ich um Huelfe rufen, als der Boden unter meinen Fuessen schwand, ich fiel eine Treppe herab und traf auf eine Tuer so hart, dass sie aufsprang und ich der Laenge nach in ein kleines Zimmer stuerzte. An dem Bette, das jemand soeben verlassen zu haben schien, an dem kaffeebraunen, ueber einen Stuhl gehaengten Rocke musste ich augenblicklich die Wohnung des alten Hausverwalters erkennen. Wenige Augenblicke nachher polterte es die Treppe herab, der Hausverwalter stuerzte herein und hin zu meinen Fuessen. 'Um aller Seligkeit willen', flehte er mit aufgehobenen Haenden, 'um aller Seligkeit willen, wer Sie auch sein moegen, wie der alte gnaedige Hexensatan Sie auch hierher gelockt haben mag, verschweigen Sie, was hier geschehen, sonst komme ich um Amt und Brot! - Die wahnsinnige Exzellenz ist abgestraft und liegt gebunden im Bette. O schlafen Sie doch, geehrtester Herr! recht sanft und suess. - Ja ja, das tun Sie doch fein - eine schoene warme Juliusnacht, zwar kein Mondschein, aber beglueckter Sternenschimmer. - Nun ruhige, glueckliche Nacht.' - Unter diesen Reden war der Alte aufgesprungen, hatte ein Licht genommen, mich herausgebracht aus dem Souterrain, mich zur Tuere hinausgeschoben, und diese fest verschlossen. Ganz verstoert eilt ich nach Hause, und ihr koennt wohl denken, dass ich, zu tief von dem grauenvollen Geheimnis ergriffen, auch nicht den mindesten nur wahrscheinlichen Zusammenhang der Sache mir in den ersten Tagen denken konnte. Nur so viel war gewiss, dass, hielt mich so lange ein boeser Zauber gefangen, dieser jetzt in der Tat von mir abgelassen hatte. Alle schmerzliche Sehnsucht nach dem Zauberbilde in dem Spiegel war gewichen, und bald gemahnte mich jener Auftritt im oeden Gebaeude wie das unvermutete Hineingeraten in ein Tollhaus. Dass der Hausverwalter zum tyrannischen Waechter einer wahnsinnigen Frau von vornehmer Geburt, deren Zustand vielleicht der Welt verborgen bleiben sollte, bestimmt worden, daran war nicht zu zweifeln, wie aber der Spiegel - das tolle Zauberwesen ueberhaupt - doch weiter - weiter! Spaeter begab es sich, dass ich in zahlreicher Gesellschaft den Grafen P. fand, der mich in eine Ecke zog und lachend sprach: 'Wissen Sie wohl, dass sich die Geheimnisse unseres oeden Hauses zu enthuellen anfangen?' Ich horchte hoch auf, aber indem der Graf weiter erzaehlen wollte, oeffneten sich die Fluegeltueren des Esssaals, man ging zur Tafel. Ganz vertieft in Gedanken an die Geheimnisse, die mir der Graf entwickeln wollte, hatte ich einer jungen Dame den Arm geboten und war mechanisch der in steifem Zeremoniell sehr langsam daherschreitenden Reihe gefolgt. Ich fuehre meine Dame zu dem offnen Platz, der sich uns darbietet, schaue sie nun erst recht an und - erblicke mein Spiegelbild in den getreusten Zuegen, so dass gar keine Taeuschung moeglich ist. Dass ich im Innersten erbebte, koennt ihr euch wohl denken, aber ebenso muss ich euch versichern, dass sich auch nicht der leiseste Anklang jener verderblichen wahnsinnigen Liebeswut in mir regte, die mich ganz und gar befing, wenn mein Hauch das wunderbare Frauenbild aus dem Spiegel hervorrief. - Meine Befremdung, noch mehr, mein Erschrecken muss lesbar gewesen sein in meinem Blick, denn das Maedchen sah mich ganz verwundert an, so dass ich fuer noetig hielt, mich so, wie ich nur konnte, zusammen zu nehmen, und so gelassen als moeglich anzufuehren, dass eine lebhafte Erinnerung mich gar nicht zweifeln lasse, sie schon irgendwo gesehen zu haben. Die kurze Abfertigung, dass dies wohl nicht gut der Fall sein koenne, da sie gestern erst und zwar das erstemal in ihrem Leben nach ***n gekommen, machte mich im eigentlichsten Sinn des Worts etwas verbluefft. Ich verstummte. Nur der Engelsblick, den die holdseligen Augen des Maedchens mir zuwarfen, half mir wieder auf. Ihr wisst, wie man bei derlei Gelegenheit die geistigen Fuehlhoerner ausstrecken und leise, leise tasten muss, bis man die Stelle findet, wo der angegebene Ton widerklingt. So macht ich es und fand bald, dass ich ein zartes, holdes, aber in irgend einem psychischen Ueberreiz verkraenkeltes Wesen neben mir hatte. Bei irgend einer heitern Wendung des Gepraechs, vorzueglich wenn ich zur Wuerze wie scharfen Cayenne-Pfeffer irgend ein keckes bizarres Wort hineinstreute, laechelte sie zwar, aber seltsam schmerzlich, wie zu hart beruehrt. 'Sie sind nicht heiter, meine Gnaedige, vielleicht der Besuch heute morgen.' - So redete ein nicht weit entfernt sitzender Offizier meine Dame an, aber in dem Augenblick fasste ihn sein Nachbar schnell beim Arm und sagte ihm etwas ins Ohr, waehrend eine Frau an der andern Seite des Tisches Glut auf den Wangen und im Blick laut der herrlichen Oper erwaehnte, deren Darstellung sie in Paris gesehen und mit der heutigen vergleichen werde. - Meiner Nachbarin stuerzten die Traenen aus den Augen: 'Bin ich nicht ein albernes Kind', wandte sie sich zu mir. Schon erst hatte sie ueber Migraene geklagt. 'Die gewoehnliche Folge des nervoesen Kopfschmerzes', erwiderte ich daher mit unbefangenem Ton, 'wofuer nichts besser hilft, als der muntre kecke Geist, der in dem Schaum dieses Dichtergetraenks sprudelt.' Mit diesen Worten schenkte ich Champagner, den sie erst abgelehnt, in ihr Glas ein, und indem sie davon nippte, dankte ihr Blick meiner Deutung der Traenen, die sie nicht zu bergen vermochte. Es schien heller geworden in ihrem Innern und alles waere gut gegangen, wenn ich nicht zuletzt unversehends hart an das vor mir stehende englische Glas gestossen, so dass es in gellender schneidender Hoehe ertoente. Da erbleichte meine Nachbarin bis zum Tode, und auch mich ergriff ein ploetzliches Grauen, weil der Ton mir die Stimme der wahnsinnigen Alten im oeden Hause schien. - Waehrend dass man Kaffee nahm, fand ich Gelegenheit, mich dem Grafen P. zu naehern; er merkte gut, warum. 'Wissen Sie wohl, dass ihre Nachbarin die Graefin Edwine von S. war? - Wissen Sie wohl, dass in dem oeden Hause die Schwester ihrer Mutter, schon seit Jahren unheilbar wahnsinnig, eingesperrt gehalten wird? - Heute morgen waren beide, Mutter und Tochter, bei der Ungluecklichen. Der alte Hausverwalter, der einzige, der den gewaltsamen Ausbruechen des Wahnsinns der Graefin zu steuern wusste, und dem daher die Aufsicht ueber sie uebertragen wurde, liegt todkrank, und man sagt, dass die Schwester endlich dem Doktor K. das Geheimnis anvertraut, und dass dieser noch die letzten Mittel versuchen wird, die Kranke, wo nicht herzustellen, doch von der entsetzlichen Tobsucht, in die sie zuweilen ausbrechen soll, zu retten. Mehr weiss ich vorderhand nicht.' - Andere traten hinzu, das Gespraech brach ab. - Doktor K. war nun gerade derjenige, an den ich mich meines raetselhaften Zustandes halber, gewandt, und ihr moeget euch wohl vorstellen, dass ich, sobald es sein konnte, zu ihm eilte, und alles, was mir seit der Zeit widerfahren, getreulich erzaehlte. Ich forderte ihn auf zu meiner Beruhigung, so viel als er von der wahnsinnigen Alten wisse, zu sagen, und er nahm keinen Anstand, mir, nachdem ich ihm strenge Verschwiegenheit gelobt, folgendes anzuvertrauen. 'Angelika, Graefin von Z.' (so fing der Doktor an) 'unerachtet in die Dreissig vorgerueckt, stand noch in der vollsten Bluete wunderbarer Schoenheit, als der Graf von S., der viel juenger an Jahren, sie hier in ***n bei Hofe sah, und sich in ihren Reizen so verfing, dass er zur Stunde die eifrigsten Bewerbungen begann und selbst, als zur Sommerszeit die Graefin auf die Gueter ihres Vaters zurueckkehrte, ihr nachreiste, um seine Wuensche, die nach Angelikas Benehmen durchaus nicht hoffnungslos zu sein schienen, dem alten Grafen zu eroeffnen. Kaum war Graf S. aber dort angekommen, kaum sah er Angelikas juengere Schwester Gabriele, als er wie aus einer Bezauberung erwachte. In verbluehter Farblosigkeit stand Angelika neben Gabrielen, deren Schoenheit und Anmut den Grafen S. unwiderstehlich hinriss, und so kam es, dass er, ohne Angelika weiter zu beachten, um Gabrielens Hand warb, die ihm der alte Graf Z. um so lieber zusagte, als Gabriele gleich die entschiedenste Neigung fuer den Grafen S. zeigte. Angelika aeusserte nicht den mindesten Verdruss ueber die Untreue ihres Liebhabers. ,Er glaubt mich verlassen zu haben. Der toerichte Knabe! er merkt nicht, dass nicht _ich_, dass _er_ mein Spielzeug war, das ich wegwarf!` - So sprach sie in stolzem Hohn, und in der Tat, ihr ganzes Wesen zeigte, dass es wohl Ernst sein mochte mit der Verachtung des Ungetreuen. Uebrigens sah man, sobald das Buendnis Gabrielens mit dem Grafen von S. ausgesprochen war, Angelika sehr selten. Sie erschien nicht bei der Tafel und man sagte, sie schweife einsam im naechsten Walde umher, den sie laengst zum Ziel ihrer Spaziergaenge gewaehlt hatte. - Ein sonderbarer Vorfall stoerte die einfoermige Ruhe, die im Schlosse herrschte. Es begab sich, dass die Jaeger des Grafen von Z., unterstuetzt von den in grosser Anzahl aufgebotenen Bauern, endlich eine Zigeunerbande eingefangen hatten, der man die Mordbrennereien und Raeubereien, welche seit kurzer Zeit so haeufig in der Gegend vorfielen, schuld gab. An eine lange Kette geschlossen brachte man die Maenner, gebunden auf einen Wagen gepackt die Weiber und Kinder auf den Schlosshof. Manche trotzige Gestalt, die mit wildem funkelnden Blick, wie ein gefesselter Tiger, keck umherschaute, schien den entschlossenen Raeuber und Moerder zu bezeichnen, vorzueglich fiel aber ein langes, hageres, entsetzliches Weib, in einen blutroten Shawl vom Kopf bis zu Fuss gewickelt, ins Auge, die aufrecht im Wagen stand, und mit gebietender Stimme rief. man solle sie herabsteigen lassen, welches auch geschah. Der Graf von Z. kam auf den Schlosshof und befahl eben, wie man die Bande abgesondert in den festen Schlossgefaengnissen verteilen solle, als mit fliegenden Haaren, Entsetzen und Angst in bleichem Gesicht, Graefin Angelika aus der Tuer hinausstuerzte, und auf die Kniee geworfen mit schneidender Stimme rief. ,Diese Leute los - diese Leute los - sie sind unschuldig, unschuldig - Vater: lass diese Leute los! - ein Tropfen Bluts vergossen an einem von diesen und ich stosse mir dieses Messer in die Brust!` - Damit schwang die Graefin ein spiegelblankes Messer in den Lueften und sank ohnmaechtig nieder. ,Ei mein schoenes Pueppchen, mein trautes Goldkind, das wusst ich ja wohl, dass du es nicht leiden wuerdest!` - So meckerte die rote Alte. Dann kauerte sie nieder neben der Graefin und bedeckte Gesicht und Busen mit ekelhaften Kuessen, indem sie fortwaehrend murmelte: ,Blanke Tochter, blanke Tochter wach auf, wach auf, der Braeutigam kommt - hei hei blanker Braeutigam kommt.` Damit nahm die Alte eine Phiole hervor, in der ein kleiner Goldfisch in silberhellem Spiritus auf und ab zu gaukeln schien. Diese Phiole hielt die Alte der Graefin an das Herz, augenblicklich erwachte sie, aber kaum erblickte sie das Zigeunerweib, als sie aufsprang, das Weib heftig und bruenstig umarmte und dann mit ihr davoneilte in das Schloss hinein. Der Graf von Z. - Gabriele, ihr Braeutigam, die unterdessen erschienen, schauten ganz erstarrt und von seltsamen Grauen ergriffen, das alles an. Die Zigeuner blieben ganz gleichgueltig und ruhig, sie wurden nun abgeloest von der Kette, und einzeln gefesselt in die Schlossgefaengnisse geworfen. Am andern Morgen liess der Graf von Z. die Gemeinde versammeln, die Zigeuner wurden vorgefuehrt, der Graf erklaerte laut, dass sie ganz unschuldig waeren an allen Raeubereien, die in der Gegend veruebt, und dass er ihnen freien Durchzug durch sein Gebiet verstatte, worauf sie entfesselt und zum Erstaunen aller mit Paessen wohl versehen entlassen wurden. Das rote Weib wurde vermisst. Man wollte wissen, dass der Zigeunerhauptmann, kenntlich an den goldnen Ketten um den Hals und dem roten Federbusch an dem spanisch niedergekrempten Hut, nachts auf dem Zimmer des Grafen gewesen. Einige Zeit nachher ward es unbezweifelt dargetan, dass die Zigeuner an dem Rauben und Morden in dem Gebiet umher in der Tat auch nicht den mindesten Anteil hatten. - Gabrieles Hochzeit rueckte heran, mit Erstaunen bemerkte sie eines Tages, dass mehrere Ruestwagen mit Meublen, Kleidungsstuecken, Waesche, kurz, mit einer ganz vollstaendigen Hauseinrichtung bepackt wurden und abfuhren. Andern Morgens erfuhr sie, dass Angelika begleitet von dem Kammerdiener des Grafen S. und einer vermummten Frau, die der alten roten Zigeunerin aehnlich gesehen, nachts abgereiset sei. Graf Z. loeste das Raetsel, indem er erklaerte, dass er sich aus gewissen Ursachen genoetiget gesehen, den freilich seltsamen Wuenschen Angelikas nachzugeben, und ihr nicht allein das in ***n belegne Haus in der Allee als Eigentum zu schenken, sondern auch zu erlauben, dass sie dort einen eignen, ganz unabhaengigen Haushalt fuehre, wobei sie sich bedungen, dass keiner aus der Familie, ihn selbst nicht ausgenommen, ohne ihre ausdrueckliche Erlaubnis das Haus betreten solle. Der Graf von S. fuegte hinzu, dass auf Angelikas dringenden Wunsch er seinen Kammerdiener ihr ueberlassen muessen, der mitgereiset sei nach ***n. Die Hochzeit wurde vollzogen, Graf S. ging mit seiner Gemahlin nach D. und ein Jahr verging ihnen in ungetruebter Heiterkeit. Dann fing aber der Graf an auf ganz eigne Weise zu kraenkeln. Es war, als wenn ihm ein geheimer Schmerz alle Lebenslust, alle Lebenskraft raube, und vergebens waren alle Bemuehungen seiner Gemahlin, das Geheimnis ihm zu entreissen, das sein Innerstes verderblich zu verstoeren schien. - Als endlich tiefe Ohnmachten seinen Zustand lebensgefaehrlich machten, gab er den Aerzten nach und ging angeblich nach Pisa. - Gabriele konnte nicht mitreisen, da sie ihrer Niederkunft entgegensah, die indessen erst nach mehrern Wochen erfolgte. - Hier', sprach der Arzt, 'werden die Mitteilungen der Graefin Gabriele von S. so rhapsodisch, dass nur ein tieferer Blick den naeheren Zusammenhang auffassen kann. - Genug - ihr Kind, ein Maedgen, verschwindet auf unbegreifliche Weise aus der Wiege, alle Nachforschungen bleiben vergebens - ihre Trostlosigkeit geht bis zur Verzweiflung, als zur selbigen Zeit Graf von Z. ihr die entsetzliche Nachricht schreibt, dass er den Schwiegersohn, den er auf dem Wege nach Pisa glaubte, in ***n und zwar in Angelikas Hause, vom Nervenschlage zum Tode getroffen, gefunden; dass Angelika in furchtbaren Wahnsinn geraten sei und dass er solchen Jammer wohl nicht lange tragen werde. - Sowie Gabriele von S. nur einige Kraefte gewonnen, eilt sie auf die Gueter des Vaters; in schlafloser Nacht das Bild des verlornen Gatten, des verlornen Kindes vor Augen, glaubt sie ein leises Wimmern vor der Tuere des Schlafzimmers zu vernehmen; ermutigt, zuendet sie die Kerzen des Armleuchters bei der Nachtlampe an und tritt heraus. - Heiliger Gott! niedergekauert zur Erde, in den roten Shawl gewickelt, starrt das Zigeunerweib mit stierem, leblosem Blick ihr in die Augen - in den Armen haelt sie ein kleines Kind, das so aengstlich wimmert, das Herz schlaegt der Graefin hoch auf in der Brust! - es ist ihr Kind! - es ist die verlorne Tochter! - Sie reisst das Kind der Zigeunerin aus den Armen, aber in diesem Augenblick kugelt diese um, wie eine leblose Puppe. Auf das Angstgeschrei der Graefin wird alles wach, man eilt hinzu, man findet das Weib tot auf der Erde, kein Belebungsmittel wirkt und der Graf laesst sie einscharren. - Was bleibt uebrig, als nach ***n zur wahnsinnigen Angelika zu eilen, und vielleicht dort das Geheimnis mit dem Kinde zu erforschen. Alles hat sich veraendert. Angelikas wilde Raserei hat alle weibliche Dienstboten entfernt, nur der Kammerdiener ist geblieben. Angelika ist ruhig und vernuenftig geworden. Als der Graf die Geschichte von Gabrielens Kinde erzaehlt, schlaegt sie die Haende zusammen, und ruft mit lautem Lachen: ,Ist's Pueppgen angekommen? richtig angekommen? - eingescharrt, eingescharrt? Ojemine, wie praechtig sich der Goldfasan schuettelt! wisst ihr nichts vom gruenen Loewen mit den blauen Glutaugen?` - Mit Entsetzen bemerkt der Graf die Rueckkehr des Wahnsinns, indem ploetzlich Angelikas Gesicht die Zuege des Zigeunerweibes anzunehmen scheint, und beschliesst, die Arme mitzunehmen auf die Gueter, welches der alte Kammerdiener widerraet. In der Tat bricht auch der Wahnsinn Angelikas in Wut und Raserei aus, sobald man Anstalten macht, sie aus dem Hause zu entfernen. - In einem lichten Zwischenraum beschwoert Angelika mit heissen Traenen den Vater, sie in dem Hause sterben zu lassen, und tiefgeruehrt bewilligt er dies, wiewohl er das Gestaendnis, das dabei ihren Lippen entflieht, nur fuer das Erzeugnis des aufs neue ausbrechenden Wahnsinns haelt. Sie bekennt, dass Graf S. in ihre Arme zurueckgekehrt, und dass das Kind, welches die Zigeunerin ins Haus des Grafen von Z. brachte, die Frucht dieses Buendnisses sei. - In der Residenz glaubt man, dass der Graf von Z. die Unglueckliche mitgenommen hat auf die Gueter, indessen sie hier tiefverborgen und der Aufsicht des Kammerdieners uebergeben in dem veroedeten Hause bleibt. - Graf von Z. ist gestorben vor einiger Zeit, und Graefin Gabriele von S. kam mit Edmonden her, um Familienangelegenheiten zu berichtigen. Sie durfte es sich nicht versagen, die unglueckliche Schwester zu sehen. Bei diesem Besuch muss sich Wunderliches ereignet haben, doch hat mir die Graefin nichts darueber vertraut, sondern nur im allgemeinen gesagt, dass es nun noetig geworden, dem alten Kammerdiener die Unglueckliche zu entreissen. Einmal habe er, wie es herausgekommen, durch harte grausame Misshandlungen den Ausbruechen des Wahnsinns zu steuern gesucht, dann aber, durch Angelikas Vorspieglung, dass sie Gold zu machen verstehe, sich verleiten lassen, mit ihr allerlei sonderbare Operationen vorzunehmen und ihr alles Noetige dazu herbeizuschaffen. - Es wuerde wohl' (so schloss der Arzt seine Erzaehlung) 'ganz ueberfluessig sein, _Sie_, gerade _Sie_ auf den tiefern Zusammenhang aller dieser seltsamen Dinge aufmerksam zu machen. Es ist mir gewiss, dass _Sie_ die Katastrophe herbeigefuehrt haben, die der Alten Genesung oder baldigen Tod bringen wird. Uebrigens mag ich jetzt nicht verhehlen, dass ich mich nicht wenig entsetzte, als ich, nachdem ich mich mit Ihnen in magnetischen Rapport gesetzt, ebenfalls das Bild im Spiegel sah. Dass dies Bild Edmonde war, wissen wir nun beide.' Ebenso, wie der Arzt glaubte, fuer mich nichts hinzufuegen zu duerfen, ebenso halte ich es fuer ganz unnuetz, mich nun noch darueber etwa zu verbreiten, in welchem geheimen Verhaeltnis Angelika, Edmonde, ich und der alte Kammerdiener standen, und wie mystische Wechselwirkungen ein daemonisches Spiel trieben. Nur so viel sage ich noch, dass mich nach diesen Begebenheiten ein drueckendes, unheimliches Gefuehl aus der Residenz trieb, welches erst nach einiger Zeit mich ploetzlich verliess. Ich glaube, dass die Alte in dem Augenblick, als ein ganz besonderes Wohlsein mein Innerstes durchstroemte, gestorben ist." So endete Theodor seine Erzaehlung. Noch manches sprachen die Freunde ueber Theodors Abenteuer und gaben ihm recht, dass sich darin das Wunderliche mit dem Wunderbaren auf seltsame greuliche Weise mische. - Als sie schieden, nahm Franz Theodors Hand und sprach, sie leise schuettelnd, mit beinahe wehmuetigem Laecheln: "Gute Nacht, du Spalanzanische Fledermaus!" Das Majorat Dem Gestade der Ostsee unfern liegt das Stammschloss der Freiherrlich von R..schen Familie, R..sitten genannt. Die Gegend ist rauh und oede, kaum entspriesst hin und wieder ein Grashalm dem bodenlosen Triebsande, und statt des Gartens, wie er sonst das Herrenhaus zu zieren pflegt, schliesst sich an die nackten Mauern nach der Landseite hin ein duerftiger Foehrenwald, dessen ewige, duestre Trauer den bunten Schmuck des Fruehlings verschmaeht, und in dem statt des froehlichen Jauchzens der zu neuer Lust erwachten Voegelein nur das schaurige Gekraechze der Raben, das schwirrende Kreischen der sturmverkuendenden Moewen widerhallt. Eine Viertelstunde davon aendert sich ploetzlich die Natur. Wie durch einen Zauberschlag ist man in bluehende Felder, ueppige Aecker und Wiesen versetzt. Man erblickt das grosse, reiche Dorf mit dem geraeumigen Wohnhause des Wirtschaftsinspektors. An der Spitze eines freundlichen Erlenbusches sind die Fundamente eines grossen Schlosses sichtbar, das einer der vormaligen Besitzer aufzubauen im Sinne hatte. Die Nachfolger, auf ihren Guetern in Kurland hausend, liessen den Bau liegen, und auch der Freiherr Roderich von R., der wiederum seinen Wohnsitz auf dem Stammgute nahm, mochte nicht weiter bauen, da seinem finstern, menschenscheuen Wesen der Aufenthalt in dem alten, einsam liegenden Schlosse zusagte. Er liess das verfallene Gebaeude, so gut es gehen wollte, herstellen und sperrte sich darin ein mit einem graemlichen Hausverwalter und geringer Dienerschaft. Nur selten sah man ihn im Dorfe, dagegen ging und ritt er oft am Meeresstrande hin und her, und man wollte aus der Ferne bemerkt haben, wie er in die Wellen hineinsprach und dem Brausen und Zischen der Brandung zuhorchte, als vernehme er die antwortende Stimme des Meergeistes. Auf der hoechsten Spitze des Wartturms hatte er ein Kabinett einrichten und mit Fernroehren - mit einem vollstaendigen astronomischen Apparat versehen lassen; da beobachtete er Tages, nach dem Meer hinausschauend, die Schiffe, die oft gleich weissbeschwingten Meervoegeln am fernen Horizont vorueberflogen. Sternenhelle Naechte brachte er hin mit astronomischer oder, wie man wissen wollte, mit astrologischer Arbeit, worin ihm der alte Hausverwalter beistand. Ueberhaupt ging zu seinen Lebzeiten die Sage, dass er geheimer Wissenschaft, der sogenannten schwarzen Kunst, ergeben sei, und dass eine verfehlte Operation, durch die ein hohes Fuerstenhaus auf das empfindlichste gekraenkt wurde, ihn aus Kurland vertrieben habe. Die leiseste Erinnerung an seinen dortigen Aufenthalt erfuellte ihn mit Entsetzen, aber alles sein Leben Verstoerende, was ihm dort geschehen, schrieb er lediglich der Schuld der Vorfahren zu, die die Ahnenburg boeslich verliessen. Um fuer die Zukunft wenigstens das Haupt der Familie an das Stammhaus zu fesseln, bestimmte er es zu einem Majoratsbesitztum. Der Landesherr bestaetigte die Stiftung um so lieber, als dadurch eine an ritterlicher Tugend reiche Familie, deren Zweige schon in das Ausland herueberrankten, fuer das Vaterland gewonnen werden sollte. Weder Roderichs Sohn, Hubert, noch der jetzige Majoratsherr, wie sein Grossvater Roderich geheissen, mochte indessen in dem Stammschlosse hausen, beide blieben in Kurland. Man musste glauben, dass sie, heitrer und lebenslustiger gesinnt als der duestre Ahnherr, die schaurige Oede des Aufenthaltes scheuten. Freiherr Roderich hatte zwei alten, unverheirateten Schwestern seines Vaters, die, mager ausgestattet, in Duerftigkeit lebten, Wohnung und Unterhalt auf dem Gute gestattet. Diese sassen mit einer bejahrten Dienerin in den kleinen warmen Zimmern des Nebenfluegels, und ausser ihnen und dem Koch, der im Erdgeschoss ein grosses Gemach neben der Kueche inne hatte, wankte in den hohen Zimmern und Saelen des Hauptgebaeudes nur noch ein abgelebter Jaeger umher, der zugleich die Dienste des Kastellans versah. Die uebrige Dienerschaft wohnte im Dorfe bei dem Wirtschaftsinspektor. Nur in spaeter Herbstzeit, wenn der erste Schnee zu fallen begann, und die Wolfs-, die Schweinsjagden aufgingen, wurde das oede, verlassene Schloss lebendig. Dann kam Freiherr Roderich mit seiner Gemahlin, begleitet von Verwandten, Freunden und zahlreichem Jagdgefolge, herueber aus Kurland. Der benachbarte Adel, ja selbst jagdlustige Freunde aus der naheliegenden Stadt fanden sich ein, kaum vermochten Hauptgebaeude und Nebenfluegel die zustroemenden Gaeste zu fassen, in allen Oefen und Kaminen knisterten reichlich zugeschuerte Feuer, vom grauen Morgen bis in die Nacht hinein schnurrten die Bratenwender, Trepp' auf, Trepp' ab liefen hundert lustige Leute, Herren und Diener, dort erklangen angestossene Pokale und froehliche Jaegerlieder, hier die Tritte der nach gellender Musik Tanzenden, ueberall lautes Jauchzen und Gelaechter, und so glich vier bis sechs Wochen hindurch das Schloss mehr einer praechtigen, an vielbefahrner Landstrasse liegenden Herberge, als der Wohnung des Gutsherrn. Freiherr Roderich widmete diese Zeit, so gut es sich nur tun liess, ernstem Geschaefte, indem er, zurueckgezogen aus dem Strudel der Gaeste, die Pflichten des Majoratsherrn erfuellte. Nicht allein, dass er sich vollstaendige Rechnung der Einkuenfte legen liess, so hoerte er auch jeden Vorschlag irgendeiner Verbesserung, sowie die kleinste Beschwerde seiner Untertanen an und suchte alles zu ordnen, jedem Unrechten oder Unbilligen zu steuern, wie er es nur vermochte. In diesen Geschaeften stand ihm der alte Advokat V., von Vater auf Sohn vererbter Geschaeftstraeger des R..schen Hauses und Justitiarius der in P. liegenden Gueter, redlich bei, und V. pflegte daher schon acht Tage vor der bestimmten Ankunft des Freiherrn nach dem Majoratsgute abzureisen. Im Jahre 179- war die Zeit gekommen, dass der alte V. nach R..sitten reisen sollte. So lebenskraeftig der Greis von siebzig Jahren sich auch fuehlte, musste er doch glauben, dass eine huelfreiche Hand im Geschaeft ihm wohltun werde. Wie im Scherz sagte er daher eines Tages zu mir: "Vetter!" (so nannte er mich, seinen Grossneffen, da ich seine Vornamen erhielt) "Vetter! ich daechte, du liessest dir einmal etwas Seewind um die Ohren sausen und kaemst mit mir nach R..sitten. Ausserdem, dass du mir wacker beistehen kannst in meinem manchmal boesen Geschaeft, so magst du dich auch einmal im wilden Jaegerleben versuchen und zusehen, wie, nachdem du einen Morgen ein zierliches Protokoll geschrieben, du den andern solch trotzigem Tier, als da ist ein langbehaarter, greulicher Wolf oder ein zahnfletschender Eber, ins funkelnde Auge zu schauen oder gar es mit einem tuechtigen Buechsenschuss zu erlegen verstehest." Nicht so viel Seltsames von der lustigen Jagdzeit in R..sitten haette ich schon hoeren, nicht so mit ganzer Seele dem herrlichen alten Grossonkel anhaengen muessen, um nicht hocherfreut zu sein, dass er mich diesmal mitnehmen wolle. Schon ziemlich geuebt in derlei Geschaeften, wie er sie vorhatte, versprach ich mit tapferm Fleiss ihm alle Muehe und Sorge abzunehmen. Andern Tags sassen wir, in tuechtige Pelze eingehuellt, im Wagen und fuhren durch dickes, den einbrechenden Winter verkuendendes Schneegestoeber nach R..sitten. Unterwegs erzaehlte mir der Alte manches Wunderliche von dem Freiherrn Roderich, der das Majorat stiftete und ihn, seines Juenglingsalters ungeachtet, zu seinem Justitiarius und Testamentsvollstrecker ernannte. Er sprach von dem rauhen, wilden Wesen, das der alte Herr gehabt und das sich auf die ganze Familie zu vererben schiene, da selbst der jetzige Majoratsherr, den er als sanftmuetigen, beinahe weichlichen Juengling gekannt, von Jahr zu Jahr mehr davon ergriffen werde. Er schrieb mir vor, wie ich mich keck und unbefangen betragen muesste, um in des Freiherrn Augen was wert zu sein, und kam endlich auf die Wohnung im Schlosse, die er ein fuer allemal gewaehlt, da sie warm, bequem und so abgelegen sei, dass wir uns, wenn und wie wir wollten, dem tollen Getoese der jubilierenden Gesellschaft entziehen koennten. In zwei kleinen, mit warmen Tapeten behangenen Zimmern, dicht neben dem grossen Gerichtssaal im Seitenfluegel, dem gegenueber, wo die alten Fraeuleins wohnten, da waere ihm jedesmal seine Residenz bereitet. Endlich nach schneller, aber beschwerlicher Fahrt kamen wir in tiefer Nacht nach R..sitten. Wir fuhren durch das Dorf, es war gerade Sonntag, im Kruge Tanzmusik und froehlicher Jubel, des Wirtschaftsinspektors Haus von unten bis oben erleuchtet, drinnen auch Musik und Gesang; desto schauerlicher wurde die Oede, in die wir nun hineinfuhren. Der Seewind heulte in schneidenden Jammertoenen herueber und, als habe er sie aus tiefem Zauberschlaf geweckt, stoehnten die duestern Foehren ihm nach in dumpfer Klage. Die nackten schwarzen Mauern des Schlosses stiegen empor aus dem Schneegrunde, wir hielten an dem verschlossenen Tor. Aber da half kein Rufen, kein Peitschengeknalle, kein Haemmern und Pochen, es war, als sei alles ausgestorben, in keinem Fenster ein Licht sichtbar. Der Alte liess seine starke droehnende Stimme erschallen: "Franz - Franz! Wo steckt Ihr denn? Zum Teufel, ruehrt Euch! - Wir erfrieren hier am Tor! Der Schnee schmeisst einem ja das Gesicht blutruenstig - ruehrt Euch, zum Teufel." Da fing ein Hofhund zu winseln an, ein wandelndes Licht wurde im Erdgeschosse sichtbar, Schluessel klapperten, und bald knarrten die gewichtigen Torfluegel auf. "Ei, schoen willkommen, schoen willkommen, Herr Justitiarius, ei, in dem unsaubern Wetter!" So rief der alte Franz, indem er die Laterne hoch in die Haende hob, so dass das volle Licht auf sein verschrumpftes, zum freundlichen Lachen sonderbar verzogenes Gesicht fiel. Der Wagen fuhr in den Hof, wir stiegen aus, und nun gewahrte ich erst ganz des alten Bedienten seltsame, in eine altmodische, weite, mit vielen Schnueren wunderlich ausstaffierte Jaegerlivrei gehuellte Gestalt. Ueber die breite weisse Stirn legten sich nur ein paar graue Loeckchen, der untere Teil des Gesichts hatte die robuste Jaegerfarbe, und unerachtet die verzogenen Muskeln das Gesicht zu einer beinahe abenteuerlichen Maske formten, soehnte doch die etwas duemmliche Gutmuetigkeit, die aus den Augen leuchtete und um den Mund spielte, alles wieder aus. "Nun, alter Franz", fing der Grossonkel an, indem er sich im Vorsaal den Schnee vom Pelze abklopfte, "nun, alter Franz, ist alles bereitet, sind die Tapeten in meinen Stuben abgestaubt, sind die Betten hineingetragen, ist gestern und heute tuechtig geheizt worden?" "Nein", erwiderte Franz sehr gelassen, "nein, mein wertester Herr Justitiarius, das ist alles nicht geschehen." "Herr Gott", fuhr der Grossonkel auf, "ich habe ja zeitig genug geschrieben, ich komme ja stets nach dem richtigen Datum, das ist ja eine Toelpelei, nun kann ich in eiskalten Zimmern hausen." "Ja, wertester Herr Justitiarius", sprach Franz weiter, indem er sehr sorglich mit der Lichtschere von dem Docht einen glimmenden Raeuber abschnippte und ihn mit dem Fusse austrat, "ja, sehn Sie, das alles, vorzueglich das Heizen, haette nicht viel geholfen, denn der Wind und der Schnee, die hausen gar zu sehr hinein durch die zerbrochenen Fensterscheiben, und da" "Was", fiel der Grossonkel ihm in die Rede, den Pelz weit auseinanderschlagend und beide Arme in die Seiten stemmend, "was, die Fenster sind zerbrochen, und Ihr, des Hauses Kastellan, habt nichts machen lassen?" "Ja, wertester Herr Justitiarius", fuhr der Alte ruhig und gelassen fort, "man kann nur nicht recht hinzu wegen des vielen Schutts und der vielen Mauersteine, die in den Zimmern herumliegen." "Wo zum Tausend Himmel Sapperment kommen Schutt und Steine in meine Zimmer?" schrie der Grossonkel. "Zum bestaendigen froehlichen Wohlsein, mein junger Herr!" rief der Alte, sich hoeflich bueckend, da ich eben nieste, setzte aber gleich hinzu: "Es sind die Steine und der Kalk von der Mittelwand, die von der grossen Erschuetterung einfiel." "Habt Ihr ein Erdbeben gehabt?" platzte der Grossonkel zornig heraus. "Das nicht, wertester Herr Justitiarius", erwiderte der Alte, mit dem ganzen Gesicht laechelnd, "aber vor drei Tagen ist die schwere, getaefelte Decke des Gerichtssaals mit gewaltigem Krachen eingestuerzt." "So soll doch das" - Der Grossonkel wollte, heftig und aufbrausend, wie er war, einen schweren Fluch ausstossen; aber indem er mit der Rechten in die Hoehe fuhr und mit der Linken die Fuchsmuetze von der Stirn rueckte, hielt er ploetzlich inne, wandte sich nach mir um und sprach laut auflachend: "Wahrhaftig, Vetter! wir muessen das Maul halten, wir duerfen nicht weiter fragen; sonst erfahren wir noch aergeres Unheil, oder das ganze Schloss stuerzt uns ueber den Koepfen zusammen." "Aber", fuhr er fort, sich nach dem Alten umdrehend, "aber, Franz, konntet Ihr denn nicht so gescheit sein, mir ein anderes Zimmer reinigen und heizen zu lassen? Konntet Ihr nicht irgendeinen Saal im Hauptgebaeude schnell einrichten zum Gerichtstage?" "Dieses ist auch bereits alles geschehen", sprach der Alte, indem er freundlich nach der Treppe wies und sofort hinaufzusteigen begann. "Nun seht mir doch den wunderlichen Kauz", rief der Onkel, indem wir dem Alten nachschritten. Es ging fort durch lange hochgewoelbte Korridore, Franzens flackerndes Licht warf einen wunderlichen Schein in die dicke Finsternis. Saeulen, Kapitaeler und bunte Bogen zeigten sich oft wie in den Lueften schwebend, riesengross schritten unsere Schatten neben uns her, und die seltsamen Gebilde an den Waenden, ueber die sie wegschluepften, schienen zu zittern und zu schwanken, und ihre Stimmen wisperten in den droehnenden Nachhall unserer Tritte hinein: "Weckt uns nicht, weckt uns nicht, uns tolles Zaubervolk, das hier in den alten Steinen schlaeft!" Endlich oeffnete Franz, nachdem wir eine Reihe kalter, finstrer Gemaecher durchgangen, einen Saal, in dem ein hellaufloderndes Kaminfeuer uns mit seinem lustigen Knistern wie mit heimatlichem Gruss empfing. Mir wurde gleich, sowie ich eintrat, ganz wohl zumute, doch der Grossonkel blieb mitten im Saal stehen, schaute ringsumher und sprach mit sehr ernstem, beinahe feierlichem Ton: "Also hier, dies soll der Gerichtssaal sein?" - Franz, in die Hoehe leuchtend, so dass an der breiten dunklen Wand ein heller Fleck, wie eine Tuere gross, ins Auge fiel, sprach dumpf und schmerzhaft: "Hier ist ja wohl schon Gericht gehalten worden!" "Was kommt Euch ein, Alter?" rief der Onkel, indem er den Pelz schnell abwarf und an das Kaminfeuer trat. "Es fuhr mir nur so heraus", sprach Franz, zuendete die Lichter an und oeffnete das Nebenzimmer, welches zu unsrer Aufnahme ganz heimlich bereitet war. Nicht lange dauerte es, so stand ein gedeckter Tisch vor dem Kamin, der Alte trug wohlzubereitete Schuesseln auf, denen, wie es uns beiden, dem Grossonkel und mir, recht behaglich war, eine tuechtige Schale nach echt nordischer Art gebrauten Punsches folgte. Ermuedet von der Reise, suchte der Grossonkel, sowie er gegessen, das Bette; das Neue, Seltsame des Aufenthalts, ja selbst der Punsch, hatte aber meine Lebensgeister zu sehr aufgeregt, um an Schlaf zu denken. Franz raeumte den Tisch ab, schuerte das Kaminfeuer zu und verliess mich mit freundlichen Buecklingen. Nun sass ich allein in dem hohen, weiten Rittersaal. Das Schneegestoeber hatte zu schlackern, der Sturm zu sausen aufgehoert, heitrer Himmel war's geworden, und der helle Vollmond strahlte durch die breiten Bogenfenster, alle finstre Ecken des wunderlichen Baues, wohin der duestere Schein meiner Kerzen und des Kaminfeuers nicht dringen konnte, magisch erleuchtend. So wie man es wohl noch in alten Schloessern antrifft, waren auf seltsame altertuemliche Weise Waende und Decke des Saals verziert, diese mit schwerem Getaefel, jene mit fantastischer Bilderei und buntgemaltem, vergoldetem Schnitzwerk. Aus den grossen Gemaelden, mehrenteils das wilde Gewuehl blutiger Baeren- und Wolfsjagden darstellend, sprangen in Holz geschnitzte Tier- und Menschenkoepfe hervor, den gemalten Leibern angesetzt, so dass, zumal bei der flackernden, schimmernden Beleuchtung des Feuers und des Mondes, das Ganze in greulicher Wahrheit lebte. Zwischen diesen Gemaelden waren lebensgrosse Bilder, in Jaegertracht dahinschreitende Ritter, wahrscheinlich der jagdlustigen Ahnherren, eingefuegt. Alles, Malerei und Schnitzwerk, trug die dunkle Farbe langverjaehrter Zeit; um so mehr fiel der helle kahle Fleck an derselben Wand, durch die zwei Tueren in Nebengemaecher fuehrten, auf; bald erkannte ich, dass dort auch eine Tuer gewesen sein muesste, die spaeter zugemauert worden, und dass eben dies neue, nicht einmal der uebrigen Wand gleich gemalte oder mit Schnitzwerk verzierte Gemaeuer auf jene Art absteche. - Wer weiss es nicht, wie ein ungewoehnlicher, abenteuerlicher Aufenthalt mit geheimnisvoller Macht den Geist zu erfassen vermag, selbst die traegste Fantasie wird wach in dem von wunderlichen Felsen umschlossenen Tal in den duestern Mauern einer Kirche o. s., und will sonst nie Erfahrnes ahnen. Setze ich nun noch hinzu, dass ich zwanzig Jahr alt war und mehrere Glaeser starken Punsch getrunken hatte, so wird man es glauben, dass mir in meinem Rittersaal seltsamer zumute wurde als jemals. Man denke sich die Stille der Nacht, in der das dumpfe Brausen des Meers, das seltsame Pfeifen des Nachtwindes wie die Toene eines maechtigen, von Geistern geruehrten Orgelwerks erklangen - die vorueberfliegenden Wolken, die oft, hell und glaenzend, wie vorbeistreifende Riesen durch die klirrenden Bogenfenster zu gucken schienen - in der Tat, ich musst' es in dem leisen Schauer fuehlen, der mich durchbebte, dass ein fremdes Reich nun sichtbar und vernehmbar aufgehen koenne. Doch dies Gefuehl glich dem Froesteln, das man bei einer lebhaft dargestellten Gespenstergeschichte empfindet und das man so gern hat. Dabei fiel mir ein, dass in keiner guenstigeren Stimmung das Buch zu lesen sei, das ich so wie damals jeder, der nur irgend dem Romantischen ergeben, in der Tasche trug. Es war Schillers "Geisterseher". Ich las und las und erhitzte meine Fantasie immer mehr und mehr. Ich kam zu der mit dem maechtigsten Zauber ergreifenden Erzaehlung von dem Hochzeitsfest bei dem Grafen von V.- Gerade wie Jeronimos blutige Gestalt eintritt, springt mit einem gewaltigen Schlage die Tuer auf, die in den Vorsaal fuehrt. - Entsetzt fahre ich in die Hoehe, das Buch faellt mir aus den Haenden. Aber in demselben Augenblick ist alles still, und ich schaeme mich ueber mein kindliches Erschrecken. Mag es sein, dass durch die durchstroemende Zugluft oder auf andere Weise die Tuer aufgesprengt wurde. - Es ist nichts - meine ueberreizte Fantasie bildet jede natuerliche Erscheinung gespenstisch! - So beschwichtigt, nehme ich das Buch von der Erde auf und werfe mich wieder in den Lehnstuhl - da geht es leise und langsam mit abgemessenen Tritten quer ueber den Saal hin, und dazwischen seufzt und aechzt es, und in diesem Seufzen, diesem Aechzen liegt der Ausdruck des tiefsten menschlichen Leidens, des trostlosesten Jammers - Ha! das ist irgendein eingesperrtes krankes Tier im untern Stock. Man kennt ja die akustische Taeuschung der Nacht, die alles entfernt Toenende in die Naehe rueckt - wer wird sich nur durch so etwas Grauen erregen lassen. - So beschwichtige ich mich aufs neue, aber nun kratzt es, indem lautere, tiefere Seufzer, wie in der entsetzlichen Angst der Todesnot ausgestossen, sich hoeren lassen, an jenem neuen Gemaeuer. "Ja, es ist ein armes eingesperrtes Tier - ich werde jetzt laut rufen, ich werde mit dem Fuss tuechtig auf den Boden stampfen, gleich wird alles schweigen oder das Tier unten sich deutlicher in seinen natuerlichen Toenen hoeren lassen!"- So denke ich, aber das Blut gerinnt in meinen Adern - kalter Schweiss steht auf der Stirne, erstarrt bleib' ich im Lehnstuhle sitzen, nicht vermoegend aufzustehen, viel weniger noch zu rufen. Das abscheuliche Kratzen hoert endlich auf - die Tritte lassen sich aufs neue vernehmen - es ist, als wenn Leben und Regung in mir erwachte, ich springe auf und trete zwei Schritte vor, aber da streicht eine eiskalte Zugluft durch den Saal, und in demselben Augenblick wirft der Mond sein helles Licht auf das Bildnis eines sehr ernsten, beinahe schauerlich anzusehenden Mannes, und als saeusle seine warnende Stimme durch das staerkere Brausen der Meereswellen, durch das gellendere Pfeifen des Nachtwindes, hoere ich deutlich: "- Nicht weiter - nicht weiter, sonst bist du verfallen dem entsetzlichen Graus der Geisterwelt!" Nun faellt die Tuer zu mit demselben starken Schlage wie zuvor, ich hoere die Tritte deutlich auf dem Vorsaal - es geht die Treppe hinab - die Haupttuer des Schlosses oeffnet sich rasselnd und wird wieder verschlossen. Dann ist es, als wuerde ein Pferd aus dem Stalle gezogen und nach einer Weile wieder in den Stall zurueckgefuehrt dann ist alles still! In demselben Augenblick vernahm ich, wie der alte Grossonkel im Nebengemach aengstlich seufzte und stoehnte, dies gab mir alle Besinnung wieder, ich ergriff die Leuchter und eilte hinein. Der Alte schien mit einem boesen, schweren Traume zu kaempfen. "Erwachen Sie - erwachen Sie", rief ich laut, indem ich ihn sanft bei der Hand fasste und den hellen Kerzenschein auf sein Gesicht fallen liess. Der Alte fuhr auf mit einem dumpfen Ruf, dann schaute er mich mit freundlichen Augen an und sprach: "Das hast du gut gemacht, Vetter, dass du mich wecktest. Ei, ich hatte einen sehr haesslichen Traum, und daran ist bloss hier das Gemach und der Saal schuld, denn ich musste dabei an die vergangene Zeit und an manches Verwunderliche denken, was hier sich begab. Aber nun wollen wir recht tuechtig ausschlafen!" Damit huellte sich der Alte in die Decke und schien sofort einzuschlafen. Als ich die Kerzen ausgeloescht und mich auch ins Bette gelegt hatte, vernahm ich, dass der Alte leise betete. Am andern Morgen ging die Arbeit los, der Wirtschaftsinspektor kam mit den Rechnungen, und Leute meldeten sich, die irgendeinen Streit geschlichtet, irgendeine Angelegenheit geordnet haben wollten. Mittags ging der Grossonkel mit mir herueber in den Seitenfluegel, um den beiden alten Baronessen in aller Form aufzuwarten. Franz meldete uns, wir mussten einige Augenblicke warten und wurden dann durch ein sechzigjaehriges gebeugtes, in bunte Seide gekleidetes Muetterchen, die sich das Kammerfraeulein der gnaedigen Herrschaft nannte, in das Heiligtum gefuehrt. Da empfingen uns die alten, nach laengst verjaehrter Mode abenteuerlich geputzten Damen mit komischem Zeremoniell, und vorzueglich war ich ein Gegenstand ihrer Verwunderung, als der Grossonkel mich mit vieler Laune als einen jungen, ihm beisteheenden Justizmann vorstellte. In ihren Mienen lag es, dass sie bei meiner Jugend das Wohl der R..sittenschen Untertanen gefaehrdet glaubten. Der ganze Auftritt bei den alten Damen hatte ueberhaupt viel Laecherliches, die Schauer der vergangenen Nacht froestelten aber noch in meinem Innern, ich fuehlte mich wie von einer unbekannten Macht beruehrt, oder es war mir vielmehr, als habe ich schon an den Kreis gestreift, den zu ueberschreiten und rettungslos unterzugehen es nur noch eines Schritts beduerfte, als koenne nur das Aufbieten aller mir inwohnenden Kraft mich gegen das Entsetzen schuetzen, das nur dem unheilbaren Wahnsinn zu weichen pflegt. So kam es, dass selbst die alten Baronessen in ihren seltsamen hochaufgetuermten Frisuren, in ihren wunderlichen stoffnen, mit bunten Blumen und Baendern ausstaffierten Kleidern mir statt laecherlich, ganz graulich und gespenstisch erschienen. In den alten gelbverschrumpften Gesichtern, in den blinzenden Augen wollt' ich es lesen, in dem schlechten Franzoesisch, das halb durch die eingekniffenen blauen Lippen, halb durch die spitzen Nasen herausschnarrte, wollt' ich es hoeren, wie sich die Alten mit den unheimlichen, im Schlosse herumspukenden Wesen wenigstens auf guten Fuss gesetzt haetten und auch wohl selbst Verstoerendes und Entsetzliches zu treiben vermochten. Der Grossonkel, zu allem Lustigen aufgelegt, verstrickte mit seiner Ironie die Alten in ein solches tolles Gewaesche, dass ich in anderer Stimmung nicht gewusst haette, wie das ausgelassenste Gelaechter in mich hineinschlucken, aber wie gesagt, die Baronessen samt ihrem Geplapper waren und blieben gespenstisch, und der Alte, der mir eine besondere Lust bereiten wollte, blickte mich ein Mal uebers andere ganz verwundert an. Sowie wir nach Tische in unserm Zimmer allein waren, brach er los: "Aber, Vetter, sag' mir um des Himmels willen, was ist dir? - Du lachst nicht, du sprichst nicht, du issest nicht, du trinkst nicht? Bist du krank? oder fehlt es sonst woran?" Ich nahm jetzt gar keinen Anstand, ihm alles Grauliche, Entsetzliche, was ich in voriger Nacht ueberstanden, ganz ausfuehrlich zu erzaehlen. Nichts verschwieg ich, vorzueglich auch nicht, dass ich viel Punsch getrunken und in Schillers "Geisterseher" gelesen. "Bekennen muss ich dies", setzte ich hinzu, "denn so wird es glaublich, dass meine ueberreizte arbeitende Fantasie all die Erscheinungen schuf, die nur innerhalb den Waenden meines Gehirns existierten." Ich glaubte, dass nun der Grossonkel mir derb zusetzen wuerde mit koernichten Spaessen ueber meine Geisterseherei, statt dessen wurde er sehr ernsthaft, starrte in den Boden hinein, warf dann den Kopf schnell in die Hoehe und sprach, mich mit dem brennenden Blick seiner Augen anschauend: "Ich kenne dein Buch nicht, Vetter! aber weder seinem, noch dem Geist des Punsches hast du jenen Geisterspuk zu verdanken. Wisse, dass ich dasselbe, was dir widerfuhr, traeumte. Ich sass, so wie du (so kam es mir vor), im Lehnstuhl bei dem Kamin, aber was sich dir nur in Toenen kundgetan, das sah ich, mit dem innern Auge es deutlich erfassend. Ja! ich erblickte den greulichen Unhold, wie er hereintrat, wie er kraftlos an die vermauerte Tuer schlich, wie er in trostloser Verzweiflung an der Wand kratzte, dass das Blut unter den zerrissenen Naegeln herausquoll, wie er dann hinabstieg, das Pferd aus dem Stalle zog und in den Stall zurueckbrachte. Hast du es gehoert, wie der Hahn im fernen Gehoefte des Dorfes kraehte? Da wecktest du mich, und ich widerstand bald dem boesen Spuk des entsetzlichen Menchen, der noch vermag, das heitre Leben grauenhaft zu verstoeren." Der Alte hielt inne, aber ich mochte nicht fragen, wohlbedenkend, dass er mir alles aufklaeren werde, wenn er es geraten finden sollte. Nach einer Weile, in der er, tief in sich gekehrt, dagesessen, fuhr der Alte fort: "Vetter, hast du Mut genug, jetzt nachdem du weisst, wie sich alles begibt, den Spuk noch einmal zu bestehen? und zwar mit mir zusammen?" Es war natuerlich, dass ich erklaerte, wie ich mich jetzt dazu ganz entkraeftigt fuehle. "So wollen wir", sprach der Alte weiter, "in kuenftiger Nacht zusammen wachen. Eine innere Stimme sagt mir, dass meiner geistigen Gewalt nicht sowohl, als meinem Mute, der sich auf festes Vertrauen gruendet, der boese Spuk weichen muss, und dass es kein freveliches Beginnen, sondern ein frommes, tapferes Werk ist, wenn ich Leib und Leben daran wage, den boesen Unhold zu bannen, der hier die Soehne aus der Stammburg der Ahnherrn treibt. - Doch! von keiner Wagnis ist ja die Rede, denn in solch festem redlichen Sinn, in solch frommen Vertrauen, wie es in mir lebt, ist und bleibt man ein siegreicher Held. - Aber sollt' es dennoch Gottes Wille sein, dass die boese Macht mich anzutasten vermag, so sollst du, Vetter, es verkuenden, dass ich im redlichen christlichen Kampf mit dem Hoellengeist, der hier sein verstoerendes Wesen treibt, unterlag! - Du! - halt dich ferne! dir wird dann nichts geschehen!" Unter mancherlei zerstreuenden Geschaeften war der Abend herangekommen. Franz hatte, wie gestern, das Abendessen abgeraeumt und uns Punsch gebracht, der Vollmond schien hell durch die glaenzenden Wolken, die Meereswellen brausten, und der Nachtwind heulte und schuettelte die klirrenden Scheiben der Bogenfenster. Wir zwangen uns, im Innern aufgeregt, zu gleichgueltigen Gespraechen. Der Alte hatte seine Schlaguhr auf den Tisch gelegt. Sie schlug zwoelfe. Da sprang mit entsetzlichem Krachen die Tuer auf, und wie gestern schwebten leise und langsam Tritte quer durch den Saal, und das Aechzen und Seufzen liess sich vernehmen. Der Alte war verblasst, aber seine Augen erstrahlten in ungewoehnlichem Feuer, er erhob sich vom Lehnstuhl, und indem er in seiner grossen Gestalt, hochaufgerichtet, den linken Arm in die Seite gestemmt, den rechten weit vorstreckend nach der Mitte des Saals, dastand, war er anzusehen, wie ein gebietender Held. Doch immer staerker und vernehmlicher wurde das Seufzen und Aechzen, und nun fing es an abscheulicher als gestern an der Wand hin und her zu kratzen. Da schritt der Alte vorwaerts, gerade auf die zugemauerte Tuer los, mit festen Tritten, dass der Fussboden erdroehnte. Dicht vor der Stelle, wo es toller und toller kratzte, stand er still und sprach mit starkem, feierlichem Ton, wie ich ihn nie gehoert: "Daniel, Daniel! was machst du hier zu dieser Stunde!" Da kreischte es auf grauenvoll und entsetzlich, und ein dumpfer Schlag geschah, wie wenn eine Last zu Boden stuerzte. "Suche Gnade und Erbarmen vor dem Thron des Hoechsten, dort ist dein Platz! Fort mit dir aus dem Leben, dem du niemals mehr angehoeren kannst!" So rief der Alte noch gewaltiger als vorher, es war, als ginge ein leises Gewimmer durch die Luefte und ersterbe im Sausen des Sturms, der sich zu erheben begann. Da schritt der Alte nach der Tuer und warf sie zu, dass es laut durch den oeden Vorsaal widerhallte. In seiner Sprache, in seinen Gebaerden lag etwas Uebermenschliches, das mich mit tiefem Schauer erfuellte. Als er sich in den Lehnstuhl setzte, war sein Blick wie verklaert, er faltete seine Haende, er betete im Innern. So mochten einige Minuten vergangen sein, da frug er mit der milden, tief in das Herz dringenden Stimme, die er so sehr in seiner Macht hatte: "Nun, Vetter?" Von Schauer - Entsetzen - Angst - heiliger Ehrfurcht und Liebe durchbebt, stuerzte ich auf die Kniee und benetzte die mir dargebotene Hand mit heissen Traenen. Der Alte schloss mich in seine Arme, und indem er mich innig an sein Herz drueckte, sprach er sehr weich: "Nun wollen wir auch recht sanft schlafen, lieber Vetter!" Es geschah auch so, und als sich in der folgenden Nacht durchaus nichts Unheimliches verspueren liess, gewannen wir die alte Heiterkeit wieder, zum Nachteil der alten Baronessen, die, blieben sie auch in der Tat ein wenig gespenstisch, mit ihrem abenteuerlichen Wesen, doch nur ergoetzlichen Spuk trieben, den der Alte auf possierliche Weise anzuregen wusste. Endlich, nach mehreren Tagen, traf der Baron ein mit seiner Gemahlin und zahlreichem Jagdgefolge, die geladenen Gaeste sammelten sich, und nun ging in dem ploetzlich lebendig gewordenen Schlosse das laute wilde Treiben los, wie es vorhin beschrieben. Als der Baron gleich nach seiner Ankunft in unsern Saal trat, schien er ueber unsern veraenderten Aufenthalt auf seltsame Weise befremdet, er warf einen duestern Blick auf die zugemauerte Tuer, und schnell sich abwendend, fuhr er mit der Hand ueber die Stirn, als wolle er irgendeine boese Erinnerung verscheuchen. Der Grossonkel sprach von der Verwuestung des Gerichtssaals und der anstossenden Gemaecher, der Baron tadelte es, dass Franz uns nicht besser einlogiert habe, und forderte den Alten recht gemuetlich auf, doch nur zu gebieten, wenn ihm irgend etwas in dem neuen Gemach, das doch viel schlechter sei, als das, was er sonst bewohnt, an seiner Bequemlichkeit abginge. Ueberhaupt war das Betragen des Barons gegen den alten Grossonkel nicht allein herzlich, sondern ihm mischte sich eine gewisse kindliche Ehrfurcht bei, als stehe der Baron mit dem Alten in verwandtschaftlichem Respektsverhaeltnis. Dies war aber auch das einzige, was mich mit dem rauhen, gebieterischen Wesen des Barons, das er immer mehr und mehr entwickelte, einigermassen zu versoehnen vermochte. Mich schien er wenig oder gar nicht zu beachten, er sah in mir den gewoehnlichen Schreiber. Gleich das erstemal, als ich eine Verhandlung aufgenommen, wollte er etwas in der Fassung unrichtig finden, das Blut wallte mir auf, und ich war im Begriff, irgend etwas Schneidendes zu erwidern, als der Grossonkel, das Wort nehmend, versicherte, dass ich denn nun einmal alles recht nach seinem Sinne mache, und dass dieser doch nur hier in gerichtlicher Verhandlung walten koenne. Als wir allein waren, beschwerte ich mich bitter ueber den Baron, der mir immer mehr im Grunde der Seele zuwider werde. "Glaube mir, Vetter!" erwiderte der Alte, "dass der Baron trotz seines unfreundlichen Wesens der vortrefflichste, gutmuetigste Mensch von der Welt ist. Dieses Wesen hat er auch, wie ich dir schon sagte, erst seit der Zeit angenommen, als er Majoratsherr wurde, vorher war er ein sanfter, bescheidener Juengling. Ueberhaupt ist es denn doch aber nicht mit ihm so arg, wie du es machst, und ich moechte wohl wissen, warum er dir so gar sehr zuwider ist." Indem der Alte die letzten Worte sprach, laechelte er recht hoehnisch, und das Blut stieg mir siedend heiss ins Gesicht. Musste mir nun nicht mein Innres recht klar werden, musste ich es nicht deutlich fuehlen, dass jenes wunderliche Hassen aufkeimte aus dem Lieben, oder vielmehr aus dem Verlieben in ein Wesen, das mir das holdeste, hochherrlichste zu sein schien, was jemals auf Erden gewandelt? Dieses Wesen war niemand als die Baronesse selbst. Schon gleich als sie angekommen und in einem russischen Zobelpelz, der knapp anschloss an den zierlich gebauten Leib, das Haupt in reiche Schleier gewickelt, durch die Gemaecher schritt, wirkte ihre Erscheinung auf mich wie ein maechtiger unwiderstehlicher Zauber. Ja, selbst der Umstand, dass die alten Tanten in verwunderlicheren Kleidern und Fontangen, als ich sie noch gesehen, an beiden Seiten neben ihr her trippelten und ihre franzoesischen Bewillkommnungen herschnatterten, waehrend sie, die Baronin, mit unbeschreiblich milden Blicken um sich her schaute und bald diesem, bald jenem freundlich zunickte, bald in dem rein toenenden kurlaendischen Dialekt einige deutsche Worte dazwischen floetete, schon dieses gab ein wunderbar fremdartiges Bild, und unwillkuerlich reihte die Fantasie dies Bild an jenen unheimlichen Spuk, und die Baronesse wurde der Engel des Lichts, dem sich die boesen gespenstischen Maechte beugen. Die wunderherrliche Frau tritt lebhaft vor meines Geistes Augen. Sie mochte wohl damals kaum neunzehn Jahre zaehlen, ihr Gesicht, ebenso zart wie ihr Wuchs, trug den Ausdruck der hoechsten Engelsguete, vorzueglich lag aber in dem Blick der dunklen Augen ein unbeschreiblicher Zauber, wie feuchter Mondesstrahl ging darin eine schwermuetige Sehnsucht auf; so wie in ihrem holdseligen Laecheln ein ganzer Himmel voll Wonne und Entzuecken. Oft schien sie ganz in sich selbst verloren, und dann gingen duestre Wolkenschatten ueber ihr holdes Antlitz. Man haette glauben sollen, irgendein verstoerender Schmerz muesse sie befangen, mir schien es aber, dass wohl die duestere Ahnung einer trueben, ungluecksschwangeren Zukunft es sei, von der sie in solchen Augenblicken erfasst werde, und auch damit setzte ich auf seltsame Weise, die ich mir weiter gar nicht zu erklaeren wusste, den Spuk im Schlosse in Verbindung. Den andern Morgen, nachdem der Baron angekommen, versammelte sich die Gesellschaft zum Fruehstueck, der Alte stellte mich der Baronesse vor, und wie es in solcher Stimmung, wie die meinige war, zu geschehen pflegt, ich nahm mich unbeschreiblich albern, indem ich auf die einfachen Fragen der holden Frau, wie es mir auf dem Schlosse gefalle u.s., mich in die wunderlichsten sinnlosesten Reden verfing, so dass die alten Tanten meine Verlegenheit wohl lediglich dem profunden Respekt vor der Herrin zuschrieben, sich meiner huldreich annehmen zu muessen glaubten und mich in franzoesischer Sprache als einen ganz artigen und geschickten jungen Menschen, als einen "garcon tres joli" anpriesen. Das aergerte mich, und ploetzlich mich ganz beherrschend, fuhr mir ein Witzwort heraus in besserem Franzoesisch, als die Alten es sprachen, worauf sie mich mit grossen Augen anguckten und die langen spitzen Nasen reichlich mit Tabak bedienten. An dem ernsteren Blick der Baronesse, mit dem sie sich von mir ab zu einer anderen Dame wandte, merkte ich, dass mein Witzwort hart an eine Narrheit streifte, das aergerte mich noch mehr, und ich verwuenschte die Alten in den Abgrund der Hoelle. Die Zeit des schaeferischen Schmachtens, des Liebesungluecks in kindischer Selbstbetoerung hatte in mir der alte Grossonkel laengst wegironiert, und wohl merkt' ich, dass die Baronin tiefer und maechtiger als noch bis jetzt eine Frau mich in meinem innersten Gemuet gefasst hatte. Ich sah, ich hoerte nur sie, aber bewusst war ich mir deutlich und bestimmt, dass es abgeschmackt, ja wahnsinnig sein wuerde, irgendeine Liebelei zu wagen, wiewohl ich auch die Unmoeglichkeit einsah, wie ein verliebter Knabe von weitem zu staunen und anzubeten, dessen ich mich selbst haette schaemen muessen. Der herrlichen Frau naeherzutreten, ohne ihr nur mein inneres Gefuehl ahnen zu lassen, das suesse Gift ihrer Blicke, ihrer Worte einsaugen und dann fern von ihr, sie lange, vielleicht immerdar im Herzen tragen, das wollte und konnte ich. Diese romantische, ja wohl ritterliche Liebe, wie sie mir aufging in schlafloser Nacht, spannte mich dermassen, dass ich kindisch genug war, mich selbst auf pathetische Weise zu haranguieren und zuletzt sehr klaeglich zu seufzen: "Seraphine, ach Seraphine!" so dass der Alte erwachte und mir zurief: "Vetter! Vetter! ich glaube, du fantasierst mit lauter Stimme! Tu's bei Tage, wenn's moeglich ist, aber zur Nachtzeit lass mich schlafen!" Ich war nicht wenig besorgt, dass der Alte, der schon mein aufgeregtes Wesen bei der Ankunft der Baronin wohl bemerkt, den Namen gehoert haben und mich mit einem sarkastischen Spott ueberschuetten werde, er sagte am andern Morgen aber nichts weiter, als bei dem Hineingehen in den Gerichtssaal: "Gott gebe jedem gehoerigen Menschenverstand und Sorglichkeit, ihn in gutem Verschluss zu halten. Es ist schlimm, mir nichts, dir nichts sich in einen Hasenfuss umzusetzen." Hierauf nahm er Platz an dem grossen Tisch und sprach: "Schreibe fein deutlich, lieber Vetter! damit ich's ohne Anstoss zu lesen vermag." Die Hochachtung, ja die kindliche Ehrfurcht, die der Baron meinem alten Grossonkel erzeigte, sprach sich in allem aus. So musste er auch bei Tische den ihm von vielen beneideten Platz neben der Baronesse einnehmen, mich warf der Zufall bald hier-, bald dorthin, doch pflegten gewoehnlich ein paar Offiziere aus der nahen Hauptstadt mich in Beschlag zu nehmen, um sich ueber alles Neue und Lustige, was dort geschehen, recht auszusprechen und dabei wacker zu trinken. So kam es, dass ich mehrere Tage hindurch ganz fern von der Baronesse, am untern Ende des Tisches sass, bis mich endlich ein Zufall in ihre Naehe brachte. Als der versammelten Gesellschaft der Esssaal geoeffnet wurde, hatte mich gerade die Gesellschafterin der Baronin, ein nicht mehr ganz junges Fraeulein, aber sonst nicht haesslich und nicht ohne Geist, in ein Gespraech verwickelt, das ihr zu behagen schien. Der Sitte gemaess musste ich ihr den Arm geben, und nicht wenig erfreut war ich, als sie der Baronin ganz nahe Platz nahm, die ihr freundlich zunickte. Man kann denken, dass nun alle Worte, die ich sprach, nicht mehr der Nachbarin allein, sondern hauptsaechlich der Baronin galten. Mag es sein, dass meine innere Spannung allem, was ich sprach, einen besondern Schwung gab, genug, das Fraeulein wurde aufmerksamer und aufmerksamer, ja zuletzt unwiderstehlich hineingezogen in die bunte Welt stets wechselnder Bilder, die ich ihr aufgehen liess. Sie war, wie gesagt, nicht ohne Geist, und so geschah es bald, dass unser Gespraech, ganz unabhaengig von den vielen Worten der Gaeste, die hin und her streiften, auf seine eigene Hand lebte und dorthin, wohin ich es haben wollte, einige Blitze sandte. Wohl merkt' ich naemlich, dass das Fraeulein der Baronin bedeutende Blicke zuwarf, und dass diese sich muehte uns zu hoeren. Vorzueglich war dies der Fall, als ich, da das Gespraech sich auf Musik gewandt, mit voller Begeisterung von der herrlichen, heiligen Kunst sprach und zuletzt nicht verhehlte, dass ich, trockner, langweiliger Juristerei, der ich mich ergeben, unerachtet, den Fluegel mit ziemlicher Fertigkeit spiele, singe und auch wohl schon manches Lied gesetzt habe. Man war in den andern Saal getreten, um Kaffee und Likoere zu nehmen, da stand ich unversehens, selbst wusste ich nicht wie, vor der Baronin, die mit dem Fraeulein gesprochen. Sie redete mich sogleich an, indem sie, doch freundlicher und in dem Ton, wie man mit einem Bekannten spricht, jene Fragen, wie mir der Aufenthalt im Schlosse zusage u.s., wiederholte. Ich versicherte, dass in den ersten Tagen die schauerliche Oede der Umgebung, ja selbst das altertuemliche Schloss mich seltsam gestimmt habe, dass aber eben in dieser Stimmung viel Herrliches aufgegangen und dass ich nur wuensche, der wilden Jagden, an die ich nicht gewoehnt, ueberhoben zu sein. Die Baronin laechelte, indem sie sprach: "Wohl kann ich's mir denken, dass Ihnen das wueste Treiben in unsern Foehrenwaeldern nicht eben behaglich sein kann. Sie sind Musiker, und taeuscht mich nicht alles, gewiss auch Dichter! Mit Leidenschaft liebe ich beide Kuenste! - ich spiele selbst etwas die Harfe, das muss ich nun in R..sitten entbehren, denn mein Mann mag es nicht, dass ich das Instrument mitnehme, dessen sanftes Getoen schlecht sich schicken wuerde zu dem wilden Halloh, zu dem gellenden Hoernergetoese der Jagd, das sich hier nur hoeren lassen soll! - O mein Gott! wie wuerde mich hier Musik erfreun!" Ich versicherte, dass ich meine ganze Kunst aufbieten werde, ihren Wunsch zu erfuellen, dass es doch im Schlosse unbezweifelt ein Instrument, sei es auch nur ein alter Fluegel, geben werde. Da lachte aber Fraeulein Adelheid (der Baronin Gesellschafterin) hell auf und frug, ob ich denn nicht wisse, dass seit Menschengedenken im Schlosse keine andern Instrumente gehoert worden, als kraechzende Trompeten, im Jubel lamentierende Hoerner der Jaeger und heisere Geigen, verstimmte Baesse, meckernde Hoboen herumziehender Musikanten. Die Baronin hielt den Wunsch, Musik und zwar mich zu hoeren, fest, und beide, sie und Adelheid, erschoepften sich in Vorschlaegen, wie ein leidliches Fortepiano herbeigeschafft werden koenne. In dem Augenblick schritt der alte Franz durch den Saal. "Da haben wir den, der fuer alles guten Rat weiss, der alles herbeischafft, selbst das Unerhoerte und Ungesehene!" Mit diesen Worten rief ihn Fraeulein Adelheid heran, und indem sie ihm begreiflich machte, worauf es ankomme, horchte die Baronin mit gefalteten Haenden, mit vorwaerts gebeugtem Haupt, dem Alten mit mildem Laecheln ins Auge blickend, zu. Gar anmutig war sie anzusehen, wie ein holdes, liebliches Kind, das ein ersehntes Spielzeug nur gar zu gern schon in Haenden haette. Franz, nachdem er in seiner weitlaeufigen Manier mehrere Ursachen hergezaehlt hatte, warum es denn schier unmoeglich sei, in der Geschwindigkeit solch ein rares Instrument herbeizuschaffen, strich sich endlich mit behaglichem Schmunzeln den Bart und sprach: "Aber die Frau Wirtschaftsinspektorin drueben im Dorfe schlaegt ganz ungemein geschickt das Clavizimbel, oder wie sie es jetzt nennen mit dem auslaendischen Namen, und singt dazu so fein und lamentabel, dass einem die Augen rot werden wie von Zwiebeln und man huepfen moechte mit beiden Beinen." "Und besitzt ein Fortepiano!" fiel Fraeulein Adelheid ihm in die Rede. "Ei, freilich", fuhr der Alte fort, "direkt aus Dresden ist es gekommen - ein -" "O das ist herrlich", unterbrach ihn die Baronin "ein schoenes Instrument", sprach der Alte weiter, "aber ein wenig schwaechlich, denn als der Organist neulich das Lied: 'In allen meinen Taten' darauf spielen wollte, schlug er alles in Grund und Boden, so dass-" "O mein Gott", riefen beide, die Baronin und Fraeulein Adelheid, "so dass", fuhr der Alte fort, "es mit schweren Kosten nach R - geschafft und dort repariert werden musste." "Ist es denn nun wieder hier?" frug Fraeulein Adelheid ungeduldig. "Ei freilich, gnaediges Fraeulein! und die Frau Wirtschaftsinspektorin wird es sich zur Ehre rechnen." In diesem Augenblick streifte der Baron vorueber, er sah sich wie befremdet nach unserer Gruppe um und fluesterte spoettisch laechelnd der Baronin zu: "Muss Franz wieder guten Rat erteilen?" Die Baronin schlug erroetend die Augen nieder, und der alte Franz stand, erschrocken abbrechend, den Kopf gerade gerichtet, die herabhaengenden Arme dicht an den Leib gedrueckt, in soldatischer Stellung da. Die alten Tanten schwammen in ihren stoffnen Kleidern auf uns zu und entfuehrten die Baronin. Ihr folgte Fraeulein Adelheid. Ich war wie bezaubert stehen geblieben. Entzuecken, dass ich nun ihr, der Angebeteten, die mein ganzes Wesen beherrschte, mich nahen werde, kaempfte mit duesterm Missmut und Aerger ueber den Baron, der mir als ein rauher Despot erschien. War er dies nicht, durfte dann wohl der alte eisgraue Diener so sklavisch sich benehmen? "Hoerst du, siehst du endlich?" rief der Grossonkel, mir auf die Schulter klopfend; wir gingen hinauf in unser Gemach. "Draenge dich nicht so an die Baronin", sprach er, als wir angekommen, "wozu soll das, ueberlass es den jungen Gecken, die gern den Hof machen, und an denen es ja nicht mangelt." - Ich erzaehlte, wie alles gekommen, und forderte ihn auf mir nun zu sagen, ob ich seinen Vorwurf verdiene, er erwiderte aber darauf nichts als: "Hm hm" - zog den Schlafrock an, setzte sich mit angezuendeter Pfeife in den Lehnstuhl und sprach von den Ereignissen der gestrigen Jagd, mich foppend ueber meine Fehlschuesse. Im Schloss war es still geworden, Herren und Damen beschaeftigten sich in ihren Zimmern mit dem Putz fuer die Nacht. Jene Musikanten mit den heisern Geigen, mit den verstimmten Baessen und den meckernden Hoboen, von denen Fraeulein Adelheid gesprochen, waren naemlich angekommen, und es sollte fuer die Nacht nichts Geringeres geben, als einen Ball in bestmoeglicher Form. Der Alte, den ruhigen Schlaf solch faselndem Treiben vorziehend, blieb in seinem Gemach, ich hingegen hatte mich eben zum Ball gekleidet, als es leise an unsere Tuer klopfte und Franz hineintrat, der mir mit behaglichem Laecheln verkuendete, dass soeben das Clavizimbel von der Frau Wirtschaftsinspektorin in einem Schlitten angekommen und zur gnaedigen Frau Baronin getragen worden sei. Fraeulein Adelheid liesse mich einladen, nur gleich herueberzukommen. Man kann denken, wie mir alle Pulse schlugen, mit welchem innern suessen Erbeben ich das Zimmer oeffnete, in dem ich sie fand. Fraeulein Adelheid kam mir freudig entgegen. Die Baronin, schon zum Ball voellig geputzt, sass ganz nachdenklich vor dem geheimnisvollen Kasten, in dem die Toene schlummern sollten, die zu wecken ich berufen. Sie stand auf, so in vollem Glanz der Schoenheit strahlend, dass ich, keines Wortes maechtig, sie anstarrte. "Nun Theodor", (nach der gemuetlichen Sitte des Nordens, die man im tieferen Sueden wiederfindet, nannte sie jeden bei seinem Vornamen) "nun, Theodor", sprach sie freundlich, "das Instrument ist gekommen, gebe der Himmel, dass es Ihrer Kunst nicht ganz unwuerdig sein moege." Sowie ich den Deckel oeffnete, rauschten mir eine Menge gesprungener Saiten entgegen, und sowie ich einen Akkord griff, klang es, da alle Saiten, die noch ganz geblieben, durchaus verstimmt waren, widrig und abscheulich. "Der Organist ist wieder mit seinen zarten Haendchen drueber her gewesen", rief Fraeulein Adelheid lachend, aber die Baronin sprach ganz missmutig: "Das ist denn doch ein rechtes Unglueck! ach, ich soll denn hier nun einmal keine Freude haben!" Ich suchte in dem Behaelter des Instruments und fand gluecklicherweise einige Rollen Saiten, aber durchaus keinen Stimmhammer! - Neue Klagen! - jeder Schluessel, dessen Bart in die Wirbel passe, koenne gebraucht werden, erklaerte ich; da liefen beide, die Baronin und Fraeulein Adelheid, freudig hin und wieder, und nicht lange dauerte es, so lag ein ganzes Magazin blanker Schluesselchen vor mir auf dem Resonanzboden. Nun machte ich mich emsig drueber her - Fraeulein Adelheid, die Baronin selbst muehte sich mir beizu stehen, diesen - jenen Wirbel probierend - Da zieht einer den traegen Schluessel an, "es geht, es geht!" riefen sie freudig - Da rauscht die Saite, die sich schier bis zur Reinheit herangeaechzt, gesprungen auf, und erschrocken fahren sie zurueck! Die Baronin hantiert mit den kleinen zarten Haendchen in den sproeden Drahtsaiten, sie reicht mir die Nummern, die ich verlange, und haelt sorgsam die Rolle, die ich abwickle, ploetzlich schnurrt eine auf, so dass die Baronin ein ungeduldiges Ach! ausstoesst - Fraeulein Adelheid lacht laut auf, ich verfolge den verwirrten Knaeuel bis in die Ecke des Zimmers, und wir alle suchen aus ihm noch eine gerade unzerknickte Saite herauszuziehen, die dann aufgezogen zu unserm Leidwesen wieder springt - aber endlich - endlich sind gute Rollen gefunden, die Saiten fangen an zu stehen, und aus dem misstoenigen Summen gehen allmaehlich klare, reine Akkorde hervor! "Ach, es glueckt, es glueckt - das lnstrument stimmt sich!" ruft die Baronin, indem sie mich mit holdem Laecheln anblickt! - Wie schnell vertrieb dies gemeinschaftliche Muehen alles Fremde, Nuechterne, das die Konvenienz hinstellt, wie ging unter uns eine heimische Vertraulichkeit auf, die, ein elektrischer Hauch mich durchgluehend, die verzagte Beklommenheit, welche wie Eis auf meiner Brust lag, schnell wegzehrte. Jener seltsame Pathos, wie ihn solche Verliebtheit, wie die meinige, wohl erzeugt, hatte mich ganz verlassen und so kam es, dass, als nun endlich das Pianoforte leidlich gestimmt war, ich, statt, wie ich gewollt, meine innern Gefuehle in Fantasien recht laut werden zu lassen, in jene suesse liebliche Kanzonetten verfiel, wie sie aus dem Sueden zu uns heruebergeklungen. Waehrend dieser "Senza di te" - dieser "Sentimi idol mio", dieser "Almen se non poss'io" und hundert "morir mi sento's" und "Addio's" und "Oh dio's" wurden leuchtender und leuchtender Seraphinens Blicke. Sie hatte sich dicht neben mir an das Instrument gesetzt, ich fuehlte ihren Atem an meiner Wange spielen; indem sie ihren Arm hinter mir auf die Stuhllehne stuetzte, fiel ein weisses Band, das sich von dem zierlichen Ballkleide losgenestelt, ueber meine Schulter und flatterte, von meinen Toenen, von Seraphinens leisen Seufzern beruehrt, hin und her wie ein getreuer Liebesbote! Es war zu verwundern, dass ich den Verstand behielt! Als ich, mich auf irgendein neues Lied besinnend, in den Akkorden herumfuhr, sprang Fraeulein Adelheid, die in einer Ecke des Zimmers gesessen, herbei, kniete vor der Baronin hin und bat, ihre beiden Haende erfassend und an die Brust drueckend: "O liebe Baronin Seraphinchen, nun musst du auch singen!" Die Baronin erwiderte: "Wo denkst du aber auch hin, Adelheid! - wie mag ich mich denn vor unserm Virtuosen da mit meiner elenden Singerei hoeren lassen!" Es war lieblich anzuschauen, wie sie, gleich einem frommverschaemten Kinde, die Augen niederschlagend und hocherroetend mit der Lust und mit der Scheu kaempfte. Man kann denken, wie ich sie anflehte, und, als sie kleine kurlaendische Volkslieder erwaehnte, nicht nachliess, bis sie, mit der linken Hand herueberlangend, einige Toene auf dem Instrument versuchte, wie zur Einleitung. Ich wollte ihr Platz machen am Instrument, sie liess es aber nicht zu, indem sie versicherte, dass sie nicht eines einzigen Akkordes maechtig sei, und dass ebendeshalb ihr Gesang ohne Begleitung sehr mager und unsicher klingen werde. Nun fing sie mit zarter, glockenreiner, tief aus dem Herzen toenender Stimme ein Lied an, dessen einfache Melodie ganz den Charakter jener Volkslieder trug, die so klar aus dem Innern herausleuchten, dass wir in dem hellen Schein, der uns umfliesst, unsere hoehere poetische Natur erkennen muessen. Ein geheimnisvoller Zauber liegt in den unbedeutenden Worten des Textes, der zur Hieroglyphe des Unaussprechlichen wird, von dem unsere Brust erfuellt. Wer denkt nicht an jene spanische Kanzonetta, deren Inhalt den Worten nach nicht viel mehr ist, als: "Mit meinem Maedchen schifft' ich auf dem Meer, da wurd' es stuermisch, und mein Maedchen wankte furchtsam hin und her. Nein! nicht schiff' ich wieder mit meinem Maedchen auf dem Meer!" So sagte der Baronin Liedlein nichts weiter: "Juengst tanzt' ich mit meinem Schatz auf der Hochzeit, da fiel mir eine Blume aus dem Haar, die hob er auf und gab sie mir und sprach: 'Wann, mein Maedchen, gehn wir wieder zur Hochzeit?'" Als ich bei der zweiten Strophe dies Liedchen in harpeggierenden Akkorden begleitete, als ich in der Begeisterung, die mich erfasst, die Melodien der folgenden Lieder gleich von den Lippen der Baronin wegstahl, da erschien ich ihr und der Fraeulein Adelheid wie der groesste Meister der Tonkunst, sie ueberhaeuften mich mit Lobspruechen. Die angezuendeten Lichter des Ballsaals im Seitenfluegel brannten hinein in das Gemach der Baronin, und ein misstoeniges Geschrei von Trompeten und Hoernern verkuendete, dass es Zeit sei, sich zum Ball zu versammeln. "Ach, nun muss ich fort", rief die Baronin, ich sprang auf vom Instrument. "Sie haben mir eine herrliche Stunde bereitet - es waren die heitersten Momente, die ich jemals hier in R..sitten verlebte." Mit diesen Worten reichte mir die Baronin die Hand; als ich sie im Rausch des hoechsten Entzueckens an die Lippen drueckte, fuehlte ich ihre Finger heftig pulsierend an meiner Hand anschlagen! Ich weiss nicht, wie ich in des Grossonkels Zimmer, wie ich dann in den Ballsaal kam. - Jener Gaskogner fuerchtete die Schlacht, weil jede Wunde ihm toedlich werden muesse, da er ganz Herz sei! - Ihm mochte ich, ihm mag jeder in meiner Stimmung gleichen! Jede Beruehrung wird toedlich. Der Baronin Hand, die pulsierenden Finger hatten mich getroffen wie vergiftete Pfeile, mein Blut brannte in den Adern! Ohne mich gerade auszufragen, hatte der Alte am andern Morgen doch bald die Geschichte des mit der Baronin verlebten Abends heraus, und ich war nicht wenig betreten, als er, der mit lachendem Munde und heitrem Tone gesprochen, ploetzlich sehr ernst wurde und anfing: "Ich bitte dich, Vetter, widerstehe der Narrheit, die dich mit aller Macht ergriffen! Wisse, dass dein Beginnen, so harmlos wie es scheint, die entsetzlichsten Folgen haben kann, du stehst in achtlosem Wahnsinn auf duenner Eisdecke, die bricht unter dir, ehe du dich es versiehst, und du plumpst hinein. Ich werde mich hueten, dich am Rockschoss festzuhalten, denn ich weiss, du rappelst dich selbst wieder heraus und sprichst, zum Tode erkrankt: 'Das bisschen Schnupfen bekam ich im Traume'; aber ein boeses Fieber wird zehren an deinem Lebensmark, und Jahre werden hingehen, ehe du dich ermannst. Hol' der Teufel deine Musik, wenn du damit nichts Besseres anzufangen weisst, als empfindelnde Weiber hinauszutrompeten aus friedlicher Ruhe." "Aber", unterbrach ich den Alten, "kommt es mir denn in den Sinn, mich bei der Baronin einzuliebeln?" "Affe!" rief der Alte, "wuesst' ich das, so wuerfe ich dich hier durchs Fenster!" Der Baron unterbrach das peinliche Gespraech, und das beginnende Geschaeft riss mich auf aus der Liebestraeumerei, in der ich nur Seraphinen sah und dachte. In der Gesellschaft sprach die Baronin nur dann und wann mit mir einige freundliche Worte, aber beinahe kein Abend verging, dass nicht heimliche Botschaft kam von Fraeulein Adelheid, die mich hinrief zu Seraphinen. Bald geschah es, dass mannigfache Gespraeche mit der Musik wechselten. Fraeulein Adelheid, die beinahe nicht jung genug war, um so naiv und drollig zu sei, sprang mit allerlei lustigem und etwas konfusem Zeuge dazwischen, wenn ich und Seraphine uns zu vertiefen begannen in sentimentale Ahnungen und Traeumereien. Aus mancher Andeutung musst' ich bald erfahren, dass der Baronin wirklich irgend etwas Verstoerendes im Sinn liege, wie ich es gleich, als ich sie zum ersten Male sah, in ihrem Blick zu lesen glaubte, und die feindliche Wirkung des Hausgespenstes ging mir ganz klar auf. Irgend etwas Entsetzliches war oder sollte geschehen. Wie oft draengte es mich, Seraphinen zu erzaehlen, wie mich der unsichtbare Feind beruehrt, und wie ihn der Alte, gewiss fuer immer, gebannt habe, aber eine mir selbst unerklaerliche Scheu fesselte mir die Zunge in dem Augenblick, als ich reden wollte. Eines Tages fehlte die Baronin bei der Mittagstafel; es hiess, sie kraenkle und koenne das Zimmer nicht verlassen. Teilnehmend frug man den Baron, ob das Uebel von Bedeutung sei. Er laechelte auf fatale Art, recht wie bitter hoehnend, und sprach: "Nichts als ein leichter Katarrh, den ihr die rauhe Seeluft zugeweht, die nun einmal hier kein suesses Stimmchen duldet und keine andern Toene leidet, als das derbe Halloh der Jagd." - Bei diesen Worten warf der Baron mir, der ihm schraegueber sass, einen stechenden Blick zu. Nicht zu dem Nachbar, zu mir hatte er gesprochen. Fraeulein Adelheid, die neben mir sass, wurde blutrot; vor sich hin auf den Teller starrend und mit der Gabel darauf herumkritzelnd, lispelte sie: "Und noch heute siehst du Seraphinen, und noch heute werden deine suessen Liederchen beruhigend sich an das kranke Herz legen." Auch Adelheid sprach diese Worte fuer mich, aber in dem Augenblick war es mir, als stehe ich mit der Baronin in unlauterm verbotenem Liebesverhaeltnis, das nur mit dem Entsetzlichen, mit einem Verbrechen, endigen koenne. Die Warnungen des Alten fielen mir schwer aufs Herz. - Was sollte ich beginnen! Sie nicht mehr sehen? - Das war, solange ich im Schlosse blieb, unmoeglich, und durfte ich auch das Schloss verlassen und nach K. zurueckgehen, ich vermochte es nicht. Ach! nur zu sehr fuehlt' ich, dass ich nicht stark genug war, mich selbst aufzuruetteln aus dem Traum, der mich mit fantastischem Liebesglueck neckte. Adelheid erschien mir beinahe als gemeine Kupplerin, ich wollte sie deshalb verachten und doch, mich wieder besinnend, musste ich mich meiner Albernheit schaemen. Was geschah in jenen seligen Abendstunden, das nur im mindesten ein naeheres Verhaeltnis mit Seraphinen, als Sitte und Anstand es erlaubten, herbeifuehren konnte? Wie durfte es mir einfallen, dass die Baronin irgend etwas fuer mich fuehlen sollte, und doch war ich von der Gefahr meiner Lage ueberzeugt! Die Tafel wurde zeitiger aufgehoben, weil es noch auf Woelfe gehen sollte, die sich in dem Foehrenwalde, ganz nahe dem Schlosse, hatten blicken lassen. Die Jagd war mir recht in meiner aufgeregten Stimmung, ich erklaerte dem Alten, mitziehn zu wollen, er laechelte mich zufrieden an, sprechend: "Das ist brav, dass du auch einmal dich herausmachst, ich bleibe heim, du kannst meine Buechse nehmen, und schnalle auch meinen Hirschfaenger um, im Fall der Not ist das eine gute sichre Waffe, wenn man nur gleichmuetig bleibt." Der Teil des Waldes, in dem die Woelfe lagern mussten, wurde von den Jaegern umstellt. Es war schneidend kalt, der Wind heulte durch die Foehren und trieb mir die hellen Schneeflocken ins Gesicht, dass ich, als nun vollends die Daemmerung einbrach, kaum sechs Schritte vor mir hinschauen konnte. Ganz erstarrt verliess ich den mir angewiesenen Platz und suchte Schutz tiefer im Walde. Da lehnte ich an einem Baum, die Buechse unterm Arm. Ich vergass die Jagd, meine Gedanken trugen mich fort zu Seraphinen ins heimische Zimmer. Ganz entfernt fielen Schuesse, in demselben Moment rauschte es im Roehricht, und nicht zehn Schritte von mir erblickte ich einen starken Wolf, der vorueberrennen wollte. Ich legte an, drueckte ab, - ich hatte gefehlt, das Tier sprang mit gluehenden Augen auf mich zu, ich war verloren, hatte ich nicht Besonnenheit genug, das Jagdmesser herauszureissen, das ich dem Tier, als es mich packen wollte, tief in die Gurgel stiess, so dass das Blut mir ueber Hand und Arm spritzte. Einer von den Jaegern des Barons, der mir unfern gestanden, kam nun mit vollem Geschrei herangelaufen, und auf seinen wiederholten Jagdruf sammelten sich alle um uns. Der Baron eilte auf mich zu: "Um des Himmels willen. Sie bluten? - Sie bluten - Sie sind verwundet?" Ich versicherte das Gegenteil; da fiel der Baron ueber den Jaeger her, der mir der naechste gestanden, und ueberhaeufte ihn mit Vorwuerfen, dass er nicht nachgeschossen, als ich gefehlt, und unerachtet dieser versicherte, dass das gar nicht moeglich gewesen, weil in derselben Sekunde der Wolf auf mich zugestuerzt, so dass jeder Schuss mich haette treffen koennen, so blieb doch der Baron dabei, dass er mich, als einen minder erfahrnen Jaeger, in besondere Obhut haette nehmen sollen. Unterdessen hatten die Jaeger das Tier aufgehoben, es war das groesste der Art, das sich seit langer Zeit hatte sehen lassen, und man bewunderte allgemein meinen Mut und meine Entschlossenheit, unerachtet mir mein Benehmen sehr natuerlich schien, und ich in der Tat an die Lebensgefahr, in der ich schwebte, gar nicht gedacht hatte. Vorzueglich bewies sich der Baron teilnehmend, er konnte gar nicht aufhoeren zu fragen, ob ich, sei ich auch nicht von der Bestie verwundet, doch nichts von den Folgen des Schrecks fuerchte. Es ging zurueck nach dem Schlosse, der Baron fasste mich, wie einen Freund, unter den Arm, die Buechse musste ein Jaeger tragen. Er sprach noch immer von meiner heroischen Tat, so dass ich am Ende selbst an meinen Heroismus glaubte, alle Befangenheit verlor und mich selbst dem Baron gegenueber als ein Mann von Mut und seltener Entschlossenheit festgestellt fuehlte. Der Schulknabe hatte sein Examen gluecklich bestanden, war kein Schulknabe mehr, und alle demuetige Aengstlichkeit des Schulknaben war von ihm gewichen. Erworben schien mir jetzt das Recht, mich um Seraphinens Gunst zu muehen. Man weiss ja, welcher albernen Zusammenstellungen die Fantasie eines verliebten Juenglings faehig ist. Im Schlosse, am Kamin bei dem rauchenden Punschnapf, blieb ich der Held des Tages; nur der Baron selbst hatte ausser mir noch einen tuechtigen Wolf erlegt, die uebrigen mussten sich begnuegen, ihre Fehlschuesse dem Wetter - der Dunkelheit zuzuschreiben und greuliche Geschichten von sonst auf der Jagd erlebtem Glueck und ueberstandener Gefahr zu erzaehlen. Von dem Alten glaubte ich nun gar sehr gelobt und bewundert zu werden; mit diesem Anspruch erzaehlte ich ihm mein Abenteuer ziemlich breit und vergass nicht, das wilde, blutduerstige Ansehn der wilden Bestie mit recht grellen Farben auszumalen. Der Alte lachte mir aber ins Gesicht und sprach: "Gott ist maechtig in den Schwachen!" Als ich des Trinkens, der Gesellschaft ueberdruessig, durch den Korridor nach dem Gerichtssaal schlich, sah ich vor mir eine Gestalt, mit dem Licht in der Hand, hineinschluepfen. In den Saal tretend, erkannte ich Fraeulein Adelheid. "Muss man nicht umherirren wie ein Gespenst, wie ein Nachtwandler, um Sie, mein tapferer Wolfsjaeger, aufzufinden!" - So lispelte sie mir zu, indem sie mich bei der Hand ergriff. Die Worte: "Nachtwandler - Gespenst", fielen mir, hier an diesem Orte ausgesprochen, schwer aufs Herz; augenblicklich brachten sie mir die gespenstischen Erscheinungen jener beiden graulichen Naechte in Sinn und Gedanken, wie damals heulte der Seewind in tiefen Orgeltoenen herueber, es knatterte und pfiff schauerlich durch die Bogenfenster, und der Mond warf sein bleiches Licht gerade auf die geheimnisvolle Wand, an der sich das Kratzen vernehmen liess. Ich glaubte Blutflecke daran zu erkennen. Fraeulein Adelheid musste, mich noch immer bei der Hand haltend, die Eiskaelte fuehlen, die mich durchschauerte. "Was ist Ihnen, was ist Ihnen", sprach sie leise, "Sie erstarren ja ganz? - Nun, ich will Sie ins Leben rufen. Wissen Sie wohl, dass die Baronin es gar nicht erwarten kann, Sie zu sehen? Eher glaubt sie nicht, dass der boese Wolf Sie wirklich nicht zerrissen hat. Sie aengstigt sich unglaublich! Ei, ei, mein Freund, was haben Sie mit Seraphinchen angefangen! Noch niemals habe ich sie so gesehen. - Hu! - wie jetzt der Puls anfaengt zu prickeln! - wie der tote Herr so ploetzlich erwacht ist! Nein, kommen Sie - fein leise - wir muessen zur kleinen Baronin!" Ich liess mich schweigend fortziehen; die Art, wie Adelheid von der Baronin sprach, schien mir unwuerdig, und vorzueglich die Andeutung des Verstaendnisses zwischen uns gemein. Als ich mit Adelheid eintrat, kam Seraphine mir mit einem leisen Ach! drei - vier Schritte rasch entgegen, dann blieb sie, wie sich besinnend, mitten im Zimmer stehen, ich wagte, ihre Hand zu ergreifen und sie an meine Lippen zu druecken. Die Baronin liess ihre Hand in der meinigen ruhen, indem sie sprach: "Aber mein Gott, ist es denn Ihres Berufs, es mit Woelfen aufzunehmen? Wissen Sie denn nicht, dass Orpheus', Amphions fabelhafte Zeit laengst vorueber ist, und dass die wilden Tiere allen Respekt vor den vortrefflichsten Saengern ganz verloren haben?" Diese anmutige Wendung, mit der die Baronin ihrer lebhaften Teilnahme sogleich alle Missdeutung abschnitt, brachte mich augenblicklich in richtigen Ton und Takt. Ich weiss selbst nicht, wie es kam, dass ich nicht, wie gewoehnlich, mich an das Instrument setzte, sondern neben der Baronin auf dem Kanapee Platz nahm. Mit dem Wort: "Und wie kamen Sie denn in Gefahr?" erwies sich unser Einverstaendnis, dass es heute nicht auf Musik, sondern auf Gespraech abgesehen sei. Nachdem ich meine Abenteuer im Walde erzaehlt und der lebhaften Teilnahme des Barons erwaehnt, mit der leisen Andeutung, dass ich ihn deren nicht fuer faehig gehalten, fing die Baronin mit sehr weicher, beinahe wehmuetiger Stimme an: "O, wie muss Ihnen der Baron so stuermisch, so rauh vorkommen, aber glauben Sie mir, nur waehrend des Aufenthalts in diesen finstern unheimlichen Mauern, nur waehrend des wilden Jagens in den oeden Foehrenwaeldern aendert er sein ganzes Wesen, wenigstens sein aeusseres Betragen. Was ihn vorzueglich so ganz und gar verstimmt, ist der Gedanke, der ihn bestaendig verfolgt, dass hier irgend etwas Entsetzliches geschehen werde: daher hat ihn Ihr Abenteuer, das zum Glueck ohne ueble Folgen blieb, gewiss tief erschuettert. Nicht den geringsten seiner Diener will er der mindesten Gefahr ausgesetzt wissen, viel weniger einen lieben neugewonnenen Freund, und ich weiss gewiss, dass Gottlieb, dem er schuld gibt, Sie im Stiche gelassen zu haben, wo nicht mit Gefaengnis bestraft werden, doch die beschaemende Jaegerstrafe dulden wird, ohne Gewehr, mit einem Knittel in der Hand, sich dem Jagdgefolge anschliessen zu muessen. Schon, dass solche Jagden, wie hier, nie ohne Gefahr sind, und dass der Baron, immer Unglueck befuerchtend, doch in der Freude und Lust daran selbst den boesen Daemon neckt, bringt etwas Zerrissenes in sein Leben, das feindlich selbst auf mich wirken muss. Man erzaehlt viel Seltsames von dem Ahnherrn, der das Majorat stiftete, und ich weiss es wohl, dass ein duesteres Familiengeheimnis, das in diesen Mauern verschlossen, wie ein entsetzlicher Spuk die Besitzer wegtreibt und es ihnen nur moeglich macht, eine kurze Zeit hindurch im lauten wilden Gewuehl auszudauern. Aber ich! wie einsam muss ich mich in diesem Gewuehl befinden, und wie muss mich das Unheimliche, das aus allen Waenden weht, im Innersten aufregen! Sie, mein lieber Freund, haben mir die ersten heitern Augenblicke, die ich hier verlebte, durch Ihre Kunst verschafft! - wie kann ich Ihnen denn herzlich genug dafuer danken!" - Ich kuesste die mir dargebotenen Hand, indem ich erklaerte, dass auch ich gleich am ersten Tage oder vielmehr in der ersten Nacht das Unheimliche des Aufenthalts bis zum tiefsten Entsetzen gefuehlt habe. Die Baronin blickte mir starr ins Gesicht, als ich jenes Unheimliche der Bauart des ganzen Schlosses, vorzueglich den Verzierungen im Gerichtssaal, dem sausenden Seewinde u.s.w. zuschrieb. Es kann sein, dass Ton und Ausdruck darauf hindeuteten, dass ich noch etwas anderes meine, genug, als ich schwieg, rief die Baronin heftig: "Nein, nein - es ist Ihnen irgend etwas Entsetzliches geschehen in jenem Saal, den ich nie ohne Schauer betrete! - ich beschwoere Sie - sagen Sie mir alles!"- Zur Totenblaesse war Seraphinens Gesicht verbleicht, ich sah wohl ein, dass es nun geratener sei, dass ich alles, was mir widerfahren, getreulich zu erzaehlen, als Seraphinens aufgeregter Fantasie es zu ueberlassen, vielleicht einen Spuk, der in mir unbekannter Beziehung, noch schrecklicher sein konnte als der erlebte, sich auszubilden. Sie hoerte mich an, und immer mehr und mehr stieg ihre Beklommenheit und Angst. Als ich des Kratzens an der Wand erwaehnte, schrie sie auf: "Das ist entsetzlich - ja, ja in dieser Mauer ist jenes fuerchterliche Geheimnis verborgen!" Als ich dann weiter erzaehlte, wie der Alte mit geistiger Gewalt und Uebermacht den Spuk gebannt, seufzte sie tief, als wuerde sie frei von einer schweren Last, die ihre Brust gedrueckt. Sich zuruecklehnend, hielt sie beide Haende vors Gesicht. Erst jetzt bemerkte ich, dass Adelheid uns verlassen. Laengst hatte ich geendet, und da Seraphine noch immer schwieg, stand ich leise auf, ging an das Instrument und muehte mich, in anschwellenden Akkorden troestende Geister heraufzurufen, die Seraphinen dem finstern Reiche, das sich ihr in meiner Erzaehlung erschlossen, entfuehren sollten. Bald intonierte ich so zart, als ich es vermochte, eine jener heiligen Kanzonen des Abbate Steffani. In den wehmutsvollen Klaengen des: "Ooi, perche piangete" - erwachte Seraphine aus duestern Traeumen und horchte mild laechelnd, glaenzende Perlen in den Augen, mir zu. - Wie geschah es denn, dass ich vor ihr hinkniete, dass sie sich zu mir herabbeugte, dass ich sie mit meinen Armen umschlang, dass ein langer gluehender Kuss auf meinen Lippen brannte? - Wie geschah es denn, dass ich nicht die Besinnung verlor, dass ich es fuehlte, wie sie sanft mich an sich drueckte, dass ich sie aus meinen Armen liess und, schnell mich emporrichtend, an das Instrument trat? Von mir abgewendet, ging die Baronin einige Schritte nach dem Fenster hin, dann kehrte sie um und trat mit einem beinahe stolzen Anstande, der ihr sonst gar nicht eigen, auf mich zu. Mir fest ins Auge blickend, sprach sie: "Ihr Onkel ist der wuerdigste Greis, den ich kenne, er ist der Schutzengel unserer Familie - moege er mich einschliessen in sein frommes Gebet!" Ich war keines Wortes maechtig, verderbliches Gift, das ich in jenem Kusse eingezogen, gaerte und flammte in allen Pulsen, in allen Nerven! - Fraeulein Adelheid trat herein - die Wut des innern Kampfes stroemte aus in heissen Traenen, die ich nicht zurueckzudraengen vermochte! Adelheid blickte mich verwundert und zweifelhaft laechelnd an - ich haette sie ermorden koennen. Die Baronin reichte mir die Hand und sprach mit unbeschreiblicher Milde: "Leben Sie wohl, mein lieber Freund! - Leben Sie recht wohl, denken Sie daran, dass vielleicht niemand besser als ich Ihre Musik verstand. - Ach! diese Toene werden lange - lange in meinem Innern wiederklingen." Ich zwang mir einige unzusammenhaengende alberne Worte ab und lief nach unserm Gemach. Der Alte hatte sich schon zur Ruhe begeben. Ich blieb im Saal, ich stuerzte auf die Knie, ich weinte laut - ich rief den Namen der Geliebten, kurz, ich ueberliess mich den Torheiten des verliebten Wahnsinns trotz einem, und nur der laute Zuruf des ueber mein Toben aufgewachten Alten: "Vetter, ich glaube du bist verrueckt geworden oder balgst dich aufs neue mit einem Wolf? - Schier dich zu Bette, wenn es dir sonst gefaellig ist"- nur dieser Zuruf trieb mich hinein ins Gemach, wo ich mich mit dem festen Vorsatz niederlegte, nur von Seraphinen zu traeumen. Es mochte schon nach Mitternacht sein, als ich, noch nicht eingeschlafen, entfernte Stimmen, ein Hin- und Herlaufen und das Oeffnen und Zuschlagen von Tueren zu vernehmen glaubte. Ich horchte auf, da hoerte ich Tritte auf dem Korridor sich nahen, die Tuer des Saals wurde geoeffnet, und bald klopfte es an unser Gemach. "Wer ist da?" rief ich laut; da sprach es draussen: "Herr Justitiarius - Herr Justitiarius, wachen Sie auf - wachen Sie auf!" Ich erkannte Franzens Stimme, und indem ich frug: "Brennt es im Schlosse?" wurde der Alte wach und rief: "Wo brennt es? wo ist schon wieder verdammter Teufelsspuk los?" "Ach, stehen Sie auf, Herr Justitiarius", sprach Franz, "stehen Sie auf, der Herr Baron verlangt nach Ihnen!" "Was will der Baron von mir", frug der Alte weiter, "was will er von mir zur Nachtzeit? weiss er nicht, dass das Justitiariat mit dem Justitiarius zu Bette geht und ebensogut schlaeft, als er?" "Ach", rief nun Franz aengstlich, "lieber Herr Justitiarius, stehen Sie doch nur auf - die gnaedige Frau Baronin liegt im Sterben!" Mit einem Schrei des Entsetzens fuhr ich auf. "Oeffne Franzen die Tuer", rief mir der Alte zu; besinnungslos wankte ich im Zimmer herum, ohne Tuer und Schloss zu finden. Der Alte musste mir beistehen, Franz trat bleich mit verstoertem Gesicht herein und zuendete die Lichter an. Als wir uns kaum in die Kleider geworfen, hoerten wir schon den Baron im Saal rufen: "Kann ich Sie sprechen, lieber V?" "Warum hast du dich angezogen, Vetter, der Baron hat nur nach mir verlangt?" frug der Alte, im Begriff herauszutreten. "Ich muss hinab - ich muss sie sehen und dann sterben", sprach ich dumpf und wie vernichtet vom trostlosen Schmerz. "Ja so! da hast du recht, Vetter!" Dies sprechend, warf mir der Alte die Tuer vor der Nase zu, dass die Angeln klirrten, und verschloss sie von draussen. Im ersten Augenblick, ueber diesen Zwang empoert, wollt' ich die Tuer einrennen, aber mich schnell besinnend, dass dieses nur die verderblichen Folgen einer ungezuegelten Raserei haben koenne, beschloss ich, die Rueckkehr des Alten abzuwarten, dann aber, koste es, was es wolle, seiner Aufsicht zu entschluepfen. Ich hoerte den Alten heftig mit dem Baron reden, ich hoerte mehrmals meinen Namen nennen, ohne weiteres verstehen zu koennen. Mit jeder Sekunde wurde mir meine Lage toedlicher. Endlich vernahm ich, wie dem Baron eine Botschaft gebracht wurde, und wie er schnell davonrannte. Der Alte trat wieder in das Zimmer "Sie ist tot" mit diesem Schrei stuerzte ich dem Alten entgegen "Und du bist naerrisch!" fiel er gelassen ein, fasste mich und drueckte mich in einen Stuhl. "lch muss hinab", schrie ich, "Ich muss hinab, sie sehen, und sollt' es mir das Leben kosten!" "Tue das, lieber Vetter", sprach der Alte, indem er die Tuer verschloss, den Schluessel abzog und in die Tasche steckte. Nun flammte ich auf in toller Wut, ich griff nach der geladenen Buechse und schrie: "Hier vor Ihren Augen jage ich mir die Kugel durch den Kopf, wenn Sie nicht sogleich mir die Tuer oeffnen." Da trat der Alte dicht vor mir hin und sprach, indem er mich mit durchbohrendem Blick ins Auge fasste: "Glaubst du, Knabe, dass du mich mit deiner armseligen Drohung erschrecken kannst? - Glaubst du, dass mir dein Leben was wert ist, wenn du vermagst, es in kindischer Albernheit wie ein abgenutztes Spielzeug wegzuwerfen? Was hast du mit dem Weibe des Barons zu schaffen? - wer gibt dir das Recht, dich wie ein ueberlaestiger Geck da hinzudraengen, wo du nicht hingehoerst, und wo man dich auch gar nicht mag? Willst du den liebenden Schaefer machen in ernster Todesstunde?" Ich sank vernichtet in den Lehnstuhl - Nach einer Weile fuhr der Alte mit milderer Stimme fort: "Und damit du es nur weisst, mit der angeblichen Todesgefahr der Baronin ist es wahrscheinlich ganz und gar nichts - Fraeulein Adelheid ist denn nun gleich ausser sich ueber alles, wenn ihr ein Regentropfen auf die Nase faellt, so schreit sie: 'Welch ein schreckliches Unwetter!' Zum Unglueck ist der Feuerlaerm bis zu den alten Tanten gedrungen, die sind unter unziemlichem Weinen mit einem ganzen Arsenal von staerkenden Tropfen - Lebenselixieren, und was weiss ich sonst, angerueckt - Eine starke Anwandlung von Ohnmacht." Der Alte hielt inne, er mochte bemerken, wie ich im Innern kaempfte. Er ging einigemal die Stube auf und ab, stellte sich wieder vor mir hin, lachte recht herzlich und sprach: "Vetter, Vetter! was treibst du fuer naerrisches Zeug? Nun! es ist einmal nicht anders, der Satan treibt hier seinen Spuk auf mancherlei Weise, du bist ihm ganz lustig in die Krallen gelaufen, und er macht jetzt sein Taenzchen mit dir." Er ging wieder einige Schritte auf und ab, dann sprach er weiter: "Mit dem Schlaf ist's nun einmal vorbei, und da daecht' ich, man rauchte eine Pfeife und braechte so noch die paar Stuendchen Nacht und Finsternis hin!" - Mit diesen Worten nahm der Alte eine toenerne Pfeife vom Wandschrank herab und stopfte sie, ein Liedchen brummend, langsam und sorgfaeltig. Dann suchte er unter vielen Papieren, bis er ein Blatt herausriss, es zum Fidibus zusammenknetete und ansteckte. Die dicken Rauchwolken von sich blasend, sprach er zwischen den Zaehnen: "Nun, Vetter, wie war es mit dem Wolf?" Ich weiss nicht, wie dies ruhige Treiben des Alten seltsam auf mich wirkte. - Es war, als sei ich gar nicht mehr in R..sitten - die Baronin weit weit von mir entfernt, so dass ich sie nur mit den gefluegelten Gedanken erreichen koenne! - Die letzte Frage des Alten verdross mich. "Aber", fiel ich ein, "finden Sie mein Jagdabenteuer so lustig, so zum Bespoetteln geeignet?" "Mitnichten", erwiderte der Alte, "mitnichten, Herr Vetter, aber du glaubst nicht, welch komisches Gesicht solch ein Kiekindiewelt wie du schneidet, und wie er sich ueberhaupt so possierlich dabei macht, wenn der liebe Gott ihn einmal wuerdigt, was Besonderes ihm passieren zu lassen. Ich hatte einen akademischen Freund, der ein stiller, besonnener, mit sich einiger Mensch war. Der Zufall verwickelte ihn, der nie Anlass zu dergleichen gab, in eine Ehrensache, und er, den die mehresten Burschen fuer einen Schwaechling, fuer einen Pinsel hielten, benahm sich dabei mit solchem ernstem entschlossenem Mute, dass alle ihn hoechlich bewunderten. Aber seit der Zeit war er auch umgewandelt. Aus dem fleissigen besonnenen Juenglinge wurde ein prahlhafter, unausstehlicher Raufbold. Er kommerschierte und jubelte und schlug, dummer Kinderei halber, sich so lange, bis ihn der Senior einer Landsmannschaft, die er auf poebelhafte Weise beleidigt, im Duell niederstiess. Ich erzaehle dir das nur so, Vetter, du magst dir dabei denken, was du willst! Um nun wieder auf die Baronin und ihre Krankheit zu kommen"- Es liessen sich in dem Augenblick leise Tritte auf dem Saal hoeren, und mir war es, als ginge ein schauerliches Aechzen durch die Luefte! "Sie ist hin!" - der Gedanke durchfuhr mich wie ein toetender Blitz! Der Alte stand rasch auf und rief laut: "Franz Franz!" "Ja, lieber Herr Justitiarius", antwortete es draussen. "Franz", fuhr der Alte fort, "schuere ein wenig das Feuer im Kamin zusammen, und ist es tunlich, so magst du fuer uns ein paar Tassen guten Tee bereiten! - Es ist verteufelt kalt", wandte sich der Alte zu mir, "und da wollen wir uns lieber draussen am Kamine was erzaehlen." Der Alte schloss die Tuer auf, ich folgte ihm mechanisch. "Wie geht's unten?", frug der Alte. "Ach", erwiderte Franz, "es hatte gar nicht viel zu bedeuten, die gnaedige Frau Baronin sind wieder ganz munter und schieben das bisschen Ohnmacht auf einen boesen Traum!" Ich wollte aufjauchzen vor Freude und Entzuecken, ein sehr ernster Blick des Alten wies mich zur Ruhe. "Ja", sprach der Alte, "im Grunde genommen waer's doch besser, wir legten uns noch ein paar Stuendchen aufs Ohr - Lass es nur gut sein mit dem Tee, Franz!" "Wie Sie befehlen, Herr Justitiarius", erwiderte Franz und verliess den Saal mit dem Wunsch einer geruhsamen Nacht, unerachtet schon die Haehne kraehten. "Hoere, Vetter", sprach der Alte, indem er die Pfeife im Kamin ausklopfte, "hoere, Vetter, gut ist's doch, dass dir kein Malheur passiert ist mit Woelfen und geladenen Buechsen!" Ich verstand jetzt alles und schaemte mich, dass ich dem Alten Anlass gab, mich zu behandeln wie ein ungezogenes Kind. "Sei so gut", sprach der Alte am andern Morgen, "sei so gut, lieber Vetter, steige herab und erkundige dich, wie es mit der Baronin steht. Du kannst nur immer nach Fraeulein Adelheid fragen, die wird dich denn wohl mit einem tuechtigen Bulletin versehen." - Man kann denken, wie ich hinabeilte. Doch in dem Augenblick, als ich leise an das Vorgemach der Baronin pochen wollte, trat mir der Baron rasch aus demselben entgegen. Er blieb verwundert stehen und mass mich mit finsterm, durchbohrenden Blick. "Was wollen Sie hier!" fuhr es ihm heraus. Unerachtet mir das Herz im Innersten schlug, nahm ich mich zusammen und erwiderte mit festem Ton: "Mich im Auftrage des Onkels nach dem Befinden der gnaedigen Frau erkundigen." "O es war ja gar nichts - ihr gewoehnlicher Nervenzufall. Sie schlaeft sanft, und ich weiss, dass sie wohl und munter bei der Tafel erscheinen wird! Sagen Sie das - Sagen Sie das" Dies sprach der Baron mit einer gewissen leidenschaftlichen Heftigkeit, die mir anzudeuten schien, dass er um die Baronin besorgter sei, als er es wolle merken lassen. Ich wandte mich, um zurueckzukehren, da ergriff der Baron ploetzlich meinen Arm und rief mit flammendem Blick: "Ich habe mit Ihnen zu sprechen, junger Mann!" Sah ich nicht den schwerbeleidigten Gatten vor mir, und musst' ich nicht einen Auftritt befuerchten, der vielleicht schmachvoll fuer mich enden konnte? Ich war unbewaffnet, doch im Moment besann ich mich auf mein kuenstliches Jagdmesser, das mir der Alte erst in R..sitten geschenkt und das ich noch in der Tasche trug. Nun folgte ich dem mich rasch fortziehenden Baron mit dem Entschluss, keines Leben zu schonen, wenn ich Gefahr laufen sollte, unwuerdig behandelt zu werden. Wir waren in des Barons Zimmer eingetreten, dessen Tuer er hinter sich abschloss. Nun schritt er mit uebereinandergeschlagenen Armen heftig auf und ab, dann blieb er vor mir stehen und wiederholte: "Ich habe mit Ihnen zu sprechen, junger Mann!" Der verwegenste Mut war mir gekommen, und ich wiederholte mit erhoehtem Ton: "Ich hoffe, dass es Worte sein werden, die ich ungeahndet hoeren darf!" Der Baron schaute mich verwundert an, als verstehe er mich nicht. Dann blickte er finster zur Erde, schlug die Arme ueber den Riicken und fing wieder an im Zimmer auf und ab zu rennen. Er nahm die Buechse herab und stiess den Ladestock hinein, als wolle er versuchen, ob sie geladen sei oder nicht! Das Blut stieg mir in den Adern, ich fasste nach dem Messer und schritt dicht auf den Baron zu, um es ihm unmoeglich zu machen, auf mich anzulegen. "Ein schoenes Gewehr", sprach der Baron, die Buechse wieder in den Winkel stellend. Ich trat einige Schritte zurueck und der Baron an mich heran; kraeftiger auf meine Schulter schlagend, als gerade noetig, sprach er dann: "Ich muss Ihnen aufgeregt und verstoert vorkommen, Theodor, ich bin es auch wirklich von der in tausend Aengsten durchwachten Nacht. Der Nervenzufall meiner Frau war durchaus nicht gefaehrlich, das sehe ich jetzt ein, aber hier - hier in diesem Schloss, in das ein finstrer Geist gebannt ist, fuercht' ich das Entsetzliche, und dann ist es auch das erstemal, dass sie hier erkrankte. Sie - Sie allein sind schuld daran!" Wie das moeglich sein koenne, davon haette ich keine Ahnung, erwiderte ich gelassen. "Oh", fuhr der Baron fort, "o waere der verdammte Unglueckskasten der Inspektorin auf blankem Eise zerbrochen in tausend Stuecke, o waeren Sie doch nein! - nein! Es sollte, es musste so sein, und ich allein bin schuld an allem. An mir lag es, in dem Augenblick, als Sie anfingen in dem Gemach meiner Frau Musik zu machen, Sie von der ganzen Lage der Sache, von der Gemuetsstimmung meiner Frau zu unterrichten." Ich machte Miene zu sprechen "Lassen Sie mich reden", rief der Baron, "ich muss im voraus Ihnen alles voreilige Urteil abschneiden. Sie werden mich fuer einen rauhen, der Kunst abholden Mann halten. Ich bin das keineswegs, aber eine auf tiefe Ueberzeugung gebaute Ruecksicht noetigt mich, hier womoeglich solcher Musik, die jedes Gemuet und auch gewiss das meinige ergreift, den Eingang zu versagen. Erfahren Sie, dass meine Frau an einer Erregbarkeit kraenkelt, die am Ende alle Lebensfreude wegzehren muss. In diesen wunderlichen Mauern kommt sie gar nicht heraus aus dem erhoehten, ueberreizten Zustande, der sonst nur momentan einzutreten pflegt, und zwar oft als Vorbote einer ernsten Krankheit. Sie fragen mit Recht, warum ich der zarten Frau diesen schauerlichen Aufenthalt, dieses wilde verwirrte Jaegerleben nicht erspare? Aber nennen Sie es immerhin Schwaeche, genug, mir ist es nicht moeglich, sie allein zurueckzulassen. In tausend Aengsten und nicht faehig Ernstes zu unternehmen wuerde ich sein, denn ich weiss es, die entsetzlichsten Bilder von allerlei verstoerendem Ungemach, das ihr widerfahren, verliessen mich nicht im Walde, nicht im Gerichtssaal. Dann aber glaube ich, dass dem schwaechlichen Weibe gerade diese Wirtschaft hier wie ein erkraeftigendes Stahlbad anschlagen muss. Wahrhaftig, der Seewind, der nach seiner Art tuechtig durch die Foehren saust, das dumpfe Gebelle der Doggen, der keck und munter schmetternde Hoernerklang muss hier siegen ueber die verweichelnden, schmachtelnden Pinseleien am Klavier, das so kein Mann spielen sollte, aber Sie haben es darauf angelegt, meine Frau methodisch zu Tode zu quaelen!" Der Baron sagte dies mit verstaerkter Stimme und wildfunkelnden Augen - das Blut stieg mir in den Kopf, ich machte eine heftige Bewegung mit der Hand gegen den Baron, ich wollte sprechen, er liess mich nicht zu Worte kommen "Ich weiss, was Sie sagen wollen", fing er an, "ich weiss es und wiederhole es, dass Sie auf dem Wege waren, meine Frau zu toeten, und dass ich Ihnen dies auch nicht im mindesten zurechnen kann, wiewohl Sie begreifen, dass ich dem Dinge Einhalt tun muss. - Kurz! - Sie exaltieren meine Frau durch Spiel und Gesang, und als sie in dem bodenlosen Meere traeumerischer Visionen und Ahnungen, die Ihre Musik wie ein boeser Zauber heraufbeschworen hat, ohne Halt und Steuer umherschwimmt, druecken Sie sie hinunter in die Tiefe mit der Erzaehlung eines unheimlichen Spuks, der Sie oben im Gerichtssaal geneckt haben soll. Ihr Grossonkel hat mir alles erzaehlt, aber ich bitte Sie, wiederholen Sie mir alles, was Sie sahen oder nicht sahen - hoerten - fuehlten - ahnten." Ich nahm mich zusammen und erzaehlte ruhig, wie es sich damit begeben, von Anfang bis zu Ende. Der Baron warf nur dann und wann einzelne Worte, die sein Erstaunen ausdrueckten, dazwischen. Als ich darauf kam, wie der Alte sich mit frommem Mut dem Spuk entgegengestellt und ihn gebannt habe mit kraeftigen Worten, schlug er die Haende zusammen, hob sie gefaltet zum Himmel empor und rief begeistert: "Ja, er ist der Schutzgeist der Familie! ruhen soll in der Gruft der Ahnen seine sterbliche Huelle!" Ich hatte geendet. "Daniel, Daniel! was machst du hier zu dieser Stunde!" murmelte der Baron in sich hinein, indem er mit uebereinandergeschlagenen Armen im Zimmer auf- und abschritt. "Weiter war es also nichts, Herr Baron?" frug ich laut, indem ich Miene machte mich zu entfernen. Der Baron fuhr auf wie aus einem Traum, fasste freundlich mich bei der Hand und sprach: "Ja lieber Freund, meine Frau, der Sie so arg mitgespielt haben, ohne es zu wollen, die muessen Sie wieder herstellen, - Sie allein koennen das." Ich fuehlte mich erroetend, und stand ich dem Spiegel gegenueber, so erblickte ich gewiss in demselben ein sehr albernes verdutztes Gesicht. Der Baron schien sich an meiner Verlegenheit zu weiden, er blickte mir unverwandt ins Auge mit einem recht fatalen ironischen Laecheln. "Wie in aller Welt sollte ich es anfangen", stotterte ich endlich muehsam heraus. "Nun, nun", unterbrach mich der Baron, "Sie haben es mit keiner gefaehrlichen Patientin zu tun. Ich nehme jetzt ausdruecklich Ihre Kunst in Anspruch. Die Baronin ist nun einmal hereingezogen in den Zauberkreis Ihrer Musik, und sie ploetzlich herauszureissen, wuerde toericht und grausam sein. Setzen Sie die Musik fort. Sie werden zur Abendstunde in den Zimmern meiner Frau jedesmal willkommen sein. Aber gehen Sie nach und nach ueber zu kraeftigerer Musik, verbinden Sie geschickt das Heitere mit dem Ernsten und dann, vor allen Dingen, wiederholen Sie die Erzaehlung von dem unheimlichen Spuk recht oft. Die Baronin gewoehnt sich daran, sie vergisst, dass der Spuk hier in diesen Mauern hauset, und die Geschichte wirkt nicht staerker auf sie, als jedes andere Zaubermaerchen, das in irgendeinem Roman, in irgendeinem Gespensterbuch ihr aufgetischt worden. Das tun sie, lieber Freund." Mit diesen Worten entliess mich der Baron. Ich ging - Ich war vernichtet in meinem eignen Innern, herabgesunken zum bedeutungslosen, toerichten Kinde! Ich Wahnsinniger, der ich glaubte, Eifersucht koenne sich in seiner Brust regen; er selbst schickt mich zu Seraphinen, er selbst sieht in mir nur das willenlose Mittel, das er braucht und wegwirft, wie es ihm beliebt! Vor wenigen Minuten fuerchtete ich den Baron, es lag in mir tief im Hintergrunde verborgen das Bewusstsein der Schuld, aber diese Schuld liess mich das hoehere, herrliche Leben deutlich fuehlen, dem ich zugereift; nun war alles versunken in schwarze Nacht, und ich sah nur den albernen Knaben, der in kindischer Verkehrtheit die papierne Krone, die er sich auf den heissen Kopf stuelpte, fuer echtes Gold gehalten. Ich eilte zum Alten, der schon auf mich wartete. "Nun Vetter, wo bleibst du denn, wo bleibst du denn?" rief er mir entgegen. "lch habe mit dem Baron gesprochen", warf ich schnell und leise hin, ohne den Alten anschauen zu koennen. "Tausend Sapperlot!" sprach der Alte wie verwundert, "Tausend Sapperlot, dacht ich's doch gleich! - der Baron hat dich gewiss herausgefordert, Vetter?" - Das schallende Gelaechter, das der Alte gleich hinterher aufschlug, bewies mir, dass er auch dieses Mal, wie immer, ganz und gar mich durchschaute. Ich biss die Zaehne zusammen ich mochte kein Wort erwidern, denn wohl wusst' ich, dass es dessen nur bedurfte, um sogleich von den tausend Neckereien ueberschuettet zu werden, die schon auf des Alten Lippen schwebten. Die Baronin kam zur Tafel im zierlichen Morgenkleide, das, blendend weiss, frisch gefallenen Schnee besiegte. Sie sah matt aus und abgespannt, doch als sie nun, leise und melodisch sprechend, die dunklen Augen erhob, da blitzte suesses, sehnsuechtiges Verlangen aus duesterer Glut, und ein fluechtiges Rot ueberflog das lilienblasse Antlitz. Sie war schoener als jemals. Wer ermisst die Torheiten eines Juenglings mit zu heissem Blut im Kopf und Herzen! Den bittern Groll, den der Baron in mir aufgeregt, trug ich ueber auf die Baronin. Alles erschien mir wie eine heillose Mystifikation, und nun wollt' ich beweisen, dass ich gar sehr bei vollem Verstande sei und ueber die Massen scharfsichtig. - Wie ein schmollendes Kind vermied ich die Baronin und entschluepfte der mich verfolgenden Adelheid, so dass ich, wie ich gewollt, ganz am Ende der Tafel zwischen den beiden Offizieren meinen Platz fand, mit denen ich wacker zu zechen begann. Beim Nachtisch stiessen wir fleissig die Glaeser zusammen, und, wie es in solcher Stimmung zu geschehen pflegt, ich war ungewoehnlich laut und lustig. Ein Bedienter hielt mir einen Teller hin, auf dem einige Bonbons lagen, mit den Worten: "Von Fraeulein Adelheid." Ich nahm, und bemerkte bald, dass auf einem der Bonbons mit Silberstift gekritzelt stand: "Und Seraphine?"- Das Blut wallte mir auf in den Adern. Ich schaute hin nach Adelheid, die sah mich an mit ueberaus schlauer, verschmitzter Miene, nahm das Glas und nickte mir zu mit leisem Kopfnicken. Beinahe willkuerlos murmelte ich still: "Seraphine", nahm mein Glas und leerte es mit einem Zuge. Mein Blick flog hin zu ihr, ich gewahrte, dass sie auch in dem Augenblick getrunken hatte und ihr Glas eben hinsetzte - ihre Augen trafen die meinen, und ein schadenfroher Teufel raunte es mir in die Ohren: "Unseliger! - Sie liebt dich doch!" Einer der Gaeste stand auf und brachte, nordischer Sitte gemaess, die Gesundheit der Frau vom Hause aus. Die Glaeser erklangen im lauten Jubel - Entzuecken und Verzweiflung spalteten mir das Herz - die Glut des Weins flammte in mir auf, alles drehte sich in Kreisen, es war, als muesste ich vor aller Augen hinstuerzen zu ihren Fuessen und mein Leben aushauchen! "Was ist Ihnen, lieber Freund?" Diese Frage meines Nachbars gab mir die Besinnung wieder, aber Seraphine war verschwunden. - Die Tafel wurde aufgehoben. Ich wollte fort, Adelheid hielt mich fest, sie sprach allerlei, ich hoerte, ich verstand kein Wort - sie fasste mich bei beiden Haenden und rief mir laut lachend etwas in die Ohren. - Wie von der Starrsucht gelaehmt, blieb ich stumm und regungslos. Ich weiss nur, dass ich endlich mechanisch ein Glas Likoer aus Adelheids Hand nahm und es austrank, dass ich mich einsam in einem Fenster wiederfand, dass ich dann hinausstuerzte aus dem Saal, die Treppe hinab, und hinauslief in den Wald. In dichten Flocken fiel der Schnee herab, die Foehren seufzten, vom Sturm bewegt; wie ein Wahnsinniger sprang ich umher in weiten Kreisen, und lachte und schrie wild auf: "Schaut zu, schaut zu! - Heisa! der Teufel macht sein Taenzchen mit dem Knaben, der zu speisen gedachte total verbotene Fruechte." Wer weiss, wie mein tolles Spiel geendet, wenn ich nicht meinen Namen laut in den Wald hineinrufen gehoert. Das Wetter hatte nachgelassen, der Mond schien hell durch die zerrissenen Wolken, ich hoerte Doggen anschlagen und gewahrte eine finstere Gestalt, die sich mir naeherte. Es war der alte Jaeger. "Ei, ei, lieber Herr Theodor!" fing er an, "wie haben Sie sich denn verirrt in dem boesen Schneegestoeber, der Herr Justitiarius warten auf Sie mit vieler Ungeduld!" Schweigend folgte ich dem Alten. Ich fand den Grossonkel im Gerichtssaal arbeitend. "Das hast du gut gemacht", rief er mir entgegen, "das hast du sehr gut gemacht, dass du ein wenig ins Freie gingst, um dich gehoerig abzukuehlen. Trinke doch nicht so viel Wein, du bist noch viel zu jung dazu, das taugt nicht." Ich brachte kein Wort hervor, schweigend setzte ich mich hin an den Schreibtisch. "Aber sage mir nur, lieber Vetter, was wollte denn eigentlich der Baron von dir?" - Ich erzaehlte alles und schloss damit, dass ich mich nicht hergeben wollte zu der zweifelhaften Kur, die der Baron vorgeschlagen. "Wuerde auch gar nicht angehen", fiel der Alte mir in die Rede, "denn wir reisen morgen in aller Fruehe fort, lieber Vetter!" Es geschah so, ich sah Seraphinen nicht wieder! Kaum angekommen in K., klagte der alte Grossonkel, dass er mehr als jemals sich von der beschwerlichen Fahrt angegriffen fuehle. Sein muerrisches Schweigen, nur unterbrochen von heftigen Ausbruechen der uebelsten Laune, verkuendete die Rueckkehr seiner podagristischen Zufaelle. Eines Tages wurd' ich schnell hingerufen, ich fand den Alten, vom Schlage getroffen, sprachlos auf dem Lager, einen zerknitterten Brief in der krampfhaft geschlossenen Hand. Ich erkannte die Schriftzuege des Wirtschaftsinspektors aus R..sitten, doch, von dem tiefsten Schmerz durchdrungen, wagte ich es nicht, den Brief dem Alten zu entreissen, ich zweifelte nicht an seinem baldigen Tod. Doch, noch ehe der Arzt kam, schlugen die Lebenspulse wieder, die wunderbar kraeftige Natur des siebzigjaehrigen Greises widerstand dem toedlichen Anfall, noch desselben Tages erklaerte ihn der Arzt ausser Gefahr. Der Winter war hartnaeckiger als jemals, ihm folgte ein rauher, duesterer Fruehling, und so kam es, dass nicht jener Zufall sowohl, als das Podagra, von dem boesen Klima wohl gehegt, den Alten fuer lange Zeit auf das Krankenlager warf. In dieser Zeit beschloss er, sich von jedem Geschaeft ganz zurueckzuziehen. Er trat seine Justitiariate an andere ab, und so war mir jede Hoffnung verschwunden, jemals wieder nach R..sitten zu kommen. Nur meine Pflege litt der Alte, nur von mir verlangte er unterhalten, aufgeheitert zu werden. Aber wenn auch in schmerzlosen Stunden seiner Heiterkeit wiedergekehrt war, wenn es an derben Spaessen nicht fehlte, wenn es selbst zu Jagdgeschichten kam, und ich jeden Augenblick vermutete, meine Heldentat, wie ich den greulichen Wolf mit dem Jagdmesser erlegt, wuerde herhalten muessen - niemals - niemals erwaehnte er unseres Aufenthalts in R..sitten, und wer mag nicht einsehen, dass ich aus natuerlicher Scheu mich wohl huetete, ihn geradezu darauf zu bringen. Meine bittre Sorge, meine stete Muehe um den Alten hatte Seraphinens Bild in den Hintergrund gestellt. Sowie des Alten Krankheit nachliess, gedachte ich lebhafter wieder jenes Moments im Zimmer der Baronin, der mir wie ein leuchtender, auf ewig fuer mich untergegangener Stern erschien. Ein Ereignis rief allen empfundenen Schmerz hervor, indem es mich zugleich, wie eine Erscheinung aus der Geisterweit, mit eiskalten Schauern durchbebte! Als ich naemlich eines Abends die Brieftasche, die ich in R..sitten getragen, oeffne, faellt mir aus den aufgeblaetterten Papieren eine dunkle, mit einem weissen Bande umschlungene Locke entgegen, die ich augenblicklich fuer Seraphinens Haar erkenne! Aber als ich das Band naeher betrachte, sehe ich deutlich die Spur eines Blutstropfens! Vielleicht wusste Adelheid in jenen Augcnblicken des bewusstlosen Wahnsinns, der mich am letzten Tage ergriffen, mir dies Andenken geschickt zuzustellen, aber warum der Blutstropfe, der mich Entsetzliches ahnen liess und jenes beinahe zu schaefermaessige Pfand zur schauervollen Mahnung an eine Leidenschaft, die teures Herzblut kosten konnte, hinaufsteigerte? Das war jenes weisse Band, das mich, zum erstenmal Seraphinen nahe, wie im leichten losen Spiel umflatterte, und dem nun die dunkle Macht das Wahrzeichen der Verletzung zum Tode gegeben. Nicht spielen soll der Knabe mit der Waffe, deren Gefaehrlichkeit er nicht ermisst! Endlich hatten die Fruehlingsstuerme zu toben aufgehoert, der Sommer behauptete sein Recht, und war erst die Kaelte unertraeglich, so wurd' es nun, als der Julius begonnen, die Hitze. Der Alte erkraeftigte sich zusehends und zog, wie er sonst zu tun pflegte, in einen Garten der Vorstadt. An einem stillen lauen Abende sassen wir in der duftenden Jasminlaube, der Alte war ungewoehnlich heiter und dabei nicht, wie sonst, voll sarkastischer Ironie, sondern mild, beinahe weich gestimmt. "Vetter", fing er an, "ich weiss nicht, wie mir heute ist, ein ganz besonderes Wohlsein, wie ich es seit vielen Jahren nicht gefuehlt, durchdringt mich mit gleichsam elektrischer Waerme. Ich glaube, das verkuendet mir einen baldigen Tod." Ich muehte mich, ihn von dem duestern Gedanken abzubringen. "Lass es gut sein, Vetter", sprach er, "lange bleibe ich nicht mehr hier unten, und da will ich dir noch eine Schuld abtragen! Denkst du noch an die Herbstzeit in R..sitten?" - Wie ein Blitz durchfuhr mich diese Frage des Alten, noch ehe ich zu antworten vermochte, fuhr er weiter fort: "Der Himmel wollte es, dass du dort auf ganz eigne Weise eintratst und wider deinen Willen eingeflochten wurdest in die tiefsten Geheimnisse des Hauses. Jetzt ist es an der Zeit, dass Du alles erfahren musst. Oft genug, Vetter, haben wir ueber Dinge gesprochen, die du mehr ahntest als verstandest. Die Natur stellt den Zyklus des menschlichen Lebens in dem Wechsel der Jahreszeiten symbolisch dar, das sagen sie alle, aber ich meine das auf andere Weise als alle. Die Fruehlingsnebel fallen, die Duenste des Sommers verdampfen, und erst des Herbstes reiner Aether zeigt deutlich die ferne Landschaft, bis das Hienieden versinkt in die Nacht des Winters. Ich meine, dass im Hellsehen des Alters sich deutlicher das Walten der unerforschlichen Macht zeigt. Es sind Blicke vergoennt in das gelobte Land, zu dem die Pilgerfahrt beginnt mit dem zeitlichen Tode. Wie wird mir in diesem Augenblick so klar das dunkle Verhaengnis jenes Hauses, dem ich durch festere Bande, als Verwandtschaft sie zu schlingen vermag, verknuepft wurde. Wie liegt alles so erschlossen vor meines Geistes Augen! - doch, wie ich nun alles so gestaltet vor mir sehe, das Eigentliche, das kann ich nicht mit Worten sagen, keines Menschen Zunge ist dessen faehig. Hoere, mein Sohn, das, was ich dir nur wie eine merkwuerdige Geschichte, die sich wohl zutragen konnte, zu erzaehlen vermag. Bewahre tief in deiner Seele die Erkenntnis, dass die geheimnisvollen Beziehungen, in die du dich vielleicht nicht unberufen wagtest, dich verderben konnten! - doch das ist nun vorueber!" Die Ceschichte des R..schen Majorats, die der Alte jetzt erzaehlte, trage ich so treu im Gedaechtnis, dass ich sie beinahe mit seinen Worten (er sprach von sich selbst in der dritten Person) zu wiederholen vermag. In einer stuermischen Herbstnacht des Jahres 1760 weckte ein entsetzlicher Schlag, als falle das ganze weitlaeuftige Schloss in tausend Truemmer zusammen, das Hausgesinde in R..sitten aus tiefem Schlafe. Im Nu war alles auf den Beinen, Lichter wurden angezuendet, Schrecken und Angst im leichenblassen Gesicht, keuchte der Hausverwalter mit den Schluesseln herbei, aber nicht gering war jedes Erstaunen, als man in tiefer Totenstille, in der das pfeifende Gerassel der muehsam geoeffneten Schloesser, jeder Fusstritt recht schauerlich widerhallte, durch unversehrte Gaenge, Saele, Zimmer fort und fort wandelte. Nirgends die mindeste Spur irgendeiner Verwuestung. Eine finstere Ahnung erfasste den alten Hausverwalter. Er schritt hinauf in den grossen Rittersaal, in dessen Seitenkabinett der Freiherr Roderich v. R. zu ruhen pflegte, wenn er astronomische Beobachtungen angestellt. Eine zwischen der Tuer dieses und eines andern Kabinetts angebrachte Pforte fuehrte durch einen engen Gang unmittelbar in den astronomischen Turm. Aber sowie Daniel (so war der Hausverwalter geheissen) diese Pforte oeffnete, warf ihm der Sturm, abscheulich heulend und sausend, Schutt und zerbroeckelte Mauersteine entgegen, so dass er von Entsetzen weit zurueckprallte und, indem er den Leuchter, dessen Kerzen prasselnd verloeschten, an die Erde fallen liess, laut aufschrie: "O Herr des Himmels! der Baron ist jaemmerlich zerschmettert!" In dem Augenlick liessen sich Klagelaute vernehmen, die aus dem Schlafkabinett des Freiherrn kamen. Daniel fand die uebrigen Diener um den Leichnam ihres Herrn versammelt. Vollkommen und reicher gekleidet als jemals, ruhigen Ernst im unentstellten Gesichte, fanden sie ihn sitzend in dem grossen, reich verzierten Lehnstuhle, als ruhe er aus von gewichtiger Arbeit. Es war aber der Tod, in dem er ausruhte. Als es Tag geworden, gewahrte man, dass die Krone des Turms in sich eingestuerzt. Die grossen Quadersteine hatten Decke und Fussboden des astronomischen Zimmers eingeschlagen, nebst den nun voranstuerzenden maechtigen Balken mit gedoppelter Kraft des Falles das untere Gewoelbe durchbrochen und einen Teil der Schlossmauer und des engen Ganges mit fortgerissen. Nicht einen Schritt durch die Pforte des Saals durfte man tun, ohne Gefahr, wenigstens achtzig Fuss hinabzustuerzen in tiefe Gruft. Der alte Freiherr hatte seinen Tod bis auf die Stunde vorausgesehen und seine Soehne davon benachrichtigt. So geschah es, dass gleich folgenden Tages Wolfgang Freiherr von R., aeltester Sohn des Verstorbenen, mithin Majoratsherr, eintraf. Auf die Ahnung des alten Vaters wohl bauend, hatte er, sowie er den verhaengnisvollen Brief erhalten, sogleich Wien, wo er auf der Reise sich gerade befand, verlassen und war, so schnell es nur gehen wollte, nach R..sitten geeilt. Der Hausverwalter hatte den grossen Saal schwarz ausschlagen und den alten Freiherrn in den Kleidern, wie man ihn gefunden, auf ein praechtiges Paradebette, das hohe silberne Leuchter mit brennenden Kerzen umgaben, legen lassen. Schweigend schritt Wolfgang die Treppe herauf, in den Saal hinein und dicht hinan an die Leiche des Vaters. Da blieb er mit ueber die Brust verschraenkten Armen stehen und schaute starr und duester mit zusammengezogenen Augenbrauen dem Vater ins bleiche Antlitz. Er glich einer Bildsaeule, keine Traene kam in seine Augen. Endlich, mit einer beinahe krampfhaften Bewegung, den rechten Arm hin nach der Leiche zuckend, murmelte er dumpf: "Zwangen dich die Gestirne, den Sohn, den du liebtest, elend zu machen?" - Die Haende zurueckgeworfen, einen kleinen Schritt hinter sich getreten, warf nun der Baron den Blick in die Hoehe und sprach mit gesenkter, beinahe weicher Stimme: "Armer, betoerter Greis! Das Fastnachtsspiel mit seinen laeppischen Taeuschungen ist nun vorueber! Nun magst du erkennen, dass das kaerglich zugemessene Besitztum hienieden nichts gemein hat mit dem jenseits ueber den Sternen - Welcher Wille, welche Kraft reicht hinaus ueber das Grab?" Wieder schwieg der Baron einige Sekunden - dann rief er heftig: "Nein, nicht ein Quentlein meines Erdengluecks, das du zu vernichten trachtetest, soll mir dein Starrsinn rauben", und damit riss er ein zusammengelegtes Papier aus der Tasche und hielt es zwischen zwei Fingern hoch empor an eine dicht bei der Leiche stehende brennende Kerze. Das Papier, von der Kerze ergriffen, flackerte hoch auf, und als der Widerschein der Flamme auf dem Gesicht des Leichnams hin und her zuckte und spielte, war es, als ruehrten sich die Muskeln und der Alte spraeche tonlose Worte, so dass der entfernt stehenden Dienerschaft tiefes Grauen und Entsetzen ankam. Der Baron vollendete sein Geschaeft mit Ruhe, indem er das letzte Stueckchen Papier, das er flammend zu Boden fallen lassen, mit dem Fusse sorglich austrat. Dann warf er noch einen duestern Blick auf den Vater und eilte mit schnellen Schritten zum Saal hinaus. Andern Tages machte Daniel den Freiherrn mit der neuerlich geschehenen Verwuestung des Turms bekannt und schilderte mit vielen Worten, wie sich ueberhaupt alles in der Todesnacht des alten seligen Herrn zugetragen, indem er damit endete, dass es wohl geraten sein wuerde, sogleich den Turm herstellen zu lassen, da, stuerze noch mehr zusammen, das ganze Schloss in Gefahr stehe, wo nicht zertruemmert, doch hart beschaedigt zu werden. "Den Turm herstellen?" fuhr der Freiherr den alten Diener, funkelnden Zorn in den Augen, an, "den Turm herstellen? Nimmermehr! - Merkst du denn nicht", fuhr er dann gelassener fort, "merkst du denn nicht, Alter, dass der Turm nicht so, ohne weitern Anlass, einstuerzen konnte? Wie, wenn mein Vater selbst die Vernichtung des Orts, wo er seine unheimliche Sterndeuterei trieb, gewuenscht, wie, wenn er selbst gewisse Vorrichtungen getroffen haette, die es ihm moeglich machten, die Krone des Turms, wenn er wollte, einstuerzen und so das Innere des Turms zerschmettern zu lassen? Doch dem sei, wie ihm wolle, und mag auch das Schloss zusammenstuerzen, mir ist es recht. Glaubt ihr denn, dass ich in dem abenteuerlichen Eulenneste hier hausen werde? - Nein! jener kluge Ahnherr, der in dem schoenen Talgrunde die Fundamente zu einem neuen Schloss legen liess, der hat mir vorgearbeitet, dem will ich folgen." "Und so werden", sprach Daniel kleinlaut, "dann auch wohl die alten treuen Diener den Wanderstab zur Hand nehmen muessen." "Dass ich", erwiderte der Freiherr, "mich nicht von unbehuelflichen schlotterbeinichten Greisen bedienen lassen werde, versteht sich von selbst, aber verstossen werde ich keinen. Arbeitslos soll euch das Gnadenbrot gut genug schmecken." "Mich", rief der Alte voller Schmerz, "mich, den Hausverwalter, so ausser Aktivitaet -" Da wandte der Freiherr, der, dem Alten den Ruecken gekehrt, im Begriff stand, den Saal zu verlassen, sich ploetzlich um, blutrot im ganzen Gesichte vor Zorn, die geballte Faust vorgestreckt, schritt er auf den Alten zu und schrie mit fuerchterlicher Stimme: "Dich, du alter heuchlerischer Schurke, der du mit dem alten Vater das unheimliche Wesen triebst dort oben, der du dich wie ein Vampir an sein Herz legtest, der vielleicht des Alten Wahnsinn verbrecherisch nuetzte, um in ihm die hoellischen Entschluesse zu erzeugen, die mich an den Rand des Abgrunds brachten dich sollte ich hinausstossen wie einen raeudigen Hund!" Der Alte war vor Schreck ueber diese entsetzlichen Reden dicht neben dem Freiherrn auf beide Knie gesunken, und so mochte es geschehen, dass dieser, indem er vielleicht unwillkuerlich, wie denn im Zorn oft der Koerper dem Gedanken mechanisch folgt und das Gedachte mimisch ausfuehrt, bei den letzten Worten den rechten Fuss vorschleuderte, den Alten so hart an der Brust traf, dass er mit einem dumpfen Schrei umstuerzte. Er raffte sich muehsam in die Hoehe, und indem er einen sonderbaren Laut, gleich dem heulenden Gewimmer eines auf den Tod wunden Tieres, ausstiess, durchbohrte er den Freiherrn mit einem Blick, in dem Wut und Verzweiflung gluehten. Den Beutel mit Geld, den ihm der Freiherr im Davonschreiten zugeworfen, liess er unberuehrt auf dem Fussboden liegen. Unterdessen hatten sich die in der Gegend befindlichen naechsten Verwandten des Hauses eingefunden, mit vielem Prunk wurde der alte Freiherr in der Familiengruft, die in der Kirche von R..sitten befindlich, beigesetzt, und nun, da die geladenen Gaeste sich wieder entfernt, schien der neue Majoratsherr, von der duestern Stimmung verlassen, sich des erworbenen Besitztums recht zu erfreuen. Mit V., dem Justitiarius des alten Freiherrn, dem er gleich, nachdem er ihn nur gesprochen, sein volles Vertrauen schenkte und ihn in seinem Amt bestaetigte, hielt er genaue Rechnung ueber die Einkuenfte des Majorats und ueberlegte, wieviel davon verwandt werden koenne zu Verbesserungen und zum Aufbau eines neuen Schlosses. V. meinte, dass der alte Freiherr unmoeglich seine jaehrlichen Einkuenfte aufgezehrt haben koenne, und dass, da sich unter den Briefschaften nur ein paar unbedeutende Kapitalien in Bankoscheinen befanden, und die in einem eisernen Kasten befindliche bare Summe tausend Taler nur um weniges ueberstiege, gewiss irgendwo noch Geld verborgen sein muesse. Wer anders konnte davon unterrichtet sein, als Daniel, der, stoerrisch und eigensinnig, wie er war, vielleicht nur darauf wartete, dass man ihn darum befrage. Der Baron war nicht wenig besorgt, dass Daniel, den er schwer beleidigt, nun nicht sowohl aus Eigennutz, denn was konnte ihm, dem kinderlosen Greise, der im Stammschlosse R..sitten sein Leben zu enden wuenschte, die groesste Summe Geldes helfen, als vielmehr, um Rache zu nehmen fuer den erlittenen Schimpf, irgendwo versteckte Schaetze lieber vermodern lassen, als ihm entdecken werde. Er erzaehlte V. den ganzen Vorfall mit Daniel umstaendlich und schloss damit, dass nach mehreren Nachrichten, die ihm zugekommen, Daniel allein es gewesen sei, der in dem alten Freiherrn einen unerklaerlichen Abscheu, seine Soehne in R..sitten wiederzusehen, zu naehren gewusst habe. Der Justitiarius erklaerte diese Nachrichten durchaus fuer falsch, da kein menschliches Wesen auf der Welt imstande gewesen sei, des alten Freiherrn Entschluesse nur einigermassen zu lenken, viel weniger zu bestimmen, und uebernahm es uebrigens, dem Daniel das Geheimnis wegen irgend in einem verborgenen Winkel aufbewahrten Geldes zu entlocken. Es bedurfte dessen gar nicht, denn kaum fing der Justitiarius an: "Aber wie kommt es denn, Daniel, dass der alte Herr so wenig bares Geld hinterlassen?" so erwiderte Daniel mit widrigem Laecheln: "Meinen Sie die paar Taler, Herr Justitiarius, die Sie in dem kleinen Kaestchen fanden? das uebrige liegt ja im Gewoelbe neben dem Schlafkabinett des alten gnaedigen Herrn! Aber das Beste", fuhr er dann fort, indem sein Laecheln sich zum abscheulichen Grinsen verzog und blutrotes Feuer in seinen Augen funkelte, "aber das Beste, viele tausend Goldstuecke liegen da unten im Schutt vergraben!" Der Justitiarius rief sogleich den Freiherrn herbei, man begab sich in das Schlafkabinett, in einer Ecke desselben rueckte Daniel an dem Getaefel der Wand, und ein Schloss wurde sichtbar. Indem der Freiherr das Schloss mit gierigen Blicken anstarrte, dann aber Anstalt machte, die Schluessel, welche an dem grossen Bunde hingen, den er mit vielem Geklapper muehsam aus der Tasche gezerrt, an dem glaenzenden Schlosse zu versuchen, stand Daniel da, hoch aufgerichtet und wie mit haemischem Stolz herabblickend auf den Freiherrn, der sich niedergebueckt hatte, um das Schloss besser in Augenschein zu nehmen. Den Tod im Antlitz, mit bebender Stimme, sprach er dann: "Bin ich ein Hund, hochgnaediger Freiherr! - so bewahr' ich auch in mir des Hundes Treue." Damit reichte er dem Baron einen blanken staehlernen Schluessel hin, den ihm dieser mit hastiger Begier aus der Hand riss und die Tuer mit leichter Muehe oeffnete. Man trat in ein kleines, niedriges Gewoelbe, in welchem eine grosse eiserne Truhe mit geoeffnetem Deckel stand. Auf den vielen Geldsaecken lag ein Zettel. Der alte Freiherr hatte mit seinen wohlbekannten grossen altvaeterischen Schriftzuegen darauf geschrieben: Einmal hundert und fuenfzigtausend Reichstaler in alten Friedrichsdor erspartes Geld von den Einkuenften des Majoratsgutes R..sitten, und ist diese Summe bestimmt zum Bau des Schlosses. Es soll ferner der Majoratsherr, der mir folgt, im Besitztum von diesem Gelde auf dem hoechsten Huegel, oestlich gelegen dem alten Schlossturm, den er eingestuerzt finden wird, einen hohen Leuchtturm zum Besten der Seefahrer auffuehren und allnaechtlich feuern lassen. R..sitten in der Michaelisnacht des Jahres 1760. Roderich Freiherr von R. Erst als der Freiherr die Beutel, einen nach dem andern, gehoben und wieder in den Kasten fallen lassen, sich ergoetzend an dem klirrenden Klingen des Goldes, wandte er sich rasch zu dem alten Hausverwalter, dankte ihm fuer die bewiesene Treue und versicherte, dass nur verleumderische Klaetschereien schuld daran waeren, dass er ihm anfangs uebel begegnet. Nicht allein im Schlosse, sondern in vollem Dienst als Hausverwalter, mit verdoppeltem Gehalt, solle er bleiben. "Ich bin dir volle Entschaedigung schuldig, willst du Gold, so nimm dir einen von jenen Beuteln!"- So schloss der Freiherr seine Rede, indem er mit niedergeschlagenen Augen, vor dem Alten stehend, mit der Hand nach dem Kasten hinzeigte, an den er nun aber noch einmal hintrat und die Beutel musterte. Dem Hausverwalter trat ploetzlich gluehende Roete ins Gesicht, und er stiess einen entsetzlichen, dem heulenden Gewimmer eines auf den Tod wunden Tiers aehnlichen Laut aus, wie ihn der Freiherr dem Jutistitiarius beschrieben. Dieser erbebte, denn was der Alte nun zwischen den Zaehnen murmelte, klang wie: "Blut fuer Gold!" Der Freiherr, vertieft in den Anblick des Schatzes, hatte von allem nicht das mindeste bemerkt; Daniel, den es wie im krampfigen Fieberfrost durch alle Glieder geschuettelt, nahte sich mit gebeugtem Haupt in demuetiger Stellung dem Freiherrn, kuesste ihm die Hand und sprach mit weinerlicher Stimme, indem er mit dem Taschentuch sich ueber die Augen fuhr, als ob er Traenen wegwische: "Ach, mein lieber gnaediger Herr, was soll ich armer, kinderloser Greis mit dem Golde? - aber das doppelte Gehalt, das nehme ich an mit Freuden und will mein Amt verwalten ruestig und unverdrossen!" Der Freiherr, der nicht sonderlich auf die Worte des Alten geachtet, liess nun den schweren Deckel der Truhe zufallen, dass das ganze Gewoelbe krachte und droehnte, und sprach dann, indem er die Truhe verschloss und die Schluessel sorgfaeltig auszog, schnell hingeworfen: "Schon gut, schon gut Alter! Aber du hast noch", fuhr er fort, nachdem sie schon in den Saal getreten waren, "aber du hast noch von vielen Goldstuecken gesprochen, die unten im zerstoerten Turm liegen sollen" Der Alte trat schweigend an die Pforte und schloss sie mit Muehe auf. Aber sowie er die Fluegel aufriss, trieb der Sturm dickes Schneegestoeber in den Saal; aufgescheucht flatterte ein Rabe kreischend und kraechzend umher, schlug mit schwarzen Schwingen gegen die Fenster und stuerzte sich, als er die offene Pforte wiedergewonnen, in den Abgrund. Der Freiherr trat hinaus in den Korridor, bebte aber zurueck, als er kaum einen Blick in die Tiefe geworfen. "Abscheulicher Anblick - Schwindel", stotterte er und sank wie ohnmaechtig dem Justitiarius in die Arme. Er raffte sich jedoch gleich wieder zusammen und frug, den Alten mit scharfen Blicken erfassend: "Und da unten?" - Der Alte hatte indessen die Pforte wieder verschlossen, er drueckte nun noch mit ganzer Leibeskraft dagegen, so dass er keuchte und aechzte, um nur die grossen Schluessel aus den ganz verrosteten Schloessern loswinden zu koennen. Dies endlich zustande gebracht, wandte er sich um nach dem Baron und sprach, die grossen Schluessel in der Hand hin und her schiebend, mit seltsamen Laecheln: "Ja, da unten liegen tausend und tausend - alle schoenen Instrumente des seligen Herrn - Teleskope, Quadranten - Globen - Nachtspiegel alles liegt zertruemmert im Schutt zwischen den Steinen und Balken!" "Aber, bares Geld, bares Geld", fiel der Freiherr ein, "du hast von Goldstuecken gesprochen, Alter?" "Ich meine nur", erwiderte der Alte, "Sachen, welche viele tausend Goldstuecke gekostet." Mehr war aus dem Alten nicht herauszubringen. Der Baron zeigte sich hoch erfreut, nun, mit einemmal, zu allen Mitteln gelangt zu sein, deren er bedurfte, seinen Lieblingsplan ausfuehren, naemlich ein neues praechtiges Schloss aufbauen zu koennen. Zwar meinte der Justitiarius, dass nach dem Willen des Verstorbenen nur von der Reparatur, von dem voelligen Ausbau des alten Schlosses, die Rede sein koenne, und dass in der Tat jeder neue Bau schwerlich die ehrwuerdige Groesse, den ernsten einfachen Charakter des alten Stammhauses erreichen werde, der Freiherr blieb aber bei seinem Vorsatz und meinte, dass in solchen Verfuegungen, die nicht durch die Stiftungsurkunde sanktioniert worden, der tote Wille des Dahingeschiedenen weichen muesse. Er gab dabei zu verstehen, dass es seine Pflicht sei, den Aufenthalt in R..sitten so zu verschoenern, als es nur Klima, Boden und Umgebung zulasse, da er gedenke, in kurzer Zeit als sein innig geliebtes Weib ein Wesen heimzufuehren, die in jeder Hinsicht der groessten Opfer wuerdig sei. Die geheimnisvolle Art, wie der Freiherr sich ueber das vielleicht schon insgeheim geschlossene Buendnis aeusserte, schnitt dem Justitiarius jede weitere Frage ab, indessen fand er sich durch die Entscheidung des Freiherrn insofern beruhigt, als er wirklich in seinem Streben nach Reichtum mehr die Begier, eine geliebte Person das schoenere Vaterland, dem sie entsagen musste, ganz vergessen zu lassen, als eigentlichen Geiz finden wollte. Fuer geizig, wenigstens fuer unausstehlich habsuechtig musste er sonst den Baron halten, der, im Golde wuehlend, die alten Friedrichsdor beaeugelnd, sich nicht enthalten konnte, muerrisch aufzufahren: "Der alte Halunke hat uns gewiss den reichsten Schatz verschwiegen, aber kuenftigen Fruehling lass ich den Turm ausraeumen unter meinen Augen." Baumeister kamen, mit denen der Freiherr weitlaeufig ueberlegte, wie mit dem Bau am zweckmaessigsten zu verfahren sei. Er verwarf Zeichnung auf Zeichnung, keine Architektur war ihm reich, grossartig genug. Nun fing er an, selbst zu zeichnen, und, aufgeheitert durch diese Beschaeftigungen, die ihm bestaendig das sonnenhelle Bild der gluecklichsten Zukunft vor Augen stellten, erfasste ihn eine frohe Laune, die oft an Ausgelassenheit anstreifte, und die er allen mitzuteilen wusste. Seine Freigebigkeit, die Opulenz seiner Bewirtung widerlegte wenigstens jeden Verdacht des Geizes. Auch Daniel schien nun ganz jenen Tort, der ihm geschehen, vergessen zu haben. Er betrug sich still sind demuetig gegen den Freiherrn, der ihn, des Schatzes in der Tiefe halber, oft mit misstrauischen Blicken verfolgte. Was aber allen wunderbar vorkam, war, dass der Alte sich zu verjuengen schien von Tage zu Tage. Es mochte sein, dass ihn der Schmerz um den alten Herrn tief gebeugt hatte, und er nun den Verlust zu verschmerzen begann, wohl aber auch, dass er nun nicht, wie sonst, kalte Naechte schlaflos auf dem Turm zubringen und bessere Kost, guten Wein, wie es ihm gefiel, geniessen durfte, genug, aus dem Greise schien ein ruestiger Mann werden zu wollen mit roten Wangen und wohlgenaehrtem Koerper, der kraeftig auftrat und mit lauter Stimme mitlachte, wo es einen Spass gab. Das lustige Leben in R..sitten wurde durch die Ankunft eines Mannes unterbrochen, von dem man haette denken sollen, er gehoere nun gerade hin. Wolfgangs juengerer Bruder, Hubert, war dieser Mann, bei dessen Anblick Wolfgang, im Antlitz den bleichen Tod, laut aufschrie: "Ungluecklicher, was willst du hier!" Hubert stuerzte dem Bruder in die Arme, dieser fasste ihn aber und zog ihn mit sich fort und hinauf in ein entferntes Zimmer, wo er sich mit ihm einschloss. Mehrere Stunden blieben beide zusammen, bis endlich Hubert herabkam mit verstoertem Wesen und nach seinen Pferden rief. Der Justitiarius trat ihm in den Weg, er wollte vorueber, V., von der Ahnung ergriffen, dass vielleicht gerade hier ein toedlicher Bruderzwist enden koennte, bat ihn, wenigstens ein paar Stunden zu verweilen, und in dem Augenblick kam auch der Freiherr herab, laut rufend: "Bleibe hier, Hubert! Du wirst dich besinnen!" - Huberts Blicke heiterten sich auf, er gewann Fassung, und indem er den reichen Leibpelz, den er, schnell abgezogen, hinter sich dem Bedienten zuwarf, nahm er V.s Hand und sprach, mit ihm in die Zimmer schreitend, mit einem verhoehnenden Laecheln: "Der Majoratsherr will mich doch also hier leiden." V. meinte, dass gewiss sich jetzt das unglueckliche Missverstaendnis loesen werde, welches nur bei getrenntem Leben habe gedeihen koennen. Hubert nahm die staehlerne Zange, die beim Kamin stand, zur Hand, und indem er damit ein astiges, dampfendes Stueck Holz auseinander klopfte und das Feuer besser aufschuerte, sprach er zu V.: "Sie merken, Herr Justitiarius, dass ich ein gutmuetiger Mensch bin und geschickt zu allerlei haeuslichen Diensten. Aber Wolfgang ist voll der wunderlichsten Vorurteile und - ein kleiner Geizhals." V. fand es nicht geraten, weiter in das Verhaeltnis der Brueder einzudringen, zumal Wolfgangs Gesicht, sein Benehmen, sein Ton den durch Leidenschaften jeder Art im Innersten zerrissenen Menschen ganz deutlich zeigte. Um des Freiherrn Entschluesse in irgendeiner das Majorat betreffenden Angelegenheit zu vernehmen, ging V. noch am spaeten Abend hinauf in sein Gemach. Er fand ihn, wie er, die Arme ueber den Ruecken zusammengeschraenkt, ganz verstoert mit grossen Schritten das Zimmer mass. Er blieb stehen, als er endlich den Justitiarius erblickte, fasste seine beiden Haende, und duester ihm ins Auge schauend, sprach er mit gebrochener Stimme: "Mein Bruder ist gekommen! Ich weiss", fuhr er fort, als V. kaum den Mund zur Frage geoeffnet, "ich weiss, was Sie sagen wollen. Ach, Sie wissen nichts. Sie wissen nicht, dass mein ungluecklicher Bruder - ja ungluecklich nur will ich ihn nennen - dass er wie ein boeser Geist mir ueberall in den Weg tritt und meinen Frieden stoert. An ihm liegt es nicht, dass ich nicht unaussprechlich elend wurde, er tat das Seinige dazu, doch der Himmel wollt' es nicht. Seit der Zeit, dass die Stiftung des Majorats bekannt wurde, verfolgt er mich mit toedlichem Hass. Er beneidet mich um das Besitztum, das in seinen Haenden wie Spreu verflogen waere. Er ist der wahnsinnigste Verschwender, den es gibt. Seine Schuldenlast uebersteigt bei weitem die Haelfte des freien Vermoegens in Kurland, die ihm zufaellt, und nun, verfolgt von Glaeubigern die ihn quaelen, eilt er her und bettelt um Geld." "Und Sie, der Bruder, verweigern" wollte ihm V. in die Rede fallen, doch der Freiherr rief, indem er V.s Haende fahren liess und einen starken Schritt zuruecktrat, laut und heftig: "Halten Sie ein! ja! ich verweigere! Von den Einkuenften des Majorats kann und werde ich keinen Taler verschenken! Aber hoeren Sie, welchen Vorschlag ich dem Unsinnigen vor wenigen Stunden vergebens machte, und dann richten Sie ueber mein Pflichtgefuehl. Das freie Vermoegen in Kurland ist, wie Sie wissen, bedeutend, auf die mir zufallende Haelfte wollt' ich verzichten, aber zugunsten seiner Familie. Hubert ist verheiratet in Kurland an ein schoenes armes Fraeulein. Sie hat ihm Kinder erzeugt und darbt mit ihnen. Die Gueter sollten administriert, aus den Revenueen ihm die noetigen Gelder zum Unterhalt angewiesen, die Glaeubiger vermoege Abkommens befriedigt werden. Aber was gilt ihm ein ruhiges, sorgenfreies Leben, was gilt ihm Frau und Kind! Geld, bares Geld in grossen Summen will er haben, damit er in verruchtem Leichtsinn es verprassen koenne! Welcher Daemon hat ihm das Geheimnis mit den einhundert und funfzigtausend Talern verraten, davon verlangt er die Haelfte nach seiner wahnsinnigen Weise, behauptend, dies Geld sei, getrennt vom Majorat, als freies Vermoegen zu achten. Ich muss und werde ihm dies verweigern, aber mir ahnt es, mein Verderben bruetet er aus im Innern!" So sehr V. sich auch bemuehte, dem Freiherrn den Verdacht wider seinen Bruder auszureden, wobei er sich freilich, uneingeweiht in die naeheren Verhaeltnisse, mit ganz allgemeinen moralischen, ziemlich flachen Gruenden behelfen musste, so gelang ihm dies doch ganz und gar nicht. Der Freiherr gab ihm den Auftrag, mit dem feindseligen geldgierigen Hubert zu unterhandeln. V. tat dies mit so viel Vorsicht, als ihm nur moeglich war, und freute sich nicht wenig, als Hubert endlich erklaerte: "Mag es dann sein, ich nehme die Vorschlaege des Majoratsherrn an, doch unter der Bedingung, dass er mir jetzt, da ich auf dem Punkt stehe, durch die Haerte meiner Glaeubiger Ehre und guten Namen auf immer zu verlieren, tausend Friedrichsdor bar vorschiesse und erlaube, dass ich kuenftig, wenigstens einige Zeit hindurch, meinen Wohnsitz in dem schoenen R..sitten bei dem guetigen Bruder nehme." "Nimmermehr!" schrie der Freiherr auf, als ihm V. diese Vorschlaege des Bruders hinterbrachte, "nimmermehr werde ich's zugeben, dass Hubert auch nur eine Minute in meinem Hause verweile, sobald ich mein Weib hergebracht! - Gehen Sie, mein teurer Freund, sagen Sie dem Friedenstoerer, dass er zweitausend Friedrichsdor haben soll, nicht als Vorschuss, nein als Geschenk, nur fort - fort!" V. wusste nun mit einemmal, dass der Freiherr sich ohne Wissen des Vaters schon verheiratet hatte, und dass in dieser Heirat auch der Grund des Bruderzwistes liegen musste. Hubert hoerte stolz und gelassen den Justitiarius an und sprach, nachdem er geendet, dumpf und duester: "Ich werde mich besinnen, vor der Hand aber noch einige Tage hier bleiben!" V. bemuehte sich, dem Unzufriedenen darzutun, dass der Freiherr doch in der Tat alles tue, ihn durch die Abtretung des freien Vermoegens, soviel als moeglich, zu entschaedigen, und dass er ueber ihn sich durchaus nicht zu beklagen habe, wenn er gleich bekennen muesse, dass jede Stiftung, die den Erstgeborenen so vorwiegend beguenstige und die andern Kinder in den Hintergrund stelle, etwas Gehaessiges habe. Hubert riss, wie einer, der Luft machen will der beklemmten Brust, die Weste von oben bis unten auf; die eine Hand in die offne Busenkrause begraben, die andere in die Seite gestemmt, drehte er sich mit einer raschen Taenzerbewegung auf einem Fusse um und rief mit schneidender Stimme: "Pah! - das Gehaessige wird geboren vom Hass" dann schlug er ein gellendes Gelaechter auf und sprach: "Wie gnaedig doch der Majoratsherr dem armen Bettler seine Goldstuecke zuzuwerfen gedenkt." V. sah nun wohl ein, dass von voelliger Aussoehnung der Brueder gar nicht die Rede sein koenne. Hubert richtete sich in den Zimmern, die ihm in den Seitenfluegeln des Schlosses angewiesen worden, zu des Freiherrn Verdruss auf recht langes Bleiben ein. Man merkte, dass er oft und lange mit dem Hausverwalter sprach, ja, dass dieser sogar zuweilen mit ihm auf die Wolfsjagd zog. Sonst liess er sich wenig sehen und mied es ganz, mit dem Bruder allein zusammen zu kommen, welches diesem eben ganz recht war. V. fuehlte das Drueckende dieses Verhaeltnisses, ja er musste sich es selbst gestehen, dass die ganz besondere unheimliche Manier Huberts in allem, was er sprach und tat, alle Lust recht geflissentlich zerstoerend, eingriff. Jener Schreck des Freiherrn, als er den Bruder eintreten sah, war ihm nun ganz erklaerlich. V. sass allein in der Gerichtsstube unter den Akten, als Hubert eintrat, ernster, gelassener als sonst, und mit beinahe wehmuetiger Stimme sprach: "Ich nehme auch die letzten Vorschlaege des Bruders an, bewirken Sie, dass ich die zweitausend Friedrichsdor noch heute erhalte, in der Nacht will ich fort zu Pferde - ganz allein" "Mit dem Geld?" frug V. "Sie haben recht", erwiderte Hubert, "ich weiss, was Sie sagen wollen - die Last! Stellen sie es in Wechsel auf Isak Lazarus in K.! - Noch in dieser Nacht will ich hin nach K. Es treibt mich von hier fort, der Alte hat seine boesen Geister hier hineingehext!" "Sprechen Sie von Ihrem Vater, Herr Baron?" frug V. sehr ernst. Huberts Lippen bebten, er hielt sich an dem Stuhl fest, um nicht umzusinken, dann aber, sich ploetzlich ermannend, rief er: "Also noch heute, Herr Justitiarius", und wankte, nicht ohne Anstrengung, zur Tuer hinaus. "Er sieht jetzt ein, dass keine Taeuschungen mehr moeglich sind, dass er nichts vermag gegen meinen festen Willen", sprach der Freiherr, indem er den Wechsel auf Isak Lazarus in K. ausstellte. Eine Last wurde seiner Brust entnommen durch die Abreise des feindlichen Bruders, lange war er nicht so froh gewesen als bei der Abendtafel. Hubert hatte sich entschuldigen lassen, alle vermissten ihn recht gern. V. wohnte in einem etwas abgelegenen Zimmer, dessen Fenster nach dem Schlosshofe herausgingen. In der Nacht fuhr er ploetzlich auf aus dem Schlafe, und es war ihm, als habe ein fernes, klaegliches Wimmern ihn aus dem Schlafe geweckt. Mochte er aber auch horchen, wie er wollte, es blieb alles totenstill, und so musste er jenen Ton, der ihm in die Ohren geklungen, fuer die Taeuschung eines Traums halten. Ein ganz besonderes Gefuehl von Grauen und Angst bemaechtigte sich seiner aber so ganz und gar, dass er nicht im Bette bleiben konnte. Er stand auf und trat ans Fenster. Nicht lange dauerte es, so wurde das Schlosstor geoeffnet, und eine Gestalt mit einer brennenden Kerze in der Hand trat heraus und schritt ueber den Schlosshof. V. erkannte in der Gestalt den alten Daniel und sah, wie er die Stalltuer oeffnete, in den Stall hineinging und bald darauf ein gesatteltes Pferd herausbrachte. Nun trat aus der Finsternis eine zweite Gestalt hervor, wohl eingehuellt in einen Pelz, eine Fuchsmuetze auf dem Kopf. V. erkannte Hubert, der mit Daniel einige Minuten hindurch heftig sprach, dann aber sich zurueckzog. Daniel fuehrte das Pferd wieder in den Stall, verschloss diesen und ebenso die Tuer des Schlosses, nachdem er ueber den Hof, wie er gekommen, zurueckgekehrt. Hubert hatte wegreisen wollen und sich in dem Augenblick eines andern besonnen, das war nun klar. Ebenso aber auch, dass Hubert gewiss mit dem alten Hausverwalter in irgendeinem gefaehrlichen Buendnisse stand. V. konnte kaum den Morgen erwarten, um den Freiherrn von den Ereignissen der Nacht zu unterrichten. Es galt nun wirklich, sich gegen Anschlaege des boesartigen Hubert zu waffnen, die sich, wie V. jetzt ueberzeugt war, schon gestern in seinem verstoerten Wesen kundgetan. Andern Morgens zur Stunde, wenn der Freiherr aufzustehen pflegte, vernahm V. ein Hin- und Herrennen, Tuerauf-, Tuerzuschlagen, ein verwirrtes Durcheinander und Schreien. Er trat hinaus und stiess ueberall auf Bediente, die, ohne auf ihn zu achten, mit leichenblassen Gesichtern ihm vorbei - treppauf - treppab - hinaus - hinein durch die Zimmer rannten. Endlich erfuhr er, dass der Freiherr vermisst und schon stundenlang vergebens gesucht werde. In Gegenwart des Jaegers hatte er sich ins Bette gelegt, er musste dann aufgestanden sein und sich im Schlafrock und Pantoffeln, mit dem Armleuchter in der Hand, entfernt haben, denn eben diese Stuecke wurden vermisst. V. lief, von duesterer Ahnung getrieben, in den verhaengnisvollen Saal, dessen Seitenkabinett gleich dem Vater Wolfgang zu seinem Schlafgemach gewaehlt hatte. Die Pforte zum Turm stand weit offen, tief entsetzt schrie V. laut auf: "Dort in der Tiefe liegt er zerschmettert!" - Es war dem so. Schnee war gefallen, so dass man von oben herab nur den zwischen den Steinen hervorragenden starren Arm des Ungluecklichen deutlich wahrnehmen konnte. Viele Stunden gingen hin, ehe es den Arbeitern gelang, mit Lebensgefahr auf zusammengebundenen Leitern herabzusteigen und dann den Leichnam an Stricken heraufzuziehen. Im Krampf der Todesangst hatte der Baron den silbernen Armleuchter festgepackt, die Hand, die ihn noch festhielt, war der einzige unversehrte Teil des ganzen Koerpers, der sonst durch das Anprallen an die spitzen Steine auf das graesslichste zerschellt worden. Alle Furien der Verzweiflung im Antlitz, stuerzte Hubert herbei, als die Leiche eben hinaufgeborgen und in dem Saal, gerade an der Stelle auf einen breiten Tisch gelegt worden, wo vor wenigen Wochen der alte Roderich lag. Niedergeschmettert von dem graesslichen Anblick, heulte er: "Bruder - o mein armer Bruder nein, das hab' ich nicht erfleht von den Teufeln, die ueber mir waren!" - V. erbebte vor dieser verfaenglichen Rede, es war ihm so, als muesse er zufahren auf Hubert, als den Moerder seines Bruders. Hubert lag von Sinnen auf dem Fussboden, man brachte ihn ins Bette, und er erholte sich, nachdem er staerkende Mittel gebraucht, ziemlich bald. Sehr bleich, duestern Gram im halb erloschnen Auge, trat er dann bei V. ins Zimmer und sprach, indem er, vor Mattigkeit nicht faehig zu stehen, sich langsam in einen Lehnstuhl niederliess: "Ich habe meines Bruders Tod gewuenscht, weil der Vater ihm den besten Teil des Erbes zugewandt durch eine toerichte Stiftung - jetzt hat er seinen Tod gefunden auf schreckliche Weise - ich bin Majoratsherr, aber mein Herz ist zermalmt, ich kann, ich werde niemals gluecklich sein. Ich bestaetige Sie im Amte, Sie erhalten die ausgedehntesten Vollmachten ruecksichts der Verwaltung des Majorats, auf dem ich nicht zu hausen vermag!" Hubert verliess das Zimmer und war in ein paar Stunden schon auf dem Wege nach K. Es schien, dass der unglueckliche Wolfgang in der Nacht aufgestanden war und sich vielleicht in das andere Kabinett, wo eine Bibliothek aufgestellt, begeben wollen. In der Schlaftrunkenheit verfehlte er die Tuer, oeffnete statt derselben die Pforte, schritt vor und stuerzte hinab. Diese Erklaerung enthielt indessen immer viel Erzwungenes. Konnte der Baron nicht schlafen, wollte er sich noch ein Buch aus der Bibliothek holen, um zu lesen, so schloss dieses alle Schlaftrunkenheit aus, aber nur so war es moeglich, die Tuer des Kabinetts zu verfehlen und statt dieser die Pforte zu oeffnen. Ueberdem war diese fest verschlossen und musste erst mit vieler Muehe aufgeschlossen werden. "Ach", fing endlich, als V. diese Unwahrscheinlichkeit vor versammelter Dienerschaft entwickelte, des Freiherrn Jaeger, Franz geheissen, an, "ach, lieber Herr Justitiarius, so hat es wohl sich nicht zugetragen!" - "Wie denn anders?" fuhr ihn V. an. Franz, ein ehrlicher treuer Kerl, der seinem Herrn haette ins Grab folgen moegen, wollte aber nicht vor den andern mit der Sprache heraus, sondern behielt sich vor, das, was er davon zu sagen wisse, dem Justistiarius allein zu vertrauen. V. erfuhr nun, dass der Freiherr zu Franz sehr oft von den vielen Schaetzen sprach, die da unten in dem Schutt begraben laegen, und dass er oft, wie vom boesen Geist getrieben, zur Nachtzeit noch die Pforte, zu der den Schluessel ihm Daniel hatte geben muessen, oeffnete und mit Sehnsucht hinabschaute in die Tiefe nach den vermeintlichen Reichtuemern. Gewiss war es nun wohl so, dass in jener verhaengnisvollen Nacht der Freiherr, nachdem ihn der Jaeger schon verlassen, noch einen Gang nach dem Turm gemacht und ihn dort ein ploetzlicher Schwindel erfasst und herabgestuerzt hatte. Daniel, der von dem entsetzlichen Tode des Freiherrn auch sehr erschuettert schien, meinte, dass es gut sein wuerde, die gefaehrliche Pforte fest vermauern zu lassen, welches denn auch gleich geschah. Freiherr Hubert von R., jetziger Majoratsbesitzer, ging, ohne sich wieder in R..sitten sehen zu lassen, nach Kurland zurueck. V. erhielt alle Vollmachten, die zur unumschraenkten Verwaltung des Majorats noetig waren. Der Bau des neuen Schlosses unterblieb, wogegen, so viel moeglich, das alte Gebaeude in guten Stand gesetzt wurde. Schon waren mehrere Jahre verflossen, als Hubert zum erstenmal zur spaeten Herbstzeit sich in R..sitten einfand, und nachdem er mehrere Tage mit V., in seinem Zimmer eingeschlossen, zugebracht, wieder nach Kurland zurueckging. Bei seiner Durchreise durch K. hatte er bei der dortigen Landesregierung sein Testament niedergelegt. Waehrend seines Aufenthaltes in R..sitten sprach der Freiherr, der in seinem tiefsten Wesen ganz geaendert schien, viel von Ahnungen eines nahen Todes. Diese gingen wirklich in Erfuellung, denn er starb schon das Jahr darauf. Sein Sohn, wie er Hubert geheissen, kam schnell herueber von Kurland, um das reiche Majorat in Besitz zu nehmen. Ihm folgten Mutter und Schwester. Der Juengling schien alle boesen Eigenschaften der Vorfahren in sich zu vereinen, er bewies sich als stolz, hochfahrend, ungestuem, habsuechtig gleich in den ersten Augenblicken seines Aufenthalts in R..sitten. Er wollte auf der Stelle vieles aendern lassen, welches ihm nicht bequem, nicht gehoerig schien, den Koch warf er zum Hause hinaus, den Kutscher versuchte er zu pruegeln welches aber nicht gelang, da der baumstarke Kerl die Frechheit hatte, es nicht leiden zu wollen; kurz, er war im besten Zuge, die Rolle des strengen Majoratsherrn zu beginnen, als V. ihm mit Ernst und Festigkeit entgegentrat, sehr bestimmt versichernd, kein Stuhl solle hier gerueckt werden, keine Katze das Haus verlassen, wenn es ihr noch sonst darin gefalle, vor Eroeffnung des Testaments. "Sie unterstehen sich hier, dem Majoratsherrn" fing der Baron an. V. liess den vor Wut schaeumenden Juengling jedoch nicht ausreden, sondern sprach, indem er ihn mit durchbohrenden Blicken mass: "Keine Uebereilung, Herr Baron! Durchaus duerfen Sie hier nicht regieren wollen vor Eroeffnung des Testaments; jetzt bin ich, ich allein hier Herr und werde Gewalt mit Gewalt zu vertreiben wissen. Erinnern Sie sich, dass ich kraft meiner Vollmacht als Vollzieher des vaeterlichen Testaments, kraft der getroffenen Verfuegungen des Gerichts berechtigt bin, Ihnen den Aufenthalt hier in R..sitten zu versagen, und ich rate Ihnen, um das Unangenehme zu verhueten, sich ruhig nach K. zu begeben." Der Ernst des Gerichtshalters, der entschiedene Ton, mit dem er sprach, gab seinen Worten gehoerigen Nachdruck, und so kam es, dass der junge Baron, der mit gar zu spitzigen Hoernern anlaufen wollte wider den festen Bau, die Schwaeche seiner Waffen fuehlte und fuer gut fand, im Rueckzuge seine Beschaemung mit einem hoehnischen Gelaechter auszugleichen. Drei Monate waren verflossen und der Tag gekommen, an dem nach dem Willen des Verstorbenen das Testament in K., wo es niedergelegt worden, eroeffnet werden sollte. Ausser den Gerichtspersonen, dem Baron und V. befand sich noch ein junger Mensch von edlem Ansehn in dem Gerichtssaal, den V. mitgebracht, und den man, da ihm ein eingeknoepftes Aktenstueck aus dem Busen hervorragte, fuer V.s Schreiber hielt. Der Baron sah ihn, wie er es beinahe mit allen uebrigen machte, ueber die Achsel an und verlangte stuermisch, dass man die langweilige ueberfluessige Zeremonie nur schnell und ohne viele Worte und Schreiberei abmachen solle. Er begreife nicht, wie es ueberhaupt in dieser Erbangelegenheit, wenigstens hinsichts des Majorats, auf ein Testament ankommen koenne, und werde, insofern hier irgend etwas verfuegt sein solle, es lediglich von seinem Willen abhaengen, das zu beachten oder nicht. Hand und Siegel des verstorbenen Vaters erkannte der Baron an, nachdem er einen fluechtigen muerrischen Blick darauf geworfen, dann, indem der Gerichtsschreiber sich zum lauten Ablesen des Testaments anschickte, schaute er gleichgueltig nach dem Fenster hin, den rechten Arm nachlaessig ueber die Stuhllehne geworfen, den linken Arm gelehnt auf den Gerichtstisch, und auf dessen gruener Decke mit den Fingern trommelnd. Nach einem kurzen Eingange erklaerte der verstorbene Freiherr Hubert v. R., dass er das Majorat niemals als wirklicher Majoratsherr besessen, sondern dasselbe nur namens des einzigen Sohnes des verstorbenen Freiherrn Wolfgang von R., nach seinem Grossvater Roderich geheissen, verwaltet habe; dieser sei derjenige, dem nach der Familiensukzession durch seines Vaters Tod das Majorat zugefallen. Die genauesten Rechnungen ueber Einnahme und Ausgabe, ueber den vorzufindenden Bestand u.s.w. wuerde man in seinem Nachlass finden. Wolfgang von R., so erzaehlte Hubert in dem Testament, lernte auf seinen Reisen in Genf das Fraeulein Julie von St. Val kennen und fasste eine solche heftige Neigung zu ihr, dass er sich nie mehr von ihr zu trennen beschloss. Sie war sehr arm, und ihre Familie, unerachtet von gutem Adel, gehoerte eben nicht zu den glaenzendsten. Schon deshalb durfte er auf die Einwilligung des alten Roderich, dessen ganzes Streben dahin ging, das Majoratshaus auf alle nur moegliche Weise zu erheben, nicht hoffen. Er wagte es dennoch, von Paris aus dem Vater seine Neigung zu entdecken; was aber vorauszusehen, geschah wirklich, indem der Alte bestimmt erklaerte, dass er schon selbst die Braut fuer den Majoratsherrn erkoren und von einer andern niemals die Rede sein koenne. Wolfgang, statt, wie er sollte, nach England hinueberzuschiffen, kehrte unter dem Namen Born nach Genf zurueck und vermaehlte sich mit Julien, die ihm nach Verlauf eines Jahres den Sohn gebar, der mit dem Tode Wolfgangs Majoratsherr wurde. Darueber, dass Hubert, von der ganzen Sache unterrichtet, so lange schwieg und sich selbst als Majoratsherr gerierte, waren verschiedene Ursachen angefuehrt, die sich auf fruehere Verabredungen mit Wolfgang bezogen, indessen unzureichend und aus der Luft gegriffen schienen. Wie vom Donner geruehrt, starrte der Baron den Gerichtsschreiber an, der mit eintoeniger schnarrender Stimme alles Unheil verkuendete. Als er geendet, stand V. auf, nahm den jungen Menschen, den er mitgebracht, bei der Hand und sprach, indem er sich gegen die Anwesenden verbeugte: "Hier, meine Herren, habe ich die Ehre, Ihnen den Freiherrn Roderich von R., Majoratsherrn von R..sitten, vorzustellen!" Baron Hubert blickte den Juengling, der, wie vom Himmel gefallen, ihn um das reiche Majorat, um die Haelfte des freien Vermoegens in Kurland brachte, verhaltenen Grimm im gluehenden Auge, an, drohte dann mit geballter Faust und rannte, ohne ein Wort hervorbringen zu koennen, zum Gerichtssaal hinaus. Von den Gerichtspersonen dazu aufgefordert, holte jetzt Baron Roderich die Urkunden hervor, die ihn als die Person, fuer die er sich ausgab, legitimieren sollten. Er ueberreichte den beglaubigten Auszug aus den Registern der Kirche, wo sein Vater sich trauen lassen, worin bezeugt wurde, dass an dem und dem Tage der Kaufmann Wolfgang Born, gebuertig aus K., mit dem Fraeulein Julie von St. Val in Gegenwart der genannten Personen durch priesterliche Einsegnung getraut worden. Ebenso hatte er seinen Taufschein (er war in Genf als von dem Kaufmann Born mit seiner Gemahlin Julie, geb. v. St. Val, in gueltiger Ehe erzeugtes Kind getauft worden), verschiedene Briefe seines Vaters an seine schon laengst verstorbene Mutter, die aber alle nur mit W. unterzeichnet waren. V. sah alle diese Papiere mit finsterm Gesichte durch und sprach, ziemlich bekuemmert, als er sie wieder zusammenschlug: "Nun, Gott wird helfen!" Schon andern Tages reichte der Freiherr Hubert von R. durch einen Advokaten, den er zu seinem Rechtsfreunde erkoren, bei der Landesregierung in K. eine Vorstellung ein, worin er auf nichts weniger antrug, als sofort die Uebergabe des Majorats R..sitten an ihn zu veranlassen. Es verstehe sich von selbst, sagte der Advokat, dass weder testamentarisch, noch auf irgendeine andere Weise, der verstorbene Freiherr Hubert von R. habe ueber das Majorat verfuegen koennen. Jenes Testament sei also nichts anders, als die aufgeschriebene und gerichtlich uebergebene Aussage, nach welcher der Freiherr Wolfgang von R. das Majorat an einen Sohn vererbt haben solle, der noch lebe, die keine hoehere Beweiskraft, als jede andere irgendeines Zeugen haben und also unmoeglich die Legitimation des angeblichen Freiherrn Roderich von R. bewirken koenne. Vielmehr sei es die Sache dieses Praetendenten, sein vorgebliches Erbrecht, dem hiermit ausdruecklich widersprochen werde, im Wege des Prozesses darzutun und das Majorat, welches jetzt nach dem Recht der Sukzession dem Baron Hubert von R. zugefallen, zu vindizieren. Durch den Tod des Vaters sei der Besitz unmittelbar auf den Sohn uebergegangen; es habe keiner Erklaerung ueber den Erbschaftsantritt bedurft, da der Majoratsfolge nicht entsagt werden koenne, mithin duerfte der jetzige Majoratsherr in dem Besitze nicht durch ganz illiquide Ansprueche turbiert werden. Was der Verstorbene fuer Grund gehabt habe, einen andern Majoratsherrn aufzustellen, sei ganz gleichgueltig, nur werde bemerkt, dass er selbst, wie aus den nachgelassenen Papieren erforderlichen Falls nachgewiesen werden koenne, eine Liebschaft in der Schweiz gehabt habe, und so sei vielleicht der angebliche Bruderssohn der eigne, in einer verbotenen Liebe erzeugte, dem er in einem Anfall von Reue das reiche Majorat zuwenden wollen. So sehr auch die Wahrscheinlichkeit fuer die im Testament behaupteten Umstaende sprach, so sehr auch die Richter hauptsaechlich die letzte Wendung, in der der Sohn sich nicht scheute, den Verstorbenen eines Verbrechens anzuklagen, empoerte, so blieb doch die Ansicht der Sache, wie sie aufgestellt worden, die richtige, und nur den rastlosen Bemuehungen V.s, der bestimmten Versicherung, dass der die Legitimation des Freiherrn Roderich von R. bewirkende Beweis in kurzer Zeit auf das buendigste gefuehrt werden solle, konnte es gelingen, dass die Uebergabe des Majorats noch ausgesetzt und die Fortdauer der Administration bis nach entschiedener Sache verfuegt wurde. V.sah nur zu gut ein, wie schwer es ihm werden wuerde, sein Versprechen zu halten. Er hatte alle Briefschaften des alten Roderich durchstoebert, ohne die Spur eines Briefes oder sonst eines Aufsatzes zu finden, der Bezug auf jenes Verhaeltnis Wolfgangs mit dem Fraeulein von St. Val gehabt haette. Gedankenvoll sass er in R..sitten in dem Schlafkabinett des alten Roderich, das er ganz durchsucht, und arbeitete an einem Aufsatze fuer den Notar in Genf, der ihm als ein scharfsinniger taetiger Mann empfohlen worden, und der ihm einige Notizen schaffen sollte, die die Sache des jungen Freiherrn ins klare bringen konnten. Es war Mitternacht worden, der Vollmond schien heil hinein in den anstossenden Saal, dessen Tuer offen stand. Da war es, als schritte jemand langsam und schwer die Treppe herauf und klirre und klappere mit Schluesseln. V. wurde aufmerksam, er stand auf, ging in den Saal und vernahm nun deutlich, dass jemand sich durch den Flur der Tuere des Saals nahte. Bald darauf wurde diese geoeffnet, und ein Mensch mit leichenblassem entstellten Antlitz, in Nachtkleidern, in der einen Hand den Armleuchter mit brennenden Kerzen, in der andern den grossen Schluesselbund, trat langsam hinein. V. erkannte augenblicklich den Hausverwalter und war im Begriff, ihm zuzurufen, was er so spaet in der Nacht wolle, als ihn in dem ganzen Wesen des Alten, in dem zum Tode erstarrten Antlitz etwas Unheimliches, Gespenstisches mit Eiskaelte anhauchte. Er erkannte, dass er einen Nachtwandler vor sich habe. Der Alte ging mit gemessenen Schritten quer durch den Saal, gerade los auf die vermauerte Tuer, die ehemals zum Turm fuehrte. Dicht vor derselben blieb er stehen und stiess aus tiefer Brust einen heulenden Laut aus, der so entsetzlich in dem ganzen Saale widerhallte, dass V. erbebte vor Grauen. Dann, den Armleuchter auf den Fussboden gestellt, den Schluesselbund an den Guertel gehaengt, fing Daniel an, mit beiden Haenden an der Mauer zu kratzen, dass bald das Blut unter den Naegeln hervorquoll, und dabei stoehnte er und aechzte, wie gepeinigt von einer namenlosen Todesqual. Nun legte er das Ohr an die Mauer, als wolle er irgend etwas erlauschen, dann winkte er mit der Hand, wie jemanden beschwichtigend, bueckte sich, den Armleuchter wieder vom Boden aufhebend, und schlich mit leisen gemessenen Schritten nach der Tuere zurueck. V. folgte ihm behutsam mit dem Leuchter in der Hand. Es ging die Treppe herab, der Alte schloss die grosse Haupttuer des Schlosses auf, V. schluepfte geschickt hindurch; nun begab er sich nach dem Stall, und nachdem er zu V.s tiefem Erstaunen den Armleuchter so geschickt hingestellt hatte, dass das ganze Gebaeude genugsam erhellt wurde ohne irgendeine Gefahr, holte er Sattel und Zeug herbei und ruestete mit grosser Sorglichkeit, den Gurt fest-, die Steigbuegel hinaufschnallend, ein Pferd aus, das er losgebunden von der Krippe. Nachdem er noch ein Bueschel Haare ueber den Stirnriemen weg durch die Hand gezogen, nahm er, mit der Zunge schnalzend und mit der einen Hand ihm den Hals klopfend, das Pferd beim Zuegel und fuehrte es heraus. Draussen im Hofe blieb er einige Sekunden stehen in der Stellung, als erhalte er Befehle, die er kopfnickend auszufuehren versprach. Dann fuehrte er das Pferd zurueck in den Stall, sattelte es wieder ab und band es an die Krippe. Nun nahm er den Armleuchter, verschloss den Stall, kehrte in das Schloss zurueck und verschwand endlich in sein Zimmer, das er sorgfaeltig verriegelte. V. fuehlte sich von diesem Auftritt im Innerstein ergriffen, die Ahnung einer entsetzlichen Tat erhob sich vor ihm wie ein schwarzes hoellisches Gespenst, das ihn nicht mehr verliess. Ganz erfuellt von der bedrohlichen Lage seines Schuetzlings, glaubte er wenigstens das, was er gesehen, nuetzen zu muessen zu seinem Besten. Andern Tages, es wollte schon die Daemmerung einbrechen, kam Daniel in sein Zimmer, um irgendeine sich auf den Hausstand beziehende Anweisung einzuholen. Da fasste ihn V. bei beiden Armen und fing an, indem er ihn zutraulich auf den Sessel niederdrueckte: "Hoere, alter Freund Daniel! lange habe ich dich fragen wollen, was haeltst du denn von dem verworrenen Kram, den uns Huberts sonderbares Testament ueber den Hals gebracht hat? Glaubst du denn wohl, dass der junge Mensch wirklich Wolfgangs in rechtsgueltiger Ehe erzeugter Sohn ist?" Der Alte, sich ueber die Lehne des Stuhls wegbeugend und V.s starr auf ihn gerichteten Blicken ausweichend, rief muerrisch: "Pah! er kann es sein; er kann es auch nicht sein. Was schiert's mich, mag nun hier Herr werden, wer da will." "Aber ich meine", fuhr V. fort, indem er dem Alten naeher rueckte und die Hand auf seine Schulter legte, "aber ich meine, da du des alten Freiherrn ganzes Vertrauen hattest, so verschwieg er dir gewiss nicht die Verhaeltnisse seiner Soehne. Er erzaehlte dir von dem Buendnis, das Wolfgang wider seinen Willen geschlossen?" - "Ich kann mich auf dergleichen gar nicht besinnen", erwiderte der Alte, indem er auf eingezogene Art laut gaehnte. "Du bist schlaefrig, Alter", sprach V., "hast du vielleicht eine unruhige Nacht gehabt?" - "Dass ich nicht wuesste", entgegnete der Alte frostig, "aber ich will nun gehen und das Abendessen bestellen." Hiermit erhob er sich schwerfaellig vom Stuhl, indem er sich den gekruemmten Ruecken rieb und abermals und zwar noch lauter gaehnte als zuvor. "Bleibe doch noch, Alter", rief V., indem er ihn bei der Hand ergriff und zum Sitzen noetigen wollte, der Alte blieb aber vor dem Arbeitstisch stehen, auf den er sich mit beiden Haenden stemmte, den Leib uebergebogen nach V. hin, und muerrisch fragend: "Nun was soll's denn, was schiert mich das Testament, was schiert mich der Streit um das Majorat" "Davon", fiel ihm V. in die Rede, "wollen wir auch gar nicht mehr sprechen: von ganz etwas anderm, lieber Daniel! - Du bist muerrisch, du gaehnst, das alles zeugt von besonderer Abspannung, und nun moecht' ich beinahe glauben, dass du es wirklich gewesen bist in dieser Nacht." "Was bin ich gewesen in dieser Nacht", frug der Alte, in seiner Stellung verharrend. "Als ich" sprach V. weiter, "gestern mitternacht dort oben in dem Kabinett des alten Herrn neben dem grossen Saal sass, kamst du zur Tuere herein, ganz starr und bleich, schrittest auf die zugemauerte Tuer los, kratztest mit beiden Haenden an der Mauer und stoehntest, als wenn du grosse Qualen empfaendest. Bist du denn ein Nachtwandler, Daniel?" Der Alte sank zurueck in den Stuhl, den ihm V. schnell unterschob. Er gab keinen Laut von sich, die tiefe Daemmerung liess sein Gesicht nicht erkennen, V. bemerkte nur, dass er kurz Atem holte und mit den Zaehnen klapperte. "Ja", fuhr V. nach kurzem Schweigen fort, "Ja, es ist ein eignes Ding mit den Nachtwandlern. Andern Tages wissen sie von diesem sonderbaren Zustande, von allem, was sie wie in vollem Wachen begonnen haben, nicht das allermindeste." - Daniel blieb still. "Aehnliches", sprach V. weiter, "wie gestern mit dir, habe ich schon erlebt. Ich hatte einen Freund, der stellte so wie du, trat der Vollmond ein, regelmaessig naechtliche Wanderungen an. Ja, manchmal setzte er sich hin und schrieb Briefe. Am merkwuerdigsten war es aber, dass, fing ich an, ihm ganz leise ins Ohr zu fluestern, es mir bald gelang ihn zum Sprechen zu bringen. Er antwortete gehoerig auf alle Fragen, und selbst das, was er im Wachen sorglich verschwiegen haben wuerde, floss nun unwillkuerlich, als koenne er der Kraft nicht widerstehen, die auf ihn einwirkte, von seinen Lippen. - Der Teufel! ich glaube, verschwiege ein Mondsuechtiger irgendeine begangene Untat noch so lange, man koennte sie ihm abfragen in dem seltsamen Zustande. - Wohl dem, der ein reines Gewissen hat, wie wir beide, guter Daniel, wir koennen schon immer Nachtwandler sein, uns wird man kein Verbrechen abfragen. Aber hoere, Daniel, gewiss willst du herauf in den astronomischen Turm, wenn du so abscheulich an der zugemauerten Tuere kratzest? - Du willst gewiss laborieren wie der alte Roderich? Nun, das werd' ich dir naechstens abfragen!" Der Alte hatte, waehrend V. dieses sprach, immer staerker und staerker gezittert, jetzt flog sein ganzer Koerper, von heillosem Krampf hin- und hergeworfen, und er brach aus in ein gellendes, unverstaendiges Geplapper. V. schellte die Diener herauf. Man brachte Lichter, der Alte liess nicht nach, wie ein willkuerlos bewegtes Automat hob man ihn auf und brachte ihn ins Bette. Nachdem beinahe eine Stunde dieser heillose Zustand gedauert, verfiel er in tiefer Ohnmacht aehnlichen Schlaf. Als er erwachte, verlangte er Wein zu trinken, und als man ihm diesen gereicht, trieb er den Diener, der bei ihm wachen wollte, fort und verschloss sich, wie gewoehnlich, in sein Zimmer. V. hatte wirklich beschlossen, den Versuch anzustellen, in dem Augenblick, als er davon gegen Daniel sprach, wiewohl er sich selbst gestehen musste, einmal, dass Daniel, vielleicht erst jetzt von seiner Mondsucht unterrichtet, alles anwenden werde, ihm zu entgehen, dann aber, dass Gestaendnisse, in diesem Zustande abgelegt, eben nicht geeignet sein wuerden, darauf weiter fortzubauen. Demunerachtet begab er sich gegen Mitternacht in den Saal, hoffend, dass Daniel, wie es in dieser Krankheit geschieht, gezwungen werden wuerde, willkuerlos zu handeln. Um Mitternacht erhob sich ein grosser Laerm auf dem Hofe. V. hoerte deutlich ein Fenster einschlagen, er eilte berab, und als er die Gaenge durchschritt, wallte ihm ein stinkender Dampf entgegen, der, wie er bald gewahrte, aus dem geoeffneten Zimmer des Hausverwalters herausquoll. Diesen brachte man eben todstarr herausgetragen, um ihn in einem andern Zimmer ins Bette zu legen. Um Mitternacht wurde ein Knecht, so erzaehlten die Diener, durch ein seltsames dumpfes Pochen geweckt, er glaubte, dem Alten sei etwas zugestossen, und schickte sich an aufzustehen, um ihm zu Huelfe zu kommen, als der Waechter auf dem Hofe laut rief: "Feuer, Feuer! in der Stube des Herrn Verwalters brennt's lichterloh!" Auf dies Geschrei waren gleich mehrere Diener bei der Hand, aber alles Muehen, die Tuer des Zimmers einzubrechen, blieb umsonst. Nun eilten sie heraus auf den Hof, aber der entschlossene Waechter hatte schon das Fenster des niedrigen, im Erdgeschosse befindlichen Zimmers eingeschlagen die brennenden Gardinen herabgerissen, worauf ein paar hineingegossene Eimer Wasser den Brand augenblicklich loeschten. Den Hausverwalter fand man mitten im Zimmer auf der Erde liegend in tiefer Ohnmacht. Er hielt noch fest den Armleuchter in der Hand, dessen brennende Kerzen die Gardinen erfasst und so das Feuer veranlasst hatten. Brennende herabfallende Lappen hatten dem Alten die Augenbrauen und ein gut Teil Kopfhaare weggesengt. Bemerkte der Waechter nicht das Feuer, so haette der Alte huelflos verbrennen muessen. Zu nicht geringer Verwunderung fanden die Diener, dass die Tuer des Zimmers von innen durch zwei ganz neu angeschrobene Riegel, die noch den Abend vorher nicht dagewesen, verwahrt war. V. sah ein, dass der Alte sich hatte das Hinausschreiten aus dem Zimmer unmoeglich machen wollen, widerstehen konnt er dem blinden Triebe nicht. Der Alte verfiel in eine ernste Krankheit; er sprach nicht, er nahm nur wenig Nahrung zu sich und starrte, wie festgeklammert von einem entsetzlichen Gedanken, mit Blicken, in denen sich der Tod malte, vor sich hin. V. glaubte, dass der Alte von dem Lager nicht erstehen werde. Alles, was sich fuer seinen Schuetzling tun liess, hatte V. getan, er musste ruhig den Erfolg abwarten und wollte deshalb nach K. zurueck. Die Abreise war fuer den folgenden Morgen bestimmt. V. packte spaet abends seine Skripturen zusammen, da fiel ihm ein kleines Paket in die Haende, welches ihm der Freiherr Hubert von R. versiegelt und mit der Aufschrift: "Nach Eroeffnung meines Testaments zu lesen" zugestellt und das er unbegreiflicherweise noch nicht beobachtet hatte. Er war im Begriff dieses Paket zu entsiegeln, als die Tuer aufging und mit leisen gespenstischen Schritten Daniel hereintrat. Er legte eine schwarze Mappe, die er unter dem Arm trug, auf den Schreibtisch, dann mit einem tiefen Todesseufzer auf beide Knie sinkend, V.s Haende mit den seinen krampfhaft fassend, sprach er hohl und dumpf, wie aus tiefem Grabe: "Auf dem Schafott stuerb' ich nicht gern! der dort oben richtet!" - dann richtete er sich unter angstvollem Keuchen muehsam auf und verliess das Zimmer, wie er gekommen. V. brachte die ganze Nacht hin, alles das zu lesen, was die schwarze Mappe und Huberts Paket enthielt. Beides hing genau zusammen und bestimmte von selbst die weitern Massregeln, die nun zu ergreifen. Sowie V. in K. angekommen, begab er sich zum Freiherrn Hubert von R., der ihn mit rauhem Stolz empfing. Die merkwuerdige Folge einer Unterredung, welche mittags anfing und bis spaet in die Nacht hinein ununterbrochen fortdauerte, war aber, dass der Freiherr andern Tages vor Gericht erklaerte, dass er den Praetendenten des Majorats dem Testamente seines Vaters gemaess fuer den in rechtsgueltiger Ehe von dem aeltesten Sohn des Freiherrn Roderich von R., Wolfgang von R., mit dem Fraeulein Julie von St. Val erzeugten Sohn, mithin fuer den rechtgueltig legitimierten Majoratserben anerkenne. Als er von dem Gerichtssaal herabstieg, stand sein Wagen mit Postpferden vor der Tuere, er reiste schnell ab und liess Mutter und Schwester zurueck. Sie wuerden ihn vielleicht nie wiedersehen, hatte er ihnen mit andern raetselhaften Aeusserungen geschrieben. Roderichs Erstaunen ueber diese Wendung, die die Sache nahm, war nicht gering, er drang in V. ihm doch nur zu erklaeren, wie dies Wunder habe bewirkt werden koennen, welche geheimnisvolle Macht im Spiele sei. V. vertroestete ihn indessen auf kuenftige Zeiten, und zwar, wenn er Besitz genommen haben wuerde von dem Majorat. Die Uebergabe des Majorats konnte naemlich deshalb nicht geschehen, weil nun die Gerichte, nicht befriedigt durch jene Erklaerung Huberts, ausserdem die vollstaendige Legitimation Roderichs verlangten. V. bot dem Freiherrn die Wohnung in R..sitten an und setzte hinzu, dass Huberts Mutter und Schwester, durch seine schnelle Abreise in augenblickliche Verlegenheit gesetzt, den stillen Aufenthalt auf dem Stammgute der geraeuschvollen teuren Stadt vorziehen wuerden. Das Entzuecken, womit Roderich den Gedanken ergriff, mit der Baronin und ihrer Tochter wenigstens eine Zeitlang unter einem Dache zu wohnen, bewies, welchen tiefen Eindruck Seraphine, das holde, anmutige Kind, auf ihn gemacht hatte. In der Tat wusste der Freiherr seinen Aufenthalt in R..sitten so gut zu benutzen, dass er, wenige Wocben waren vergangen, Seraphinens innige Liebe und der Mutter beifaellig Wort zur Verbindung mit ihr gewonnen hatte. Dem V. war das alles zu schnell, da bis jetzt Roderichs Legitimation als Majoratsherr von R..sitten noch immer zweifelhaft geblieben. Briefe aus Kurland unterbrachen das Idyllenleben auf dem Schlosse. Hubert hatte sich gar nicht auf den Guetern sehen lassen, sondern war unmittelbar nach Petersburg gegangen, dort in Militaerdienste getreten und stand jetzt auf dem Felde gegen die Perser, mit denen Russland gerade im Kriege begriffen. Dies machte die schnelle Abreise der Baronin mit ihrer Tochter nach den Guetern, wo Unordnung und Verwirrung herrschte, noetig. Roderich, der sich schon als den aufgenommenen Sohn betrachtete, unterliess nicht die Geliebte zu begleiten, und so wurde, da V. ebenfalls nach K. zurueckkehrte, das Schloss einsam, wie vorher. Des Hausverwalters boese Krankheit wurde schlimmer und schlimmer, so dass er nicht mehr daraus zu erstehen glaubte, sein Amt wurde einem alten Jaeger, Wolfgangs treuem Diener, Franz geheissen, uebertragen. Endlich nach langem Harren erhielt V. die guenstigsten Nachrichten aus der Schweiz. Der Pfarrer, der Wolfgangs Trauung vollzogen, war laengst gestorben, indessen fand sich in dem Kirchenbuche von seiner Hand notiert, dass derjenige, den er unter dem Namen Born mit dem Fraeulein Julie St. Val ehelich verbunden, sich bei ihm als Freiherr Wolfgang von R., aeltesten Sohn des Freiherrn Roderich von R. auf R..sitten, vollstaendig legitimiert habe. Ausserdem wurden noch zwei Trauzeugen, ein Kaufmann in Genf und ein alter franzoesischer Kapitaen, der nach Lyon gezogen, ausgemittelt, denen Wolfgang ebenfalls sich entdeckt hatte, und ihre eidlichen Aussagen bekraeftigten den Vermerk des Pfarrers im Kirchenbuche. Mit den in rechtlicher Form ausgefertigten Verhandlungen in der Hand, fuhrte nun V. den vollstaendigen Nachweis der Rechte seines Machtgebers, und nichts stand der Uebergabe des Majorats im Wege, die im kuenftigen Herbst erfolgen sollte. Hubert war gleich in der ersten Schlacht, der er beiwohnte, geblieben, ihn hatte das Schicksal seines juengern Bruders, der ein Jahr vor seines Vaters Tode ebenfalls im Felde blieb, getroffen; so fielen die Gueter in Kurland der Baronesse Seraphine von R. zu und wurden eine schoene Mitgift fuer den uebergluecklichen Roderich. Der November war angebrochen, als die Baronin, Roderich mit seiner Braut in R..sitten anlangte. Die Uebergabe des Majorats erfolgte und dann Roderichs Verbindung mit Seraphinen. Manche Woche verging im Taumel der Lust, bis endlich die uebersaettigten Gaeste nach und nach das Schloss verliessen zur grossen Zufriedenheit V.s, der von R..sitten nicht scheiden wollte, ohne den jungen Majoratsherrn auf das genaueste einzuweihen in alle Verhaeltnisse des neuen Besitztums. Mit der strengsten Genauigkeit hatte Roderichs Oheim die Rechnungen ueber Einnahme und Ausgabe gefuehrt, so dass, da Roderich nur eine geringe Summe jaehrlich zu seinem Unterhalt bekam, durch die Ueberschuesse der Einnahme jenes bares Kapital, das man in des alten Freiherrn Nachlass vorfand, einen bedeutenden Zuschuss erhielt. Nur in den ersten drei Jahren hatte Hubert die Einkuenfte des Majorats in seinen Nutzen verwandt, darueber aber ein Schuldinstrument ausgestellt und es auf den ihm zustehenden Anteil der Gueter in Kurland versichern lassen. V. hatte seit der Zeit, als ihm Daniel als Nachtwandler erschien, das Schlafgemach des alten Roderich zu seinem Wohnzimmer gewaehlt, um desto sicherer das erlauschen zu koennen, was ihm Daniel nachher freiwillig offenbarte. So kam es, dass dies Gemach und der anstossende grosse Saal der Ort blieb, wo der Freiherr mit V. im Geschaeft zusammenkam. Da sassen nun beide beim hellodernden Kaminfeuer an dem grossen Tische, V. mit der Feder in der Hand, die Summen notierend und den Reichtum des Majoratsherrn berechnend, dieser mit aufgestemmtem Arm hineinblinzelnd in die aufgeschlagenen Rechnungsbuecher, in die gewichtigen Dokumente. Keiner vernahm das dumpfe Brausen der See, das Angstgeschrei der Moewen, die, das Unwetter verkuendend, im Hin- und Herflattern an die Fensterscheiben schlugen, keiner achtete des Sturms, der, um Mitternacht heraufgekommen, in wildem Tosen das Schloss durchsauste, so dass alle Unkenstimmen in den Kaminen, in den engen Gaengen erwachten und widerlich durcheinander pfiffen und heulten. Als endlich nach einem Windstoss, vor dem der ganze Bau erdroehnte, ploetzlich der ganze Saal im duestern Feuer des Vollmonds stand, rief V.: "Ein boeses Wetter!" Der Freiherr, ganz vertieft in die Aussicht des Reichtums, der ihm zugefallen, erwiderte gleichgueltig, indem er mit zufriedenem Laecheln ein Blatt des Einnahmebuchs umschlug: "In der Tat, sehr stuermisch." Aber wie fuhr er, von der eisigen Faust des Schreckens beruehrt, in die Hoehe, als die Tuer des Saals aufsprang und eine bleiche, gespenstische Gestalt sichtbar wurde, die, den Tod im Antlitz, hineinschritt. Daniel, den V. so wie jedermann in tiefer Krankheit ohnmaechtig daliegend, nicht fuer faehig hielt ein Glied zu ruehren, war es, der, abermals von der Mondsucht befallen, seine naechtliche Wanderung begonnen. Lautlos starrte der Freiherr den Alten an, als dieser nun aber unter angstvollen Seufzern der Todesqual an der Wand kratzte, da fasste den Freiherrn tiefes Entsetzen. Bleich im Gesicht wie der Tod, mit emporgestraeubtem Haar sprang er auf, schritt in bedrohlicher Stellung zu auf den Alten und rief mit starker Stimme, dass der Saal droehnte: "Daniel! Daniel! was machst du hier zu dieser Stunde!" Da stiess der Alte jenes grauenvolle heulende Gewimmer aus, gleich dem Todeslaut des getroffenen Tiers, wie damals, als ihm Wolfgang Gold fuer seine Treue bot, und sank zusammen. V. rief die Bedienten herbei, man hob den Alten auf, alle Versuche, ihn zu beleben, blieben vergebens. Da schrie der Freiherr wie ausser sich: "Herr Gott! - Herr Gott! habe ich denn nicht gehoert, dass Nachtwandler auf der Stelle des Todes sein koennen, wenn man sie beim Namen ruft? Ich! - Ich Unglueckseligster - ich habe den armen Greis erschlagen! - Zeit meines Lebens habe ich keine ruhige Stunde mehr!" V., als die Bedienten den Leichnam fortgetragen und der Saal leer geworden, nahm den immerfort sich anklagenden Freiherrn bei der Hand, fuehrte ihn in tiefem Schweigen vor die zugemaurte Tuer und sprach: "Der hier tot zu Ihren Fuessen niedersank, Freiherr Roderich, war der verruchte Moerder Ihres Vaters!" Als saeh' er Geister der Hoelle, starrte der Freiherr den V. an. Dieser fuhr fort: "Es ist nun wohl an der Zeit, Ihnen das graessliche Geheimnis zu enthuellen, das auf diesem Unhold lastete und ihn, den Fluchbeladenen, in den Stunden des Schlafs umhertrieb. Die ewige Macht liess den Sohn Rache nehmen an dem Moerder des Vaters. Die Worte, die Sie dem entsetzlichen Nachtwandler in die Ohren donnerten, waren die letzten, die Ihr ungluecklicher Vater sprach!" Bebend, unfaehig, ein Wort zu sprechen, hatte der Freiherr neben V., der sich vor den Kamin setzte, Platz genommen. V. fing mit dem Inhalt des Aufsatzes an, den Hubert fuer V. zurueckgelassen und den er erst nach Eroeffnung des Testaments entsiegeln sollte. Hubert klagte sich mit Ausdruecken, die von der tiefsten Reue zeigten, des unversoehnlichen Hasses an, der in ihm gegen den aeltern Bruder Wurzel fasste von dem Augenblick, als der alte Roderich das Majorat gestiftet hatte. Jede Waffe war ihm entrissen, denn waer' es ihm auch gelungen auf haemische Weise, den Sohn mit dem Vater zu entzweien, so blieb dies ohne Wirkung, da Roderich selbst nicht ermaechtigt war, dem aeltesten Sohn die Rechte der Erstgeburt zu entreissen, und es, wandte sich auch sein Herz und Sinn ganz ab von ihm, doch nach seinen Grundsaetzen nimmermehr getan haette. Erst als Wolfgang in Genf das Liebesverhaeltnis mit Julien von St. Val begonnen, glaubte Hubert den Bruder verderben zu koennen. Da fing die Zeit an, in der er im Einverstaendnisse mit Daniel auf buebische Weise den Alten zu Entschluessen noetigen wollte, die den Sohn zur Verzweiflung bringen mussten. Er wusste, dass nur die Verbindung mit einer der aeltesten Familien des Vaterlandes nach dem Sinn des alten Roderich den Glanz des Majorats auf ewige Zeiten begruenden konnte. Der Alte hatte diese Verbindung in den Gestirnen gelesen, und jedes freveliche Zerstoeren der Konstellation konnte nur Verderben bringen ueber die Stiftung. Wolfgangs Verbindung mit Julien erschien in dieser Art dem Alten ein verbrecherisches Attentat, wider Beschluesse der Macht gerichtet, die ihm beigestanden im irdischen Beginnen, und jeder Anschlag, Julien, die wie ein daemonisches Prinzip sich ihm entgegengeworfen, zu verderben, gerechtfertigt. Hubert kannte des Bruders an Wahnsinn streifende Liebe zu Julien, ihr Verlust muesste ihn elend machen, vielleicht toeten, und um so lieber wurde er taetiger Helfershelfer bei den Plaenen des Alten, als er selbst straefliche Neigung zu Julien gefasst und sie fuer sich zu gewinnen hoffte. Eine besondere Schickung des Himmels wollt' es, dass die giftigsten Anschlaege an Wolfgangs Entschlossenheit scheiterten, ja dass es ihm gelang, den Bruder zu taeuschen. Fuer Hubert blieb Wolfgangs wirklich vollzogene Ehe sowie die Geburt eines Sohnes ein Geheimnis. Mit der Vorahnung des nahen Todes kam dem alten Roderich zugleich der Gedanke, dass Wolfgang jene ihm feindliche Julie geheiratet habe, in dem Briefe, der dem Sohn befahl, am bestimmten Tage nach R..sitten zu kommen, um das Majorat anzutreten, fluchte er ihm, wenn er nicht jene Verbindung zerreissen werde. Diesen Brief verbrannte Wolfgang bei der Leiche des Vaters. An Hubert schrieb der Alte, dass Wolfgang Julien geheiratet habe, er werde aber diese Verbindung zerreissen. Hubert hielt dies fuer die Einbildung des traeumerischen Vaters, erschrak aber nicht wenig, als Wolfgang in R..sitten selbst mit vieler Freimuetigkeit die Ahnung des Alten nicht allein bestaetigte, sondern auch hinzufuegte, dass Julie ihm einen Sohn geboren, und dass er nun in kurzer Zeit Julien, die ihn bis jetzt fuer den Kaufmann Born aus M. gehalten, mit der Nachricht seines Standes und seines reichen Besitztums hoch erfreuen werde. Selbst wolle er hin nach Genf, um das geliebte Weib zu holen. Noch ehe er diesen Entschluss ausfuehren konnte, ereilte ihn der Tod. Hubert verschwieg sorglich, was ihm von dem Dasein eines in der Ehe mit Julien erzeugten Sohnes bekannt, und riss so das Majorat an sich, das diesem gebuehrte. Doch nur wenige Jahre waren vergangen, als ihn tiefe Reue ergriff. Das Schicksal mahnte ihn an seine Schuld auf fuerchterliche Weise durch den Hass, der zwischen seinen beiden Soehnen mehr und mehr emporkeimte. "Du bist ein armer duerftiger Schlucker", sagte der aelteste, ein zwoelfjaehriger Knabe, zu dem juengsten, "aber ich werde, wenn der Vater stirbt, Majoratsherr von R..sitten, und da musst du demuetig sein und mir die Hand kuessen, wenn ich dir Geld geben soll zum neuen Rock." - Der juengste, in volle Wut geraten ueber des Bruders hoehnenden Stolz, warf das Messer, das er gerade in der Hand hatte, nach ihm hin und traf ihn beinahe zum Tode. Hubert, grosses Unglueck fuerchtend, schickte den juengsten fort nach Petersburg, wo er spaeter als Offizier unter Suwarow wider die Franzosen focht und blieb. Vor der Welt das Geheimnis seines unredlichen betruegerischen Besitzes kundzutun, davon hielt ihn die Scham, die Schande, die ueber ihn gekommen, zurueck, aber entziehen wollte er dem rechtmaessigen Besitzer keinen Groschen mehr. Er zog Erkundigungen ein in Genf und erfuhr, dass die Frau Born, trostlos ueber das unbegreifliche Verschwinden ihres Mannes gestorben, dass aber der junge Roderich Born von einem wackern Mann, der ihn aufgenommen, erzogen werde. Da kuendigte sich Hubert unter fremdem Namen als Verwandter des auf der See umgekommenen Kaufmann Born an und schickte Summen ein, die hinreichten, den jungen Majoratsherrn sorglich und anstaendig zu erziehn. Wie er die Ueberschuesse der Einkuenfte des Majorats sorgfaeltig sammelte; wie er dann testamentarisch verfuegte, ist bekannt. Ueber den Tod seines Bruders sprach Hubert in sonderbaren raetselhaften Ausdruecken, die so viel erraten liessen, dass es damit eine geheimnisvolle Bewandtnis haben musste, und dass Hubert wenigstens mittelbar teilnahm an einer graesslichen Tat. Der Inhalt der schwarzen Mappe klaerte alles auf. Der verraeterischen Korrespondenz Huberts mit Daniel lag ein Blatt bei, das Daniel beschrieben und unterschrieben hatte. V. las ein Gestaendnis, vor dem sein Innerstes erbebte. Auf Daniels Veranlassung war Hubert nach R..sitten gekommen, Daniel war es, der ihm von den gefundenen einhundertfuenfzigtausend Reichstalern geschrieben. Man weiss, wie Hubert von dem Bruder aufgenommen wurde, wie er, getaeuscht in allen seinen Wuenschen und Hoffnungen, fort wollte, wie ihn V. zurueckhielt. In Daniels Innerm kochte blutige Rache, die er zu nehmen hatte an dem jungen Menschen, der ihn ausstossen wollen wie einen raeudigen Hund. Der schuerte und schuerte an dem Brande, von dem der verzweifelnde Hubert verzehrt wurde. Im Foehrenwalde auf der Wolfsjagd, im Sturm und Schneegestoeber wurden sie einig ueber Wolfgangs Verderben. "Wegschaffen" murmelte Hubert, indem er seitwaerts wegblickte und die Buechse anlegte. "Ja, wegschaffen," grinste Daniel, "aber nicht so, nicht so." Nun vermass er sich hoch und teuer, er werde den Freiherrn ermorden, und kein Hahn solle darnach kraehen. Hubert, als er endlich Geld erhalten, tat der Anschlag leid, er wollte fort, um jeder weitern Versuchung zu widerstehen. Daniel selbst sattelte in der Nacht das Pferd und fuehrte es aus dem Stalle, als aber der Baron sich aufschwingen wollte, sprach Daniel mit schneidender Stimme: "Ich daechte, Freiherr Hubert, du bliebst auf dem Majorat, das dir in diesem Augenblick zugefallen, denn der stolze Majoratsherr liegt zerschmettert in der Gruft des Turms!" Daniel hatte beobachtet, dass, von Golddurst geplagt, Wolfgang oft in der Nacht aufstand, vor die Tuer trat, die sonst zum Turme fuehrte, und mit sehnsuechtigen Blicken hinabschaute in die Tiefe, die nach Daniels Versicherung noch bedeutende Schaetze bergen sollte. Darauf gefasst, stand in jener verhaengnisvollen Nacht Daniel vor der Tuere des Saals. Sowie er den Freiherrn die zum Turm fuehrende Tuer oeffnen hoerte, trat er hinein und dem Freiherrn nach, der dicht an dem Abgrunde stand. Der Freiherr drehte sich um und rief, als er den verruchten Diener, dem der Mord schon aus den Augen blitzte, gewahrte, entsetzt: "Daniel, Daniel, was machst du hier zu dieser Stunde!" Aber da kreischte Daniel wild auf: "Hinab mit dir, du raeudiger Hund" und schleuderte mit einem kraeftigen Fussstoss den Ungluecklichen hinunter in die Tiefe! - Ganz erschuettert von der graesslichen Untat, fand der Freiherr keine Ruhe auf dem Schlosse, wo sein Vater ermordet. Er ging auf seine Gueter nach Kurland und kam nur jedes Jahr zur Herbstzeit nach R..sitten. Franz, der alte Franz, behauptete, dass Daniel, dessen Verbrechen er ahnde, noch oft zur Zeit des Vollmonds spuke, und beschrieb den Spuk gerade so, wie ihn V. spaeter erfuhr und bannte. Die Entdeckung dieser Umstaende, welche das Andenken des Vaters schaendeten, trieben auch den jungen Freiherrn Hubert fort in die Welt. So hatte der Grossonkel alles erzaehlt, nun nahm er meine Hand und sprach, indem ihm volle Traenen in die Augen traten, mit sehr weicher Stimme: "- Vetter - Vetter auch sie die holde Frau, hat das boese Verhaengnis, die unheimhche Macht, die dort auf dem Stammschlosse hauset, ereilt! Zwei Tage nachdem wir R..sitten verlassen, veranstaltete der Freiherr zum Beschluss eine Schlittenfahrt. Er selbst faehrt seine Gemahlin, doch, als es talabwaerts geht, reissen die Pferde, ploetzlich auf unbegreifliche Weise scheu geworden, aus in vollem wuetenden Schnauben und Toben. 'Der Alte - der alte ist hinter uns her', schreit die Baronin auf mit schneidender Stimme! In dem Augenblick wird sie durch den Stoss, der den Schatten umwirft, weit fortgeschleudert. - Man findet sie leblos - sie ist hin! Der Freiherr kann sich nimmer troesten, seine Ruhe ist die eines Sterbenden! Nimmer kommen wir wieder nach R..sitten, Vetter!" Der alte Grossonkel schwieg, ich schied von ihm mit zerrissenem Herzen, und nur die alles beschwichtigende Zeit konnte den tiefen Schmerz lindern, in dem ich vergehen zu muessen glaubte. Jahre waren vergangen. V. ruhte laengst im Grabe, ich hatte mein Vaterland verlassen. Da trieb mich der Sturm des Krieges, der verwuestend ueber ganz Deutschland hinbrauste, in den Norden hinein, fort nach Petersburg. Auf der Rueckreise, nicht mehr weit von K., fuhr ich in einer finstern Sommernacht dem Gestade der Ostsee entlang, als ich vor mir am Himmel einen grossen funkelnden Stern erblickte. Naeher gekommen, gewahrte ich wohl an der roten flackernden Flamme, dass das, was ich fuer einen Stern gehalten, ein starkes Feuer sein muesse, ohne zu begreifen, wie es so hoch in den Lueften schweben koenne. "Schwager! was ist das fuer ein Feuer dort vor uns?" frug ich den Postillon. "Ei", erwiderte dieser, "ei, das ist kein Feuer, das ist der Leuchtturm von R..sitten." R..sitten! sowie der Postillon den Namen nannte, sprang in hellem Leben das Bild jener verhaengnisvollen Herbsttage hervor, die ich dort erlebte. Ich sah den Baron - Seraphinen, aber auch die alten wunderlichen Tanten, mich selbst mit blankem Milchgesicht, schoen frisiert und gepudert, in zartes Himmelblau gekleidet ja mich, den Verliebten, der wie ein Ofen seufzt, mit Jammerlied auf seiner Liebsten Braue! In der tiefen Wehmut, die mich durchbebte, flackerten wie bunte Lichterchen V.s derbe Spaesse auf, die mir nun ergoetzlicher waren als damals. So von Schmerz und wunderbarer Lust bewegt, stieg ich am fruehen Morgen in R..sitten aus dem Wagen, der vor der Postexpedition hielt. Ich erkannte das Haus des Oekonomieinspektors, ich frug nach ihm. "Mit Verlaub", sprach der Postschreiber, indem er die Pfeife aus dem Munde nahm und an der Nachtmuetze rueckte, "mit Verlaub, hier ist kein Oekonomieinspektor, es ist ein koenigliches Amt, und der Herr Amtsrat belieben noch zu schlafen." Auf weiteres Fragen erfuhr ich, dass schon vor sechzehn Jahren der Freiherr Roderich von R., der letzte Majoratsbesitzer, ohne Deszendenten gestorben und das Majorat der Stiftungsurkunde gemaess dem Staate anheimgefallen sei. Ich ging hinauf nach dem Schlosse, es lag in Ruinen zusammengestuerzt. Man hatte einen grossen Teil der Steine zu dem Leuchtturm benutzt, so versicherte ein alter Bauer, der aus dem Foehrenwalde kam und mit dem ich mich ins Gespraech einliess. Der wusste auch von dem Spuk zu erzaehlen, wie er auf dem Schlosse gehaust haben sollte, und versicherte, dass noch jetzt sich oft, zumal beim Vollmonde, grauenvolle Klagelaute in dem Gestein hoeren liessen. Armer, alter, kurzsichtiger Roderich! Welche boese Macht beschworst du herauf, die den Stamm, den du mit fester Wurzel fuer die Ewigkeit zu pflanzen gedachtest, im ersten Aufkeimen zum Tode vergiftete. Das Geluebde Am Michaelistage, eben als bei den Karmelitern die Abendhora eingelaeutet wurde, fuhr ein mit vier Postpferden bespannter stattlicher Reisewagen, donnernd und rasselnd durch die Gassen des kleinen polnischen Grenzstaedtchens L., und hielt endlich still vor der Haustuer des alten teutschen Buergermeisters. Neugierig steckten die Kinder die Koepfe zum Fenster heraus, aber die Hausfrau stand auf von ihrem Sitze und rief, indem sie ganz unmutig ihr Naehzeug auf den Tisch warf, dem Alten, der aus dem Nebenzimmer schnell eintrat, entgegen: "Schon wieder Fremde, die unser stilles Haus fuer eine Gastwirtschaft halten, das kommt aber von dem Wahrzeichen her. Warum hast du auch die steinerne Taube ueber der Tuer aufs neue vergolden lassen?" Der Alte laechelte schlau und bedeutsam ohne etwas zu erwidern; im Augenblick hatte er den Schlafrock abgeworfen, das Ehrenkleid, das vom Kirchgange her noch wohlgebuerstet ueber der Stuhllehne hing, angezogen, und ehe die ganz erstaunte Frau den Mund zur Frage oeffnen konnte, stand er schon, sein Samtmuetzchen unterm Arm, so dass sein silberweisses Haupt in der Daemmerung hell aufschimmerte, vor dem Kutschenschlage, den indessen ein Diener geoeffnet. Eine aeltliche Frau im grauen Reisemantel stieg aus dem Wagen, ihr folgte eine hohe jugendliche Gestalt mit dicht verhuelltem Antlitz die auf des Buergermeisters Arm gestuetzt, in das Haus hinein mehr wankte als schritt, und kaum ins Zimmer getreten, wie halb entseelt in den Lehnstuhl sank, den die Hausfrau auf des Alten Wink schnell herangerueckt. Die aeltere Frau sprach leise und sehr wehmuetig zu dem Buergermeister: "Das arme Kind! - ich muss wohl noch einige Augenblicke bei ihr verweilen", damit machte sie Anstalt ihren Reisemantel herunterzuziehen, worin ihr des Buergermeisters aeltere Tochter beistand, so dass bald ihr Nonnengewand, sowie ein auf der Brust funkelndes Kreuz sichtbar wurde, welches sie als Aebtissin eines Zisterzienser Nonnenklosters darstellte. Die verhuellte Dame hatte unterdessen nur durch ein leises, kaum vernehmbares Aechzen kund getan, dass sie noch lebe und endlich die Hausfrau um ein Glas Wasser gebeten. Die brachte aber allerlei staerkende Tropfen und Essenzen herbei, und pries ihre Wunderkraft, indem sie die Dame bat, doch nur die dicken, schweren Schleier, die ihr alles freie Atmen verhindern muessten, abzulegen. Mit der Hand jede Annaeherung der Hausfrau abwehrend, mit allen Zeichen des Abscheues den Kopf zurueckbeugend, verwarf aber die Kranke den Vorschlag, und selbst, als sie endlich es sich gefallen liess, den Duft einer starken Lebensessenz einzuziehen, als sie etwas von dem verlangten Wasser, in das die besorgte Hausfrau einige Tropfen eines bewaehrten Elixiers hineingetan, genoss, tat sie alles dies unter den Schleiern, ohne sie nur im mindesten zu luepfen. "Ihr habt doch, mein lieber, alter Herr!" wandte sich die Aebtissin zum Buergermeister, "Ihr habt doch alles so bereitet, wie es gewuenscht worden?" - "Jawohl", erwiderte der Alte, "jawohl! ich hoffe, mein durchlauchtigster Fuerst soll mit mir zufrieden sein, so wie die Dame, fuer die ich alles zu tun bereit bin, was nur in meinen Kraeften steht." - "So lasst mich", fuhr die Aebtissin fort, "mit meinem armen Kinde noch einige Augenblicke allein." Die Familie musste das Zimmer verlassen. Man hoerte, wie die Aebtissin eifrig und salbungsvoll der Dame zusprach, und wie diese endlich auch zu reden begann mit einem Ton, der tief bis ins Herz drang. Ohne gerade zu horchen, blieb denn doch die Hausfrau an der Tuere des Zimmers stehen, indessen wurde italienisch gesprochen, und selbst dies machte fuer sie den ganzen Auftritt geheimnisvoller und vermehrte die Beklommenheit, welche ihr den Mund verschloss. Frau und Tochter trieb der Alte fort, um fuer Wein und andere Erfrischungen zu sorgen, er selbst ging in das Zimmer zurueck. Getroesteter, gefasster schien die verschleierte Dame, welche mit gebeugtem Haupt und gefalteten Haenden vor der Aebtissin stand. Diese verschmaehte es nicht, etwas von den Erfrischungen anzunehmen, die ihr die Hausfrau darbot, dann rief sie: "Nun ist es Zeit!" Die verschleierte Dame sank nieder auf die Knie, die Aebtissin legte die Haende auf ihr Haupt und sprach leise Gebete. Als diese geendet, schloss sie, indem haeufige Traenen ihr ueber die Wangen rollten, die Verschleierte in die Arme und drueckte sie heftig wie im Uebermass des Schmerzes an die Brust, dann gab sie gefasst und wuerdevoll der Familie die Benediktion und eilte, vom Alten geleitet, rasch in den Wagen, vor dem die frisch angelegten Postpferde laut wieherten. In vollem Juchzen und Blasen jug der Postillion durch die Gassen zum Tore hinaus. Als nun die Hausfrau gewahrte, dass die verschleierte Dame, fuer die man ein paar schwere Koffer vom Wagen abgepackt und hineingetragen, dablieb, wohl gar auf lange Zeit eingezogen sei, konnte sie sich gar nicht lassen vor peinlicher Neugier und Sorge. Sie trat hinaus auf den Hausflur und dem Alten, der eben in das Zimmer wollte, in den Weg. "Um Christus willen", fluesterte sie leise und aengstlich, "um Christus willen, welch einen Gast bringst du mir ins Haus, denn du weisst doch ja von allem und hast es mir nur verschwiegen." - "Alles, was ich weiss, sollst du auch erfahren", erwiderte der Alte ganz ruhig. "Ach, ach!" fuhr die Frau noch aengstlicher fort, "du weisst aber vielleicht nicht alles; waerst du nur jetzt im Zimmer gewesen. Sowie die Frau Aebtissin abgefahren, mochte es der Dame doch wohl zu beklommen werden in ihren dicken Schleiern. Sie nahm den grossen schwarzen Kreppflor, der ihr bis an die Knie reichte, herab, und da sah ich" - "Nun was sahst du denn", fiel der Alte der Frau, die zitternd sich umschaute, als erblicke sie Gespenster, in die Rede. "Nein", sprach die Frau weiter, "die Gesichtszuege konnte ich unter den duennen Schleiern gar nicht deutlich erkennen, aber wohl die Totenfarbe, ach die greuliche Totenfarbe. Aber nun Alter, nun merk auf: deutlich, nur zu deutlich, ganz sonnenklar liegt's am Tage, dass die Dame guter Hoffnung ist. In wenigen Wochen kommt sie ins Kindbett." - "Das weiss ich ja, Frau", sprach der Alte ganz muerrisch, "und damit du nur nicht umkommen moegest vor Neugier und Unruhe, will ich dir mit zwei Worten alles erklaeren. Wisse also, dass Fuerst Z., unser hoher Goenner, mir vor einigen Wochen schrieb, die Aebtissin des Zisterzienserklosters in O. werde mir eine Dame bringen, die ich bei mir in meinem Hause aufnehmen solle, in aller Stille, jedes Aufsehen sorglich vermeidend. Die Dame, welche nicht anders genannt sein wolle, als schlechtweg Coelestine, werde bei mir ihre nahe Entbindung abwarten, und dann nebst dem Kinde, das sie geboren, wieder abgeholt werden. Fuege ich nun noch hinzu, dass der Fuerst mir mit den eindringlichsten Worten die sorgsamste Pflege der Dame empfohlen und fuer die ersten Auslagen und Bemuehungen einen tuechtigen Beutel mit Dukaten, den du in meiner Kommode finden und beaeugeln kannst, beigefuegt hat, so werden wohl alle Bedenken aufhoeren." - "So muessen wir", sprach die Hausfrau, "vielleicht arger Suende, wie sie die Vornehmen treiben, die Hand bieten." Noch ehe der Alte darauf etwas erwidern konnte, trat die Tochter zum Zimmer heraus, und rief ihn zur Dame, welche sich nach Ruhe sehne und in das fuer sie bestimmte Gemach gefuehrt zu werden wuensche. Der Alte hatte die beiden Zimmerchen des obern Stocks so gut ausschmuecken lassen, als er es nur vermochte, und war nicht wenig betreten, als Coelestine frug, ob er ausser diesen Gemaechern nicht noch eins, dessen Fenster hintenheraus gingen, besitze. Er verneinte das und fuegte nur, um ganz gewissenhaft zu sein, hinzu, dass zwar noch ein einziges Gemach mit einem Fenster nach dem Garten heraus, vorhanden, dies duerfte aber gar kein Zimmer, sondern nur eine schlechte Kammer genannt werden; kaum so geraeumig, um ein Bette, einen Tisch und einen Stuhl hineinzustellen, ganz einer elenden Klosterzelle gleich. Coelestine verlangte augenblicklich, diese Kammer zu sehen, und erklaerte, kaum hineingekommen, dass eben dieses Gemach ihren Wuenschen und Beduerfnissen angemessen sei, dass sie nur in diesem und keinem andern wohnen, und es nur dann, wenn ihr Zustand durchaus groesseren Raum und eine Krankenwaerterin erfordern solle, mit einem groessern vertauschen werde. Verglich der Alte schon jetzt dieses enge Gemach mit einer Klosterzelle, so war es andern Tages ganz dazu geworden. Coelestine hatte ein Marienbild an die Wand geheftet und auf den alten hoelzernen Tisch, der unter dem Bilde stand, ein Kruzifix hingestellt. Das Bette bestand in einem Strohsack und einer wollenen Decke, und ausser einem hoelzernen Schemmel und noch einem kleinen Tisch, litt Coelestine kein anderes Geraet. Die Hausfrau, ausgesoehnt mit der Fremden durch den tiefen zehrenden Schmerz, der sich in ihrem ganzen Wesen offenbarte, glaubte nach gewoehnlicher Weise sie aufheitern, unterhalten zu muessen, die Fremde bat aber mit den ruehrendsten Worten, eine Einsamkeit nicht zu verstoeren, in der allein mit ganz der Jungfrau und den Heiligen zugewandtem Sinn sie Troestung finde. Jedes Tages, sowie der Morgen graute, begab sich Coelestine zu den Karmelitern, um die Fruehmesse zu hoeren; den uebrigen Tag schien sie unausgesetzt Andachtsuebungen gewidmet zu haben, denn so oft es auch noetig wurde sie in ihrem Zimmer aufzusuchen, fand man sie entweder betend oder in frommen Buechern lesend. Sie verschmaehte andere Speise als Gemuese, anderes Getraenk als Wasser, und nur die dringendsten Vorstellungen des Alten, dass ihr Zustand, das Wesen, das in ihr lebe, bessere Kost fordere, konnte sie endlich vermoegen, zuweilen Fleischbruehe und etwas Wein zu geniessen. Dieses strenge kloesterliche Leben, hielt es auch jeder im Hause fuer die Busse begangener Suende, erweckte doch zu gleicher Zeit inniges Mitleiden und tiefe Ehrfurcht, wozu denn auch der Adel ihrer Gestalt, die siegende Anmut jeder ihrer Bewegungen nicht wenig beitrug. Was aber diesen Gefuehlen fuer die fremde Heilige etwas Schauerliches beimischte, war der Umstand, dass sie die Schleier durchaus nicht ablegte, so dass keiner ihr Gesicht zu erschauen vermochte. Niemand kam in ihre Naehe, als der Alte und der weibliche Teil seiner Familie, und diese, niemals aus dem Staedtchen gekommen, konnten unmoeglich durch das Wiedererkennen eines Gesichts, das sie vorher nicht gesehen, dem Geheimnis auf die Spur kommen. Wozu also die Verhuellung? - Die geschaeftige Fantasie der Weiber erfand bald ein greuliches Maerchen. Ein fuerchterliches Abzeichen (so lautete die Fabel), die Spur der Teufelskralle, hatte das Gesicht der Fremden graesslich verzerrt, und darum die dicken Schleier. Der Alte hatte Muehe dem Gewaesche zu steuern und zu verhindern, dass wenigstens _vor_ der Tuere seines Hauses nicht Abenteuerliches von der Fremden geschwatzt wurde, deren Aufenthalt in des Buergermeisters Hause freilich in der Stadt bekannt geworden. Ihre Gaenge nach dem Karmeliterkloster blieben auch nicht unbemerkt, und bald nannte man sie des Buergermeisters schwarze Frau, womit freilich sich von selbst die Idee einer spukhaften Erscheinung verband. Der Zufall wollte, dass eines Tages, als die Tochter der Fremden die Speisen in das Zimmer brachte, der Luftstrom den Schleier erfasste und aufhob; mit Blitzesschnelle wandte sich die Fremde, so dass sie sich in demselben Moment dem Blick des Maedchens entzog. Diese kam aber erblasst und an allen Gliedern zitternd herab. Keine Verzerrung, aber so wie die Mutter ein totenbleiches, hatte sie ein marmorweisses Antlitz erschaut, aus dessen tiefen Augenhoehlen es seltsam hervorblitzte. Der Alte schob mit Recht vieles auf des Maedchens Einbildung, aber auch ihm war es, im Grunde genommen, so zumute wie allen; er wuenschte das verstoerende Wesen, trotz aller Froemmigkeit, die es bewies, fort aus seinem Hause. Bald darauf weckte in einer Nacht der Alte die Hausfrau und sagte ihr, dass er schon seit einigen Minuten ein leises Wimmern und Aechzen, ein Klopfen vernehme, das von Coelestinens Zimmer zu kommen scheine. Die Frau, von der Ahnung ergriffen, was das sein koenne, eilte hinauf. Sie fand Coelestinen, angezogen und in ihre Schleier gewickelt, auf dem Bette halb ohnmaechtig liegen und ueberzeugte sich bald, dass die Niederkunft nahe sei. Schnell traf man die laengst vorbereiteten Anstalten, und in weniger Zeit war ein gesundes holdes Knaeblein geboren. Dies Ereignis, hatte man es auch laengst vorausgesehen, trat doch wie unerwartet ein, und vernichtete in seinen Folgen das drueckende unheimliche Verhaeltnis mit der Fremden, welches auf der Familie schwer gelastet hatte. Der Knabe schien, wie ein sehnender Mittler, Coelestinen dem Menschlichen wieder naeher zu bringen. Ihr Zustand litt keine strenge asketische Uebungen, und indem ihre Huelflosigkeit ihr die Menschen, welche sie mit liebender Sorgfalt pflegten, aufnoetigte, gewoehnte sie sich mehr und mehr an ihren Umgang. Die Hausfrau dagegen, die nun die Kranke warten, ihr selbst die nahrhafte Suppe kochen und darreichen konnte, vergass in dieser haeuslichen Sorge alles Boese, was ihr sonst ueber die raetselhafte Fremde in den Sinn gekommen. Sie dachte nicht mehr daran, dass ihr ehrbares Haus vielleicht zum Schlupfwinkel der Schande dienen sollte. Der Alte jubelte ganz verjuengt und haetschelte den Knaben, als sei ihm ein Enkelkind geboren, und er, wie alle uebrige, hatten sich daran gewoehnt, dass Coelestine verschleiert blieb, ja selbst waehrend der Entbindung. Die Wehmutter hatte ihr schwoeren muessen, dass, trete ja ein Zustand der Bewusstlosigkeit ein, doch die Schleier nicht geluepft werden sollten, ausser von ihr, der Wehmutter selbst, im Fall der Todesgefahr. Es war gewiss, dass die Alte Coelestinen unverschleiert gesehen, sie sagte aber darueber nichts, als: "Die arme junge Dame muss sich ja wohl so verhuellen" - Nach einigen Tagen erschien der Karmelitermoench, der den Knaben getauft hatte. Seine Unterredung mit Coelestinen, niemand durfte zugegen sein, dauerte laenger als zwei Stunden. Man hoerte ihn eifrig sprechen und beten. Als er fortgegangen, fand man Coelestinen im Lehnstuhl sitzend, auf dem Schosse den Knaben, um dessen kleine Schultern ein Skapulier gelegt war, und der ein Agnusdei auf der Brust trug. Wochen und Monate vergingen, ohne dass, wie der Buergermeister geglaubt hatte, und wie es ihm auch vom Fuersten Z. gesagt worden, Coelestine mit dem Kinde abgeholt wurde. Sie haette ganz eintreten koennen in den friedlichen Kreis der Familie, waeren die fatalen Schleier nicht gewesen, die immer den letzten Schritt zur freundlichen Annaehrung hemmten. Der Alte nahm es sich heraus, dies der Fremden selbst freimuetig zu aeussern, doch als sie mit dumpfem feierlichen Ton erwiderte: "Nur im Tode fallen diese Schleier", schwieg er davon und wuenschte aufs neue, dass der Wagen mit der Aebtissin erscheinen moege. Der Fruehling war herangekommen, von einem Spaziergange kehrte die Familie des Buergermeisters heim, Blumenstraeusse in den Haenden tragend, deren schoenste der frommen Coelestine bestimmt waren. Eben als sie ins Haus treten wollten, sprengte ein Reiter heran, eifrig nach dem Buergermeister fragend. Der Alte sprach, er sei selbst der Buergermeister und stehe vor seinem Hause. Da sprang der Reiter herab vom Pferde, das er festband an den Pfosten und stuerzte mit dem gellenden Ruf. "Sie ist hier, sie ist hier", ins Haus und die Treppe herauf. Man hoerte eine Tuer einschlagen und Coelestinens Angstgeschrei. Der Alte, von Entsetzen erfasst, eilte nach. Der Reiter - wie nun sichtlich, war ein Offizier von der franzoesischen Jaegergarde mit vielen Orden geschmueckt, hatte den Knaben aus der Wiege gerissen und in den linken, mit dem Mantel umschlungenen Arm genommen; den rechten hatte Coelestine erfasst, alle Kraft aufbietend, den Raeuber des Kindes zurueckzuhalten. Im Ringen riss der Offizier den Schleier herab ein todstarres marmorweisses Antlitz, von schwarzen Locken umschattet, blickte ihn an, gluehende Strahlen aus den tiefen Augenhoehlen schiessend, waehrend schneidende Jammertoene aus den halbgeoeffneten unbewegten Lippen quollen. Der Alte nahm wahr, dass Coelestine eine weisse, dicht anschliessende Maske trug. "Entsetzliches Weib! willst du, dass auch mich deine Raserei ergreife?" schrie der Offizier, indem er sich mit Gewalt losriss, so dass Coelestine zu Boden stuerzte. Nun umfasste sie aber seine Knie, indem sie mit dem Ausdruck des unsaeglichsten Schmerzes, mit einem Ton, der das Herz durchschnitt, flehte: "Lass mir das Kind! - o lass mir das Kind! - nicht um die ewige Seligkeit sollst du mich bringen. - Um Christus - um der heiligen Jungfrau willen - lass mir das Kind - lass mir das Kind." - Und bei diesen Jammertoenen regte sich keine Muskel, regten sich nicht die Lippen des Totenantlitzes, so dass dem Alten, der Hausfrau - allen, die ihm gefolgt, vor Grauen das Blut in den Adern stockte! "Nein", schrie der Offizier wie in heller Verzweiflung, "nein, unmenschliches, unerbittliches Weib, das Herz konntest du aus dieser Brust reissen, aber verderben sollst du nicht im heillosen Wahnsinn das Wesen, das sich troestend an die blutende Wunde legt!" - Fester drueckte der Offizier das Kind an sich, so dass es laut zu weinen begann - da brach Coelestine aus in ein dumpfes Heulen: "Rache - des Himmels Rache ueber dich - du Moerder!" - "Lass ab! - lass ab - fort mit dir, du Hoellenspuk!" kreischte der Offizier, und schleuderte mit einer konvulsivischen Bewegung des Fusses Coelestinen weit von sich, und wollte zur Tuere heraus. Der Alte trat ihm in den Weg, er riss aber schnell ein Terzerol hervor, rief, die Muendung gegen den Alten gekehrt: "Die Kugel durch den Kopf dem, der dem Vater sein Kind zu entreissen gedenkt", stuerzte die Treppe herab, schwang sich aufs Pferd ohne das Kind zu lassen, und sprengte in vollem Galopp davon. - Die Hausfrau voll Herzensangst, wie es nun um Coelestinen stehen, und was nun mit ihr anzufangen sein wuerde, ueberwand ihr Grauen vor der entsetzlichen Totenmaske, und eilte herauf ihr beizustehen. Wie erstaunte sie, als sie Coelestinen mitten im Zimmer gleich einer Statue mit herabhaengenden Armen lautlos stehend fand. Sie redete sie an, keine Antwort. Nicht vermoegend den Anblick der Maske zu tragen, hing sie ihr die Schleier um, die auf dem Boden lagen, kein Regen und Bewegen. Coelestine war in einen automataehnlichen Zustand gesunken, der die Hausfrau mit neuer Angst und Pein erfuellte, so dass sie ganz inbruenstig zu Gott flehte, sie nur von dieser unheimlichen Fremden zu befreien. Ihre Bitte wurde zur Stelle erhoert, denn eben hielt derselbe Wagen, der Coelestinen gebracht, vor der Tuere. Die Aebtissin kam, mit ihr Fuerst Z. des alten Buergermeisters hoher Goenner. Als der erfahren, was sich soeben zugetragen, sprach er sehr mild und ruhig: "So kamen wir zu spaet, und muessen uns wohl in Gottes Fuegung schicken." Man brachte Coelestinen herab, die sich starr und lautlos, ohne Zeichen eignen Willens und eigner Willkuer, fortfuehren und in den Wagen setzen liess, der schnell fortrollte. Dem Alten, der ganzen Familie war so zumute, als erwachten sie nun erst aus einem boesen spukhaften Traum, der sie sehr geaengstet. Bald darauf, als sich dies in dem Hause des Buergermeisters von L. begeben, wurde in dem Zisterzienser Nonnenkloster zu O. eine Logenschwester mit ungewoehnlicher Feierlichkeit begraben und ein dumpfes Geruecht ging, dass diese Logenschwester die Graefin Hermenegilda von C. gewesen, von der man glaubte, sie sei mit ihres Vaters Schwester, der Fuerstin von Z., nach Italien gegangen. Zur selbigen Zeit erschien Graf Nepomuk von C., Hermenegildas Vater, in Warschau und trat, sich nur ein kleines Guetchen in der Ukraine vorbehaltend, seine saemtlichen uebrigen betraechtlichen Besitzungen den beiden Soehnen des Fuersten Z., seinen Neffen, vermoege eines gerichtlichen Akts ohne Einschraenkung ab. Man fragte nach der Ausstattung seiner Tochter, da hob er den duestern traenenschweren Blick gen Himmel und sagte mit dumpfer Stimme: "Sie ist ausgestattet!" - Er nahm gar keinen Anstand, nicht allein jenes Geruecht von Hermenegildas Tode im Kloster zu O. zu bestaetigen, sondern auch das besondere Verhaengnis zu offenbaren, das ueber Hermenegilda gewaltet und sie einer duldenden Maertyrin gleich fruehzeitig in das Grab gezogen. Manche Patrioten, gebeugt, aber nicht zerknickt durch den Fall des Vaterlandes, gedachten den Grafen aufs neue in geheime Verbindungen zu ziehen, die die Herstellung des polnischen Staats bezweckten, aber nicht mehr den feurigen, fuer Freiheit und Vaterland beseelten Mann, der sonst zu jeder gewagten Unternehmung mit unerschuetterlichem Mute die Hand bot, fanden sie, sondern einen ohnmaechtigen, von wildem Schmerz zerrissenen Greis, der allen Welthaendeln entfremdet im Begriff stand, sich in tiefer Einsamkeit zu vergraben. Sonst, zu jener Zeit, als nach der ersten Teilung Polens die Insurrektion vorbereitet wurde, war des Grafen Nepomuk von C. Stammgut der geheime Sammelplatz der Patrioten. Dort entzuendeten sich die Gemueter bei feierlichen Mahlen zum Kampf fuer das gefallene Vaterland. Dort erschien wie ein Engelsbild vom Himmel gesendet zur heiligen Weihe Hermenegilda in dem Kreise der jungen Helden. Wie es den Frauen ihrer Nation eigen, nahm sie teil an allen, selbst an politischen Verhandlungen und aeusserte, die Lage der Dinge wohl beachtend und erwaegend, in einem Alter von noch nicht siebzehn Jahren, oft manchmal allen uebrigen entgegen, eine Meinung, die von dem ausserordentlichsten Scharfsinn, von der klarsten Umsicht zeigte und die mehrenteils den Ausschlag gab. Naechst ihr war niemanden das Talent des schnellen Ueberblicks, des Auffassens und scharfgeruendeten Darstellens der Lage der Dinge mehr eigen, als dem Grafen Stanislaus von R., einem feurigen, hochbegabten Juenglinge von zwanzig Jahren. So geschah es, dass Hermenegilda und Stanislaus oft allein in raschen Diskussionen die zur Sprache gebrachten Gegenstaende verhandelten, Vorschlaege prueften - annahmen - verwarfen, andere aufstellten, und dass die Resultate des Zweigespraechs zwischen dem Maedchen und dem Juenglinge oft selbst von den alten staatsklugen Maennern, die zu Rate sassen, als das Kluegste und Beste, was zu beginnen, anerkannt werden mussten. Was war natuerlicher, als an die Verbindung dieser beiden zu denken, in deren wunderbaren Talenten das Heil des Vaterlandes emporzukeimen schien. Ausserdem war aber auch die naehere Verzweigung beider Familien schon deshalb in dem Augenblick politisch wichtig, weil man sie von verschiedenem Interesse beseelt glaubte, wie der Fall bei manchen andern Familien in Polen zutraf. Hermenegilda, ganz durchdrungen von diesen Ansichten, nahm den ihr bestimmten Gatten als ein Geschenk des Vaterlandes auf, und so wurden mit ihrer feierlichen Verlobung die patriotischen Zusammenkuenfte auf dem Gute des Vaters beschlossen. Es ist bekannt, dass die Polen unterlagen, dass mit Kosziuskos Fall eine zu sehr auf Selbstvertrauen und falsch vorausgesetzte Rittertreue basierte Unternehmung scheiterte. Graf Stanislaus, dem seine fruehere militaerische Laufbahn, seine Jugend und Kraft eine Stelle im Heer anwies, hatte mit Loewenmut gefochten. Mit Not schmaehlicher Gefangenschaft entgangen, auf den Tod verwundet, kam er zurueck. Nur Hermenegilda fesselte ihn noch ans Leben, in ihren Armen glaubte er Trost, verlorne Hoffnung wiederzufinden. Sowie er nur leidlich von seinen Wunden genesen, eilte er auf die Gueter des Grafen Nepomuk, um dort aufs neue, aufs schmerzlichste verwundet zu werden. Hermenegilda empfing ihn mit beinahe hoehnender Verachtung. "Seh ich den Helden, der in den Tod gehen wollte fuer das Vaterland?" - So rief sie ihm entgegen; es war, als wenn sie in toerichtem Wahnsinn den Braeutigam fuer einen jener Paladine der fabelhaften Ritterzeit gehalten, dessen Schwert allein Armeen vernichten konnte. Was halfen alle Beteuerungen, dass keine menschliche Kraft zu widerstehen vermochte dem brausenden, alles verschlingenden Strom, der sich ueber das Vaterland hinwaelzte, was half alles Flehen der inbruenstigen Liebe, Hermenegilda, als koenne sich ihr todkaltes Herz nur im wilden Treiben der Welthaendel entzuenden, blieb bei dem Entschluss, ihre Hand nur dann dem Grafen Stanislaus geben zu wollen, wenn die Fremden aus dem Vaterlande vertrieben sein wuerden. Der Graf sah zu spaet ein, dass Hermenegilda ihn nie liebte, so wie er sich ueberzeugen musste, dass die Bedingnis, die Hermenegilda aufstellte, vielleicht niemals, wenigstens erst in geraumer Zeit erfuellt werden konnte. Mit dem Schwur der Treue bis in den Tod verliess er die Geliebte und nahm franzoesische Dienste, die ihn in den Krieg nach Italien fuehrten. - Man sagt den polnischen Frauen nach, dass ein eignes launisches Wesen sie auszeichne. Tiefes Gefuehl, sich hingebender Leichtsinn, stoische Selbstverleugnung, gluehende Leidenschaft, todstarre Kaelte, alles das, wie es bunt gemischt in ihrem Gemuete liegt, erzeugt das wunderliche unstete Treiben auf der Oberflaeche, das dem _Spiel_ gleicht der in stetem Wechsel fortplaetschernden Wellen des im tiefsten Grunde bewegten Bachs. - Gleichgueltig sah Hermenegilda den Braeutigam scheiden, aber kaum waren einige Tage vergangen, als sie sich von solch unaussprechlicher Sehnsucht befangen fuehlte, wie sie nur die gluehendste Liebe erzeugen kann. Der Sturm des Krieges war verrauscht, die Amnestie wurde proklamiert, man entliess die polnischen Offiziere aus der Gefangenschaft. So geschah es, dass mehrere von Stanislaus' Waffenbruedern sich nach und nach auf des Grafen Gute einfanden. Mit tiefem Schmerz gedachte man jener ungluecklichen Tage, aber auch mit hoher Begeisterung des Loewenmuts, womit alle, aber keiner mehr als Stanislaus gefochten. Er hatte die zurueckweichenden Bataillone, da, wo schon alles verloren schien, aufs neue ins Feuer gefuehrt, es war ihm geglueckt, die feindlichen Reihen mit seiner Reuterei zu durchbrechen. Das Schicksal des Tages wankte, da traf ihn eine Kugel und mit dem Ausruf: "Vaterland - Hermenegilda!" stuerzte er in Blut gebadet vom Pferde herab. Jedes Wort dieser Erzaehlung war ein Dolchstich, der tief in Hermenegildas Herz fuhr. "Nein! ich wusst es nicht, dass ich ihn unaussprechlich liebte seit dem ersten Augenblick, als ich ihn sah! - Welch ein hoellisches Blendwerk konnte mich Aermste verfuehren, dass ich zu leben gedachte ohne ihn, der mein einziges Leben ist! - Ich habe ihn in den Tod geschickt - er kehrt nicht wieder!" - So brach Hermenegilda aus in stuermische Klagen, die allen in die Seele drangen. Schlaflos, von steter Unruhe gefoltert, durchirrte sie zur Nachtzeit den Park, und, als vermoege der Nachtwind ihre Worte hinzutragen zu dem fernen Geliebten, rief sie in die Luefte hinein: "Stanislaus - Stanislaus - kehre zurueck - ich bin es - Hermenegilda ist es, die dich ruft - hoerst du mich denn nicht - kehre zurueck, sonst muss ich vergehen in banger Sehnsucht, in trostloser Verzweiflung!" Hermenegildas ueberreizter Zustand schien uebergehen zu wollen in wirklichen hellen Wahnsinn, der sie zu tausend Torheiten trieb. Graf Nepomuk, voll Kummer und Angst um das geliebte Kind, glaubte, dass aerztliche Huelfe hier vielleicht wirksam sein koennte, und es gelang ihm in der Tat, einen Arzt zu finden, der es sich gefallen liess einige Zeit auf dem Gute zu bleiben und sich der Leidenden anzunehmen. So richtig berechnet seine mehr psychische als physische Kurmethode aber auch sein mochte, so wenig sich ihre Wirkung auch ganz ableugnen liess, so blieb es doch zweifelhaft, ob von wirklichem Genesen jemals die Rede wuerde sein koennen, da nach langer Stille sich ganz unerwartet wieder die seltsamsten Paroxismen einstellten. Ein eignes Abenteuer gab der Sache eine andere Wendung. Hermenegilda hatte eben den kleinen Ulanen, ein Pueppchen, das sie sonst wie den Geliebten ans Herz gedrueckt, dem sie die suessesten Namen gegeben, unwillig ins Feuer geworfen, weil er durchaus nicht singen wollte: "Podrosz twoia nam niemila, milsza przyiaszn w Kraiwbyla etc." Im Begriff, von dieser Expedition in ihr Zimmer zurueckzukehren, befand sie sich auf dem Vorsaal, als es klingend und klirrend hinter ihr her schritt. Sie schaute um sich, erblickte einen Offizier in voller Uniform der franzoesischen Jaegergarde, der den linken Arm in der Binde trug, und stuerzte mit dem lauten Ruf.- "Stanislaus, mein Stanislaus!" ihm ohnmaechtig in die Arme. Der Offizier, eingewurzelt im Boden vor Erstaunen und Ueberraschung, hatte nicht wenig Muehe Hermenegilda, die, gross und ueppig gebaut, eben keine geringe Last war, mit einem Arm, dessen er nur maechtig, aufrecht zu erhalten. Er drueckte sie fest und fester an sich, und indem er Hermenegildas Herz an seiner Brust schlagen fuehlte, musste er sich gestehen, dass dies eins der entzueckendsten Abenteuer sei, das er je erlebt. Sekunde auf Sekunde verging, der Offizier ganz entzuendet vom Liebesfeuer, das in tausend elektrischen Funken der holden Gestalt, die er in seinen Armen hielt, entstroemte, drueckte gluehende Kuesse auf die suessen Lippen. So fand ihn Graf Nepomuk, der aus seinen Zimmern trat. Auch er rief aufjauchzend vor Freude: "Graf Stanislaus!" - In dem Augenblick erwachte Hermenegilda, und umschlang ihn inbruenstig, indem sie ganz ausser sich von neuem rief. "Stanislaus! - mein Geliebter! mein Gatte!" - Der Offizier im ganzen Gesicht gluehend, zitternd - ausser aller Fassung, trat einen Schritt zurueck, indem er sich sanft Hermenegildas stuermischer Umarmung entzog. "Es ist der suesseste Augenblick meines Lebens - aber nicht schwelgen will ich in der Seligkeit, die mir nur ein Irrtum bereitet - ich bin ja nicht Stanislaus - ach ich bin es ja nicht." - So sprach der Offizier stotternd und zagend; entsetzt prallte Hermenegilda zurueck, und als sie sich, den Offizier schaerfer ins Auge fassend, ueberzeugt, dass die freilich ganz wunderbare Aehnlichkeit des Offiziers mit dem Geliebten sie getaeuscht, eilte sie fort laut jammernd und klagend. Graf Nepomuk konnte, da der Offizier sich nun als den juengern Vetter des Grafen Stanislaus, als den Grafen Xaver von R. kund tat, es kaum fuer moeglich halten, dass der Knabe in so kurzer Zeit zum kraeftigen Juenglinge herangewachsen. Freilich kam hinzu, dass die Strapazen des Kriegs dem Gesicht, der ganzen Haltung, einen maennlichern Charakter gaben, als es sonst der Fall gewesen sein wuerde. Graf Xaver hatte naemlich mit seinem aeltern Vetter Stanislaus zugleich das Vaterland verlassen, wie er, franzoesische Kriegsdienste genommen und in Italien gefochten. Damals kaum achtzehn Jahre alt, zeichnete er sich doch bald, als besonnener und loewenkuehner Kriegsheld auf solche Weise aus, dass ihn der Feldherr zu seinem Adjutanten erhob, und jetzt war er, ein zwanzigjaehriger Juengling, schon zum Obristen heraufgestiegen. Erhaltene Wunden, noetigten ihn einige Zeit auszuruhen. Er kehrte in das Vaterland zurueck, und Auftraege von Stanislaus an die Geliebte fuehrten ihn auf den Landsitz des Grafen Nepomuk, wo er empfangen wurde, als sei er der Geliebte selbst. Graf Nepomuk und der Arzt, beide gaben sich alle nur ersinnliche Muehe, Hermenegilda, die ganz vernichtet von Scham und bitterm Schmerz, ihr Zimmer nicht verlassen wollte, solange Xaver im Hause, zu beruhigen, aber umsonst. Xaver war ausser sich, dass er Hermenegilda nicht wiedersehen sollte. Er schrieb ihr, dass er unverschuldet eine fuer ihn unglueckliche Aehnlichkeit zu hart buesse. Aber nicht ihn allein, sondern den Geliebten Stanislaus selbst traefe das von jenem verhaengnisvollen Moment erzeugte Missgeschick, da ihm, dem Ueberbringer suesser Liebesbotschaft, jetzt alle Gelegenheit geraubt worden, ihr selbst, wie er gesollt, den Brief, den er von Stanislaus bei sich trage, einzuhaendigen, und noch alles von Mund zu Mund hinzuzufuegen, was Stanislaus in der Hast des Augenblicks nicht mehr schreiben konnte. Hermenegildas Kammerfrau, die Xaver in sein Interesse gezogen, uebernahm die Bestellung zur guenstigen Stunde, und was dem Vater, dem Arzt nicht gelungen, bewirkte Xaver durch sein Schreiben. Hermenegilda entschloss sich ihn zu sehen. In tiefem Schweigen, mit niedergesenktem Blick empfing sie ihn in ihrem Gemach. Xaver nahte sich mit leisem schwankenden Schritt, er nahm Platz vor dem Sofa, auf dem sie sass, aber indem er sich herabbeugte von dem Stuhl, kniete er mehr vor Hermenegilda, als dass er sass, und so flehte er in den ruehrendsten Ausdruecken, mit einem Ton, als habe er sich des unverzeihlichsten Verbrechens anzuklagen, nicht auf sein Haupt moege sie die Schuld des Irrtums laden, der ihn die Seligkeit des geliebten Freundes empfinden lassen. Nicht ihn, nein Stanislaus selbst habe sie in der Wonne des Wiedersehens umarmt. Er uebergab den Brief, und fing an von Stanislaus zu erzaehlen, wie er mit echt ritterlicher Treue selbst im blutigen Kampf seiner Dame gedenke, wie nur sein Herz gluehe fuer Freiheit und Vaterland usw. Xaver erzaehlte mit lebendigem Feuer, er riss Hermenegilden hin, die alle Scheu bald ueberwunden, den zauberischen Blick ihrer Himmelsaugen unverwandt auf ihn richtete, so dass er, ein neuer, von Turandots Blick getroffener, Kalaf, durchbebt von suesser Wonne, nur muehsam die Erzaehlung fortspann. Ohne es selbst zu wissen, bedraengt von dem innern Kampf gegen die Leidenschaft, die in hellen Flammen auflodern wollte, verlor er sich in die weitlaeuftige Beschreibung einzelner Gefechte. Er sprach von Kavallerieangriffen - gesprengten Massen - eroberten Batterien. - Ungeduldig unterbrach ihn Hermenegilda, indem sie rief. "Oh, weg mit diesen blutigen Szenen eines Schauspiels der Hoelle - sage - sage mir nur, dass er mich liebt, dass Stanislaus mich liebt!" - Da ergriff Xaver, ganz ermutigt, Hermenegildas Hand, die er heftig an seine Brust drueckte. "Hoere ihn selbst, deinen Stanislaus!" so rief er, und nun stroemten die Beteurungen der gluehendsten Liebe, wie sie nur dem Wahnsinn der verzehrendsten Leidenschaft eigen, von seinen Lippen. Er war zu Hermenegildas Fuessen gesunken, sie hatte ihn mit beiden Armen umschlungen, aber indem er, schnell aufgesprungen, sie an seine Brust druecken wollte, fuehlte er sich heftig zurueckgestossen. Hermenegilda sah ihn mit starrem seltsamen Blick an und sprach mit dumpfer Stimme: "Eitle Puppe, wenn ich dich auch zum Leben erwaerme an meiner Brust, so bist du doch nicht Stanislaus, und kannst es auch nimmer werden!" - Hierauf verliess sie das Zimmer mit leisen langsamen Schritten. Xaver sah zu spaet seine Unbesonnenheit ein. Dass er bis zum Wahnsinn in Hermenegilda, in die Braut des verwandten Freundes verliebt sei, fuehlte er nur zu lebhaft, ebenso aber auch, dass er bei jedem Schritt, den er zugunsten seiner toerichten Leidenschaft zu tun gesonnen, sich wuerde treulosen Freundschaftsbruch vorwerfen muessen. Schnell abreisen, ohne Hermenegilda wiederzusehen, das war der heroische Entschluss, den er wirklich auf der Stelle so weit ausfuehrte, dass er zu packen und seinen Wagen anzuspannen befahl. Graf Nepomuk war hoch verwundert, als Xaver von ihm Abschied nahm; er bot alles auf ihn festzuhalten, doch mit einer Festigkeit, mehr von einer Art Krampf, als von wahrer Geistesstaerke erzeugt, blieb Xaver dabei, dass besondere Ursachen ihn forttrieben. Den Saebel umgeschnallt, die Feldmuetze in der Hand, stand er in der Mitte des Zimmers, der Bediente mit dem Mantel auf dem Vorsaal - unten vor der Tuere wieherten ungeduldig die Pferde. - Da ging die Tuer auf, Hermenegilda trat herein, mit unbeschreiblicher Anmut schritt sie auf den Grafen zu, und sprach hold laechelnd: "Sie wollen fort, lieber Xaver? - und noch so vieles dacht ich von meinem geliebten Stanislaus zu hoeren! - Wissen Sie wohl, dass mich Ihre Erzaehlungen wunderbar troesten?" - Xaver schlug hocherroetend die Augen nieder, man nahm Platz, Graf Nepomuk versicherte ein Mal ueber das andere, seit vielen Monaten habe er Hermenegilda nicht in dieser heitern unbefangenen Stimmung gesehen. Auf seinen Wink wurde, da die Zeit herangekommen, die Abendtafel in demselben Zimmer bereitet. Der edelste Ungarwein perlte in den Glaesern, und volle Glut auf den Wangen nippte Hermenegilda aus dem gefuellten Pokal hochfeiernd das Andenken des Geliebten, Freiheit und Vaterland. Zur Nacht reise ich fort, dachte Xaver im Innern, und frug in der Tat, als die Tafel aufgehoben, den Bedienten, ob der Wagen warte; der, erwiderte der Bediente, sei laengst, wie Graf Nepomuk befohlen, abgepackt und abgespannt in die Remise geschoben, die Pferde fraessen im Stall und Woyciech schnarche unten auf dem Strohsack. Xaver liess es dabei bewenden. Hermenegildas unvermutete Erscheinung hatte den Grafen ueberzeugt, dass es nicht allein moeglich, sondern auch raetlich und angenehm sei zu bleiben, und von dieser Ueberzeugung kam er zu der andern, dass es nur darauf ankomme sich zu besiegen, das heisst, Ausbruechen der innern Leidenschaft zu wehren, die, den geisteskranken Zustand Hermenegildas aufreizend, nur ihm in jeder Hinsicht verderblich werden koennten. Wie dann nun alles sich weiter fuegen wuerde, so beschloss Xaver seine Betrachtung, sollte selbst Hermenegilda aus ihren Traeumen erwacht, die heitere Gegenwart der duestern Zukunft vorziehen, das liege denn alles in der Konstellation zusammenwirkender Umstaende und an Treulosigkeit, an Freundschaftsbruch sei nicht zu denken. Sowie Xaver andern Tages Hermenegilden wiedersah, gelang es ihm in der Tat, indem er sorglich auch das Kleinste vermied, was sein zu heisses Blut haette in Wallung setzen koennen, seine Leidenschaft niederzukaempfen. In den Schranken der strengsten Sitte bleibend, ja selbst ein frostig Zeremoniell beachtend, gab er nur dem Gespraech die Schwingen jener Galanterie, die den Weibern mit suessem Zucker verderbliches Gift beibringt. Xaver, ein zwanzigjaehriger Juengling, in eigentlichen Liebeshaendeln unerfahren, entfaltete, von dem sichern Takt fuers Boese im Innern geleitet, die Kunst des erfahrenen Meisters. Nur von Stanislaus, von seiner unaussprechlichen Liebe zur suessen Braut, sprach er, aber durch die volle Glut, die er dann entzuendet, wusste er geschickt sein eignes Bild durchschimmern zu lassen, so dass Hermenegilda in arger Verwirrung selbst nicht wusste, wie beide Bilder, das des abwesenden Stanislaus und das des gegenwaertigen Xaver, trennen. Xavers Gesellschaft wurde bald der aufgeregten Hermenegilda zum Beduerfnis, und so geschah es, dass man sie beinahe bestaendig, und oft wie im traulichen Liebesgespraech zusammen sah. Die Gewohnheit ueberwand mehr und mehr Hermenegildas Scheu und in eben dem Grade ueberschritt Xaver jene Schranken des frostigen Zeremoniells, in die er sich anfangs mit klugem Vorbedacht gebannt hatte. Arm in Arm gingen Hermenegilda und Xaver in dem Park umher, und sorglos liess sie ihre Hand in der seinigen, wenn er im Zimmer neben ihr sitzend von dem gluecklichen Stanislaus erzaehlte. Kam es nicht auf Staatshaendel, auf die Sache des Vaterlandes an, so war Graf Nepomuk eben keines Blickes in die Tiefe faehig, er begnuegte sich mit dem, was er auf der Oberflaeche wahrzunehmen imstande, sein fuer alles uebrige totes Gemuet vermochte die vorueberfliehenden Bilder des Lebens nur dem Spiegel gleich im Moment zu reflektieren, spurlos schwanden sie dahin. Ohne Hermenegildas inneres Wesen zu ahnen, hielt er es fuer gut, dass sie endlich die Pueppchen, die bei ihrem toerigten wahnsinnigen Treiben den Geliebten vorstellen mussten, mit einem lebendigen Juengling vertauscht, und glaubte mit vieler Schlauheit vorauszusehen, dass Xaver, der ihm als Schwiegersohn ebenso lieb, bald ganz in Stanislaus' Stelle treten werde. Er dachte nicht mehr an den treuen Stanislaus. Xaver glaubte dieses ebenfalls, da nun, nachdem ein paar Monate vergangen, Hermenegilda, so sehr ihr ganzes Wesen auch von dem Andenken an Stanislaus erfuellt schien, es sich doch gefallen liess, dass Xaver mehr und mehr sich ihr annaeherte mit eigner Bewerbung. Eines Morgens hiess es, dass Hermenegilda sich in ihre Gemaecher mit der Kammerfrau eingeschlossen habe, und durchaus niemanden sehen wolle. Graf Nepomuk glaubte nicht anders, als dass ein neuer Paroxismus eingetreten sei, der sich bald legen werde. Er bat den Grafen Xaver, die Gewalt, die er ueber Hermenegilda gewonnen, jetzt zu ihrem Heil zu ueben, wie erstaunte er aber, als Xaver es nicht allein durchaus verweigerte, sich Hermenegilden auf irgend eine Weise zu naehern, sondern sich auch in seinem ganzen Wesen auf eigne Art veraendert zeigte. Statt wie sonst beinahe zu keck aufzutreten, war er verschuechtert, als habe er Gespenster gesehen, der Ton seiner Stimme schwankend - der Ausdruck matt und unzusammenhaengend. - Er sprach davon, dass er nun durchaus nach Warschau muesste, dass er Hermenegilden wohl niemals wiedersehen werde - dass in der letzten Zeit ihr verstoertes Wesen ihm Grauen und Entsetzen erregt - dass er Verzicht geleistet auf alles Glueck der Liebe, dass er nun erst in der an Wahnsinn grenzenden Treue Hermenegildas, die Treulosigkeit, die er an dem Freunde begehen wollen, zu seiner tiefsten Beschaemung fuehle, dass schleunige Flucht sein einziges Rettungsmittel sei. Graf Nepomuk begriff alles nicht, nur schien es ihm endlich klar zu werden, dass Hermenegildas wahnsinnige Schwaermerei den Juengling angesteckt. Er suchte ihm dies zu beweisen, doch umsonst. Xaver widerstrebte um so heftiger, als dringender Nepomuk ihm die Notwendigkeit bewies, dass er Hermenegilda von allen Bizarrerien heilen, folglich sie wiedersehen muesse. Schnell war der Streit geendet, als Xaver, wie von unsichtbarer unwiderstehlicher Gewalt getrieben, hinabrannte, sich in den Wagen warf und davonfuhr. Graf Nepomuk, voller Gram und Zorn ueber Hermenegildas Betragen, bekuemmerte sich nicht mehr um sie, und so geschah es, dass mehrere Tage vergingen, die sie ungestoert, auf ihrem Zimmer eingeschlossen, von niemanden als ihrer Kammerfrau gesehen, zubrachte. In tiefen Gedanken, ganz erfuellt von den Heldentaten jenes Mannes, den die Polen damals anbeteten wie ein falsches Goetzenbild, sass Nepomuk eines Tages in seinem Zimmer, als die Tuer aufging und Hermenegilda in voller Trauer mit lang herabhaengendem Witwenschleier eintrat. Langsamen feierlichen Schrittes nahte sie sich dem Grafen, liess sich dann auf die Knie nieder und sprach mit bebender Stimme: "O mein Vater - Graf Stanislaus, mein geliebter Gatte, ist hinueber - er fiel als Held im blutigen Kampf: - vor dir kniet seine bejammernswerte Witwe!" - Graf Nepomuk musste dies um so mehr fuer einen neuen Ausbruch der zerruetteten Gemuetsstimmung Hermenegildas halten, als noch Tages zuvor Nachrichten von dem Wohlbefinden des Grafen Stanislaus eingelaufen waren. Er hob Hermenegilden sanft auf, indem er sprach: "Beruhige dich liebe Tochter, Stanislaus ist wohl, bald eilt er in deine Arme." - Da atmete Hermenegilda auf wie im schweren Todesseufzer und sank von wildem Schmerz zerrissen neben dem Grafen hin in die Polster des Sofas. Doch nach wenigen Sekunden wieder zu sich selbst gekommen, sprach sie mit wunderbarer Ruhe und Fassung: "Lass es mich dir sagen, lieber Vater! wie sich alles begeben, denn du musst es wissen, damit du in mir die Witwe des Grafen Stanislaus von R. erkennest. - Wisse, dass ich vor sechs Tagen in der Abenddaemmerung mich in dem Pavillon an der Suedseite unseres Parks befand. Alle meine Gedanken, mein ganzes Wesen dem Geliebten zugewendet, fuehlt ich meine Augen sich unwillkuerlich schliessen, nicht in Schlaf, nein, in einen seltsamen Zustand versank ich, den ich nicht anders nennen kann, als waches Traeumen. Aber bald schwirrte und droehnte es um mich her, ich vernahm ein wildes Getuemmel, es fiel ganz in der Naehe Schuss auf Schuss. Ich fuhr auf, und war nicht wenig erstaunt mich in einer Feldhuette zu befinden. Vor mir kniete er selbst - mein Stanislaus. - Ich umschlang ihn mit meinen Armen, ich drueckte ihn an meine Brust - 'Gelobt sei Gott', rief er, 'du lebst, du bist mein!' - Er sagte mir, ich sei gleich nach der Trauung in tiefe Ohnmacht gesunken, und ich toerigt Ding erinnerte mich jetzt erst, dass ja Pater Cyprianus, den ich in diesem Augenblick erst zur Feldhuette hinausschreiten sah, uns ja eben in der nahen Kapelle unter dem Donner des Geschuetzes, unter dem wilden Toben der nahen Schlacht getraut hatte. Der goldne Trauring blinkte an meinem Finger. Die Seligkeit, mit der ich nun aufs neue den Gatten umarmte, war unbeschreiblich; nie gefuehltes namenloses Entzuecken des beglueckten Weibes durchbebte mein Inneres - mir schwanden die Sinne - da wehte es mich an mit eiskaltem Frost - ich schlug die Augen auf - entsetzlich! mitten im Gewuehl der wilden Schlacht - vor mir die brennende Feldhuette, aus der man mich wahrscheinlich gerettet! - Stanislaus bedraengt von feindlichen Reitern - Freunde sprengen heran ihn zu retten - zu spaet, von hinten haut ihn ein Reiter herab vom Pferde." - Aufs neue sank Hermenegilda ueberwaeltigt von dem entsetzlichen Schmerz ohnmaechtig zusammen. Nepomuk eilte nach staerkenden Mitteln, doch es bedurfte ihrer nicht, mit wunderbarer Kraft fasste sich Hermenegilda zusammen. "Der Wille des Himmels ist erfuellt", sprach sie dumpf und feierlich, "nicht zu klagen ziemt es mir, aber bis zum Tode dem Gatten treu, soll kein irdisches Buendnis mich von ihm trennen. Um ihn trauern, fuer ihn, fuer unser Heil beten, das ist jetzt meine Bestimmung, und nichts soll diese mir verstoeren." Graf Nepomuk musste mit vollem Recht glauben, dass der innerlich bruetende Wahnsinn Hermenegildas sich durch jene Vision Luft gemacht habe, und da die ruhige kloesterliche Trauer Hermenegildas um den Gatten kein ausschweifendes beunruhigendes Treiben zuliess, so war dem Grafen Nepomuk dieser Zustand, den die Ankunft des Grafen Stanislaus schnell enden musste, ganz recht. Liess Nepomuk zuweilen etwas von Traeumereien und Visionen fallen, so laechelte Hermenegilda schmerzlich, dann drueckte sie aber den goldnen Ring, den sie am Finger trug, an den Mund und benetzte ihn mit heissen Traenen. Graf Nepomuk bemerkte mit Erstaunen, dass dieser Ring wirklich ein ganz fremder war, den er nie bei seiner Tochter gesehen, da es indessen tausend Faelle gab, wie sie dazu gekommen sein konnte, so gab er sich nicht einmal die Muehe weiter nachzuforschen. Wichtiger war ihm die boese Nachricht, dass Graf Stanislaus in feindliche Gefangenschaft geraten sei. Hermenegilda fing an auf eigne Weise zu kraenkeln, sie klagte oft ueber eine seltsame Empfindung, die sie eben nicht Krankheit nennen koenne, die aber ihr ganzes Wesen auf seltsame Art durchbebe. Um diese Zeit kam Fuerst Z. mit seiner Gemahlin. Die Fuerstin hatte, als Hermenegildas Mutter fruehzeitig starb, ihre Stelle vertreten und schon deshalb wurde sie von ihr mit kindlicher Hingebung empfangen. Hermenegilda erschloss der wuerdigen Frau ihr ganzes Herz und klagte mit der bittersten Wehmut, dass, unerachtet sie fuer die Wahrheit aller Umstaende ruecksichts der wirklich vollzogenen Trauung mit Stanislaus, die ueberzeugendsten Beweise habe, man sie doch eine wahnsinnige Traeumerin schelte. Die Fuerstin, von allem unterrichtet und von Hermenegildas zerruettetem Gemuetszustande ueberzeugt, huetete sich wohl ihr zu widersprechen; sie begnuegte sich damit, ihr zu versichern, dass die Zeit alles aufklaeren werde und dass es wohlgetan sei, sich in frommer Demut dem Willen des Himmels ganz zu ergeben. Aufmerksamer wurde die Fuerstin, als Hermenegilda von ihrem koerperlichen Zustande sprach und die sonderbaren Anfaelle beschrieb, die ihr Inneres zu verstoeren schienen. Man sah, wie die Fuerstin mit der aengstlichsten Sorgfalt ueber Hermenegilda wachte und wie ihre Bekuemmernis in dem Grade stieg, als Hermenegilda sich ganz zu erholen schien. Die todblassen Wangen und Lippen roeteten sich wieder, die Augen verloren das duestre unheimliche Feuer, der Blick wurde mild und ruhig, die abgemagerten Formen rundeten sich mehr und mehr, kurz Hermenegilda bluehte ganz auf in voller Jugend und Schoenheit. Und doch schien die Fuerstin sie fuer kraenker als jemals zu halten, denn: "Wie ist dir, was hast du mein Kind? - was fuehlst du?" so frug sie, quaelende Besorgnis im Gesicht, sobald Hermenegilda nur seufzte oder im mindesten erblasste. Graf Nepomuk, der Fuerst, die Fuerstin berateten sich, was es denn nun werden solle mit Hermenegilda und ihrer fixen Idee, Stanislaus' Witwe zu sein. "Ich glaube leider", sprach der Fuerst, "dass ihr Wahnsinn unheilbar bleiben wird, denn sie ist koerperlich kerngesund und naehrt den zerruetteten Zustand ihrer Seele mit voller Kraft. - Ja", fuhr er fort, als die Fuerstin schmerzlich vor sich hinblickte, "ja sie ist kerngesund, unerachtet sie zur Ungebuehr und zu ihrem offenbaren Nachteil wie eine Kranke gepflegt, gehaetschelt und geaengstet wird." Die Fuerstin, welche diese Worte trafen, fasste den Grafen Nepomuk ins Auge und sprach rasch und entschieden: "Nein! - Hermenegilda ist nicht krank, aber, laege es nicht im Reich der Unmoeglichkeit, dass sie sich vergangen haben koennte, so wuerde ich ueberzeugt sein, dass sie sich in guter Hoffnung befinde." Damit stand sie auf und verliess das Zimmer. Wie vom Blitz getroffen starrten sich Graf Nepomuk und der Fuerst an. Dieser, zuerst das Wort aufnehmend, meinte, dass seine Frau auch zuweilen von den sonderbarsten Visionen heimgesucht werde. Graf Nepomuk sprach aber sehr ernst: "Die Fuerstin hat darin recht, dass ein Vergehen der Art von seiten Hermenegildas durchaus im Reich der Unmoeglichkeit liegt, wenn ich dir aber sage, dass, als Hermenegilda gestern vor mir herging, mir es selbst wie ein naerrischer Gedanke durch den Sinn fuhr: 'Nun seht einmal, die junge Witwe ist ja guter Hoffnung'; dass dieser Gedanke offenbar nur durch das Betrachten ihrer Gestalt erzeugt werden konnte, wenn ich dir das alles sage, so wirst du es natuerlich finden, wie die Worte der Fuerstin mich mit trueber Besorgnis, ja mit der peinlichsten Angst erfuellen." - "So muss", erwiderte der Fuerst, "der Arzt oder die weise Frau entscheiden und entweder das vielleicht voreilige Urteil der Fuerstin vernichtet oder unsere Schande bestaetigst werden." Mehrere Tage schwankten beide von Entschluss zu Entschluss. Beiden wurden Hermenegildas Formen verdaechtig, die Fuerstin sollte entscheiden was jetzt zu tun. Sie verwarf die Einmischung eines vielleicht plauderhaften Arztes und meinte, dass andere Huelfe wohl erst in fuenf Monaten noetig sein wuerde. "Welche Huelfe?" schrie Graf Nepomuk entsetzt. "Ja", fuhr die Fuerstin mit erhoehter Stimme fort, "es ist nun gar kein Zweifel mehr, Hermenegilda ist entweder die verruchteste Heuchlerin, die jemals geboren, oder es waltet ein unerforschliches Geheimnis - genug, sie ist guter Hoffnung!" Ganz erstarrt vor Schreck fand Graf Nepomuk keine Worte; endlich sich muehsam ermannend beschwor er die Fuerstin, koste es was es wolle, von Hermenegilda selbst zu erforschen, wer der Unglueckselige sei, der die unausloeschliche Schmach ueber sein Haus gebracht. "Noch", sprach die Fuerstin, "noch ahnet Hermenegilda nicht, dass ich um ihren Zustand weiss. Von dem Moment, wenn ich es ihr sagen werde, wie es um sie steht, verspreche ich mir alles. Ueberrascht wird sie die Larve der Heuchlerin fallen lassen oder es muss sich sonst ihre Unschuld auf eine wunderbare Weise offenbaren, unerachtet ich es auch nicht zu traeumen vermag, wie dies sollte geschehen koennen." Noch denselben Abend war die Fuerstin mit Hermenegilda, deren muetterliches Ansehn mit jeder Stunde zuzunehmen schien, allein auf ihrem Zimmer. Da ergriff die Fuerstin das arme Kind bei beiden Armen, blickte ihr scharf ins Auge und sagte mit schneidendem Ton: "Liebe, du bist guter Hoffnung!" Da schlug Hermenegilda den wie von himmlischer Wonne verklaerten Blick in die Hoehe und rief mit dem Ton des hoechsten Entzueckens: "O Mutter, Mutter, ich weiss es ja! - Lange fuehlt ich es, dass ich, fiel auch der teure Gatte unter den moerderischen Streichen der wilden Feinde, dennoch unaussprechlich gluecklich sein sollte. Ja! - jener Moment meines hoechsten irdischen Gluecks lebt in mir fort, ich werde ihn ganz wieder haben den geliebten Gatten in dem teuern Pfande des suessen Bundes." Der Fuerstin war es, als finge sich alles an um sie zu drehen, als wollten ihr die Sinne schwinden. Die Wahrheit in Hermenegildas Ausdruck - ihr Entzuecken, ihre wahrhafte Verklaerung liess keinen Gedanken an erheucheltes Wesen, an Trug aufkommen und doch konnte nur toller Wahnsinn auf ihre Behauptung etwas geben. Von dem letzten Gedanken ganz erfasst, stiess die Fuerstin Hermenegilda von sich, indem sie heftig rief. "Unsinnige! Ein Traum haette dich in den Zustand versetzt, der Schmach und Schande ueber uns alle bringt! - glaubst du, dass du mich mit albernen Maerchen zu hintergehen vermagst? - Besinne dich - lass alle Ereignisse der vorigen Tage dir voruebergehen. Ein reuiges Bekenntnis kann uns vielleicht versoehnen." In Traenen gebadet, ganz aufgeloest von herbem Schmerz sank Hermenegilda vor der Fuerstin auf die Knie und jammerte: "Mutter, auch du schiltst mich eine Traeumerin, auch du glaubst nicht daran, dass die Kirche mich mit Stanislaus verband, dass ich sein Weib bin? - Aber sieh doch nur hier den Ring an meinem Finger was sage ich! - _Du_, _du_ kennst ja meinen Zustand, ist denn das nicht genug dich zu ueberzeugen, dass ich nicht traeumte?" Die Fuerstin nahm mit dem tiefsten Erstaunen wahr, dass Hermenegilden der Gedanke eines Vergehens gar nicht einkam, dass sie die Hindeutung darauf gar nicht aufgefasst, gar nicht verstanden. Der Fuerstin ihre Haende heftig an die Brust drueckend, flehte Hermenegilda immerfort, sie moege doch nur jetzt, da es ihr Zustand ausser Zweifel setze, an ihren Gatten glauben, und die ganz bestuerzte, ganz ausser sich gesetzte Frau wusste in der Tat selbst nicht mehr, was sie der Armen sagen, welchen Weg sie ueberhaupt einschlagen sollte, dem Geheimnis, das hier walten musste, auf die Spur zu kommen. Erst nach mehreren Tagen erklaerte die Fuerstin dem Gemahl und dem Grafen Nepomuk, dass es unmoeglich sei von Hermenegilda, die sich von dem Gatten schwanger glaube, mehr herauszubringen, als wovon sie selbst im Innersten der Seele ueberzeugt sei. Die Maenner voller Zorn schalten Hermenegilda eine Heuchlerin und insonderheit schwur Graf Nepomuk, dass, wenn gelinde Mittel sie nicht von dem wahnsinnigen Gedanken, ihm ein abgeschmacktes Maerchen aufzuheften, zurueckbringen wuerden, er es mit strengen Massregeln versuchen werde. Die Fuerstin meinte dagegen, dass jede Strenge eine zwecklose Grausamkeit sein wuerde. Ueberzeugt sei sie naemlich, wie gesagt, dass Hermenegilda keinesweges heuchle, sondern daran, was sie sage, mit voller Seele glaube. "Es gibt", fuhr sie fort, "noch manches Geheimnis in der Welt, das zu begreifen wir gaenzlich ausserstande sind. Wie, wenn das lebhafte Zusammenwirken des Gedankens auch eine physische Wirkung haben koennte, wie wenn eine geistige Zusammenkunft zwischen Stanislaus und Hermenegilda sie in den uns unerklaerlichen Zustand versetzte?" Unerachtet alles Zorns, aller Bedraengnis des fatalen Augenblicks konnten sich der Fuerst und Graf Nepomuk doch des lauten Lachens nicht enthalten, als die Fuerstin diesen Gedanken aeusserte, den die Maenner den sublimsten nannten, der je das Menschliche aetherisiert habe. Die Fuerstin blutrot im ganzen Gesicht meinte, dass den rohen Maennern der Sinn fuer dergleichen abginge, dass sie das ganze Verhaeltnis, in das ihr armes Kind, an dessen Unschuld sie unbedingt glaube, geraten, anstoessig und abscheulich finde, und dass eine Reise, die sie mit ihr zu unternehmen gedenke, das einzige und beste Mittel sei, sie der Arglist, dem Hohne ihrer Umgebung zu entziehen. Graf Nepomuk war mit diesem Vorschlage sehr zufrieden, denn da Hermenegilda selbst gar kein Geheimnis aus ihrem Zustande machte, so musste sie, sollte ihr Ruf verschont bleiben, freilich aus dem Kreise der Bekannten entfernt werden. Dies ausgemacht, fuehlten sich alle beruhigt. Graf Nepomuk dachte kaum mehr an das beaengstigende Geheimnis selbst, als er nur die Moeglichkeit sah, es der Welt, deren Hohn ihm das bitterste war, zu verbergen, und der Fuerst urteilte sehr richtig, dass bei der seltsamen Lage der Dinge, bei Hermenegildas unerheucheltem Gemuetszustande freilich gar nichts anders zu tun sei, als die Aufloesung des wunderbaren Raetsels der Zeit zu ueberlassen. Eben wollte man nach geschlossener Beratung auseinander gehen, als die ploetzliche Ankunft des Grafen Xaver von R. ueber alle neue Verlegenheit neue Kuemmernis brachte. Erhitzt von dem scharfen Ritt, ueber und ueber mit Staub bedeckt, mit der Hast eines von wilder Leidenschaft Getriebenen stuerzte er ins Zimmer und rief, ohne Gruss, alle Sitte nicht beachtend, mit starker Stimme: "Er ist tot, Graf Stanislaus! nicht in Gefangenschaft geriet er - nein - er wurde niedergehauen von den Feinden - hier sind die Beweise!" - Damit steckte er mehrere Briefe, die er schnell hervorgerissen, dem Grafen Nepomuk in die Haende. Dieser fing ganz bestuerzt an zu lesen. Die Fuerstin sah in die Blaetter hinein, kaum hatte sie wenige Zeilen erhascht, als sie mit zum Himmel emporgerichtetem Blick die Haende zusammenschlug und schmerzlich ausrief: "Hermenegilda! - armes Kind! - welches unerforschliche Geheimnis!" - Sie hatte gefunden, dass Stanislaus' Todestag gerade mit Hermenegildas Angabe zusammentraf, dass sich alles so begeben, wie sie es in dem verhaengnisvollen Augenblick geschaut hatte. "Er ist tot", sprach nun Xaver rasch und feurig, "Hermenegilda ist frei, mir, der ich sie liebe wie mein Leben, steht nichts mehr entgegen, ich bitte um ihre Hand!" - Graf Nepomuk vermochte nicht zu antworten, der Fuerst nahm das Wort und erklaerte, dass gewisse Umstaende es ganz unmoeglich machten, jetzt auf seinen Antrag einzugehen, dass er in diesem Augenblick nicht einmal Hermenegilda sehen koenne, dass es also das beste sei, sich wieder schnell zu entfernen, wie er gekommen. Xaver entgegnete, dass er Hermenegildas zerruetteten Gemuetszustand, von dem wahrscheinlich die Rede sei, recht gut kenne, dass er dies aber um so weniger fuer ein Hindernis halte, als gerade seine Verbindung mit Hermenegilda jenen Zustand enden wuerde. Die Fuerstin versicherte ihm, dass Hermenegilda ihrem Stanislaus Treue bis in den Tod geschworen, jede andere Verbindung daher verwerfen wuerde, uebrigens befinde sie sich gar nicht mehr auf dem Schlosse. Da lachte Xaver laut auf und meinte, nur des Vaters Einwilligung beduerfe er; Hermenegildas Herz zu ruehren, das solle man nur ihm ueberlassen. Ganz erzuernt ueber des Juenglings ungestueme Zudringlichkeit erklaerte Graf Nepomuk, dass er in diesem Augenblick vergebens auf seine Einwilligung hoffe und nur sogleich das Schloss verlassen moege. Graf Xaver sah ihn starr an, oeffnete die Tuer des Vorsaals und rief hinaus, Woyciech solle den Mantelsack hereinbringen, die Pferde absatteln und in den Stall fuehren. Dann kam er ins Zimmer zurueck, warf sich in den Lehnstuhl, der dicht am Fenster stand, und erklaerte ruhig und ernst: ehe er Hermenegilda gesehen und gesprochen, werde ihn nur offne Gewalt vom Schlosse wegtreiben. Graf Nepomuk meinte, dass er dann auf einen recht langen Aufenthalt rechnen koenne, uebrigens aber erlauben muesse, dass er seinerseits das Schloss verlasse. Alle, Graf Nepomuk, der Fuerst und seine Gemahlin gingen hierauf aus dem Zimmer, um so schnell als moeglich Hermenegilda fortzuschaffen. Der Zufall wollte indessen, dass sie gerade in dieser Stunde, ganz wider ihre sonstige Gewohnheit, in den Park gegangen war. Xaver, durch das Fenster blickend, an dem er sass, gewahrte sie ganz in der Ferne wandelnd. Er rannte hinunter in den Park und erreichte endlich Hermenegilda, als sie eben in jenen verhaengnisvollen Pavillon an der Suedseite des Parks trat. Ihr Zustand war nun schon beinahe jedem Auge sichtlich. "O all ihr Maechte des Himmels", rief Xaver, als er vor Hermenegilda stand, dann stuerzte er aber zu ihren Fuessen und beschwor sie, unter den heiligsten Beteurungen seiner gluehendsten Liebe, ihn zum gluecklichsten Gatten aufzunehmen. Hermenegilda, ganz ausser sich vor Schreck und Ueberraschung, sagte ihm: ein boeses Geschick habe ihn hergefuehrt, ihre Ruhe zu stoeren - niemals, niemals wuerde sie, dem geliebten Stanislaus zur Treue bis in den Tod verbunden, die Gattin eines andern werden. Als nun aber Xaver nicht aufhoerte mit Bitten und Beteurungen, als er endlich in toller Leidenschaft ihr vorhielt, dass sie sich selbst taeusche, dass sie _ihm_ ja schon die suessesten Liebesaugenblicke geschenkt, als er, aufgesprungen vom Boden, sie in seine Arme schliessen wollte, da stiess sie ihn, den Tod im Antlitz, mit Abscheu und Verachtung zurueck, indem sie rief. "Elender, selbstsuechtiger Tor, ebensowenig, wie du das suesse Pfand meines Bundes mit Stanislaus vernichten kannst, ebensowenig vermagst du mich zum verbrecherischen Bruch der Treue zu verfuehren - fort aus meinen Augen!" Da streckte Xaver die geballte Faust ihr entgegen, lachte laut auf in wildem Hohn und schrie: "Wahnsinnige, brachst du denn nicht selbst jenen albernen Schwur? - Das Kind, das du unter dem Herzen traegst, _mein_ Kind ist es, _mich_ umarmtest du hier an dieser Stelle - _meine_ Buhlschaft warst du und bleibst du, wenn ich dich nicht erhebe zu meiner Gattin." - Hermenegilda blickte ihn an, die Glut der Hoelle in den Augen, dann kreischte sie auf. "Ungeheuer!" und sank wie zum Tode getroffen nieder auf den Boden. Wie von allen Furien verfolgt, rannte Xaver in das Schloss zurueck, er traf auf die Fuerstin, die er mit Ungestuem bei der Hand ergriff und hineinzog in die Zimmer. "Sie hat mich verworfen mit Abscheu - mich, den Vater ihres Kindes!" - "Um aller Heiligen willen! Du? - Xaver! - mein Gott! - sprich, wie war es moeglich?" - so rief, von Entsetzen ergriffen, die Fuerstin. "Mag mich verdammen", fuhr Xaver gefasster fort, "mag mich verdammen wer da will, aber glueht ihm gleich mir das Blut in den Adern, gleich mir wird er in solchem Moment suendigen. In dem Pavillon traf ich Hermenegilda in einem seltsamen Zustande, den ich nicht zu beschreiben vermag. Sie lag wie festschlafend und traeumend auf dem Kanapee. Kaum war ich eingetreten, als sie sich erhob, auf mich zukam, mich bei der Hand ergriff und feierlichen Schritts durch den Pavillon ging. Dann kniete sie nieder, ich tat ein gleiches, sie betete, und ich bemerkte bald, dass sie im Geiste einen Priester vor uns sah. Sie zog einen Ring vom Finger, den sie dem Priester darreichte, ich nahm ihn und steckte ihr einen goldnen Ring an, den ich von meinem Finger zog, dann sank sie mit der inbruenstigsten Liebe in meine Arme. - Als ich entfloh, lag sie in tiefem bewusstlosen Schlaf." - "Entsetzlicher Mensch! - ungeheurer Frevel!" schrie die Fuerstin ganz ausser sich. - Graf Nepomuk und der Fuerst traten hinein, in wenigen Worten erfuhren sie Xavers Bekenntnisse, und wie tief wurde der Fuerstin zartes Gemuet verwundet, als die Maenner Xavers freveliche Tat sehr verzeihlich und durch seine Verbindung mit Hermenegilda gesuehnt fanden. "Nein", sprach die Fuerstin, "nimmer wird Hermenegilda _dem_ die Hand als Gattin reichen, der es wagte, wie der haemischte Geist der Hoelle, den hoechsten Moment ihres Lebens mit dem ungeheuersten Frevel zu vergiften." - "Sie wird", sprach Graf Xaver mit kaltem hoehnenden Stolz, "sie wird mir die Hand reichen muessen, um ihre Ehre zu retten - ich bleibe hier und alles fuegt sich." - In diesem Augenblick entstand ein dumpfes Geraeusch, man brachte Hermenegilda, die der Gaertner im Pavillon leblos gefunden, in das Schloss zurueck. Man legte sie auf das Sofa; ehe es die Fuerstin verhindern konnte, trat Xaver hinan und fasste ihre Hand. Da fuhr sie mit einem entsetzlichen Schrei, nicht menschlicher Ton, nein, dem schneidenden Jammerlaut eines wilden Tiers aehnlich, in die Hoehe und starrte in graesslicher Verzuckung den Grafen mit funkenspruehenden Augen an. Der taumelte wie vom toetenden Blitz getroffen zurueck und lallte kaum verstaendlich: "Pferde!" - Auf den Wink der Fuerstin brachte man ihn herab. - "Wein! - Wein!" schrie er, stuerzte einige Glaeser hinunter, warf sich dann erkraeftigt aufs Pferd und jug davon. - Hermenegildas Zustand, der aus dumpfen Wahnsinn in wilde Raserei uebergehen zu wollen schien, aenderte auch Nepomuks und des Fuersten Gesinnungen, die nun erst das Entsetzliche, Unsuehnbare von Xavers Tat einsahen. Man wollte nach dem Arzt senden, aber die Fuerstin verwarf alle aerztliche Huelfe, wo nur geistlicher Trost vielleicht wirken koenne. Statt des Arztes erschien also der Karmelitermoench Cyprianus, Beichtvater des Hauses. Auf wunderbare Weise gelang es ihm, Hermenegilda aus der Bewusstlosigkeit des stieren Wahnsinns zu erwecken. Noch mehr! - bald wurde sie ruhig und gefasst; sie sprach ganz zusammenhaengend mit der Fuerstin, der sie den Wunsch aeusserte, nach ihrer Niederkunft ihr Leben im Zisterzienserkloster zu O. in steter Reue und Trauer hinzubringen. Ihren Trauerkleidern hatte sie Schleier hinzugefuegt, die ihr Gesicht undurchdringlich verhuellten und die sie niemals luepfte. Pater Cyprianus verliess das Schloss, kam aber nach einigen Tagen wieder. Unterdessen hatte der Fuerst Z. an den Buergermeister zu L. geschrieben, dort sollte Hermenegilda ihre Niederkunft abwarten und von der Aebtissin des Zisterzienserklosters, einer Verwandten des Hauses, dahingebracht werden, waehrend die Fuerstin nach Italien reiste, und angeblich Hermenegilda mitnahm. - Es war Mitternacht, der Wagen, der Hermenegilda nach dem Kloster bringen sollte, stand vor der Tuere. Von Gram gebeugt erwartete Nepomuk, der Fuerst, die Fuerstin, das unglueckliche Kind, um von ihr Abschied zu nehmen. Da trat sie in Schleier gehuellt, an der Hand des Moenchs, in das von Kerzen hell erleuchtete Zimmer. Cyprianus sprach mit feierlicher Stimme: "Die Laienschwester Coelestina suendigte schwer, als sie sich noch in der Welt befand, denn der Frevel des Teufels befleckte ihr reines Gemuet, doch ein unaufloesliches Geluebde bringt ihr Trost - Ruhe und ewige Seligkeit! - Nie wird die Welt mehr das Antlitz schauen, dessen Schoenheit den Teufel anlockte - schaut her! - so beginnt und vollendet Coelestina ihre Busse!" - Damit hob der Moench Hermenegildas Schleier auf, und schneidendes Weh durchfuhr alle, da sie die blasse Totenlarve erblickten, in die Hermenegildas engelschoenes Antlitz auf immer verschlossen! - Sie schied, keines Wortes maechtig, von dem Vater, der ganz aufgeloest von verzehrendem Schmerz nicht mehr leben zu koennen dachte. Der Fuerst, sonst ein gefasster Mann, badete sich in Traenen, nur der Fuerstin gelang es, mit aller Macht den Schrecken jenes grauenvollen Geluebdes niederkaempfend, sich aufrecht zu erhalten in milder Fassung. Wie Graf Xaver Hermenegildas Aufenthalt und sogar den Umstand, dass das geborne Kind der Kirche geweiht sein sollte, erfahren, ist unerklaerlich. Wenig nutzte ihm der Raub des Kindes, denn als er nach P. gekommen, und es in die Haende einer vertrauten Frau zur Pflege geben wollte, war es nicht, wie er glaubte, von der Kaelte ohnmaechtig geworden, sondern tot. Darauf verschwand Graf Xaver spurlos, und man glaubte, er habe sich den Tod gegeben. Mehrere Jahre waren vergangen, als der junge Fuerst Boleslaw von Z. auf seinen Reisen nach Neapel in die Naehe des Posilippo kam. Dort in der anmutigsten Gegend liegt ein Kamaldulenserkloster, zu dem der Fuerst heraufstieg, um eine Aussicht zu geniessen, die ihm als die reizendste in ganz Neapel geschildert worden. Eben im Begriff, auf die herausspringende Felsenspitze im Garten zu treten, die ihm als der schoenste Punkt beschrieben, bemerkte er einen Moench, der vor ihm auf einem grossen Stein Platz genommen und, ein aufgeschlagenes Gebetbuch auf dem Schoss, in die Ferne hinausschaute. Sein Antlitz, in den Grundzuegen noch jugendlich, war nur durch tiefen Gram entstellt. Dem Fuersten kam, als er den Moench naeher und naeher betrachtete, eine dunkle Erinnerung. Er schlich naeher heran und es fiel ihm gleich ins Auge, dass das Gebetbuch in polnischer Sprache abgefasst war. Darauf redete er den Moench polnisch an, dieser wandte sich voller Schreck um, kaum hatte er aber den Fuersten erblickt, als er sein Gesicht verhuellte und schnell, wie vom boesen Geist getrieben, durch die Gebuesche entfloh. Fuerst Boleslaw versicherte, als er dem Grafen Nepomuk das Abenteuer erzaehlte, dieser Moench sei niemand anders gewesen, als der Graf Xaver von R. Das steinerne Herz Jedem Reisenden, der bei guter Tageszeit sich dem Staedtchen G. von der suedlichen Seite bis auf eine halbe Stunde Weges genaehert, faellt der Landstrasse rechts ein stattliches Landhaus in die Augen, welches mit seinen wunderlichen bunten Zinnen aus finsterm Gebuesch blickend, emporsteigt. Dieses Gebuesch umkraenzte den weitlaeufigen Garten, der sich in weiter Strecke talabwaerts hinzieht. Kommst du einmal, vielgeliebter Leser! des Weges, so scheue weder den kleinen Aufenthalt deiner Reise, noch das kleine Trinkgeld, das du etwa dem Gaertner geben duerftest, sondern steige fein aus dem Wagen, und lass dir Haus und Garten aufschliessen, vorgebend, du haettest den verstorbenen Eigentuemer des anmutigen Landsitzes, den Hofrat Reutlinger in G., recht gut gekannt. Im Grunde genommen kannst du dies alsdann mit gutem Fug tun, wenn es dir gefallen sollte, alles, was ich dir zu erzaehlen eben im Begriff stehe, bis ans Ende durchzulesen; denn ich hoffe, der Hofrat Reutlinger soll dir alsdann mit all seinem sonderbaren Tun und Treiben so vor Augen stehen, als ob du ihn wirklich selbst gekannt haettest. Schon von aussen findest du das Landhaus auf altertuemliche groteske Weise mit bunten gemalten Zieraten verschmueckt, du klagst mit Recht ueber die Geschmacklosigkeit dieser zum Teil widersinnigen Wandgemaelde, aber bei naeherer Betrachtung weht dich ein besonderer wunderbarer Geist aus diesen bemalten Steinen an und mit einem leisen Schauer, der dich ueberlaeuft, trittst du in die weite Vorhalle. Auf den in Felder abgeteilten, mit weissem Gipsmarmor bekleideten Waenden erblickest du mit grellen Farben gemalte Arabesken, die in den wunderlichsten Verschlingungen, Menschen- und Tiergestalten, Blumen, Fruechte, Gesteine, darstellen, und deren Bedeutung du ohne weitere Verdeutlichung zu ahnen glaubst. Im Saal, der den untern Stock in der Breite einnimmt und bis ueber den zweiten Stock hinaufsteigt, scheint in vergoldeter Bilderei alles das plastisch ausgefuehrt, was erst durch Gemaelde angedeutet wurde. Du wirst im ersten Augenblick vom verdorbenen Geschmack des Zeitalters Ludwig des Vierzehnten reden, du wirst weidlich schmaelen ueber das Barocke, Ueberladene, Grelle, Geschmacklose dieses Stils, aber bist du nur was weniges meines Sinnes, fehlt es dir nicht an reger Fantasie, welches ich allemal bei dir, mein guetiger Leser! voraussetze, so wirst du bald allen in der Tat gegruendeten Tadel vergessen. Es wird dir so zumute werden, als sei die regellose Willkuer nur das kecke Spiel des Meisters mit Gestaltungen, ueber die er unumschraenkt zu herrschen wusste, dann aber, als verkette sich alles zur bittersten Ironie des irdischen Treibens, die nur dem tiefen, aber an einer Todeswunde kraenkelnden Gemuet eigen. Ich rate dir, geliebter Leser! die kleinen Zimmer des zweiten Stocks, die wie eine Galerie den Saal umgeben, und aus deren Fenstern man hinabschaut in den Saal, zu durchwandern. Hier sind die Verzierungen sehr einfach, aber hin und wieder stoessest du auf teutsche, arabische und tuerkische Inschriften, die sich wunderlich genug ausnehmen. Du eilst jetzt nach dem Garten, er ist nach altfranzoesischer Art mit langen, breiten, von hohen Taxuswaenden umschlossenen Gaengen, mit geraeumigen [Bosketts] angelegt, und mit Statuen, mit Fontaenen geschmueckt. Ich weiss nicht, ob du, geliebter Leser, nicht auch den ernsten feierlichen Eindruck, den solch ein altfranzoesischer Garten macht, mit mir fuehlst, und ob du solch ein Gartenkunstwerk nicht der albernen Kleinigkeitskraemerei vorziehst, die in unsern sogenannten englischen Gaerten mit Brueckchen und Fluesslein, und Tempelchen und Groettchen getrieben wird. Am Ende des Gartens trittst du in einen finstern Hain von Trauerweiden, Haengebirken und Weymouthskiefern. Der Gaertner sagt dir, dass dies Waeldchen, wie man es von der Hoehe des Hauses hinabschauend, deutlich wahrnehmen kann, die Form eines Herzens hat. Mitten darin ist ein Pavillon von dunklem schlesischen Marmor in der Form eines Herzens erbaut. Du tritts hinein, der Boden ist mit weissen Marmorplatten ausgelegt, in der Mitte erblickst du ein Herz in gewoehnlicher Groesse. Es ist ein dunkelroter in den weissen Marmor eingefugter Stein. Du bueckst dich herab, und entdeckest die in den Stein eingegrabenen Worte: _Es_ruht!_ In diesem Pavillon, bei diesem dunkelroten steinernen Herzen, das damals jene Inschrift noch nicht trug, standen am Tage Mariae Geburt, das heisst am achten September des Jahres 180- ein grosser stattlicher alter Herr und eine alte Dame, beide sehr reich und schoen nach der Mode der sechziger Jahre gekleidet. "Aber", sprach die alte Dame, "aber wie kam Ihnen, lieber Hofrat, denn wieder die bizarre, ich moechte lieber sagen, die schauervolle Idee, in diesem Pavillon das Grabmal Ihres Herzens, das unter dem roten Stein ruhen soll, bauen zu lassen?" "Lassen Sie uns", erwiderte der alte Herr, "lassen Sie uns, liebe Geheime Raetin, von diesen Dingen schweigen! - Nennen Sie es das krankhafte Spiel eines wunden Gemuets, nennen Sie es wie Sie wollen, aber erfahren Sie, dass, wenn mich mitten unter dem reichen Gut, das das haemische Glueck wie ein Spielzeug dem einfaeltigen Kinde, das darueber die Todeswunden vergisst, mir zuwarf, der bitterste Unmut ergreift, wenn alles erfahrne Leid von neuem auf mich zutritt, dass ich dann hier in diesen Mauern Trost und Beruhigung finde. Meine Blutstropfen haben den Stein so rot gefaerbt, aber er ist eiskalt, bald liegt er auf meinem Herzen und kuehlt die verderbliche Glut, welche darin loderte." Die alte Dame sah mit einem Blick der tiefsten Wehmut herab zum steinernen Herzen, und indem sie sich etwas herabbueckte, fielen ein paar grosse perlenglaenzende Traenen auf den roten Stein. Da fasste der alte Herr schnell herueber und ergriff ihre Hand. Seine Augen erblitzten im jugendlichen Feuer; wie ein fernes mit Blueten und Blumen reich geschmuecktes herrliches Land im schimmernden Abendrot lag eine laengst vergangene Zeit voll Liebe und Seligkeit in seinen gluehenden Blicken. "Julie! - Julie! und auch _Sie_ konnten dieses arme Herz so auf den Tod verwunden." - So rief der alte Herr mit von der schmerzlichsten Wehmut halberstickter Stimme. "Nicht mich", erwiderte die alte Dame sehr weich und zaertlich, "nicht mich, klagen Sie an, Maximilian! - War es denn nicht Ihr starrer unversoehnlicher Sinn, Ihr traeumerischer Glaube an Ahnungen, an seltsame, Unheil verkuendende Visionen, der Sie forttrieb von mir, und der mich zuletzt bestimmen musste, dem sanfteren, beugsameren Mann, der mit Ihnen zugleich sich um mich bewarb, den Vorzug zu geben. Ach! Maximilian, Sie mussten es ja wohl fuehlen, wie innig Sie geliebt wurden, aber Ihre ewige Selbstqual, peinigte sie mich nicht bis zur Todesermattung?" Der alte Herr unterbrach die Dame, indem er ihre Hand fahren liess: "O Sie haben recht, Frau Geheime Raetin, ich muss allein stehen, kein menschliches Herz darf sich mir anschmiegen, alles was Freundschaft, was Liebe vermag, prallt wirkungslos ab von diesem steinernen Herzen." - "Wie bitter", fiel die Dame dem alten Herrn in die Rede, "Wie bitter, wie ungerecht gegen sich selbst, und andere sind Sie, Maximilian! - Wer kennt Sie denn nicht als den freigebigsten Wohltaeter der Beduerftigen, als den unwandelbarsten Verfechter des Rechts, der Billigkeit, aber welches boese Geschick warf jenes entsetzliche Misstrauen in Ihre Seele, das in einem Wort, in einem Blick, ja in irgend einem von jeder Willkuer unabhaengigen Ereignis Verderben und Unheil ahnet?" - "Hege ich denn nicht alles", sprach der alte Herr mit weicherer Stimme und Traenen in den Augen, "hege ich denn nicht alles, was sich mir naehert, mit der vollsten Liebe? Aber diese Liebe zerreisst mir das Herz, statt es zu naehren. - Ha!" fuhr er mit erhoehter Stimme fort, "dem unerforschlichen Geist der Welten gefiel es mich mit einer Gabe auszustatten, die, mich dem Tode entreissend, mich hundertmal toetet! - Gleich dem Ewigen Juden, sehe ich das unsichtbare Kainszeichen auf der Stirne des gleisnerischen Meuters! - Ich erkenne die geheimen Warnungen, die oft wie spielende Raetsel der geheimnisvolle Koenig der Welt, den wir Zufall nennen, uns in den Weg wirft. Eine holde Jungfrau schaut uns mit hellen klaren Isisaugen an, aber wer ihre Raetsel nicht loest, den ergreift sie mit kraeftigen Loewentatzen, und schleudert ihn in den Abgrund." - "Noch immer", sprach die alte Dame, "noch immer diese verderblichen Traeume. Wo blieb der schoene, artige Knabe, Ihres juengern Bruders Sohn, den Sie vor einigen Jahren so liebreich aufgenommen, in dem so viel Liebe und Trost fuer Sie aufzukeimen schien?" - "Den", erwiderte der alte Herr mit rauher Stimme, "den habe ich verstossen, es war ein Boesewicht, eine Schlange, die ich mir zum Verderben im Busen naehrte." - "Ein Boesewicht! - der Knabe von sechs Jahren?" fragte die Dame ganz bestuerzt. "Sie wissen", fuhr der alte Herr fort, "die Geschichte meines juengern Bruders; Sie wissen, dass er mich mehrmals auf buebische Weise taeuschte, dass, alles bruederliche Gefuehl in seiner Brust ertoetend, ihm jede Wohltat, die ich ihm erzeigte, zur Waffe gegen mich diente. An ihm, an seinem rastlosen Streben lag es nicht, dass nicht meine Ehre, meine buergerliche Existenz verloren ging. Sie wissen, wie er vor mehreren Jahren, in das tiefste Elend versunken, zu mir kam, wie er mir Aenderung seiner verworrenen Lebensweise, wiedererwachte Liebe heuchelte, wie ich ihn hegte und pflegte, wie er dann seinen Aufenthalt in meinem Hause nutzte, um gewisse Dokumente - doch genug davon. Sein Knabe gefiel mir, und diesen behielt ich bei mir, als der Schaendliche, nachdem seine Raenke, die mich in einen meine Ehre vernichtenden Kriminalprozess verwickeln sollten, entdeckt worden, fliehen musste. Ein warnender Wink des Schicksals befreiete mich von dem Boesewicht." - "Und dieser Wink des Schicksals war gewiss einer Ihrer boesen Traeume." So sprach die alte Dame, doch der alte Herr fuhr fort: "Hoeren Sie, urteilen Sie Julie! - Sie wissen, dass meines Bruders Teufelei mir den haertesten Stoss gab, den ich erlitten - es sei denn, dass - doch still davon. Mag es sein, dass ich der Seelenkrankheit, die mich befallen, den Gedanken zuschreiben muss, mir in diesem Waeldchen eine Grabstaette fuer mein Herz bereiten zu lassen. Genug, es geschah! - Das Waeldchen war in Herzform angepflanzt, der Pavillon erbaut, die Arbeiter beschaeftigten sich mit der Marmortaefelung des Fussbodens. Ich trete hinan, um nach dem Werk zu sehen. Da bemerke ich, dass in einiger Entfernung der Knabe, so wie ich, Max geheissen, etwas hin- und herkugelt unter allerlei tollen Bocksspruengen und lautem Gelaechter. Eine finstere Ahnung geht durch meine Seele! - Ich gehe los auf den Knaben und erstarre, als ich sehe, dass es der rote herzfoermig ausgearbeitete Stein ist, der zum Einlegen in dem Pavillon bereit lag, den er mit Muehe herausgekugelt hat und mit dem er nun spielt! 'Bube! du spielst mit meinem Herzen, wie dein Vater!' - Mit diesen Worten stiess ich ihn voll Abscheu von mir, als er sich weinend mir nahte. - Mein Verwalter erhielt die noetigen Befehle ihn fortzuschaffen, ich habe den Knaben nicht wiedergesehen!" - "Entsetzlicher Mann!" rief die alte Dame, die aber der alte Herr sich hoeflich verbeugend, und mit den Worten: "Des Schicksals grosse Grundstriche fuegen sich nicht dem feinen Nonpareil der Damen", unter dem Arm fasste, und aus dem Pavillon hinausfuehrte durch das Waeldchen in den Garten. - Der alte Herr war der Hofrat Reutlinger, die alte Dame aber die Geheime Raetin Foerd. - - Der Garten bot das allermerkwuerdigste Schauspiel dar, was man nur sehen konnte. Eine grosse Gesellschaft alter Herren, Geheime Raete, Hofraete u.a. nebst ihren Familien aus den benachbarten Staedtchen hatte sich versammelt. Alle, selbst die jungen Leute und Maedchen waren ganz streng nach der Mode des Jahres 1760 gekleidet mit grossen Peruecken, gesteiften Kleidern, hohen Frisuren, Reifroecken usw., welches denn um so mehr einen wunderlichen Eindruck machte, als die Anlagen des Gartens ganz zu jenem Kostuem passten. Jeder glaubte sich, wie durch einen Zauberschlag, in eine laengst verflossene Zeit zurueckversetzt. Der Maskerade lag eine wunderliche Idee Reutlingers zum Grunde. Er pflegte alle drei Jahre am Tage Mariae Geburt auf seinem Landsitz das "Fest der alten Zeit" zu feiern, wozu er alles aus dem Staedtchen, was nur kommen wollte, einlud, jedoch war es unerlaessliche Bedingung, dass jeder Gast sich in das Kostuem des Jahres 1760 werfen musste. Jungen Leuten, denen es laestig gewesen sein wuerde, dergleichen Kleider herbeizuschaffen, half der Hofrat aus mit seiner eigenen reichen Garderobe. - Offenbar wollte der Hofrat diese Zeit hindurch (das Fest dauerte zwei bis drei Tage) in Rueckerinnerungen der alten Jugendzeit recht schwelgen. In einer Seitenallee begegneten sich Ernst und Willibald. Beide sahen sich eine Weile schweigend an und brachen dann in ein helles Gelaechter aus. "Du kommst mir vor", rief Willibald, "wie der im Irrgarten der Liebe herumtaumelnde Kavalier." "Und mich duenkt", erwiderte Ernst, "ich haette dich schon in der asiatischen Banise erblickt." - "Aber in der Tat", fuhr Willibald fort, "des alten Hofrats Einfall ist so uebel nicht. Er will nun einmal sich selbst mystifizieren, er will eine Zeit hervorzaubern, in der er wahrhaft lebte, unerachtet er noch jetzt ein munterer starker Greis mit unverwuestlicher Lebenskraft und herrlicher Frischheit des Geistes, an Erregbarkeit und fantasiereicher Laune es manchem vor der Zeit abgestumpften Juenglinge zuvortut. Er darf nicht dafuer sorgen, dass jemand in Wort und Gebaerde aus dem Kostuem falle, denn dafuer steckt jeder eben in den Kleidern die ihm das ganz unmoeglich machen. Sieh nur wie juengferlich und zunferlich unsere jungen Damen in ihren Reifroecken einhertrippeln, wie sie sich des Faechers zu bedienen wissen. - Wahrhaftig mich selbst ergreift unter der Peruecke, die ich auf meinen Titus gestuelpt, ein ganz besonderer Geist altertuemlicher Courtoisie, da ich eben das allerliebste Kind, des Geh. Rates Foerd juengste Tochter, die holde Julie erblicke, so weiss ich gar nicht was mich abhaelt, mich ihr in demuetiger Stellung zu nahen und mich also zu applizieren und explizieren: 'Allerschoenste Julia! wenn wird mir doch die laengst gewuenschte Ruhe durch deine Gegenliebe gewaehrt werden! Es ist ja unmoeglich, dass den Tempel dieser Schoenheit ein steinerner Abgott bewohnen koenne. Den Marmor bezwingt der Regen und der Diamant wird durch schlechtes Blut erweichet; dein Herz will aber einem Ambosse gleichen, welches sich nur durch Schlaege verhaertet; je mehr nun mein Herze klopfet, je unempfindlicher wirst du. Lass mich doch das Ziel deines Blicks sein, schaue doch wie mein Herz kocht und meine Seele nach der Erquickung lechzet, welche aus deiner Anmut quillt. Ach! - willst du mich durch Schweigen betrueben, unempfindliche Seele? Die toten Felsen antworten ja den Fragenden durch ein Echo und du willst mich Trostlosen keiner Antwort wuerdigen? - O Allerschoenste'" - "Ich bitte dich", unterbrach hier Ernst den Freund, der mit dem wunderlichsten Gebaerdenspiel das alles gesprochen, "ich bitte dich, halt ein, du bist nun einmal wieder in deiner tollen Laune und merkst nicht, wie Julie, erst sich uns freundlich naehernd, mit einem Mal ganz scheu ausbog. Ohne dich zu verstehen, glaubt sie gewiss so wie alle in gleichem Fall, schonungslos von dir bespoettelt zu sein, und so bewaehrst du deinen Ruf als eingefleischten ironischen Satan und ziehst mich neuen Ankoemmling ins Unglueck, denn schon sprechen alle mit zweideutigem Seitenblick und bittersuessem Laecheln: 'Es ist Willibalds Freund.'" - "Lass es gut sein", sprach Willibald, "ich weiss es ja, dass viele Leute, zumal junge hoffnungsvolle Maedchen von sechszehn, siebzehn Jahren mir sorglich ausweichen, aber ich kenne das Ziel, wohin alle Wege fuehren, und weiss auch, dass sie dort mir begegnend oder vielmehr mich wie im eignen Hause angesiedelt treffend, recht mit vollem freundlichen Gemuet mir die Hand reichen werden." - "Du meinst", sprach Ernst, "eine Versoehnung, wie im ewgen Leben, wenn der Drang des Irdischen abgeschuettelt." - "O ich bitte dich", unterbrach ihn Willibald, "lass uns doch gescheut sein und nicht alte, laengst besprochene Dinge aufs neue und gerade zur unguenstigsten Stunde aufruehren. Unguenstig fuer derlei Gespraeche nenne ich naemlich deshalb eben diese Stunden, weil wir gar nichts Besseres tun koennen, als uns dem seltsamen Eindruck alles des Wunderlichen, womit uns Reutlingers Laune, wie in einen Rahmen eingefasst hat, hingeben. Siehst du wohl jenen Baum, dessen ungeheure weisse Blueten der Wind hin- und herschuettelt? - Cactus grandiflorus kann es nicht sein, denn der blueht nur mitternachts und ich spuere auch nicht das Aroma, welches sich bis hierher verbreiten muesste. Weiss der Himmel, welchen Wunderbaum der Hofrat wieder in sein Tusculum verpflanzt hat." - Die Freunde gingen auf den Wunderbaum los und wunderten sich in der Tat nicht wenig, als sie einen dicken dunklen Holunderbusch trafen, dessen Blueten nichts anders waren, als hineingehaengte weissgepuderte Peruecken, die mit ihren darangehaengten Haarbeuteln und Zoepfchen, ein kurioses Spielzeug des launigten Suedwinds, auf- und niederschaukelten. Lautes Lachen verkuendete was hinter den Bueschen verborgen. Eine ganze Gesellschaft alter gemuetlicher lebenskraeftiger Herren hatte sich auf einem breiten von buntem Buschwerk umgebenen Rasenplatz versammelt. Die Roecke ausgezogen, die laestigen Peruecken in den Holunder gehaengt, schlugen sie Ballon. Aber niemand uebertraf den Hofrat Reutlinger, der den Ballon bis zu einer unglaublichen Hoehe und so geschickt zu treiben wusste, dass er jedesmal dem Gegenspieler schlaggerecht niederfiel. In dem Augenblick liess sich eine abscheuliche Musik von kleinen Pfeifen und dumpfen Trommeln hoeren. Die Herren endeten schnell ihr Spiel und griffen nach ihren Roecken und Peruecken. "Was ist denn das nun wieder?" sprach Ernst. "Ich wette", erwiderte Willibald, "der tuerkische Gesandte zieht ein." - "Der tuerkische Gesandte?" frug Ernst ganz erstaunt. "So nenne ich", fuhr Willibald fort, "den Baron von Exter, der sich in G. aufhaelt und den du noch viel zu wenig gesehen hast, um in ihm nicht eins der wunderlichsten Originale zu erkennen, die es geben mag. Er ist ehemals Gesandter unseres Hofes in Konstantinopel gewesen und noch immer sonnt er sich in dem Reflex dieser wahrscheinlich genussreichsten Fruehlingszeit seines Lebens. Seine Beschreibung des Palastes, den er in Pera bewohnte, erinnert an die diamantnen Feen-Palaeste in Tausendundeiner Nacht, und seine Lebensweise an den weisen Koenig Salomo, dem er auch darin gleichen will, dass er sich wirklich der Herrschaft ueber unbekannte Naturkraefte ruehmt. In der Tat hat dieser Baron Exter seiner luegnerischen Prahlerei, seiner Charlatanerie unerachtet, doch etwas Mystisches, das mich wenigstens in drolligem Abstich mit seiner aeussern etwas skurrilen Erscheinung oft wirklich mystifiziert. Davon, ich meine von seinem wirklich mystischen Treiben geheimer Wissenschaften, ruehrt auch seine enge Verbindung mit Reutlingern her, der diesem Wesen ganz ergeben ist mit Leib und Seele. - Beide sind wunderliche Traeumer, aber jeder auf seine Weise, uebrigens aber entschiedene Mesmerianer." - Unter diesem Gespraech waren die Freunde bis an des Gartens grosses Gattertor gelangt, durch welches soeben der tuerkische Gesandte einzog. Ein kleiner rundlicher Mann mit einem schoenen tuerkischen Pelz und hohem aus farbigten Shawls aufgewickeltem Turban angetan. Aus Gewohnheit hatte er sich aber nicht von der eng anschliessenden Zopfperuecke mit kleinen Loeckchen, aus Beduerfnis nicht von den filznen Podagristenstiefeln trennen koennen, wodurch freilich das tuerkische Kostuem schwer verletzt wurde. Seine Begleiter, die das abscheuliche musikalische Geraeusch machten und in denen Willibald trotz der Vermummung Exters Koch und anderes Hausgesinde erkannte, waren zu Mohren angerusst und trugen spitze gemalte Papiermuetzen, den Sanbenitos nicht unaehnlich, welches drollig genug aussah. Den tuerkischen Gesandten fuehrte am Arm ein alter Offizier, nach seiner Tracht von irgend einem Schlachtfelde des Siebenjaehrigen Krieges erwacht und erstanden. Es war der General Rixendorf, Kommandant von G., der dem Hofrat zu Gefallen samt seinen Offizieren sich in das alte Kostuem geworfen hatte. "Salama milek!" sprach der Hofrat den Baron Exter umarmend, der sofort den Turban abnahm, und ihn wieder auf die Peruecke stuelpte, nachdem er sich den Schweiss von der Stirne mit einem ostindischen Tuch weggetrocknet. In dem Augenblick bewegte sich auch in den Zweigen eines Spaetkirschenbaums der goldstrahlende Fleck, den Ernst schon lange betrachtet hatte, ohne entraetseln zu koennen, was da oben sitze. Es war bloss der Geheime Kommerzienrat Harscher in einem goldstoffnen Ehrenkleide, ebensolchen Beinkleidern und silberstoffner mit blauen Rosenboukets bestreuter Weste, der nun sich aus den Blaettern des Kirschbaums entwickelte, und fuer sein Alter behende genug auf der angelehnten Leiter herabstieg und mit ganz feiner etwas quaekender Stimme singend oder vielmehr kreischend: "Ah! che vedo - o dio che sento!" dem tuerkischen Gesandten in die Arme eilte. Der Kommerzienrat hatte seine Jugendzeit in Italien zugebracht, war ein grosser Musikus und wollte noch immer mittelst eines lang geuebten Falsetts singen wie Farinelli. "Ich weiss", sprach Willibald, "dass Harscher sich die Taschen mit Spaetkirschen vollgestopft hat, die er, irgend ein Madrigal suess lamentierend, den Damen praesentieren wird. Da er aber wie Friedrich der Zweite den Spaniol ohne Dose in der Tasche ausgeschuettet traegt, wird er mit seiner Galanterie nur widerwilliges Ablehnen und finstre Gesichter einernten." - Ueberall war nun der tuerkische Gesandte sowie der Held des Siebenjaehrigen Krieges mit Freude und Jubel empfangen worden. Letzterer wurde von Julchen Foerd mit kindlicher Demut begruesst, tief beugte sie sich vor dem alten Herrn und wollte ihm die Hand kuessen, da sprang aber der tuerkische Gesandte wild dazwischen, rief. "Narrheiten, tolles Zeug!" umarmte Julchen mit Heftigkeit, wobei er dem Kommerzienrat Harscher sehr hart auf die Fuesse trat, der aber vor Schmerz nur ein ganz klein wenig miaute und rannte dann mit Julien, die er unter den Arm gefasst, davon. - Man sah, dass er sehr eifrig mit den Haenden focht, den Turban auf- und abstuelpte usw. "Was hat der Alte mit dem Maedchen vor?" sprach Ernst. "In der Tat", erwiderte Willibald, "es scheint Wichtiges, denn, ist Exter gleich des Maedchens Pate und ganz vernarrt in sie, so pflegt er doch nicht sogleich aus der Gesellschaft mit ihr davonzulaufen." - In dem Augenblick blieb der tuerkische Gesandte stehen, streckte den rechten Arm weit von sich und rief mit starker Stimme, dass es im ganzen Garten widerhallte: "Apporte!" - Willibald brach in ein lautes Gelaechter aus. "Wahrhaftig", sprach er dann, "es ist weiter nichts, als dass Exter Julien zum tausendstenmal die merkwuerdige Geschichte vom Seehunde erzaehlt." Ernst wollte diese merkwuerdige Geschichte durchaus wissen. "Erfahre denn", sprach Willibald, "dass Exters Palast dicht am Bosporus lag, so dass Stufen von dem feinsten karrarischen Marmor hinabfuehrten ins Meer. Eines Tages steht Exter auf der Galerie in die tiefsinnigsten Betrachtungen versunken, aus denen ihn ein durchdringender gellender Schrei hinausreisst. Er schaut hinab und siehe, ein ungeheurer Seehund ist aus dem Meer hinaufgetaucht und hat einem armen tuerkischen Weibe, die auf den Marmorstufen sass, den Knaben von dem Arm hinabgerissen, mit dem er eben abfaehrt in die Meereswellen. Exter eilt hinab, das Weib faellt ihm trostlos weinend und heulend zu Fuessen. Exter besinnt sich nicht lange, er tritt dicht ans Meer auf die letzte Stufe, streckt den Arm aus und ruft mit starker Stimme: 'Apporte!' - Sogleich steigt der Seehund aus der Tiefe des Meers, im weiten Maule den Knaben, den er zierlich und geschickt, wie auch ganz unversehrt dem Magier ueberreicht und sodann jedem Dank ausweichend, sich wieder entfernt in das Meer niedertaucht." - "Das ist stark - das ist stark", rief Ernst. "Siehst du wohl", fuhr Willibald fort, "siehst du wohl, wie Exter jetzt einen kleinen Ring vom Finger zieht und ihn Julien zeigt? Keine Tugend bleibt unbelohnt! - Ausser dem, dass Exter dem tuerkischen Weibe den Knaben gerettet hatte, so beschenkte er sie noch, als er vernahm, dass ihr Mann ein armer Lasttraeger, kaum das taegliche Brot zu verdienen vermochte, mit einigen Juwelen und Goldstuecken, freilich nur eine Lumperei, hoechstens zwanzig- bis dreissigtausend Taler an Wert; darauf zog das Weib einen kleinen Saphir vom Finger und drang ihn Extern auf mit der Versicherung, es sei ein teures ererbtes Familienstueck, das nur durch Exters Tat gewonnen werden koenne. Exter nahm den Ring, der ihm von geringem Werte schien und erstaunte nicht wenig, als er spaeter durch eine kaum sichtbare arabische Inschrift an des Ringes Reif belehrt wurde, dass er des grossen Alis Siegelring am Finger trage, mit dem er jetzt zuweilen Mahomeds Tauben heranlockt und mit ihnen konversiert." - "Das sind ganz erstaunliche Dinge", rief Ernst lachend, "doch lass uns sehen, was dort in dem geschlossenen Kreise vorgeht, in dessen Mitte ein klein Ding, wie ein kartesianisches Teufelchen, auf- und niedergaukelt und quinkeliert." - Die Freunde traten auf einen runden Rasenplatz, ringsumher sassen alte und junge Herren und Damen, in der Mitte sprang ein sehr bunt gekleidetes, kaum vier Fuss hohes Daemchen, mit einem etwas zu grossen Apfelkoepfchen umher, und schnappte mit den Fingerchen und sang mit einem ganz kleinen, duennen Stimmchen: "Amenez vos troupeaux bergeres!" - "Solltest du wohl glauben", sprach Willibald, "dass dies putzige Figurchen, die so ueberaus naiv und scharmant tut, Juliens aeltere Schwester ist? Du merkst, dass sie leider zu den Weibern gehoert, die die Natur mit recht bittrer Ironie mystifiziert, indem sie trotz alles Straeubens zu ewiger Kindheit verdammt, vermoege ihrer Figur und ihres ganzen Wesens im Alter noch mit jener kindischen Naivitaet kokettierend sich und andern herzlich zur Last werden muessen, wobei es denn oft an gehoeriger Verhoehnung nicht mangelt." - Beiden Freunden wurde das Daemchen mit ihrer franzoesischen Faselei recht fatal, sie schlichen daher fort wie sie gekommen und schlossen sich lieber an den tuerkischen Gesandten an, der sie fortfuehrte in den Saal, wo eben, da die Sonne schon niedersank, alles zu der Musik vorbereitet wurde, die man heute zu geben im Sinne hatte. Der Oesterleinische Fluegel wurde geoeffnet und jedes Pult fuer die Kuenstler an seinen Ort gestellt. Die Gesellschaft sammelte sich nach und nach, Erfrischungen wurden herumgereicht in altem reichen Porzellan; dann ergriff Reutlinger eine Geige und fuehrte mit Geschicklichkeit und Kraft eine Sonate von Corelli aus, wozu ihn der General Rixendorf auf dem Fluegel begleitete, dann bewaehrte sich der goldstoffne Harscher als Meister auf der Theorbe. Hierauf begann die Geheime Raetin Foerd eine grosse italienische Szene von Anfossi mit seltenem Ausdruck. Die Stimme war alt, tremulierend und ungleich, aber noch wurde alles dieses durch die ihr eigne Meisterschaft des Gesanges besiegt. In Reutlingers verklaertem Blick glaenzte das Entzuecken laengst vergangener Jugend. Das Adagio war geendet, Rixendorf begann das Allegro, als ploetzlich die Tuer des Saals aufgerissen wurde und ein junger wohlgekleideter Mensch, von huebschem Ansehen, ganz erhitzt und atemlos hinein und zu Rixendorfs Fuessen stuerzte. "O Herr General! - Sie haben mich gerettet - Sie allein - es ist alles gut alles gut! O mein Gott, wie soll ich Ihnen denn danken." So schrie der junge Mensch wie ausser sich, der General schien verlegen, er hob den jungen Menschen sanft auf und fuehrte ihn mit beschwichtigenden Worten heraus in den Garten. Die Gesellschaft war von dem Auftritt ueberrascht worden, jeder hatte in dem Juengling den Schreiber des Geheimen Rates Foerd erkannt und schaute diesen mit neugierigen Blicken an. Der nahm aber eine Prise nach der andern und sprach mit seiner Frau franzoesisch, bis er endlich, da ihm der tuerkische Gesandte naeher auf den Leib rueckte, rund heraus erklaerte: "Ich weiss, Hochzuverehrende! durchaus mir nicht zu erklaeren, welcher boese Geist meinen Max hier so ploetzlich mit exaltierten Danksagungen hineingeschleudert hat, werde aber sogleich die Ehre haben." - Damit schluepfte er zur Tuere heraus und Willibald folgte ihm auf dem Fusse. Das dreiblaettrige Kleeblatt der Foerdschen Familie, naemlich die drei Schwestern, Nannette, Clementine und Julie, aeusserten sich auf ganz verschiedene Weise. Nannette liess den Faecher auf- und niederrauschen, sprach von Etourderie und wollte endlich wieder singen: Amenez vos troupeaux, worauf aber niemand achtete. Julie war abseits in den Winkel getreten und der Gesellschaft den Ruecken zugewendet, war es, als wolle sie nicht allein ihr gluehendes Gesicht, sondern auch einige Traenen verbergen, die ihr, wie man schon bemerkt, in die Augen getreten. "Freude und Schmerz verwunden mit gleichem Weh die Brust des armen Menschen, aber faerbt der dem verletzenden Dorn nachquillende Blutstropfe nicht mit hoeherem Rot die verbleichende Rose?" So sprach mit vielem Pathos die jeanpaulisierende Clementine, indem sie verstohlen die Hand eines huebschen jungen, blonden Menschen fasste, der gar zu gern sich aus den Rosenbanden, womit ihn Clementine bedrohlich umstrickt und in denen er etwas zu spitze Dornen verspuert hatte, losgewickelt. Der laechelte aber etwas fade und sprach nur: "O ja, Beste!" - Dabei schielte er nach einem seitwaerts stehenden Glase Wein, welches er gern auf Clementinens sentimentalen Spruch geleert. Das ging aber nicht, da Clementine seine linke Hand festhielt, er aber mit der Rechten soeben das Besitztum eines Stuecks Kuchen ergriffen. In dem Augenblick trat Willibald zur Saaltuer herein und alles stuerzte auf ihn zu mit tausend Fragen, wie, was, warum und woher? Er wollte durchaus nichts wissen, zog aber ein verschmitzteres Gesicht als jemals. Man liess nicht ab von ihm, weil man deutlich bemerkt, dass er im Garten sich mit dem Geheimen Rat Foerd zum General Rixendorf und zum Schreiber Max gesellt, und heftig mitgesprochen hatte. "Soll ich denn", fing er endlich an, "soll ich denn in der Tat die wichtigste aller Begebenheiten vor der Zeit ausplaudern, so muss es mir vergoennt werden, zuvoerderst an Sie, meine hochzuverehrenden Damen und Herren, einige Fragen zu richten." - Man erlaubte das gern. "Ist Ihnen", fuhr Willibald nun pathetisch fort, "ist Ihnen nicht allen der Schreiber des Herrn Geheimen Rat Foerd, Max geheissen, als ein wohlgebildeten, von der Natur reichlich ausgestatteter Juengling bekannt?" - "Ja, ja, ja!" rief der Chor der Damen. "Ist Ihnen", frug Willibald weiter, "ist Ihnen nicht sein Fleiss, seine wissenschaftliche Bildung, seine Geschicklichkeit im Geschaeft bekannt?" - "Ja -ja!" rief der Chor der Herren, und wieder "Ja, ja, ja!" der vereinigte Chor der Herren und Damen, als Willibald noch frug, ob Max nicht weiter als der aufgeweckteste Kopf, voller Possen und Schnurren, sowie endlich als solch geschickter Zeichner bekannt sei, dass Rixendorf, der als Dilettant in der Malerei Ungewoehnliches leiste, es nicht verschmaeht habe, selbst ihm zweckmaessigen Unterricht zu erteilen. "Es begab sich", erzaehlte nun Willibald, "dass vor einiger Zeit ein junges Meisterlein von der ehrsamen Schneiderzunft seine Hochzeit feierte. Es ging dabei hoch her, Baesse schnurrten, Trompeten schmetterten durch die Gasse. Mit rechter Wehmut sah des Herrn Geheimen Rats Bedienter, Johann, zu den erleuchteten Fenstern herauf, das Herz wollte ihm springen, wenn er unter den Tanzenden Jettchens Tritte zu vernehmen glaubte, die, wie er wusste, auf der Hochzeit war. Als nun aber Jettchen wirklich zum Fenster herausguckte, da konnte er es nicht laenger aushalten, er lief nach Hause, warf sich in seinen besten Staat und ging keck herauf in den Hochzeitsaal. Er wurde wirklich zugelassen, freilich unter der schmerzlichen Bedingung, dass im Tanz jeder Schneider vor ihm den Vorzug haben sollte, wodurch er freilich auf die Maedchen angewiesen wurde, mit denen ob ihrer Haesslichkeit oder sonstigen Untugenden, niemand tanzen mochte. Jettchen war auf alle Taenze versagt, aber sowie sie den Geliebten sah, vergass sie alles, was sie versprochen, und der beherzte Johann stiess das duennleibige Schneiderlein, das ihm Jettchen abtrotzen wollte, zu Boden, dass es ueber und ueber purzelte. Dies gab das Signal zum allgemeinen Aufstande. Johann wehrte sich wie ein Loewe, Rippenstoesse und Ohrfeigen nach allen Seiten austeilend, doch er musste der Menge seiner Feinde erliegen und wurde auf schmaehliche Weise von Schneidergesellen die Treppe herabgeworfen. Voll Wut und Verzweiflung wollte er die Fenster einwerfen, er schimpfte und fluchte, da kam Max, der nach Hause ging, des Weges und befreite den ungluecklichen Johann aus den Haenden der Scharwacht, die eben ueber ihn herzufallen im Begriff stand. Nun klagte Johann sein Unglueck und wollte durchaus nicht abstehen von tumultuarischer Rache, doch gelang es endlich dem kluegern Max, ihn zu beruhigen, wiewohl nur unter dem Versprechen, dass er sich seiner annehmen und die ihm geschehene Unbill so raechen wolle, dass er ganz gewiss zufrieden sein werde" - Willibald hielt ploetzlich ein. - "Nun? - nun? Und weiter? - Eine Schneiderhochzeit - ein Liebespaar - Pruegel - was soll das dann werden?" So rief es von allen Seiten. "Erlauben Sie", fuhr Willibald fort, "erlauben Sie, Hochzuverehrende! zu bemerken, dass, um mit dem beruehmten Weber Zettel zu reden, in dieser Komoedie von Johann und Jettchen Dinge vorkommen, die nimmermehr gefallen werden. - Es koennte sogar wider den feinsten Anstand gesuendigt werden." - "Sie werden's schon einzurichten wissen, lieber Herr Willibald", sprach die alte Stiftsraetin von Krain, indem sie ihn auf die Schulter klopfte, "ich fuer meinen Teil kann einen Puff vertragen." - "Der Schreiber Max", erzaehlte Willibald weiter, "setzte sich andern Tages hin, nahm ein grosses schoenes Blatt Velinpapier, Bleifeder und Tusche, und zeichnete mit der vollendetsten Wahrheit einen grossen stattlichen Ziegenbock hin. Die Physiognomie dieses wunderbaren Tiers gab jedem Physiognomen reichlichen Stoff zum Studium. In dem Blick der geistreichen Augen lag etwas Ueberschwengliches, wiewohl um das Maul und um den Bart herum einige Konvulsionen zitternd zu spielen schienen. Das Ganze zeugte von innerer unaussprechlicher Qual. In der Tat war auch der gute Bock beschaeftigt, auf eine sehr natuerliche, wiewohl schmerzliche Weise ganz kleine allerliebste, mit Schere und Buegeleisen bewaffnete Schneiderlein zur Welt zu befoerdern, die in den wunderlichsten Gruppen ihre Lebenstaetigkeit bewiesen. Unter dem Bilde stand ein Vers, den ich leider vergessen, doch irr ich nicht, so hiess die erste Zeile: 'Ei was hat der Bock - gegessen.' Ich kann uebrigens versichern, dass dieser wunderbare Bock" - "Genug - genug", riefen die Damen, "genug von dem garstigen Tier - von Max, von Max wollen wir hoeren." - "Besagter Max", nahm Willibald das Wort wieder auf, "besagter Max gab das wohlausgefuehrte und vollkommen geratene Tableau dem gekraenkten Johann, der es so geschickt an die Schneiderherberge anzuheften wusste, dass einen ganzen Tag hindurch das muessige Volk nicht von dem Bildnis wegkam. Die Strassenjungen schwenkten jubelnd die Muetzen und tanzten jedem Schneiderlein, das sich sehen liess, hinterher, und sangen und kreischten gewaltig: 'Ei was hat der Bock gegessen.' - 'Niemand anders hat das Blatt gezeichnet, als des Geheimen Rats Max', sagten die Maler, 'niemand hat die Worte geschrieben, als des Geheimen Rats Max', riefen die Schreibmeister, als die ehrsame Schneiderzunft die noetigen Erkundigungen einzog. Max wurde verklagt und sah, da er nicht wohl leugnen konnte, einer empfindlichen Gefaengnisstrafe entgegen. Da rannte er voll Verzweiflung zu seinem Goenner, dem General Rixendorf; bei allen Advokaten war er schon gewesen. Die runzelten die Stirn, schuettelten die Koepfe und sprachen von hartnaeckigem Ableugnen usw., was dem ehrlichen Max nicht wohlgefiel. Der General sprach dagegen: 'Du hast einen dummen Streich gemacht, lieber Sohn! die Advokaten werden dich nicht retten, aber ich, und bloss darum, weil in deinem Bilde, das ich bereits gesehen, korrekte Zeichnung und verstaendige Anordnung ist. Der Bock, als Hauptfigur, hat Ausdruck und Haltung, sowie die bereits auf dem Boden liegenden Schneider eine gute Pyramidalgruppe bilden, die reich ist, ohne das Auge zu verwirren. Sehr weise hast du den im Schmerz der Quetschung sich hervorarbeitenden Schneider wieder als Hauptfigur der untern Gruppe behandelt, in seinem Gesicht liegt laokoontisches Weh! Ebenso ruehmlich ist es, dass die fallenden Schneider nicht etwa schweben, sondern wirklich fallen, wiewohl nicht aus dem Himmel; manche zu gewagte Verkuerzungen sind recht huebsch durch die Buegeleisen maskiert, auch hast du mit reger Fantasie die Hoffnung neuer Geburten angedeutet.'" - Die Damen fingen an ungeduldig zu murmeln, und der Goldstoffne lispelte: "Aber Maxens Prozess, Verehrter?" - "'Indessen nimm mir's nicht uebel', sprach der General", (so fuhr Willibald fort) "'die Idee des Bildes ist nicht die deinige, sondern uralt; doch das ist es eben, was dich rettet.' Mit diesen Worten kramte der General in seinem alten Schreibschranke, holte einen Tabaksbeutel hervor, auf dem sich Maxens Gedanke sauber und zwar beinahe ganz nach Maxens Weise ausgefuehrt befand, ueberliess denselben seinem Liebling zum Gebrauch und nun war alles gut." - "Wie das, wie das?" rief alles durcheinander, aber die Juristen, die sich in der Gesellschaft befanden, lachten laut, und der Geheime Rat Foerd, der unterdessen auch hineingetreten war, sprach laechelnd: "Er leugnete den animum injuriandi, die Absicht zu beleidigen, und wurde freigesprochen."- "Will soviel heissen", fiel Willibald ihm in die Rede, "als dass Max sprach: 'Ich kann nicht leugnen, dass das Bild von meiner Hand ist; absichtslos und ohne irgend die von mir so hochverehrte Schneiderzunft kraenken zu wollen, kopierte ich das Blatt nach dem Original, das ich hier mit diesem Tabaksbeutel, der dem General Rixendorf, meinem Lehrer in der Zeichenkunst, gehoert, ueberreiche. Einige Variationen habe ich meiner schaffenden Fantasie zu danken. Das Bild ist mir aus den Haenden gekommen, ich habe es weder jemanden sonst gezeigt, noch gar etwa angeheftet. Ueber diesen Umstand, in dem allein die Injurie liegt, erwarte ich den Nachweis.' - Diesen Nachweis ist die ehrsame Schneiderzunft schuldig geblieben und Max heute freigesprochen worden. Daher sein Dank, seine unmaessige Freude." - Man fand allgemein, dass doch die halb wahnsinnige Art und Weise, wie Max seinen Dank geaeussert, durch die erzaehlten Umstaende nicht ganz motiviert werde, nur die Geheime Raetin Foerd sprach mit bewegter Stimme: "Der Juengling hat ein leicht verwundbares Gemuet und ein zarteres Ehrgefuehl, als je ein anderer. Koerperliche Strafe erdulden zu muessen haette ihn elend gemacht, ihn auf immer von G. vertrieben." - "Vielleicht", fiel Willibald ein, "liegt hier noch etwas ganz Besonderes im Hintergrunde." - "So ist es, lieber Willibald", sprach Rixendorf, der hineingetreten war und die Worte der Geheimen Raetin vernommen hatte, "so ist es, und will es Gott, so soll sich bald alles recht hell und froehlich aufklaeren." - Clementine fand die ganze Geschichte sehr unzart, Nannette dachte gar nichts, aber Julie war sehr heiter geworden. Jetzt ermunterte Reutlinger die Gesellschaft zum Tanze. Sogleich spielten vier Theorbisten, unterstuetzt von ein paar Zinken, Violinen und Baessen, eine pathetische Sarabande. Die Alten tanzten, die Jungen schauten zu. Der Goldstoffne zeichnete sich aus durch zierliche und gewagte Spruenge. Der Abend ging ganz heiter hin, so auch der andere Morgen. Wie gestern sollte auch heute Konzert und Ball den festlichen Tag beschliessen. Der General Rixendorf sass schon am Fluegel, der Goldstoffne hatte die Theorbe im Arm, die Geheime Raetin Foerd die Partie in der Hand. Man wartete nur auf die Rueckkehr des Hofrats Reutlinger. Da hoerte man im Garten aengstlich rufen und sah die Bedienten herausrennen. Bald trugen sie den Hofrat mit geisterbleichem entstelltem Gesicht herein, der Gaertner hatte ihn unweit des Herzpavillons in tiefer Ohnmacht auf der Erde liegend gefunden. - Mit einem Schrei des Entsetzens sprang Rixendorf auf vom Fluegel. Man eilte herbei mit spirituosen Mitteln, man fing an, dem Hofrat, der auf einem Kanapee lag, die Stirne mit Koelnischem Wasser zu reiben, der tuerkische Gesandte stiess aber alle zurueck, indem er unaufhoerlich rief. "Zurueck, zurueck, ihr unwissenden ungeschickten Leute! - ihr macht mir den kerngesunden, muntern Hofrat nur matt und elend!" - Damit schleuderte er seinen Turban ueber alle Koepfe weg in den Garten hinein, den Pelz hinterher. Nun beschrieb er mit der flachen Hand seltsame Kreise um den Hofrat, die enger und enger werdend, zuletzt beinahe Schlaefe und Herzgrube beruehrten. Dann hauchte er den Hofrat an, der sogleich die Augen aufschlug und mit matter Stimme sprach: "Exter! Du hast nicht gut getan, mich zu wecken! - Die dunkle Macht hat mir den nahen Tod verkuendet, und vielleicht war es mir vergoennt in dieser tiefen Ohnmacht hineinzuschlummern in den Tod." - "Possen, Traeumer", rief Exter, "deine Zeit ist noch nicht gekommen. Schau dich nur um, Herr Bruder, wo du bist, und sei fein munter wie es sich schickt." - Der Hofrat wurde nun gewahr, dass er sich im Saal in voller Gesellschaft befand. Er erhob sich ruestig vom Kanapee, trat in die Mitte des Saals, und sprach mit anmutigem Laecheln: "Ich gab Ihnen ein boeses Schauspiel, Verehrte! aber an mir lag es nicht, dass das ungeschickte Volk mich gerade in den Saal trug. Lassen Sie uns ueber das stoerende Intermezzo schnell hinweggehen, lassen Sie uns tanzen!" - Die Musik begann sofort, aber als sich alles in der ersten Menuett pathetisch wandte und drehte, verschwand der Hofrat mit Exter und Rixendorf aus dem Saal. Als sie in ein entferntes Zimmer gekommen, warf sich Reutlinger erschoepft in einen Lehnsessel, hielt beide Haende vors Gesicht und sprach mit von Schmerz gepresster Stimme: "Oh, meine Freunde! meine Freunde!" Exter und Rixendorf vermuteten mit Recht, dass irgend etwas Entsetzliches den Hofrat erfasst haben muesse, und dass er sich jetzt darueber erklaeren werde. "Sag's nur heraus, alter Freund", sprach Rixendorf, "sag's nur heraus, dir ist, Gott weiss auf welche Weise, Schlimmes im Garten begegnet." - "Aber", fiel Exter ein, "ich begreife gar nicht, wie dem Hofrat heute, und ueberhaupt in diesen Tagen Schlimmes begegnen konnte, da eben jetzt sein siderisches Prinzip reiner und herrlicher sich gestaltet als jemals." - "Doch, doch!" fing der Hofrat mit dumpfer Stimme an, "Exter! es ist bald aus mit uns, der kecke Geisterseher klopfte nicht ungestraft an die dunklen Pforten. Ich wiederhole es dir, dass die geheimnisvolle Macht mich hinter den Schleier schauen liess - der nahe, vielleicht graessliche Tod ist mir verkuendet." - "So erzaehle nur was dir geschah", fiel Rixendorf ihm ungeduldig in die Rede, "ich wette, dass alles auf eine wunderliche Einbildung hinauslaeuft, ihr verderbt euch beide das Leben mit euern Fantastereien, du und Exter." "So vernehmt es denn", fuhr der Hofrat fort, indem er aufstand von dem Lehnstuhl, und zwischen beide Freunde trat, "so vernehmt es denn, was mich vor Entsetzen und Graus in tiefe Ohnmacht warf. Ihr hattet euch schon alle in dem Saal versammelt, als ich, selbst weiss ich nicht wodurch, angetrieben wurde noch einsam einen Gang durch den Garten zu machen. Unwillkuerlich lenkten sich meine Schritte nach dem Waeldchen. Es war mir, als hoere ich ein leises, hohles Pochen und eine leise klagende Stimme. - Die Toene schienen aus dem Pavillon zu kommen - ich trete naeher, die Tuer des Pavillons steht offen - ich erblicke - mich selbst! - mich selbst! - aber so wie ich war vor dreissig Jahren, in demselben Kleide, das ich trug an jenem verhaengnisvollen Tage, als ich in trostloser Verzweiflung mein elendes Leben enden wollte, als Julie wie ein Engel des Lichts mir erschien im braeutlichen Schmuck - es war ihr Hochzeitstag - die Gestalt - ich - ich lag auf dem Boden vor dem Herzen, und darauf klopfend, dass es hohl widerhallte, murmelte ich: 'Nie - nie kannst du dich erweichen, du steinernes Herz!' - Regungslos starrte ich hin, wie der eiskalte Tod rannte es durch meine Adern. Da trat Julie braeutlich geschmueckt, in voller Pracht der bluehendsten Jugend, aus den Gebueschen hervor, und streckte voll suessen Verlangens die Arme aus nach der Gestalt, nach mir - nach mir dem Juenglinge! Bewusstlos stuerzte ich zu Boden!" Der Hofrat sank halb ohnmaechtig in den Lehnstuhl zurueck, aber Rixendorf fasste seine beiden Haende, ruettelte sie, und rief mit starker Stimme: "Das sahst du, das sahst du, Bruder, weiter nichts? - Viktoria lass ich schiessen aus deinen japanischen Kanonen! - mit deinem nahen Tode, mit der Erscheinung ist es nichts, gar nichts! Ich ruettle dich auf aus deinen boesen Traeumen, damit du genesen, und noch lange leben moegest auf Erden." - Damit sprang Rixendorf schneller, als es sein Alter zuzulassen schien, zum Zimmer heraus. Der Hofrat hatte wohl wenig von Rixendorfs Worten vernommen, er sass da mit geschlossenen Augen. Exter ging mit grossen Schritten auf und ab, runzelte missmuetig die Stirn und sprach: "Ich wette, der Mensch will wieder alles auf gewoehnliche Manier erklaeren, aber das soll ihm schwer werden, nicht wahr, Hofraetchen? wir verstehen uns auf Erscheinungen! - Ich wollt nur, ich haette meinen Turban und meinen Pelz!" - Dies wuenschend pfiff er sehr stark auf einer kleinen silbernen Pfeife, die er bestaendig bei sich trug, und sogleich brachte auch ein Mohr aus seinem Gefolge beides, Turban und Pelz. Bald darauf trat die Geheime Raetin Foerd hinein, ihr folgte der Geheime Rat mit Julien. Der Hofrat raffte sich auf, und in den Versicherungen, dass ihm wieder ganz wohl geworden, wurde er es wirklich. Er bat, des ganzen Vorfalls zu vergessen, und eben wollten alle bis auf Exter, der sich in seiner tuerkischen Kleidung aufs Sofa gestreckt, und aus einer uebermaessig langen Pfeife, deren Kopf, auf Raeder gestellt, am Boden hin und her schurrte, Tabak schmauchte und Kaffee trank, in den Saal zurueckkehren, als die Tuer aufging, und Rixendorf hastig hereintrat. An der Hand hielt er einen jungen Menschen in alttatarischer Kleidung. Es war Max, bei dessen Anblick der Hofrat erstarrte. "Sieh hier dein Ich, dein Traumbild", hub Rixendorf an, "es ist mein Werk, dass mein trefflicher Max hier blieb und von deinem Kammerdiener aus deiner Garderobe Kleider empfing, um gehoerig kostuemiert erscheinen zu koennen. Er war es, der im Pavillon an dem Herzen kniete. - Ja, an deinem steinernen Herzen, du harter unempfindlicher Oheim! kniete der Neffe, den du unbarmherzig verstiessest, einer traeumerischen Einbildung halber! Verging sich der Bruder schwer gegen den Bruder, so hat er es laengst gebuesst mit dem Tode im tiefsten Elend - da steht die vaterlose Waise, dein Neffe - Max, wie du geheissen, dir aehnlich an Leib und Seele, wie der Sohn dem Vater - tapfer hielt sich der Knabe, der Juengling auf den Wellen des brausenden Lebensstroms empor - da - nimm ihn auf - erweiche dein hartes Herz! - reiche ihm die wohltaetige Hand, dass er eine Stuetze habe, wenn zu sehr der Sturm auf ihn einbricht." - In demuetiger gebeugter Stellung, heisse Traenen in den Augen, hatte sich der Juengling dem Hofrat genaehert. Der stand da geisterbleich, mit blitzenden Augen, den Kopf stolz in die Hoehe geworfen, stumm und starr, aber sowie der Juengling seine Hand erfassen wollte, wich er, ihn mit beiden Haenden von sich abwehrend, zwei Schritte zurueck, und rief mit fuerchterlicher Stimme: "Verruchter - willst du mich morden? - Fort - aus meinen Augen, ja du spielst mit meinem Herzen, mit mir! - Und auch du Rixendorf verschworen zum laeppischen Puppenspiel, das ihr mir auftischt? - fort - fort aus meinen Augen - _du_ - _du_, der du zu meinem Untergange geboren - du Sohn des schaendlichsten Ver..." - "Halt ein", brach Max ploetzlich los, indem Zorn und Verzweiflung gluehende Blitze aus seinen Augen schossen, "halt ein, unnatuerlicher Oheim - herzloser, unnatuerlicher Bruder. Schuld auf Schuld, Schande und Schmach hast du auf meines armen ungluecklichen Vaters Haupt gehaeuft, der verderblichen Leichtsinn, aber nie Verbrechen in sich hegen konnte! - Ich wahnsinniger Tor, dass ich glaubte, jemals dein steinernes Herz ruehren, jemals, mit Liebe dich umfangene, meines Vaters Vergehen suehnen zu koennen! - Elend - verlassen von aller Welt, aber an der Brust eines Sohnes hauchte mein Vater sein muehseliges Leben aus - 'Max! - sei brav! - suehne den unversoehnlichen Bruder - werde sein Sohn', das war das letzte, was er sprach. - Aber du verwirfst mich, so wie du alles verwirfst, was sich dir naht mit Liebe und Ergebung, waehrend der Teufel selbst dich mit truegerischen Traeumen umgaukelt. - Nun, so stirb denn einsam und verlassen! - Moegen habsuechtige Diener auf deinen Tod lauern und sich in die Beute teilen, wenn du kaum die lebensmueden Augen geschlossen - statt der Seufzer, statt der trostlosen Klagen derer, die dir mit treuer Liebe bis in den Tod anhaengen wollten, magst du sterbend das Hohngelaechter, die frechen Scherze der Unwuerdigen hoeren, die dich pflegten, weil du sie bezahltest mit schnoedem Golde! - Niemals, niemals siehst du mich wieder!" - Der Juengling wollte zur Tuere hinausstuerzen, da sank Julie laut schluchzend nieder, schnell sprang Max zurueck, fing sie in seinen Armen auf, und heftig sie an seine Brust drueckend, rief er mit dem herzzerreissenden Ton des trostlosesten Jammers: "O Julie, Julie, alle Hoffnung ist verloren!" - Der Hofrat hatte dagestanden, zitternd an allen Gliedern, sprachlos - kein Wort konnte sich entwinden den bebenden Lippen, doch als er Julien in Maxens Armen sah, schrie er laut auf, wie ein Wahnsinniger. Er ging mit starkem kraeftigen Schritt auf sie los, er riss sie von Maxens Brust hinweg, hob sie hoch in die Hoehe und frug kaum vernehmbar: "Liebst du diesen Max, Julie?" - "Wie mein Leben", erwiderte Julie voll tiefen Schmerzes, "wie mein Leben. Der Dolch, den Sie in sein Herz stossen, trifft auch das meine!" - Da liess sie der Hofrat langsam herab, und setzte sie behutsam nieder in einen Lehnstuhl. Dann blieb er stehen, die gefalteten Haende an die Stirn gedrueckt. - Es war totenstill ringsumher. Kein Laut - keine Bewegung der Anwesenden! - Dann sank der Hofrat auf beide Knie. Lebensroete im Gesicht, helle Traenen in den Augen hob er das Haupt empor, beide Arme hoch ausgestreckt zum Himmel, sprach er leise und feierlich: "Ewig wartende unerforschliche Macht dort oben, das war dein Wille - mein verworrenes Leben nur der Keim, der im Schoss der Erde ruhend, den frischen Baum emportreibt mit herrlichen Blueten und Fruechten? - O Julie, Julie! - o ich armer verblendeter Tor!" - Der Hofrat verhuellte sein Gesicht, man vernahm sein Weinen. - So dauerte es einige Sekunden, dann sprang der Hofrat ploetzlich auf, stuerzte auf Max, der wie betaeubt dastand, los, riss ihn an seine Brust, und schrie, wie ausser sich: "Du liebst Julien, du bist mein Sohn - nein mehr als das, du bist _ich_, _ich_ selbst - alles gehoert dir - du bist reich, sehr reich - du hast ein Landgut - Haeuser, bares Geld - lass mich bei dir bleiben, du sollst mir das Gnadenbrot geben in meinen alten Tagen - nicht wahr, du tust das? - Du liebst mich ja! - nicht wahr, du musst mich ja lieben, du bist ja ich selbst - scheue dich nicht vor meinem steinernen Herzen, druecke mich nur fest an deine Brust, deine Lebenspulse erweichen es ja! - Max - Max mein Sohn - mein Freund, mein Wohltaeter!" - So ging es fort, dass allen vor diesen Ausbruechen des ueberreizten Gefuehls bange wurde. Rixendorf, dem besonnenen Freunde, gelang es endlich, den Hofrat zu beschwichtigen, der, ruhiger geworden, nun erst ganz einsah, was er an dem herrlichen Juenglinge gewonnen, und mit tiefer Ruehrung gewahrte, wie auch die Geheime Raetin Foerd in der Verbindung ihrer Julie mit Reutlingers Neffen das neue Aufkeimen einer alten verlornen Zeit erblickte. Grosses Wohlgefallen aeusserte der Geheime Rat, der viel Tabak schnupfte und sich in wohlgestelltem nationell ausgesprochenem Franzoesisch darueber ausliess. Zuvoerderst sollten nun Juliens Schwestern von dem Ereignis benachrichtigt werden, die waren aber nirgends aufzufinden. Nannettens halber hatte man schon in allen grossen japanischen Vasen, die in dem Vestibule herumstanden, nachgesehen, ob sie, zu sehr sich ueber den Rand beugend, vielleicht hineingefallen, aber vergebens, endlich fand man die Kleine unter einem Rosenbueschchen eingeschlafen, wo man sie nur nicht gleich bemerkt, und ebenso holte man Clementinen in einer entfernteren Allee ein, wo sie dem entfliehenden blonden Juengling, dem sie vergebens nachgesetzt, eben mit lauter Stimme nachrief. "O der Mensch sieht es oft spaet ein, wie sehr er geliebt wurde, wie vergesslich und undankbar er war und wie gross das verkannte Herz!" - Beide Schwestern waren etwas missmuetig ueber die Heirat der juengern, wiewohl viel schoeneren und reizenderen Schwester, und vorzueglich ruempfte die schmaehsuechtige Nannette das kleine Stuelpnaeschen; Rixendorf nahm sie aber auf den Arm und meinte, sie koennte wohl einmal einen viel vornehmeren Mann mit einem noch schoeneren Gute bekommen. Da wurde sie vergnuegt und sang wieder: "Amenez vos troupeaux bergeres!" Clementine sprach aber sehr ernst und vornehm: "In der haeuslichen Glueckseligkeit sind die windstillen, zwischen vier engen Waenden vorgetriebnen bequemen Freuden nur der zufaelligste Bestandteil: ihr Nerven- und Lebensgeist sind die lodernden Naphthaquellen der Liebe, die aus den verwandten Herzen ineinanderspringen." - Die Gesellschaft im Saal, die schon Kunde bekommen von den wunderlichen aber froehlichen Ereignissen, erwartete mit Ungeduld das Brautpaar, um mit den gehoerigen Glueckwuenschen losfahren zu koennen. Der Goldstoffne, der am Fenster alles angehoert und angeschaut, bemerkte schlau: "Nun weiss ich, warum der Ziegenbock dem armen Max so wichtig war. Haette er einmal im Gefaengnis gesteckt, so war durchaus an keine Aussoehnung zu denken." Alles applaudierte dieser Meinung, wozu Willibald die Losung gab. Schon wollte man fort aus dem Nebenzimmer in den Saal, als der tuerkische Gesandte, der so lange auf dem Sofa geblieben, nichts gesprochen, sondern nur durch Hin- und Herrutschen und durch die seltsamsten Grimassen seine Teilnahme zu erkennen gegeben hatte, wie toll aufsprang und zwischen die Brautleute fuhr: "Was was", rief er, "nun gleich heiraten, gleich heiraten? - Deine Geschicklichkeit, deinen Fleiss in Ehren, Max! aber du bist ein Kiek-in-die-Welt, ohne Erfahrung, ohne Lebensklugheit, ohne Bildung. Du setzest deine Fuesse einwaerts und bist grob in deinen Redensarten wie ich vorhin vernommen, als du deinen Oheim den Hofrat Reutlinger Du nanntest. Fort in die Welt! nach Konstantinopel! - da lernst du alles was du brauchst fuers Leben - dann kehre wieder und heirate getrost mein liebes holdes Kind, das schoene Julchen." Alle waren ganz erstaunt ueber Exters seltsames Begehren. Der nahm aber den Hofrat auf die Seite; beide stellten sich gegenueber, legten einander die Haende auf die Achseln und wechselten einige arabische Worte. Darauf kam Reutlinger zurueck, nahm Maxens Hand und sprach sehr mild und freundlich: "Mein lieber guter Sohn, mein teurer Max, tue mir den Gefallen und reise nach Konstantinopel, es kann hoechstens sechs Monate dauern, dann richte ich hier die Hochzeit aus!" - Aller Protestationen der Braut unerachtet musste Max fort nach Konstantinopel. Nun koennte ich, sehr geliebter Leser! wohl fueglich meine Erzaehlung schliessen, denn du magst es dir vorstellen, dass Max, nachdem er aus Konstantinopel, wo er die Marmorstufe, wohin der Seehund Extern das Kind apportiert, nebst vielem andern Merkwuerdigen geschaut hatte, zurueckgekehrt war, wirklich Julien heiratete, und verlangst wohl nicht noch zu wissen, wie die Braut geputzt war und wieviel Kinder das Paar bis jetzt erzeugt hat. Hinzusetzen will ich nur noch, dass am Tage Mariae Geburt des Jahres 18- Max und Julie einander gegenueber im Pavillon bei dem roten Herzen knieten. Haeufige Traenen fielen auf den kalten Stein, denn unter ihm lag das ach! nur zu oft blutende Herz des wohltaetigen Oheims. Nicht um des Lord Horions Grabmal nachzuahmen, sondern weil er des armen Onkels ganze Lebens- und Leidensgeschichte darin angedeutet fand, hatte Max mit eignet Hand die Worte in den Stein gegraben: Es ruht! *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, NACHTSTUECKE *** This file should be named 7nach10.txt or 7nach10.zip Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7nach11.txt VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7nach10a.txt Project Gutenberg eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not keep eBooks in compliance with any particular paper edition. 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They tell us you might sue us if there is something wrong with your copy of this eBook, even if you got it for free from someone other than us, and even if what's wrong is not our fault. So, among other things, this "Small Print!" statement disclaims most of our liability to you. It also tells you how you may distribute copies of this eBook if you want to. *BEFORE!* YOU USE OR READ THIS EBOOK By using or reading any part of this PROJECT GUTENBERG-tm eBook, you indicate that you understand, agree to and accept this "Small Print!" statement. If you do not, you can receive a refund of the money (if any) you paid for this eBook by sending a request within 30 days of receiving it to the person you got it from. If you received this eBook on a physical medium (such as a disk), you must return it with your request. ABOUT PROJECT GUTENBERG-TM EBOOKS This PROJECT GUTENBERG-tm eBook, like most PROJECT GUTENBERG-tm eBooks, is a "public domain" work distributed by Professor Michael S. 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