The Project Gutenberg EBook of Abhandlungen ueber die Fabel by Gotthold Ephraim Lessing Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the copyright laws for your country before downloading or redistributing this or any other Project Gutenberg eBook. This header should be the first thing seen when viewing this Project Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the header without written permission. Please read the "legal small print," and other information about the eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is important information about your specific rights and restrictions in how the file may be used. 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This is the 7-bit version. This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE. That project is reachable at the web site http://gutenberg.spiegel.de/. Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE" zur Verfuegung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse http://gutenberg.spiegel.de/ erreichbar. Abhandlungen ueber die Fabel Gotthold Ephraim Lessing Inhalt: I. Von dem Wesen der Fabel II. Von dem Gebrauche der Tiere in der Fabel III. Von der Einteilung der Fabeln IV. Von dem Vortrage der Fabeln V. Von einem besondern Nutzen der Fabeln in den Schulen I. Von dem Wesen der Fabel Jede Erdichtung, womit der Poet eine gewisse Absicht verbindet, heisst seine Fabel. So heisst die Erdichtung, welche er durch die Epopee, durch das Drama herrschen laesst, die Fabel seiner Epopee, die Fabel seines Drama. Von diesen Fabeln ist hier die Rede nicht. Mein Gegenstand ist die sogenannte (aesopische) Fabel. Auch diese ist eine Erdichtung, eine Erdichtung, die auf einen gewissen Zweck abzielet. Man erlaube mir, gleich anfangs einen Sprung in die Mitte meiner Materie zu tun, um eine Anmerkung daraus herzuholen, auf die sich eine gewisse Einteilung der aesopischen Fabel gruendet, deren ich in der Folge zu oft gedenken werde und die mir so bekannt nicht scheinet, dass ich sie, auf gut Glueck, bei meinen Lesern voraussetzen duerfte. Aesopus machte die meisten seiner Fabeln bei wirklichen Vorfaellen. Seine Nachfolger haben sich dergleichen Vorfaelle meistens erdichtet oder auch wohl an ganz und gar keinen Vorfall, sondern bloss an diese oder jene allgemeine Wahrheit, bei Verfertigung der ihrigen, gedacht. Diese begnuegten sich folglich, die allgemeine Wahrheit, durch die erdichtete Geschichte ihrer Fabel, erlaeutert zu haben; wenn jener noch ueber dieses die Aehnlichkeit seiner erdichteten Geschichte mit dem gegenwaertigen wirklichen Vorfalle fasslich machen und zeigen musste, dass aus beiden, sowohl aus der erdichteten Geschichte als dem wirklichen Vorfalle, sich ebendieselbe Wahrheit bereits ergebe oder gewiss ergeben werde. Und hieraus entspringt die Einteilung in (einfache) und (zusammengesetzte) Fabeln. (Einfach) ist die Fabel, wenn ich aus der erdichteten Begebenheit derselben bloss irgendeine allgemeine Wahrheit folgern lasse.--"Man machte der Loewin den Vorwurf, dass sie nur ein Junges zur Welt braechte. Ja, sprach sie, nur eines, aber einen Loewen."[1]--Die Wahrheit, welche in dieser Fabel liegt, oti to kalon ouk en plhJei, all' aerth, leuchtet sogleich in die Augen; und die Fabel ist (einfach), wenn ich es bei dem Ausdrucke dieses allgemeinen Satzes bewenden lasse. {Fussnote 1: Fabul. Aesop. 216. Edit. Hauptmannianae.} (Zusammengesetzt) hingegen ist die Fabel, wenn die Wahrheit, die sie uns anschauend zu erkennen gibt, auf einen wirklich geschehenen oder doch als wirklich geschehen angenommenen Fall weiter angewendet wird. --"Ich mache, sprach ein hoehnischer Reimer zu dem Dichter, in einem Jahre sieben Trauerspiele, aber du? In sieben Jahren eines! Recht, nur eines! versetzte der Dichter, aber eine (Athalie)!"--Man mache dieses zur Anwendung der vorigen Fabel, und die Fabel wird (zusammengesetzt). Denn sie besteht nunmehr gleichsam aus zwei Fabeln, aus (zwei) einzeln Faellen, in welchen beiden ich die Wahrheit ebendesselben Lehrsatzes bestaetiget finde. Diese Einteilung aber--kaum brauche ich es zu erinnern--beruhet nicht auf einer wesentlichen Verschiedenheit der Fabeln selbst, sondern bloss auf der verschiedenen Bearbeitung derselben. Und aus dem Exempel schon hat man es ersehen, dass ebendieselbe Fabel bald (einfach), bald (zusammengesetzt) sein kann. Bei dem (Phaedrus) ist die Fabel (von dem kreisenden Berge) eine (einfache) Fabel. ------ Hoc scriptum est tibi, Qui magna cum minaris, extricas nihil. Ein jeder, ohne Unterschied, der grosse und fuerchterliche Anstalten einer Nichtswuerdigkeit wegen macht, der sehr weit ausholt, um einen sehr kleinen Sprung zu tun, jeder Prahler, jeder vielversprechende Tor, von allen moeglichen Arten, siehet hier sein Bild! Bei unserm (Hagedorn) aber wird ebendieselbe Fabel zu einer (zusammengesetzten) Fabel, indem er einen gebaerenden schlechten Poeten zu dem besondern Gegenbilde des kreisenden Berges macht. Ihr Goetter rettet! Menschen flieht! Ein schwangrer Berg beginnt zu kreisen, Und wird itzt, eh man sich's versieht, Mit Sand und Schollen um sich schmeissen etc. -------------- Suffenus schwitzt und laermt und schaeumt: Nichts kann den hohen Eifer zaehmen; Er stampft, er knirscht; warum? er reimt, Und will itzt den Homer beschaemen etc. -------------- Allein gebt acht, was koemmt heraus? Hier ein Sonett, dort eine Maus. Diese Einteilung also, von welcher die Lehrbuecher der Dichtkunst ein tiefes Stillschweigen beobachten, ohngeachtet ihres mannigfaltigen Nutzens in der richtigern Bestimmung verschiedener Regeln: diese Einteilung, sage ich, vorausgesetzt, will ich mich auf den Weg machen. Es ist kein unbetretener Weg. Ich sehe eine Menge Fusstapfen vor mir, die ich zum Teil untersuchen muss, wenn ich ueberall sichere Tritte zu tun gedenke. Und in dieser Absicht will ich sogleich die vornehmsten Erklaerungen pruefen, welche meine Vorgaenger von der Fabel gegeben haben. De La Motte Dieser Mann, welcher nicht sowohl ein grosses poetisches Genie als ein guter, aufgeklaerter Kopf war, der sich an mancherlei wagen und ueberall ertraeglich zu bleiben hoffen durfte, erklaert die Fabel durch eine unter die Allegorie einer Handlung versteckte Lehre [1]. {Fussnote 1: La Fable est une instruction deguisee sous l'allegorie d'une action. Discours sur la fable.} Als sich der Sohn des stolzen Tarquinius bei den Gabiern nunmehr festgesetzt hatte, schickte er heimlich einen Boten an seinen Vater und liess ihn fragen, was er weiter tun solle? Der Koenig, als der Bote zu ihm kam, befand sich eben auf dem Felde, hub seinen Stab auf, schlug den hoechsten Mahnstaengeln die Haeupter ab und sprach zu dem Boten: Geh, und erzaehle meinem Sohne, was ich itzt getan habe! Der Sohn verstand den stummen Befehl des Vaters und liess die Vornehmsten der Gabier hinrichten. [2]--Hier ist eine allegorische Handlung--hier ist eine unter die Allegorie dieser Handlung versteckte Lehre: aber ist hier eine Fabel? Kann man sagen, dass Tarquinius seine Meinung dem Sohne durch eine Fabel habe wissen lassen? Gewiss nicht! {Fussnote 2: Florus. lib. I. cap. 7.} Jener Vater, der seinen uneinigen Soehnen die Vorteile der Eintracht an einem Buendel Ruten zeigte, das sich nicht anders als stueckweise zerbrechen lasse, machte der eine Fabel? [3] {Fussnote 3: Fabul. Aesop. 171.} Aber wenn ebenderselbe Vater seinen uneinigen Soehnen erzaehlt haette, wie gluecklich drei Stiere, solange sie einig waren, den Loewen von sich abhielten und wie bald sie des Loewen Raub wurden, als Zwietracht unter sie kam und jeder sich seine eigene Weide suchte [4]: alsdenn haette doch der Vater seinen Soehnen ihr Bestes in einer Fabel gezeigt? Die Sache ist klar. {Fussnote 4: Fab. Aesop. 297.} Folglich ist es ebenso klar, dass die Fabel nicht bloss eine allegorische Handlung, sondern die Erzaehlung einer solchen Handlung sein kann. Und dieses ist das erste, was ich wider die Erklaerung des de La Motte zu erinnern habe. Aber was will er mit seiner Allegorie?--Ein so fremdes Wort, womit nur wenige einen bestimmten Begriff verbinden, sollte ueberhaupt aus einer guten Erklaerung verbannt sein.--Und wie, wenn es hier gar nicht einmal an seiner Stelle stuende? Wenn es nicht wahr waere, dass die Handlung der Fabel an sich selbst allegorisch sei? Und wenn sie es hoechstens unter gewissen Umstaenden nur werden koennte? Quintilian lehret: Allhgoria, quam Inversionem interpretamur, aliud verbis, aliud sensu ostendit, ac etiam interim contrarium [5]. Die Allegorie sagt das nicht, was sie nach den Worten zu sagen scheinet, sondern etwas anders. Die neuern Lehrer der Rhetorik erinnern, dass dieses etwas andere auf etwas anderes Aehnliches einzuschraenken sei, weil sonst auch jede Ironie eine Allegorie sein wuerde [6]. Die letztern Worte des Quintilians, ac etiam interim contrarium, sind ihnen hierin zwar offenbar zuwider, aber es mag sein. {Fussnote 5: Quinctilianus lib. VIII. cap. 6.} {Fussnote 6: Allegoria dicitur, quia allo men agoreuei, allo de noei. Et istud allo restringi debet ad aliud simile, alias etiam omnis Ironia Allegoria esset.} Die Allegorie sagt also nicht, was sie den Worten nach zu sagen scheinet, sondern etwas Aehnliches. Und die Handlung der Fabel, wenn sie allegorisch sein soll, muss das auch nicht sagen, was sie zu sagen scheinet, sondern nur etwas Aehnliches? Wir wollen sehen!--"Der Schwaechere wird gemeiniglich ein Raub des Maechtigern." Das ist ein allgemeiner Satz, bei welchem ich mir eine Reihe von Dingen gedenke, deren eines immer staerker ist als das andere, die sich also, nach der Folge ihrer verschiednen Staerke, untereinander aufreiben koennen. Eine Reihe von Dingen! Wer wird lange und gern den oeden Begriff eines Dinges denken, ohne auf dieses oder jenes besondere Ding zu fallen, dessen Eigenschaften ihm ein deutliches Bild gewaehren? Ich will also auch hier anstatt dieser Reihe von unbestimmten Dingen eine Reihe bestimmter, wirklicher Dinge annehmen. Ich koennte mir in der Geschichte eine Reihe von Staaten oder Koenigen suchen; aber wie viele sind in der Geschichte so bewandert, dass sie, sobald ich meine Staaten oder Koenige nur nennte, sich der Verhaeltnisse, in welchen sie gegeneinander an Groesse und Macht gestanden, erinnern koennten? Ich wuerde meinen Satz nur wenigen fasslicher gemacht haben, und ich moechte ihn gern allen so fasslich als moeglich machen. Ich falle auf die Tiere, und warum sollte ich nicht eine Reihe von Tieren waehlen duerfen, besonders wenn es allgemein bekannte Tiere waeren? Ein Auerhahn--ein Marder--ein Fuchs--ein Wolf--Wir kennen diese Tiere, wir duerfen sie nur nennen hoeren, um sogleich zu wissen, welches das staerkere oder das schwaechere ist. Nunmehr heisst mein Satz: der Marder frisst den Auerhahn, der Fuchs den Marder, den Fuchs der Wolf. Er frisst? Er frisst vielleicht auch nicht. Das ist mir noch nicht gewiss genug. Ich sage also: er frass. Und siehe, mein Satz ist zur Fabel geworden! Ein Marder frass den Auerhahn, Den Marder wuergt ein Fuchs, den Fuchs des Wolfes Zahn. [7] {Fussnote 7: von Hagedorn: Fabeln und Erzehlungen, erstes Buch. S. 77.} Was kann ich nun sagen, dass in dieser Fabel fuer eine Allegorie liege? Der Auerhahn, der Schwaechste; der Marder, der Schwache; der Fuchs, der Starke; der Wolf, der Staerkste. Was hat der Auerhahn mit dem Schwaechsten, der Marder mit dem Schwachen usw. hier Aehnliches? Aehnliches! Gleichet hier bloss der Fuchs dem Starken und der Wolf dem Staerksten, oder ist jener hier der Starke so wie dieser der Staerkste? Er ist es.--Kurz, es heisst die Worte auf eine kindische Art missbrauchen, wenn man sagt, dass das Besondere mit seinem Allgemeinen, das Einzelne mit seiner Art, die Art mit ihrem Geschlechte eine Aehnlichkeit habe. Ist dieser Windhund einem Windhunde ueberhaupt, und ein Windhund ueberhaupt einem Hunde aehnlich? Eine laecherliche Frage! --Findet sich nun aber unter den bestimmten Subjekten der Fabel, und den allgemeinen Subjekten ihres Satzes keine Aehnlichkeit, so kann auch keine Allegorie unter ihnen statthaben. Und das naemliche laesst sich auf die naemliche Art von den beiderseitigen Praedikaten erweisen. Vielleicht aber meiner jemand, dass die Allegorie hier nicht auf der Aehnlichkeit zwischen den bestimmten Subjekten oder Praedikaten der Fabel und den allgemeinen Subjekten oder Praedikaten des Satzes, sondern auf der Aehnlichkeit der Arten, wie ich ebendieselbe Wahrheit itzt durch die Bilder der Fabel und itzt vermittelst der Worte des Satzes erkenne, beruhe. Doch das ist soviel als nichts. Denn kaeme hier die Art der Erkenntnis in Betrachtung und wollte man bloss wegen der anschauenden Erkenntnis, die ich vermittelst der Handlung der Fabel von dieser oder jener Wahrheit erhalte, die Handlung allegorisch nennen: so wuerde in allen Fabeln ebendieselbe Allegorie sein, welches doch niemand sagen will, der mit diesem Worte nur einigen Begriff verbindet. Ich befuerchte, dass ich von einer so klaren Sache viel zuviel Worte mache. Ich fasse daher alles zusammen und sage: die Fabel als eine einfache Fabel kann unmoeglich allegorisch sein. Man erinnere sich aber meiner obigen Anmerkung, nach welcher eine jede einfache Fabel auch eine zusammengesetzte werden kann. Wie, wenn sie alsdenn allegorisch wuerde? Und so ist es. Denn in der zusammengesetzten Fabel wird ein Besonderes gegen das andre gehalten; zwischen zwei oder mehr Besondern, die unter ebendemselben Allgemeinen begriffen sind, ist die Aehnlichkeit unwidersprechlich, und die Allegorie kann folglich stattfinden. Nur muss man nicht sagen, dass die Allegorie zwischen der Fabel und dem moralischen Satze sich befinde. Sie befindet sich zwischen der Fabel und dem wirklichen Falle, der zu der Fabel Gelegenheit gegeben hat, insofern sich aus beiden ebendieselbe Wahrheit ergibt.--Die bekannte Fabel vom Pferde, das sich von dem Manne den Zaum anlegen liess und ihn auf seinen Ruecken nahm, damit er ihm nur in seiner Rache, die es an dem Hirsche nehmen wollte, behuelflich waere: diese Fabel sage ich, ist sofern nicht allegorisch, als ich mit dem Phaedrus [8] bloss die allgemeine Wahrheit daraus ziehe: {Fussnote 8: Lib. IV. fab. 3.} Impune potius laedi, quam dedi alteri. Bei der Gelegenheit nur, bei welcher sie ihr Erfinder Stesichorus erzaehlte, ward sie es. Er erzaehlte sie naemlich, als die Himerenser den Phalaris zum obersten Befehlshaber ihrer Kriegsvoelker gemacht hatten und ihm noch dazu eine Leibwache geben wollten. "O ihr Himerenser, rief er, die ihr so fest entschlossen seid, euch an euren Feinden zu raechen; nehmet euch wohl in acht, oder es wird euch wie diesem Pferde ergehen! Den Zaum habt ihr euch bereits anlegen lassen, indem ihr den Phalaris zu eurem Heerfuehrer mit unumschraenkter Gewalt ernannt. Wollt ihr ihm nun gar eine Leibwache geben, wollt ihr ihn aufsitzen lassen, so ist es vollends um eure Freiheit getan." [9]--Alles wird hier allegorisch! Aber einzig und allein dadurch, dass das Pferd hier nicht auf jeden Beleidigten, sondern auf die beleidigten Himerenser; der Hirsch nicht auf jeden Beleidiger, sondern auf die Feinde der Himerenser; der Mann nicht auf jeden listigen Unterdruecker, sondern auf den Phalaris; die Anlegung des Zaums nicht auf jeden ersten Eingriff in die Rechte der Freiheit, sondern auf die Ernennung des Phalaris zum unumschraenkten Heerfuehrer; und das Aufsitzen endlich nicht auf jeden letzten toedlichen Stoss, welcher der Freiheit beigebracht wird, sondern auf die dem Phalaris zu bewilligende Leibwache gezogen und angewandt wird. {Fussnote 9: Aristoteles Rhetor. lib. II. cap. 20.} Was folgt nun aus alle dem? Dieses: da die Fabel nur alsdenn allegorisch wird, wenn ich dem erdichteten einzeln Falle, den sie enthaelt, einen andern aehnlichen Fall, der sich wirklich zugetragen hat, entgegenstelle, da sie es nicht an und fuer sich selbst ist, insofern sie eine allgemeine moralische Lehre enthaelt, so gehoeret das Wort Allegorie gar nicht in die Erklaerung derselben.--Dieses ist das zweite, was ich gegen die Erklaerung des de La Motte zu erinnern habe. Und man glaube ja nicht, dass ich es bloss als ein muessiges, ueberfluessiges Wort daraus verdraengen will. Es ist hier, wo es steht, ein hoechst schaedliches Wort, dem wir vielleicht eine Menge schlechter Fabeln zu danken haben. Man begnuege sich nur, die Fabel, in Ansehung des allgemeinen Lehrsatzes, bloss allegorisch zu machen, und man kann sicher glauben, eine schlechte Fabel gemacht zu haben. Ist aber eine schlechte Fabel eine Fabel?--Ein Exempel wird die Sache in ihr voelliges Licht setzen. Ich waehle ein altes, um ohne Missgunst recht haben zu koennen. Die Fabel naemlich von dem Mann und dem Satyr. "Der Mann blaeset in seine kalte Hand, um seine Hand zu waermen, und blaeset in seinen heissen Brei, um seinen Brei zu kuehlen. Was? sagt der Satyr, du blaesest aus einem Munde warm und kalt? Geh, mit dir mag ich nichts zu tun haben!" [10]--Diese Fabel soll lehren, oti dei jeugein hmaV taV jiliaV, wn amjiboloV estin h diaJesiV; die Freundschaft aller Zweizuengler, aller Doppelleute, aller Falschen zu fliehen. Lehrt sie das? Ich bin nicht der erste, der es leugnet und die Fabel fuer schlecht ausgibt. {Fussnote 10: Fab. Aesop. 126} Richer [11] sagt, sie suendige wider die Richtigkeit der Allegorie; ihre Moral sei weiter nichts als eine Anspielung und gruende sich auf eine blosse Zweideutigkeit. Richer hat richtig empfunden, aber seine Empfindung falsch ausgedrueckt. Der Fehler liegt nicht sowohl darin, dass die Allegorie nicht richtig genug ist, sondern darin, dass es weiter nichts als eine Allegorie ist. Anstatt dass die Handlung des Mannes, die dem Satyr so anstoessig scheinet, unter dem allgemeinen Subjekte des Lehrsatzes wirklich begriffen sein sollte, ist sie ihm bloss aehnlich. Der Mann sollte sich eines wirklichen Widerspruchs schuldig machen, und der Widerspruch ist nur anscheinend. Die Lehre warnet uns vor Leuten, die von ebenderselben Sache ja und nein sagen, die ebendasselbe Ding loben und tadeln: und die Fabel zeiget uns einen Mann, der seinen Atem gegen verschiedene Dinge verschieden braucht, der auf ganz etwas anders itzt seinen Atem warm haucht, und auf ganz etwas anders ihn itzt kalt blaeset. {Fussnote 11:--contre la justesse de l'allegorie.--Sa morale n' est qu'une allusion, et n'est fondee que sur un jeu de mots equivoque. Fables nouvelles, Preface, p. 10.} Endlich, was laesst sich nicht alles allegorisieren! Man nenne mir das abgeschmackte Maerchen, in welches ich durch die Allegorie nicht einen moralischen Sinn sollte legen koennen!--"Die Mitknechte des Aesopus geluestet nach den trefflichen Feigen ihres Herrn. Sie essen sie auf, und als es zur Nachfrage koemmt, soll es der gute Aesop getan haben. Sich zu rechtfertigen, trinket Aesop in grosser Menge laues Wasser, und seine Mitknechte muessen ein Gleiches tun. Das laue Wasser hat seine Wirkung, und die Naescher sind entdeckt."---- Was lehrt uns dieses Histoerchen? Eigentlich wohl weiter nichts, als dass laues Wasser, in grosser Menge getrunken, zu einem Brechmittel werde? Und doch machte jener persische Dichter [12] einen weit edlern Gebrauch davon. "Wenn man euch", spricht er, "an jenem grossen Tage des Gerichts, von diesem warmen und siedenden Wasser wird zu trinken geben: alsdenn wird alles an den Tag kommen, was ihr mit so vieler Sorgfalt vor den Augen der Welt verborgen gehalten; und der Heuchler, den hier seine Verstellung zu einem ehrwuerdigen Manne gemacht hatte, wird mit Schande und Verwirrung ueberhaeuft dastehen!"--Vortrefflich! {Fussnote 12: Herbelot Bibl. Orient. p. 516. Lorsque l'on vous donnera a boire de cette eau chaude et brulante, dans la question du Jugement dernier, tout ce que vous avez cache avec tant de soin, paroitra aux yeux de tout le monde, et celui qui aura acquis de l'estime par son hypocrisie et par son deguisement, sera pour lors couvert de honte er de confusion.} Ich habe nun noch eine Kleinigkeit an der Erklaerung des de La Motte auszusetzen. Das Wort Lehre (instruction) ist zu unbestimmt und allgemein. Ist jeder Zug aus der Mythologie, der auf eine physische Wahrheit anspielet oder in den ein tiefsinniger Baco wohl gar eine transzendentalische Lehre zu legen weiss, eine Fabel? Oder wenn der seltsame Holberg erzaehlet: "Die Mutter des Teufels uebergab ihm einsmals vier Ziegen, um sie in ihrer Abwesenheit zu bewachen. Aber diese machten ihm so viel zu tun, dass er sie mit aller seiner Kunst und Geschicklichkeit nicht in der Zucht halten konnte. Diesfalls sagte er zu seiner Mutter nach ihrer Zurueckkunft: Liebe Mutter, hier sind Eure Ziegen! Ich will lieber eine ganze Compagnie Reuter bewachen als eine einzige Ziege!"--Hat Holberg eine Fabel erzaehlet? Wenigstens ist eine Lehre in diesem Dinge. Denn er setzet selbst mit ausdruecklichen Worten dazu: "Diese Fabel zeiget, dass keine Kreatur weniger in der Zucht zu halten ist als eine Ziege." [13]--Eine wichtige Wahrheit! Niemand hat die Fabel schaendlicher gemisshandelt als dieser Holberg!---Und es misshandelt sie jeder, der, eine andere als moralische Lehre darin vorzutragen, sich einfallen laesst. {Fussnote 13: Moralische Fabeln des Baron von Holbergs, S. 103.} Richer Richer ist ein andrer franzoesischer Fabulist, der ein wenig besser erzaehlet als de La Motte, in Ansehung der Erfindung aber weit unter ihm stehet. Auch dieser hat uns seine Gedanken ueber diese Dichtungsart nicht vorenthalten wollen und erklaert die Fabel durch ein kleines Gedicht, das irgendeine unter einem allegorischen Bilde versteckte Regel enthalte [1]. {Fussnote 1: La Fable est un petit Poeme qui contient un precepte cache sous une image allegorique. Fables nouvelles, Preface, p. 9.} Richer hat die Erklaerung des de La Motte offenbar vor Augen gehabt. Und vielleicht hat er sie gar verbessern wollen. Aber das ist ihm sehr schlecht gelungen. Ein kleines Gedicht (Poeme)?--Wenn Richer das Wesen eines Gedichts in die blosse Fiktion setzet: so bin ich es zufrieden, dass er die Fabel ein Gedicht nennet. Wenn er aber auch die poetische Sprache und ein gewisses Silbenmass als notwendige Eigenschaften eines Gedichtes betrachtet: so kann ich seiner Meinung nicht sein.--Ich werde mich weiter unten hierueber ausfuehrlicher erklaeren. Eine Regel (Precepte)?--Dieses Wort ist nichts bestimmter als das Wort Lehre des de La Motte. Alle Kuenste, alle Wissenschaften haben Regeln, haben Vorschriften. Die Fabel aber stehet einzig und allein der Moral zu. Von einer andern Seite hingegen betrachtet, ist Regel oder Vorschrift hier sogar noch schlechter als Lehre; weil man unter Regel und Vorschrift eigentlich nur solche Saetze verstehet, die unmittelbar auf die Bestimmung unsers Tuns und Lassens gehen. Von dieser Art aber sind nicht alle moralische Lehrsaetze der Fabel. Ein grosser Teil derselben sind Erfahrungssaetze, die uns nicht sowohl von dem, was geschehen sollte, als vielmehr von dem, was wirklich geschiehet, unterrichten. Ist die Sentenz: In principatu commutando civium Nil praeter domini nomen mutant pauperes eine Regel, eine Vorschrift? Und gleichwohl ist sie das Resultat einer von den schoensten Fabeln des Phaedrus [2]. Es ist zwar wahr, aus jedem solchen Erfahrungssatze koennen leicht eigentliche Vorschriften und Regeln gezogen werden. Aber was in dem fruchtbaren Satze liegt, das liegt nicht darum auch in der Fabel. Und was muesste das fuer eine Fabel sein, in welcher ich den Satz mit allen seinen Folgerungen auf einmal anschauend erkennen sollte? {Fussnote 2: Libri I. Fab. 15.} Unter einem allegorischen Bilde?--Ueber das Allegorische habe ich mich bereits erklaeret. Aber Bild (Image)! Unmoeglich kann Richer dieses Wort mit Bedacht gewaehlt haben. Hat er es vielleicht nur ergriffen, um von de La Motte lieber auf Geratewohl abzugehen, als nach ihm recht zu haben?--Ein Bild heisst ueberhaupt jede sinnliche Vorstellung eines Dinges nach einer einzigen ihm zukommenden Veraenderung. Es zeigt mir nicht mehrere oder gar alle moegliche Veraenderungen, deren das Ding faehig ist, sondern allein die, in der es sich in einem und ebendemselben Augenblicke befindet. In einem Bilde kann ich zwar also wohl eine moralische Wahrheit erkennen, aber es ist darum noch keine Fabel. Der mitten im Wasser duerstende Tantalus ist ein Bild, und ein Bild, das mir die Moeglichkeit zeiget, man koenne auch bei dem groessten Ueberflusse darben. Aber ist dieses Bild deswegen eine Fabel? So auch folgendes kleine Gedicht: Cursu veloci pendens in novacula, Calvus, comosa fronte, nudo corpore, Quem si occuparis, teneas; elapsum semel Non ipse possit Jupiter reprehendere; Occasionem rerum significat brevem. Effectus impediret ne segnis mora, Finxere antiqui talem effigiem temporis. Wer wird diese Zeilen fuer eine Fabel erkennen, ob sie schon Phaedrus als eine solche unter seinen Fabeln mit unterlaufen laesst [3]? Ein jedes Gleichnis, ein jedes Emblema wuerde eine Fabel sein, wenn sie nicht eine Mannigfaltigkeit von Bildern, und zwar zu einem Zwecke uebereinstimmenden Bildern, wenn sie, mit einem Worte, nicht das notwendig erforderte, was wir durch das Wort Handlung ausdruecken. {Fussnote 3: Lib. V. Fab. 8.} Eine Handlung nenne ich eine Folge von Veraenderungen, die zusammen ein Ganzes ausmachen. Diese Einheit des Ganzen beruhet auf der Uebereinstimmung aller Teile zu einem Endzwecke. Der Endzweck der Fabel, das, wofuer die Fabel erfunden wird, ist der moralische Lehrsatz. Folglich hat die Fabel eine Handlung, wenn das, was sie erzaehlt, eine Folge von Veraenderungen ist und jede dieser Veraenderungen etwas dazu beitraegt, die einzeln Begriffe, aus welchen der moralische Lehrsatz bestehet, anschauend erkennen zu lassen. Was die Fabel erzaehlt, muss eine Folge von Veraenderungen sein. Eine Veraenderung oder auch mehrere Veraenderungen, die nur nebeneinander bestehen und nicht aufeinander folgen, wollen zur Fabel nicht zureichen. Und ich kann es fuer eine untriegliche Probe ausgeben, dass eine Fabel schlecht ist, dass sie den Namen der Fabel gar nicht verdienet, wenn ihre vermeinte Handlung sich ganz malen laesst. Sie enthaelt alsdenn ein blosses Bild, und der Maler hat keine Fabel, sondern ein Emblema gemalt.--"Ein Fischer, indem er sein Netz aus dem Meere zog, blieb der groessern Fische, die sich darin gefangen hatten, zwar habhaft, die kleinsten aber schlupften durch das Netz durch und gelangten gluecklich wieder ins Wasser."--Diese Erzaehlung befindet sich unter den aesopischen Fabeln [4], aber sie ist keine Fabel, wenigstens eine sehr mittelmaessige. Sie hat keine Handlung, sie enthaelt ein blosses einzelnes Faktum, das sich ganz malen laesst; und wenn ich dieses einzelne Faktum, dieses Zurueckbleiben der groessern und dieses Durchschlupfen der kleinen Fische, auch mit noch so viel andern Umstaenden erweiterte, so wuerde doch in ihm allein, und nicht in den andern Umstaenden zugleich mit, der moralische Lehrsatz liegen. {Fussnote 4: Fab. Aesop. 154} Doch nicht genug, dass das, was die Fabel erzaehlt, eine Folge von Veraenderungen ist, alle diese Veraenderungen muessen zusammen nur einen einzigen anschauenden Begriff in mir erwecken. Erwecken sie deren mehrere, liegt mehr als ein moralischer Lehrsatz in der vermeinten Fabel, so fehlt der Handlung ihre Einheit, so fehlt ihr das, was sie eigentlich zur Handlung macht, und kann, richtig zu sprechen, keine Handlung, sondern muss eine Begebenheit heissen.--Ein Exempel: Lucernam fur accendit ex ara Jovis, Ipsumque compilavit ad lumen suum; Onustus qui sacrilegio cum discederet, Repente vocem sancta misit Religio: Malorum quamvis ista fuerint munera, Mihique invisa, ut non offendar subripi; Tamen, sceleste, spiritu culpam lues, Olim cum adscriptus venerit poenae dies. Sed ne ignis noster facinori praeluceat, Per quem verendos excolit pietas Deos, Veto esse tale luminis commercium. Ita hodie, nec lucernam de flamma Deum Nec de lucerna fas est accendi sacrum. Was hat man hier gelesen? Ein Histoerchen, aber keine Fabel. Ein Histoerchen traegt sich zu, eine Fabel wird erdichtet. Von der Fabel also muss sich ein Grund angeben lassen, warum sie erdichtet worden, da ich den Grund, warum sich jenes zugetragen, weder zu wissen noch anzugeben gehalten bin. Was waere nun der Grund, warum diese Fabel erdichtet worden, wenn es anders eine Fabel waere? Recht billig zu urteilen, koennte es kein andrer als dieser sein: der Dichter habe einen wahrscheinlichen Anlass zu dem doppelten Verbote, weder von dem heiligen Feuer ein gemeines Licht noch von einem gemeinen Lichte das heilige Feuer anzuzuenden, erzaehlen wollen. Aber waere das eine moralische Absicht, dergleichen der Fabulist doch notwendig haben soll? Zur Not koennte zwar dieses einzelne Verbot zu einem Bilde des allgemeinen Verbots dienen, dass das Heilige mit dem Unheiligen, das Gute mit dem Boesen in keiner Gemeinschaft stehen soll. Aber was tragen alsdenn die uebrigen Teile der Erzaehlung zu diesem Bilde bei? Zu diesem gar nichts, sondern ein jeder ist vielmehr das Bild, der einzelne Fall einer ganz andern allgemeinen Wahrheit. Der Dichter hat es selbst empfunden und hat sich aus der Verlegenheit, welche Lehre er allein daraus ziehen solle, nicht besser zu reissen gewusst, als wenn er deren so viele daraus zoege als sich nur immer ziehen liessen. Denn er schliesst: Quot res contineat hoc argumentum utiles, Non explicabit alius, quam qui repperit. Significat primo, saepe, quos ipse alueris, Tibi inveniri maxime contrarios. Secundo ostendit, scelera non ira Deum, Fatorum dicto sed puniri tempore. Novissime interdicit, ne cum malefico Usum bonus consociet ullius rei. Eine elende Fabel, wenn niemand anders als ihr Erfinder es erklaeren kann, wieviel nuetzliche Dinge sie enthalte! Wir haetten an einem genug! --Kaum sollte man es glauben, dass einer von den Alten, einer von diesen grossen Meistern in der Einfalt ihrer Plane, uns dieses Histoerchen fuer eine Fabel [5] verkaufen koennen. {Fussnote 5: Phaedrus libr. IV. Fab. 10} Breitinger Ich wuerde von diesem grossen Kunstrichter nur wenig gelernt haben, wenn er in meinen Gedanken noch ueberall recht haette.--Er gibt uns aber eine doppelte Erklaerung von der Fabel [1]. Die eine hat er von dem de La Motte entlehnet, und die andere ist ihm ganz eigen. {Fussnote 1: Der Critischen Dichtkunst ersten Bandes siebender Abschnitt, S. 194.} Nach jener versteht er unter der Fabel eine unter der wohlgeratenen Allegorie einer aehnlichen Handlung verkleidete Lehre und Unterweisung. --Der klare, uebersetzte de La Motte! Und der ein wenig gewaesserte: koennte man noch dazusetzen. Denn was sollen die Beiwoerter: wohlgeratene Allegorie, aehnliche Handlung? Sie sind hoechst ueberfluessig. Doch ich habe eine andere wichtigere Anmerkung auf ihn versparet. Richer sagt: die Lehre solle unter dem allegorischen Bilde versteckt (cache) sein. Versteckt! welch ein unschickliches Wort! In manchem Raetsel sind Wahrheiten, in den Pythagorischen Denkspruechen sind moralische Lehren versteckt, aber in keiner Fabel. Die Klarheit, die Lebhaftigkeit, mit welcher die Lehre aus allen Teilen einer guten Fabel auf einmal hervorstrahlet, haette durch ein ander Wort als durch das ganz widersprechende versteckt ausgedrueckt zu werden verdienet. Sein Vorgaenger de La Motte hatte sich um ein gut Teil feiner erklaert; er sagt doch nur verkleidet (deguise). Aber auch verkleidet ist noch viel zu unrichtig, weil auch verkleidet den Nebenbegriff einer muehsamen Erkennung mit sich fuehret. Und es muss gar keine Muehe kosten, die Lehre in der Fabel zu erkennen; es muesste vielmehr, wenn ich so reden darf, Muehe und Zwang kosten, sie darin nicht zu erkennen. Aufs hoechste wuerde sich dieses verkleidet nur in Ansehung der zusammengesetzten Fabel entschuldigen lassen. In Ansehung der einfachen ist es durchaus nicht zu dulden. Von zwei aehnlichen einzeln Faellen kann zwar einer durch den andern ausgedrueckt, einer in den andern verkleidet werden: aber wie man das Allgemeine in das Besondere verkleiden koenne, das begreife ich ganz und gar nicht. Wollte man mit aller Gewalt ein aehnliches Wort hier brauchen, so muesste es anstatt verkleiden wenigstens einkleiden heissen. Von einem deutschen Kunstrichter haette ich ueberhaupt dergleichen figuerliche Woerter in einer Erklaerung nicht erwartet. Ein Breitinger haette es den schoen vernuenftelnden Franzosen ueberlassen sollen, sich damit aus dem Handel zu wickeln; und ihm wuerde es sehr wohl angestanden haben, wenn er uns mit den trocknen Worten der Schule belehrt haette, dass die moralische Lehre in die Handlung weder versteckt noch verkleidet, sondern durch sie der anschauenden Erkenntnis faehig gemacht werde. Ihm wuerde es erlaubt gewesen sein, uns von der Natur dieser auch der rohesten Seele zukommenden Erkenntnis, von der mit ihr verknuepften schnellen Ueberzeugung, von ihrem daraus entspringenden maechtigen Einflusse auf den Willen das Noetige zu lehren. Eine Materie, die durch den ganzen spekulativischen Teil der Dichtkunst von dem groessten Nutzen ist und von unserm Weltweisen schon gnugsam erlaeutert war [2]!--Was Breitinger aber damals unterlassen, das ist mir, itzt nachzuholen, nicht mehr erlaubt. Die philosophische Sprache ist seitdem unter uns so bekannt geworden, dass ich mich der Woerter anschauen, anschauender Erkenntnis gleich von Anfange als solcher Woerter ohne Bedenken habe bedienen duerfen, mit welchen nur wenige nicht einerlei Begriff verbinden. {Fussnote 2: Ich kann meine Verwunderung nicht bergen, dass Herr Breitinger das, was Wolf schon damals von der Fabel gelehret hatte, auch nicht im geringsten gekannt zu haben scheinet. Wolfii Philosophiae practicae universalis pars posterior 302-323. Dieser Teil erschien 1739, und die Breitingersche Dichtkunst erst das Jahr darauf.} Ich kaeme zu der zweiten Erklaerung, die uns Breitinger von der Fabel gibt. Doch ich bedenke, dass ich diese bequemer an einem andern Orte werde untersuchen koennen.--Ich verlasse ihn also. Batteux Batteux erklaeret die Fabel kurzweg durch die Erzaehlung einer allegorischen Handlung [1]. Weil er es zum Wesen der Allegorie macht, dass sie eine Lehre oder Wahrheit verberge, so hat er ohne Zweifel geglaubt, des moralischen Satzes, der in der Fabel zum Grunde liegt, in ihrer Erklaerung gar nicht erwaehnen zu duerfen. Man siehet sogleich, was von meinen bisherigen Anmerkungen auch wider diese Erklaerung anzuwenden ist. Ich will mich daher nicht wiederholen, sondern bloss die fernere Erklaerung, welche Batteux von der Handlung gibt, untersuchen. {Fussnote 1: Principes de Litterature, Tome II. I. Partie p. V. L'Apologue est le recit d'une action allegorique etc.} "Eine Handlung, sagt Batteux, ist eine Unternehmung, die mit Wahl und Absicht geschiehet.--Die Handlung setzet, ausser dem Leben und der Wirksamkeit, auch Wahl und Endzweck voraus und koemmt nur vernuenftigen Wesen zu." Wenn diese Erklaerung ihre Richtigkeit hat, so moegen wir nur neun Zehnteile von allen existierenden Fabeln ausstreichen. Aesopus selbst wird alsdann deren kaum zwei oder drei gemacht haben, welche die Probe halten.--"Zwei Haehne kaempfen miteinander. Der Besiegte verkriecht sich. Der Sieger fliegt auf das Dach, schlaegt stolz mit den Fluegeln und kraehet. Ploetzlich schiesst ein Adler auf den Sieger herab und zerfleischt ihn." [2]--Ich habe das allezeit fuer eine sehr glueckliche Fabel gehalten, und doch fehlt ihr, nach dem Batteux, die Handlung. Denn wo ist hier eine Unternehmung, die mit Wahl und Absicht geschaehe?--"Der Hirsch betrachtet sich in einer spiegelnden Quelle, er schaemt sich seiner duerren Laeufte und freuet sich seines stolzen Geweihes. Aber nicht lange! Hinter ihm ertoenet die Jagd, seine duerren Laeufte bringen ihn gluecklich ins Gehoelze, da verstrickt ihn sein stolzes Geweih, er wird erreicht." [3]--Auch hier sehe ich keine Unternehmung, keine Absicht. Die Jagd ist zwar eine Unternehmung, und der fliehende Hirsch hat die Absicht, sich zu retten, aber beide Umstaende gehoeren eigentlich nicht zur Fabel, weil man sie, ohne Nachteil derselben, weglassen und veraendern kann. Und dennoch fehlt es ihr nicht an Handlung. Denn die Handlung liegt in dem falsch befundenen Urteile des Hirsches. Der Hirsch urteilet falsch und lernet gleich darauf aus der Erfahrung, dass er falsch geurteilet habe. Hier ist also eine Folge von Veraenderungen, die einen einzigen anschauenden Begriff in mir erwecken.--Und das ist meine obige Erklaerung der Handlung, von der ich glaube, dass sie auf alle gute Fabeln passen wird. {Fussnote 2: Aesop. Fab. 145.} {Fussnote 3: Fab. Aesop. 181.} Gibt es aber doch wohl Kunstrichter, welche einen noch engern, und zwar so materiellen Begriff mit dem Worte Handlung verbinden, dass sie nirgends Handlung sehen, als wo die Koerper so taetig sind, dass sie eine gewisse Veraenderung des Raumes erfordern. Sie finden in keinem Trauerspiele Handlung, als wo der Liebhaber zu Fuessen faellt, die Prinzessin ohnmaechtig wird, die Helden sich balgen, und in keiner Fabel, als wo der Fuchs springt, der Wolf zerreisset und der Frosch die Maus sich an das Bein bindet. Es hat ihnen nie beifallen wollen, dass auch jeder innere Kampf von Leidenschaften, jede Folge von verschiedenen Gedanken, wo eine die andere aufhebt, eine Handlung sei; vielleicht weil sie viel zu mechanisch denken und fuehlen, als dass sie sich irgendeiner Taetigkeit dabei bewusst waeren.--Ernsthafter sie zu widerlegen wuerde eine unnuetze Muehe sein. Es ist aber nur schade, dass sie sich einigermassen mit dem Batteux schuetzen, wenigstens behaupten koennen, ihre Erklaerung mit ihm aus einerlei Fabeln abstrahieret zu haben. Denn wirklich, auf welche Fabel die Erklaerung des Batteux passet, passet auch ihre, so abgeschmackt sie immer ist. Batteux, wie ich wohl darauf wetten wollte, hat bei seiner Erklaerung nur die erste Fabel des Phaedrus vor Augen gehabt, die er, mehr als einmal, une des plus belles et des plus celebres de l'antiquite nennet. Es ist wahr, in dieser ist die Handlung ein Unternehmen, das mit Wahl und Absicht geschiehet. Der Wolf nimmt sich vor, das Schaf zu zerreissen, fauce improba incitatus; er will es aber nicht so plump zu, er will es mit einem Scheine des Rechts tun, und also jurgii causam intulit.--Ich spreche dieser Fabel ihr Lob nicht ab; sie ist so vollkommen, als sie nur sein kann. Allein sie ist nicht deswegen vollkommen, weil ihre Handlung ein Unternehmen ist, das mit Wahl und Absicht geschiehet, sondern weil sie ihrer Moral, die von einem solchen Unternehmen spricht, ein voelliges Genuege tut. Die Moral ist [4]: oiV proJesiV adikein, par' autoiV ou dikaiologia iscuei. Wer den Vorsatz hat, einen Unschuldigen zu unterdruecken, der wird es zwar met' eulogou aitiaV zu tun suchen; er wird einen scheinbaren Vorwand waehlen, aber sich im geringsten nicht von seinem einmal gefassten Entschlusse abbringen lassen, wenn sein Vorwand gleich voellig zuschanden gemacht wird. Diese Moral redet von einem Vorsatze (dessein); sie redet von gewissen, vor andern vorzueglich gewaehlten Mitteln, diesen Vorsatz zu vollfuehren (choix): und folglich muss auch in der Fabel etwas sein, was diesem Vorsatze, diesen gewaehlten Mitteln entspricht; es muss in der Fabel sich ein Unternehmen finden, das mit Wahl und Absicht geschiehet. Bloss dadurch wird sie zu einer vollkommenen Fabel, welches sie nicht sein wuerde, wenn sie den geringsten Zug mehr oder weniger enthielte als, den Lehrsatz anschauend zu machen, noetig ist. Batteux bemerkt alle ihre kleinen Schoenheiten des Ausdrucks und stellet sie von dieser Seite in ein sehr vorteilhaftes Licht; nur ihre wesentliche Vortrefflichkeit laesst er uneroertert und verleitet seine Leser sogar, sie zu verkennen. Er sagt naemlich, die Moral, die aus dieser Fabel fliesse, sei: que le plus faible est souvent opprime par le plus fort. Wie seicht! Wie falsch! Wenn sie weiter nichts als dieses lehren sollte, so haette wahrlich der Dichter die fictae causae des Wolfs sehr vergebens, sehr fuer die Langeweile erfunden; seine Fabel sagte mehr, als er damit haette sagen wollen, und waere, mit einem Worte, schlecht. {Fussnote 4: Fab. Aesop. 230.} Ich will mich nicht in mehrere Exempel zerstreuen. Man untersuche es nur selbst, und man wird durchgaengig finden, dass es bloss von der Beschaffenheit des Lehrsatzes abhaengt, ob die Fabel eine solche Handlung, wie sie Batteux ohne Ausnahme fodert, haben muss oder entbehren kann. Der Lehrsatz der itzt erwaehnten Fabel des Phaedrus machte sie, wie wir gesehen, notwendig, aber tun es deswegen alle Lehrsaetze? Sind alle Lehrsaetze von dieser Art? Oder haben allein die, welche es sind, das Recht, in eine Fabel eingekleidet zu werden? Ist z. E. der Erfahrungssatz Laudatis utiliora quae contemseris Saepe inveniri nicht wert, in einem einzeln Falle, welcher die Stelle einer Demonstration vertreten kann, erkannt zu werden? Und wenn er es ist, was fuer ein Unternehmen, was fuer eine Absicht, was fuer eine Wahl liegt darin, welche der Dichter auch in der Fabel auszudruecken gehalten waere? So viel ist wahr: wenn aus einem Erfahrungssatze unmittelbar eine Pflicht, etwas zu tun oder zu lassen, folget, so tut der Dichter besser, wenn er die Pflicht, als wenn er den blossen Erfahrungssatz in seiner Fabel ausdrueckt.--"Gross sein ist nicht immer ein Glueck"--diesen Erfahrungssatz in eine schoene Fabel zu bringen moechte kaum moeglich sein. Die obige Fabel von dem Fischer, welcher nur der groessten Fische habhaft bleibet, indem die kleinern gluecklich durch das Netz durchschlupfen, ist, in mehr als einer Betrachtung, ein sehr misslungener Versuch. Aber wer heisst auch dem Dichter, die Wahrheit von dieser schielenden und unfruchtbaren Seite nehmen? Wenn gross sein nicht immer ein Glueck ist, so ist es oft ein Unglueck; und wehe dem, der wider seinen Willen gross ward, den das Glueck ohne sein Zutun erhob, um ihn ohne sein Verschulden desto elender zu machen! Die grossen Fische mussten gross werden; es stand nicht bei ihnen, klein zu bleiben. Ich danke dem Dichter fuer kein Bild, in welchem ebenso viele ihr Unglueck als ihr Glueck erkennen. Er soll niemanden mit seinen Umstaenden unzufrieden machen; und hier macht er doch, dass es die Grossen mit den ihrigen sein muessen. Nicht das Grosssein, sondern die eitele Begierde gross zu werden (kenodoxian), sollte er uns als eine Quelle des Ungluecks zeigen. Und das tat jener Alte [5], der die Fabel von den Maeusen und Wieseln erzaehlte. "Die Maeuse glaubten, dass sie nur deswegen in ihrem Kriege mit den Wieseln so ungluecklich waeren, weil sie keine Heerfuehrer haetten, und beschlossen, dergleichen zu waehlen. Wie rang nicht diese und jene ehrgeizige Maus, es zu werden! Und wie teuer kam ihr am Ende dieser Vorzug zu stehen! Die Eiteln banden sich Hoerner auf, {Fussnote 5: Fab. Aesop. 243. Phaedrus libr. IV. Fab. 5.} "---- ut conspicuum in praelio Haberent signum, quod sequerentur milites, "und diese Hoerner, als ihr Heer dennoch wieder geschlagen ward, hinderten sie, sich in ihre engen Loecher zu retten, "Haesere in portis, suntque capti ab hostibus Quos immolatos victor avidis dentibus Capacis alvi mersit tartareo specu." Diese Fabel ist ungleich schoener. Wodurch ist sie es aber anders geworden, als dadurch, dass der Dichter die Moral bestimmter und fruchtbarer angenommen hat? Er hat das Bestreben nach einer eiteln Groesse, und nicht die Groesse ueberhaupt, zu seinem Gegenstande gewaehlet; und nur durch dieses Bestreben, durch diese eitle Groesse, ist natuerlicherweise auch in seine Fabel das Leben gekommen, das uns so sehr in ihr gefaellt. Ueberhaupt hat Batteux die Handlung der aesopischen Fabel mit der Handlung der Epopee und des Drama viel zu sehr verwirrt. Die Handlung der beiden letztern muss ausser der Absicht, welche der Dichter damit verbindet, auch eine innere, ihr selbst zukommende Absicht haben. Die Handlung der erstern braucht diese innere Absicht nicht, und sie ist vollkommen genug, wenn nur der Dichter seine Absicht damit erreichet. Der heroische und dramatische Dichter machen die Erregung der Leidenschaften zu ihrem vornehmsten Endzwecke. Er kann sie aber nicht anders erregen als durch nachgeahmte Leidenschaften; und nachahmen kann er die Leidenschaften nicht anders, als wenn er ihnen gewisse Ziele setzet, welchen sie sich zu naehern oder von welchen sie sich zu entfernen streben. Er muss also in die Handlung selbst Absichten legen, und diese Absichten unter eine Hauptabsicht so zu bringen wissen, dass verschiedene Leidenschaften nebeneinander bestehen koennen. Der Fabuliste hingegen hat mit unsern Leidenschaften nichts zu tun, sondern allein mit unserer Erkenntnis. Er will uns von irgendeiner einzeln moralischen Wahrheit lebendig ueberzeugen. Das ist seine Absicht, und diese sucht er, nach Massgebung der Wahrheit, durch die sinnliche Vorstellung einer Handlung bald mit, bald ohne Absichten zu erhalten. Sobald er sie erhalten hat, ist es ihm gleichviel, ob die von ihm erdichtete Handlung ihre innere Endschaft erreicht hat oder nicht. Er laesst seine Personen oft mitten auf dem Wege stehen und denket im geringsten nicht daran, unserer Neugierde ihretwegen ein Genuege zu tun. "Der Wolf beschuldiget den Fuchs eines Diebstahls. Der Fuchs leugnet die Tat. Der Affe soll Richter sein. Klaeger und Beklagter bringen ihre Gruende und Gegengruende vor. Endlich schreitet der Affe zum Urteil [6]: {Fussnote 6: Phaedrus libr. I. Fab. 10.} "Tu non videris perdidisse, quod petis; Te credo surripuisse, quod pulchre negas." Die Fabel ist aus; denn in dem Urteil des Affen lieget die Moral, die der Fabulist zum Augenmerke gehabt hat. Ist aber das Unternehmen aus, das uns der Anfang derselben verspricht? Man bringe diese Geschichte in Gedanken auf die komische Buehne, und man wird sogleich sehen, dass sie durch einen sinnreichen Einfall abgeschnitten, aber nicht geendigt ist. Der Zuschauer ist nicht zufrieden, wenn er voraussiehet, dass die Streitigkeit hinter der Szene wieder von vorne angehen muss.--"Ein armer geplagter Greis ward unwillig, warf seine Last von dem Ruecken und rief den Tod. Der Tod erscheinet. Der Greis erschrickt und fuehlt betroffen, dass elend leben doch besser als gar nicht leben ist. Nun, was soll ich? fragt der Tod. Ach, lieber Tod, mir meine Last wieder aufhelfen." [7]--Der Fabulist ist gluecklich und zu unserm Vergnuegen an seinem Ziele. Aber auch die Geschichte? Wie ging es dem Greise? Liess ihn der Tod leben, oder nahm er ihn mit? Um alle solche Fragen bekuemmert sich der Fabulist nicht; der dramatische Dichter aber muss ihnen vorbauen. {Fussnote 7: Fab. Aesop. 20.} Und so wird man hundert Beispiele finden, dass wir uns zu einer Handlung fuer die Fabel mit weit wenigerm begnuegen als zu einer Handlung fuer das Heldengedichte oder das Drama. Will man daher eine allgemeine Erklaerung von der Handlung geben, so kann man unmoeglich die Erklaerung des Batteux dafuer brauchen, sondern muss sie notwendig so weitlaeuftig machen, als ich es oben getan habe.--Aber der Sprachgebrauch? wird man einwerfen. Ich gestehe es; dem Sprachgebrauche nach heisst gemeiniglich das eine Handlung, was einem gewissen Vorsatze zufolge unternommen wird; dem Sprachgebrauche nach muss dieser Vorsatz ganz erreicht sein, wenn man soll sagen koennen, dass die Handlung zu Ende sei. Allein was folgt hieraus? Dieses: wem der Sprachgebrauch so gar heilig ist, dass er ihn auf keine Weise zu verletzen wagt, der enthalte sich des Wortes Handlung, insofern es eine wesentliche Eigenschaft der Fabel ausdruecken soll, ganz und gar.-- Und, alles wohl ueberlegt, dem Rate werde ich selbst folgen. Ich will nicht sagen, die moralische Lehre werde in der Fabel durch eine Handlung ausgedrueckt, sondern ich will lieber ein Wort von einem weitern Umfange suchen und sagen, der allgemeine Satz werde durch die Fabel auf einen einzeln Fall zurueckgefuehret. Dieser einzelne Fall wird allezeit das sein, was ich oben unter dem Worte Handlung verstanden habe; das aber, was Batteux darunter verstehet, wird er nur dann und wann sein. Er wird allezeit eine Folge von Veraenderungen sein, die durch die Absicht, die der Fabulist damit verbindet, zu einem Ganzen werden. Sind sie es auch ausser dieser Absicht, desto besser! Eine Folge von Veraenderungen--dass es aber Veraenderungen freier, moralischer Wesen sein muessen, verstehet sich von selbst. Denn sie sollen einen Fall ausmachen, der unter einem Allgemeinen, das sich nur von moralischen Wesen sagen laesst, mit begriffen ist. Und darin hat Batteux freilich recht, dass das, was er die Handlung der Fabel nennet, bloss vernuenftigen Wesen zukomme. Nur koemmt es ihnen nicht deswegen zu, weil es ein Unternehmen mit Absicht ist, sondern weil es Freiheit voraussetzt. Denn die Freiheit handelt zwar allezeit aus Gruenden, aber nicht allezeit aus Absichten.---- Sind es meine Leser nun bald muede, mich nichts als widerlegen zu hoeren? Ich wenigstens bin es. De La Motte, Richer, Breitinger, Batteux sind Kunstrichter von allerlei Art, mittelmaessige, gute, vortreffliche. Man ist in Gefahr, sich auf dem Wege zur Wahrheit zu verirren, wenn man sich um gar keine Vorgaenger bekuemmert; und man versaeumt sich ohne Not, wenn man sich um alle bekuemmern will. Wie weit bin ich? Hui, dass mir meine Leser alles, was ich mir so muehsam erstritten habe, von selbst geschenkt haetten!--In der Fabel wird nicht eine jede Wahrheit, sondern ein allgemeiner moralischer Satz nicht unter die Allegorie einer Handlung, sondern auf einen einzeln Fall nicht versteckt oder verkleidet, sondern so zurueckgefuehret, dass ich nicht bloss einige Aehnlichkeiten mit dem moralischen Satze in ihm entdecke, sondern diesen ganz anschauend darin erkenne. Und das ist das Wesen der Fabel? Das ist es, ganz erschoepft?--Ich wollte es gern meine Leser bereden, wenn ich es nur erst selbst glaubte.--Ich lese bei dem Aristoteles [1]: "Eine obrigkeitliche Person durch das Los ernennen ist eben, als wenn ein Schiffsherr, der einen Steuermann braucht, es auf das Los ankommen liesse, welcher von seinen Matrosen es sein sollte, anstatt dass er den allergeschicktesten dazu unter ihnen mit Fleiss aussuchte."--Hier sind zwei besondere Faelle, die unter eine allgemeine moralische Wahrheit gehoeren. Der eine ist der sich eben itzt aeussernde, der andere ist der erdichtete. Ist dieser erdichtete eine Fabel? Niemand wird ihn dafuer gelten lassen.--Aber wenn es bei dem Aristoteles so hiesse: "Ihr wollt euren Magistrat durch das Los ernennen? Ich sorge, es wird euch gehen wie jenem Schiffsherrn, der, als es ihm an einem Steuermanne fehlte etc." Das verspricht doch eine Fabel? Und warum? Welche Veraenderung ist damit vorgegangen? Man betrachte alles genau, und man wird keine finden als diese: Dort ward der Schiffsherr durch ein als wenn eingefuehrt, er ward bloss als moeglich betrachtet; und hier hat er die Wirklichkeit erhalten, es ist hier ein gewisser, es ist jener Schiffsherr. {Fussnote 1: Aristoteles Rhetor. libr. II. cap. 20.} Das trifft den Punkt! Der einzelne Fall, aus welchem die Fabel bestehet, muss als wirklich vorgestellet werden. Begnuege ich mich an der Moeglichkeit desselben, so ist es ein Beispiel, eine Parabel.--Es verlohnt sich der Muehe, diesen wichtigen Unterschied, aus welchem man allein so viel zweideutigen Fabeln das Urteil sprechen muss, an einigen Exempeln zu zeigen.--Unter den aesopischen Fabeln des Planudes lieset man auch folgendes: "Der Biber ist ein vierfuessiges Tier, das meistens im Wasser wohnet und dessen Geilen in der Medizin von grossem Nutzen sind. Wenn nun dieses Tier von den Menschen verfolgt wird und ihnen nicht mehr entkommen kann, was tut es? Es beisst sich selbst die Geilen ab und wirft sie seinen Verfolgern zu. Denn es weiss gar wohl, dass man ihm nur dieserwegen nachstellet und es sein Leben und seine Freiheit wohlfeiler nicht erkaufen kann." [2]--Ist das eine Fabel? Es liegt wenigstens eine vortreffliche Moral darin. Und dennoch wird sich niemand bedenken, ihr den Namen einer Fabel abzusprechen. Nur ueber die Ursache, warum er ihr abzusprechen sei, werden sich vielleicht die meisten bedenken und uns doch endlich eine falsche angeben. Es ist nichts als eine Naturgeschichte: wuerde man vielleicht mit dem Verfasser der Critischen Briefe [3] sagen. Aber gleichwohl, wuerde ich mit ebendiesem Verfasser antworten, handelt hier der Biber nicht aus blossem Instinkt, er handelt aus freier Wahl und nach reifer Ueberlegung, denn er weiss es, warum er verfolgt wird (ginwskwn ou carin diwketai). Diese Erhebung des Instinkts zur Vernunft, wenn ich ihm glauben soll, macht es ja eben, dass eine Begegnis aus dem Reiche der Tiere zu einer Fabel wird. Warum wird sie es denn hier nicht? Ich sage: sie wird es deswegen nicht, weil ihr die Wirklichkeit fehlet. Die Wirklichkeit koemmt nur dem Einzeln, dem Individuo zu, und es laesst sich keine Wirklichkeit ohne die Individualitaet gedenken. Was also hier von dem ganzen Geschlechte der Biber gesagt wird, haette muessen nur von einem einzigen Biber gesagt werden, und alsdenn waere es eine Fabel geworden.--Ein ander Exempel: "Die Affen, sagt man, bringen zwei Junge zur Welt, wovon sie das eine sehr heftig lieben und mit aller moeglichen Sorgfalt pflegen, das andere hingegen hassen und versaeumen. Durch ein sonderbares Geschick aber geschieht es, dass die Mutter das Geliebte unter haeufigen Liebkosungen erdrueckt, indem das Verachtete gluecklich aufwaechset." [4] Auch dieses ist aus ebender Ursache, weil das, was nur von einem Individuo gesagt werden sollte, von einer ganzen Art gesagt wird, keine Fabel. Als daher l'Estrange eine Fabel daraus machen wollte, musste er ihm diese Allgemeinheit nehmen und die Individualitaet dafuer erteilen [5]. "Eine Aeffin, erzaehlt er, hatte zwei Junge; in das eine war sie naerrisch verliebt, an dem andern aber war ihr sehr wenig gelegen. Einsmals ueberfiel sie ein ploetzlicher Schrecken. Geschwind rafft sie ihren Liebling auf, nimmt ihn in die Arme, eilt davon, stuerzt aber und schlaegt mit ihm gegen einen Stein, dass ihm das Gehirn aus dem zerschmetterten Schaedel springt. Das andere Junge, um das sie sich im geringsten nicht bekuemmert hatte, war ihr von selbst auf den Ruecken gesprungen, hatte sich an ihre Schultern angeklammert und kam gluecklich davon."--Hier ist alles bestimmt; und was dort nur eine Parabel war, ist hier zur Fabel geworden.--Das schon mehr als einmal angefuehrte Beispiel von dem Fischer hat den naemlichen Fehler; denn selten hat eine schlechte Fabel einen Fehler allein. Der Fall ereignet sich allezeit, sooft das Netz gezogen wird, dass die Fische, welche kleiner sind als die Gitter des Netzes, durchschlupfen und die groessern haengenbleiben. Fuer sich selbst ist dieser Fall also kein individueller Fall, sondern haette es durch andere mit ihm verbundene Nebenumstaende erst werden muessen. {Fussnote 2: Fabul. Aesop. 33.} {Fussnote 3: Critische Briefe. Zuerich 1746. S. 168.} {Fussnote 4: Fab. Aesop. 268.} {Fussnote 5: In seinen Fabeln, so wie sie Richardson adoptiert hat, die 187.} Die Sache hat also ihre Richtigkeit: der besondere Fall, aus welchem die Fabel bestehet, muss als wirklich vorgestellt werden; er muss das sein, was wir in dem strengsten Verstande einen einzeln Fall nennen. Aber warum? Wie steht es um die philosophische Ursache? Warum begnuegt sich das Exempel der praktischen Sittenlehre, wie man die Fabel nennen kann, nicht mit der blossen Moeglichkeit, mit der sich die Exempel andrer Wissenschaften begnuegen?--Wieviel liesse sich hiervon plaudern, wenn ich bei meinen Lesern gar keine richtige psychologische Begriffe voraussetzen wollte. Ich habe mich oben schon geweigert, die Lehre von der anschauenden Erkenntnis aus unserm Weltweisen abzuschreiben. Und ich will auch hier nicht mehr davon beibringen als unumgaenglich noetig ist, die Folge meiner Gedanken zu zeigen. Die anschauende Erkenntnis ist fuer sich selbst klar. Die symbolische entlehnet ihre Klarheit von der anschauenden. Das Allgemeine existierst nur in dem Besondern und kann nur in dem Besondern anschauend erkannt werden. Einem allgemeinen symbolischen Schlusse folglich alle die Klarheit zu geben, deren er faehig ist, das ist, ihn soviel als moeglich zu erlaeutern, muessen wir ihn auf das Besondere reduzieren, um ihn in diesem anschauend zu erkennen. Ein Besonderes, insofern wir das Allgemeine in ihm anschauend erkennen, heisst ein Exempel. Die allgemeinen symbolischen Schluesse werden also durch Exempel erlaeutert. Alle Wissenschaften bestehen aus dergleichen symbolischen Schluessen; alle Wissenschaften beduerfen daher der Exempel. Doch die Sittenlehre muss mehr tun als ihre allgemeinen Schluesse bloss erlaeutern; und die Klarheit ist nicht der einzige Vorzug der anschauenden Erkenntnis. Weil wir durch diese einen Satz geschwinder uebersehen und so in einer kuerzern Zeit mehr Bewegungsgruende in ihm entdecken koennen, als wenn er symbolisch ausgedrueckt ist: so hat die anschauende Erkenntnis auch einen weit groessern Einfluss in den Willen als die symbolische. Die Grade dieses Einflusses richten sich nach den Graden ihrer Lebhaftigkeit; und die Grade ihrer Lebhaftigkeit nach den Graden der naehern und mehrern Bestimmungen, in die das Besondere gesetzt wird. Je naeher das Besondere bestimmt wird, je mehr sich darin unterscheiden laesst, desto groesser ist die Lebhaftigkeit der anschauenden Erkenntnis. Die Moeglichkeit ist eine Art des Allgemeinen; denn alles was moeglich ist, ist auf verschiedene Art moeglich. Ein Besonderes also, bloss als moeglich betrachtet, ist gewissermassen noch etwas Allgemeines und hindert, als dieses, die Lebhaftigkeit der anschauenden Erkenntnis. Folglich muss es als wirklich betrachtet werden und die Individualitaet erhalten, unter der es allein wirklich sein kann, wenn die anschauende Erkenntnis den hoechsten Grad ihrer Lebhaftigkeit erreichen und so maechtig als moeglich auf den Willen wirken soll. Das Mehrere aber, das die Sittenlehre, ausser der Erlaeuterung, ihren allgemeinen Schluessen schuldig ist, bestehet eben in dieser ihnen zu erteilenden Faehigkeit auf den Willen zu wirken, die sie durch die anschauende Erkenntnis in dem Wirklichen erhalten, da andere Wissenschaften, denen es um die blosse Erlaeuterung zu tun ist, sich mit einer geringern Lebhaftigkeit der anschauenden Erkenntnis, deren das Besondere, als bloss moeglich betrachtet, faehig ist, begnuegen. Hier bin ich also! Die Fabel erfordert deswegen einen wirklichen Fall, weil man in einem wirklichen Falle mehr Bewegungsgruende und deutlicher unterscheiden kann als in einem moeglichen, weil das Wirkliche eine lebhaftere Ueberzeugung mit sich fuehret als das bloss Moegliche. Aristoteles scheinet diese Kraft des Wirklichen zwar gekannt zu haben; weil er sie aber aus einer unrechten Quelle herleitet, so konnte es nicht fehlen, er musste eine falsche Anwendung davon machen. Es wird nicht undienlich sein, seine ganze Lehre von dem Exempel (peri paradeigmatoV) hier zu uebersehen [6]. Erst von seiner Einteilung des Exempels: Paradeigmatwn d' eidh duo estin, sagt er, en men gar esti paradeigmatoV eidoV, to legein pragmata progegenhmena, en de, to auta poiein. Toutou d' en men parabolh: en de logoi: oion oi aiswpeioi kai libukoi. Die Einteilung ueberhaupt ist richtig; von einem Kommentator aber wuerde ich verlangen, dass er uns den Grund von der Unterabteilung der erdichteten Exempel beibraechte und uns lehrte, warum es deren nur zweierlei Arten gaebe und mehrere nicht geben koenne. Er wuerde diesen Grund, wie ich es oben getan habe, leicht aus den Beispielen selbst abstrahieren koennen, die Aristoteles davon gibt. Die Parabel naemlich fuehrt er durch ein wsper ei tiV ein; und die Fabeln erzaehlt er als etwas wirklich Geschehenes. Der Kommentator muesste also diese Stelle so umschreiben: Die Exempel werden entweder aus der Geschichte genommen oder in Ermangelung derselben erdichtet. Bei jedem geschehenen Dinge laesst sich die innere Moeglichkeit von seiner Wirklichkeit unterscheiden, obgleich nicht trennen, wenn es ein geschehenes Ding bleiben soll. Die Kraft, die es als ein Exempel haben soll, liegt also entweder in seiner blossen Moeglichkeit oder zugleich in seiner Wirklichkeit. Soll sie bloss in jener liegen, so brauchen wir, in seiner Ermangelung, auch nur ein bloss moegliches Ding zu erdichten; soll sie aber in dieser liegen, so muessen wir auch unsere Erdichtung von der Moeglichkeit zur Wirklichkeit erheben. In dem ersten Falle erdichten wir eine Parabel und in dem andern eine Fabel.--(Was fuer eine weitere Einteilung der Fabel hieraus folge, wird sich in der dritten Abhandlung zeigen.) {Fussnote 6: Aristoteles Rhetor. lib. II. cap. 20.} Und so weit ist wider die Lehre des Griechen eigentlich nichts zu erinnern. Aber nunmehr koemmt er auf den Wert dieser verschiedenen Arten von Exempeln und sagt: Eisi d' oi logoi dhmhgorikoi: kai ecousin agaJon touto, oti pragmata men eurein omoia gegenhmena, calepon, logouV de raon. Poihsai gar dei wsper kai parabolaV, an tiV dunhtai to omoion oran, oper raon estin ek jilosojiaV. Raw men oun porisasJai ta dia twn logwn: crhsimwtera de proV to bouleusasJai, ta dia twn pragmatwn: omoia gar, wV epi to polu, ta mellonta toiV gegonosi. Ich will mich itzt nur an den letzten Ausspruch dieser Stelle halten. Aristoteles sagt, die historischen Exempel haetten deswegen eine groessere Kraft zu ueberzeugen als die Fabeln, weil das Vergangene gemeiniglich dem Zukuenftigen aehnlich sei. Und hierin, glaube ich, hat sich Aristoteles geirret. Von der Wirklichkeit eines Falles, den ich nicht selbst erfahren habe, kann ich nicht anders als aus Gruenden der Wahrscheinlichkeit ueberzeugt werden. Ich glaube bloss deswegen, dass ein Ding geschehen und dass es soundso geschehen ist, weil es hoechst wahrscheinlich ist und hoechst unwahrscheinlich sein wuerde, wenn es nicht oder wenn es anders geschehen waere. Da also einzig und allein die innere Wahrscheinlichkeit mich die ehemalige Wirklichkeit eines Falles glauben macht und diese innere Wahrscheinlichkeit sich ebensowohl in einem erdichteten Falle finden kann: was kann die Wirklichkeit des erstern fuer eine groessere Kraft auf meine Ueberzeugung haben als die Wirklichkeit des andern? Ja noch mehr. Da das historische Wahre nicht immer auch wahrscheinlich ist, da Aristoteles selbst die Sentenz des Agatho billiget: Tac' an tiV eikoV auto tout' einai legoi: Brotoisi polla tugcanein ouk eikota, da er hier selbst sagt, dass das Vergangene nur gemeiniglich (epi to polu) dem Zukuenftigen aehnlich sei, der Dichter aber die freie Gewalt hat, hierin von der Natur abzugehen und alles, was er fuer wahr ausgibt, auch wahrscheinlich zu machen: so sollte ich meinen, waere es wohl klar, dass den Fabeln, ueberhaupt zu reden, in Ansehung der Ueberzeugungskraft, der Vorzug vor den historischen Exempeln gebuehre etc. Und nunmehr glaube ich meine Meinung von dem Wesen der Fabel genugsam vorbereitete zu haben. Ich fasse daher alles zusammen und sage: Wenn wir einen allgemeinen moralischen Satz auf einen besondern Fall zurueckfuehren, diesem besondern Falle die Wirklichkeit erteilen und eine Geschichte daraus dichten, in welcher man den allgemeinen Satz anschauend erkennt: so heisst diese Erdichtung eine Fabel. Das ist meine Erklaerung, und ich hoffe, dass man sie, bei der Anwendung, ebenso richtig als fruchtbar finden wird. II. Von dem Gebrauche der Tiere in der Fabel Der groesste Teil der Fabeln hat Tiere, und wohl noch geringere Geschoepfe, zu handelnden Personen.--Was ist hiervon zu halten? Ist es eine wesentliche Eigenschaft der Fabel, dass die Tiere darin zu moralischen Wesen erhoben werden? Ist es ein Handgriff, der dem Dichter die Erreichung seiner Absicht verkuerzt und erleichtert? Ist es ein Gebrauch, der eigentlich keinen ernstlichen Nutzen hat, den man aber, zu Ehren des ersten Erfinders, beibehaelt, weil er wenigstens schnackisch ist--quod risum movet? Oder was ist es? Batteux hat diese Fragen entweder gar nicht vorausgesehen, oder er war listig genug, dass er ihnen damit zu entkommen glaubte, wenn er den Gebrauch der Tiere seiner Erklaerung sogleich mit anflickte. Die Fabel, sagt er, ist die Erzaehlung einer allegorischen Handlung, die gemeiniglich den Tieren beigelegt wird.--Vollkommen a la Francoise! Oder wie der Hahn ueber die Kohlen!--Warum, moechten wir gerne wissen, warum wird sie gemeiniglich den Tieren beigelegt? Oh, was ein langsamer Deutscher nicht alles fragt! Ueberhaupt ist unter allen Kunstrichtern Breitinger der einzige, der diesen Punkt beruehrt hat. Er verdient es also um so viel mehr, dass wir ihn hoeren. "Weil Aesopus, sagt er, die Fabel zum Unterrichte des gemeinen buergerlichen Lebens angewendet, so waren seine Lehren meistens ganz bekannte Saetze und Lebensregeln, und also musste er auch zu den allegorischen Vorstellungen derselben ganz gewohnte Handlungen und Beispiele aus dem gemeinen Leben der Menschen entlehnen: Da nun aber die taeglichen Geschaefte und Handlungen der Menschen nichts Ungemeines oder merkwuerdig Reizendes an sich haben, so musste man notwendig auf ein neues Mittel bedacht sein, auch der allegorischen Erzaehlung eine anzuegliche Kraft und ein reizendes Ansehen mitzuteilen, um ihr also dadurch einen sichern Eingang in das menschliche Herz aufzuschliessen. Nachdem man nun wahrgenommen, dass allein das Seltene, Neue und Wunderbare eine solche erweckende und angenehm entzueckende Kraft auf das menschliche Gemuet mit sich fuehret, so war man bedacht, die Erzaehlung durch die Neuheit und Seltsamkeit der Vorstellungen wunderbar zu machen und also dem Koerper der Fabel eine ungemeine und reizende Schoenheit beizulegen. Die Erzaehlung bestehet aus zween wesentlichen Hauptumstaenden, dem Umstande der Person, und der Sache oder Handlung; ohne diese kann keine Erzaehlung Platz haben. Also muss das Wunderbare, welches in der Erzaehlung herrschen soll, sich entweder auf die Handlung selbst oder auf die Personen, denen selbige zugeschrieben wird, beziehen. Das Wunderbare, das in den taeglichen Geschaeften und Handlungen der Menschen vorkoemmt, bestehet vornehmlich in dem Unvermuteten, sowohl in Absicht auf die Vermessenheit im Unterfangen als die Bosheit oder Torheit im Ausfuehren, zuweilen auch in einem ganz unerwarteten Ausgange einer Sache: Weil aber dergleichen wunderbare Handlungen in dem gemeinen Leben der Menschen etwas Ungewohntes und Seltenes sind, da hingegen die meisten gewoehnlichen Handlungen gar nichts Ungemeines oder Merkwuerdiges an sich haben, so sah man sich gemuessiget, damit die Erzaehlung als der Koerper der Fabel nicht veraechtlich wuerde, derselben durch die Veraenderung und Verwandlung der Personen einen angenehmen Schein des Wunderbaren mitzuteilen. Da nun die Menschen, bei aller ihrer Verschiedenheit, dennoch ueberhaupt betrachtet in einer wesentlichen Gleichheit und Verwandtschaft stehen, so besann man sich, Wesen von einer hoehern Natur, die man wirklich zu sein glaubte, als Goetter und Genios oder solche, die man durch die Freiheit der Dichter zu Wesen erschuf, als die Tugenden, die Kraefte der Seele, das Glueck, die Gelegenheit etc. in die Erzaehlung einzufuehren; vornehmlich aber nahm man sich die Freiheit heraus, die Tiere, die Pflanzen und noch geringere Wesen, naemlich die leblosen Geschoepfe, zu der hoehern Natur der vernuenftigen Wesen zu erheben, indem man ihnen menschliche Vernunft und Rede mitteilte, damit sie also faehig wuerden, uns ihren Zustand und ihre Begegnisse in einer uns vernehmlichen Sprache zu erklaeren und durch ihr Exempel von aehnlichen moralischen Handlungen unsre Lehrer abzugeben etc."-- Breitinger also behauptet, dass die Erreichung des Wunderbaren die Ursache sei, warum man in der Fabel die Tiere und andere niedrigere Geschoepfe reden und vernunftmaessig handeln lasse. Und eben weil er dieses fuer die Ursache haelt, glaubt er, dass die Fabel ueberhaupt, in ihrem Wesen und Ursprunge betrachtet, nichts anders als ein lehrreiches Wunderbare sei. Diese seine zweite Erklaerung ist es, welche ich hier, versprochnermassen, untersuchen muss. Es wird aber bei dieser Untersuchung vornehmlich darauf ankommen, ob die Einfuehrung der Tiere in der Fabel wirklich wunderbar ist. Ist sie es, so hat Breitinger viel gewonnen; ist sie es aber nicht, so liegt auch sein ganzes Fabelsystem, mit einmal, ueber dem Haufen. Wunderbar soll diese Einfuehrung sein? Das Wunderbare, sagt ebendieser Kunstrichter, legt den Schein der Wahrheit und Moeglichkeit ab. Diese anscheinende Unmoeglichkeit also gehoeret zu dem Wesen des Wunderbaren; und wie soll ich nunmehr jenen Gebrauch der Alten, den sie selbst schon zu einer Regel gemacht hatten, damit vergleichen? Die Alten naemlich fingen ihre Fabeln am liebsten mit dem Fasi und dem darauf folgenden Klagefalle an. Die griechischen Rhetores nennen dieses kurz, die Fabel in dem Klagefalle (taiV aitiatikaiV) vortragen; und Theon, wenn er in seinen Voruebungen [1] hierauf koemmt, fuehret eine Stelle des Aristoteles an, wo der Philosoph diesen Gebrauch billiget und es zwar deswegen fuer ratsamer erklaeret, sich bei Einfuehrung einer Fabel lieber auf das Altertum zu berufen, als in der eigenen Person zu sprechen, damit man den Anschein, als erzaehle man etwas Unmoegliches, vermindere (ina paramuJhswntai to dokein adunata legein). War also das der Alten ihre Denkungsart, wollten sie den Schein der Unmoeglichkeit in der Fabel soviel als moeglich vermindert wissen: so mussten sie notwendig weit davon entfernt sein, in der Fabel etwas Wunderbares zu suchen oder zur Absicht zu haben; denn das Wunderbare muss sich auf diesen Schein der Unmoeglichkeit gruenden. {Fussnote 1: Nach der Ausgabe des Camerarius, S. 28.} Weiter! Das Wunderbare, sagt Breitinger an mehr als einem Orte, sei der hoechste Grad des Neuen. Diese Neuheit aber muss das Wunderbare, wenn es seine gehoerige Wirkung auf uns tun soll, nicht allein bloss in Ansehung seiner selbst, sondern auch in Ansehung unsrer Vorstellungen haben. Nur das ist wunderbar, was sich sehr selten in der Reihe der natuerlichen Dinge eraeugnet. Und nur das Wunderbare behaelt seinen Eindruck auf uns, dessen Vorstellung in der Reihe unsrer Vorstellungen ebenso selten vorkommt. Auf einen fleissigen Bibelleser wird das groesste Wunder, das in der Schrift aufgezeichnet ist, den Eindruck bei weitem nicht mehr machen, den es das erstemal auf ihn gemacht hat. Er lieset es endlich mit ebenso wenigem Erstaunen, dass die Sonne einmal stillegestanden, als er sie taeglich auf- und niedergehen sieht. Das Wunder bleibt immer dasselbe; aber nicht unsere Gemuetsverfassung, wenn wir es zu oft denken.--Folglich wuerde auch die Einfuehrung der Tiere uns hoechstens nur in den ersten Fabeln wunderbar vorkommen; faenden wir aber, dass die Tiere fast in allen Fabeln spraechen und urteilten, so wuerde diese Sonderbarkeit, so gross sie auch an und vor sich selbst waere, doch gar bald nichts Sonderbares mehr fuer uns haben. Aber wozu alle diese Umschweife? Was sich auf einmal umreissen laesst, braucht man das erst zu erschuettern?--Darum kurz: dass die Tiere, und andere niedrigere Geschoepfe, Sprache und Vernunft haben, wird in der Fabel vorausgesetzt; es wird angenommen und soll nichts weniger als wunderbar sein.--Wenn ich in der Schrift lese [2]: "Da tat der Herr der Eselin den Mund auf, und sie sprach zu Bileam etc.", so lese ich etwas Wunderbares. Aber wenn ich bei dem Aesopus lese [3]: Fasin, ote jwnhneta hn ta zwa, thn oin proV ton despothn eipein: "Damals, als die Tiere noch redeten, soll das Schaf zu seinem Hirten gesagt haben", so ist es ja wohl offenbar, dass mir der Fabulist nichts Wunderbares erzaehlen will, sondern vielmehr etwas, das zu der Zeit, die er mit Erlaubnis seines Lesers annimmt, dem gemeinen Laufe der Natur vollkommen gemaess war. {Fussnote 2: 4. B. Mos. XXII. 28.} {Fussnote 3: Fab. Aesop. 316.} Und das ist so begreiflich, sollte ich meinen, dass ich mich schaemen muss, noch ein Wort hinzuzutun. Ich komme vielmehr sogleich auf die wahre Ursache--die ich wenigstens fuer die wahre halte--, warum der Fabulist die Tiere oft zu seiner Absicht bequemer findet als die Menschen.--Ich setze sie in die allgemein bekannte Bestandheit der Charaktere.--Gesetzt auch, es waere noch so leicht, in der Geschichte ein Exempel zu finden, in welchem sich diese oder jene moralische Wahrheit anschauend erkennen liesse. Wird sie sich deswegen von jedem, ohne Ausnahme, darin erkennen lassen? Auch von dem, der mit den Charakteren der dabei interessierten Personen nicht vertraut ist? Unmoeglich! Und wieviel Personen sind wohl in der Geschichte so allgemein bekannt, dass man sie nur nennen duerfte, um sogleich bei einem jeden den Begriff von der ihnen zukommenden Denkungsart und andern Eigenschaften zu erwecken? Die umstaendliche Charakterisierung daher zu vermeiden, bei welcher es doch noch immer zweifelhaft ist, ob sie bei allen die naemlichen Ideen hervorbringt, war man gezwungen, sich lieber in die kleine Sphaere derjenigen Wesen einzuschraenken, von denen man es zuverlaessig weiss, dass auch bei den Unwissendsten ihren Benennungen diese und keine andere Idee entspricht. Und weil von diesen Wesen die wenigsten ihrer Natur nach geschickt waren, die Rollen freier Wesen ueber sich zu nehmen, so erweiterte man lieber die Schranken ihrer Natur und machte sie, unter gewissen wahrscheinlichen Voraussetzungen, dazu geschickt. Man hoert: Britannicus und Nero. Wie viele wissen, was sie hoeren? Wer war dieser? Wer jener? In welchem Verhaeltnisse stehen sie gegeneinander?--Aber man hoert: der Wolf und das Lamm; sogleich weiss jeder, was er hoeret, und weiss, wie sich das eine zu dem andern verhaelt. Diese Woerter, welche stracks ihre gewissen Bilder in uns erwecken, befoerdern die anschauende Erkenntnis, die durch jene Namen, bei welchen auch die, denen sie nicht unbekannt sind, gewiss nicht alle vollkommen ebendasselbe denken, verhindert wird. Wenn daher der Fabulist keine vernuenftigen Individua auftreiben kann, die sich durch ihre blosse Benennungen in unsere Einbildungskraft schildern, so ist es ihm erlaubt, und er hat Fug und Recht, dergleichen unter den Tieren oder unter noch geringem Geschoepfen zu suchen. Man setze, in der Fabel von dem Wolfe und dem Lamme, anstatt des Wolfes den Nero, anstatt des Lammes den Britannicus, und die Fabel hat auf einmal alles verloren, was sie zu einer Fabel fuer das ganze menschliche Geschlecht macht. Aber man setze anstatt des Lammes und des Wolfes den Riesen und den Zwerg, und sie verlieret schon weniger; denn auch der Riese und der Zwerg sind Individua, deren Charakter, ohne weitere Hinzutuung, ziemlich aus der Benennung erhellet. Oder man verwandle sie lieber gar in folgende menschliche Fabel: "Ein Priester kam zu dem armen Manne des Propheten [4] und sagte: Bringe dein weisses Lamm vor den Altar, denn die Goetter fordern ein Opfer. Der Arme erwiderte: mein Nachbar hat eine zahlreiche Herde, und ich habe nur das einzige Lamm. Du hast aber den Goettern ein Geluebde getan, versetzte dieser, weil sie deine Felder gesegnet.--Ich habe kein Feld, war die Antwort.--Nun so war es damals, als sie deinen Sohn von seiner Krankheit genesen liessen--Oh, sagte der Arme, die Goetter haben ihn selbst zum Opfer hingenommen. Gottloser! zuernte der Priester, du laesterst! und riss das Lamm aus seinem Schosse etc."--Und wenn in dieser Verwandlung die Fabel noch weniger verloren hat, so koemmt es bloss daher, weil man mit dem Worte Priester den Charakter der Habsuechtigkeit, leider, noch weit geschwinder verbindet als den Charakter der Blutduerstigkeit mit dem Worte Riese und durch den armen Mann des Propheten die Idee der unterdrueckten Unschuld noch leichter erregt wird als durch den Zwerg. --Der beste Abdruck dieser Fabel, in welchem sie ohne Zweifel am allerwenigsten verloren hat, ist die Fabel von der Katze und dem Hahne [5]. Doch weil man auch hier sich das Verhaeltnis der Katze gegen den Hahn nicht so geschwind denkt als dort das Verhaeltnis des Wolfes zum Lamme, so sind diese noch immer die allerbequemsten Wesen, die der Fabulist zu seiner Absicht hat waehlen koennen. {Fussnote 4: 2. B. Samuelis XII.} {Fussnote 5: Fab. Aesop. 6.} Der Verfasser der oben angefuehrten Critischen Briefe ist mit Breitingern einerlei Meinung und sagt unter andern, in der erdichteten Person des Hermann Axels [6]: "Die Fabel bekommt durch diese sonderbare Personen ein wunderliches Ansehen. Es waere keine ungeschickte Fabel, wenn man dichtete: Ein Mensch sah auf einem hohen Baume die schoensten Birnen hangen, die seine Lust, davon zu essen, maechtig reizeten. Er bemuehte sich lange, auf denselben hinaufzuklimmen, aber es war umsonst, er musste es endlich aufgeben. Indem er wegging, sagte er: Es ist mir gesunder, dass ich sie noch laenger stehenlasse, sie sind doch noch nicht zeitig genug. Aber dieses Geschichtchen reizet nicht stark genug; es ist zu platt etc."--Ich gestehe es Hermann Axeln zu; das Geschichtchen ist sehr platt und verdienet nichts weniger als den Namen einer guten Fabel. Aber ist es bloss deswegen so platt geworden, weil kein Tier darin redet und handelt? Gewiss nicht; sondern es ist es dadurch geworden, weil er das Individuum, den Fuchs, mit dessen blossem Namen wir einen gewissen Charakter verbinden, aus welchem sich der Grund von der ihm zugeschriebenen Handlung angeben laesst, in ein anders Individuum verwandelt hat, dessen Name keine Idee eines bestimmten Charakters in uns erwecket. "Ein Mensch!" Das ist ein viel zu allgemeiner Begriff fuer die Fabel. An was fuer eine Art von Menschen soll ich dabei denken? Es gibt deren so viele! Aber "ein Fuchs!" Der Fabulist weiss nur von einem Fuchse, und sobald er mir das Wort nennt, fallen auch meine Gedanken sogleich nur auf einen Charakter. Anstatt des Menschen ueberhaupt haette Hermann Axel also wenigstens einen Gasconier setzen muessen. Und alsdenn wuerde er wohl gefunden haben, dass die Fabel, durch die blosse Weglassung des Tieres, so viel eben nicht verloere, besonders wenn er in dem naemlichen Verhaeltnisse auch die uebrigen Umstaende geaendert und den Gasconier nach etwas mehr als nach Birnen luestern gemacht haette. {Fussnote 6: S. 166.} Da also die allgemein bekannten und unveraenderlichen Charaktere der Tiere die eigentliche Ursache sind, warum sie der Fabulist zu moralischen Wesen erhebt, so koemmt mir es sehr sonderbar vor, wenn man es einem zum besondern Ruhme machen will, "dass der Schwan in seinen Fabeln nicht singe, noch der Pelikan sein Blut fuer seine Jungen vergiesse" [7].--Als ob man in den Fabelbuechern die Naturgeschichte studieren sollte! Wenn dergleichen Eigenschaften allgemein bekannt sind, so sind sie wert, gebraucht zu werden, der Naturalist mag sie bekraeftigen oder nicht. Und derjenige, der sie uns, es sei durch seine Exempel oder durch seine Lehre, aus den Haenden spielen will, der nenne uns erst andere Individua, von denen es bekannt ist, dass ihnen die naemlichen Eigenschaften in der Tat zukommen. {Fussnote 7: Man sehe die kritische Vorrede zu M. v. K. neuen Fabeln.} Je tiefer wir auf der Leiter der Wesen herabsteigen, desto seltner kommen uns dergleichen allgemein bekannte Charaktere vor. Dieses ist denn auch die Ursache, warum sich der Fabulist so selten in dem Pflanzenreiche, noch seltener in dem Steinreiche und am allerseltensten vielleicht unter den Werken der Kunst finden laesst. Denn dass es deswegen geschehen sollte, weil es stufenweise immer unwahrscheinlicher werde, dass diese geringern Werke der Natur und Kunst empfinden, denken und sprechen koennten, will mir nicht ein. Die Fabel von dem ehernen und dem irdenen Topfe ist nicht um ein Haar schlechter oder unwahrscheinlicher als die beste Fabel z. E. von einem Affen, so nahe auch dieser dem Menschen verwandt ist, und so unendlich weit jene von ihm abstehen. Indem ich aber die Charaktere der Tiere zur eigentlichen Ursache ihres vorzueglichen Gebrauchs in der Fabel mache, will ich nicht sagen, dass die Tiere dem Fabulisten sonst zu weiter gar nichts nuetzten. Ich weiss es sehr wohl, dass sie unter andern in der zusammengesetzten Fabel das Vergnuegen der Vergleichung um ein grosses vermehren, welches alsdenn kaum merklich ist, wenn, sowohl der wahre als der erdichtete einzelne Fall, beide aus handelnden Personen von einerlei Art, aus Menschen, bestehen. Da aber dieser Nutzen, wie gesagt, nur in der zusammengesetzten Fabel stattfindet, so kann er die Ursache nicht sein, warum die Tiere auch in der einfachen Fabel, und also in der Fabel ueberhaupt, dem Dichter sich gemeiniglich mehr empfehlen als die Menschen. Ja, ich will es wagen, den Tieren und andern geringern Geschoepfen in der Fabel noch einen Nutzen zuzuschreiben, auf welchen ich vielleicht durch Schluesse nie gekommen waere, wenn mich nicht mein Gefuehl darauf gebracht haette. Die Fabel hat unsere klare und lebendige Erkenntnis eines moralischen Satzes zur Absicht. Nichts verdunkelt unsere Erkenntnis mehr als die Leidenschaften. Folglich muss der Fabulist die Erregung der Leidenschaften soviel als moeglich vermeiden. Wie kann er aber anders z. B. die Erregung des Mitleids vermeiden, als wenn er die Gegenstaende desselben unvollkommener macht und anstatt der Menschen Tiere oder noch geringere Geschoepfe annimmt? Man erinnere sich noch einmal der Fabel von dem Wolfe und Lamme, wie sie oben in die Fabel von dem Priester und dem armen Manne des Propheten verwandelt worden. Wir haben Mitleiden mit dem Lamme; aber dieses Mitleiden ist so schwach, dass es unserer anschauenden Erkenntnis des moralischen Satzes keinen merklichen Eintrag tut. Hingegen wie ist es mit dem armen Manne? Koemmt es mir nur so vor, oder ist es wirklich wahr, dass wir mit diesem viel zuviel Mitleiden haben und gegen den Priester viel zuviel Unwillen empfinden, als dass die anschauende Erkenntnis des moralischen Satzes hier ebenso klar sein koennte, als sie dort ist? III. Von der Einteilung der Fabeln Die Fabeln sind verschiedener Einteilungen faehig. Von einer, die sich aus der verschiednen Anwendung derselben ergibt, habe ich gleich anfangs geredet. Die Fabeln naemlich werden entweder bloss auf einen allgemeinen moralischen Satz angewendet und heissen einfache Fabeln, oder sie werden auf einen wirklichen Fall angewendet, der mit der Fabel unter einem und ebendemselben moralischen Satze enthalten ist, und heissen zusammengesetzte Fabeln. Der Nutzen dieser Einteilung hat sich bereits an mehr als einer Stelle gezeiget. Eine andere Einteilung wuerde sich aus der verschiednen Beschaffenheit des moralischen Satzes herholen lassen. Es gibt naemlich moralische Saetze, die sich besser in einem einzeln Falle ihres Gegenteils als in einem einzeln Falle, der unmittelbar unter ihnen begriffen ist, anschauend erkennen lassen. Fabeln also, welche den moralischen Satz in einem einzeln Falle des Gegenteils zur Intuition bringen, wuerde man vielleicht indirekte Fabeln, so wie die andern direkte Fabeln nennen koennen. Doch von diesen Einteilungen ist hier nicht die Frage; noch viel weniger von jener unphilosophischen Einteilung nach den verschiedenen Erfindern oder Dichtern, die sich einen vorzueglichen Namen damit gemacht haben. Es hat den Kunstrichtern gefallen, ihre gewoehnliche Einteilung der Fabel von einer Verschiedenheit herzunehmen, die mehr in die Augen faellt; von der Verschiedenheit naemlich der darin handelnden Personen. Und diese Einteilung ist es, die ich hier naeher betrachten will. Aphthonius ist ohne Zweifel der aelteste Skribent, der ihrer erwaehnst. Tou de muJou, sagt er in seinen Voruebungen, to men esti logikon, to de hJikon, to de mikton. Kai logikon men en w ti poiwn anJrwpoV peplastai: mikton de to ex amjoterwn alogou kai logikou. Es gibt drei Gattungen von Fabeln, die vernuenftige, in welcher der Mensch die handelnde Person ist, die sittliche, in welcher unvernuenftige Wesen aufgefuehret werden, die vermischte, in welcher sowohl unvernuenftige als vernuenftige Wesen vorkommen.--Der Hauptfehler dieser Einteilung, welcher sogleich einem jeden in die Augen leuchtet, ist der, dass sie das nicht erschoepft, was sie erschoepfen sollte. Denn wo bleiben diejenigen Fabeln, die aus Gottheiten und allegorischen Personen bestehen? Aphthonius hat die vernuenftige Gattung ausdruecklich auf den einzigen Menschen eingeschraenkt. Doch wenn diesem Fehler auch abzuhelfen waere, was kann dem ohngeachtet roher und mehr von der obersten Flaeche abgeschoepft sein als diese Einteilung? Oeffnet sie uns nur auch die geringste freiere Einsicht in das Wesen der Fabel? Batteux wuerde daher ohne Zweifel ebenso wohl getan haben, wenn er von der Einteilung der Fabel gar geschwiegen haette, als dass er uns mit jener kahlen aphthonianischen abspeisen will. Aber was wird man vollends von ihm sagen, wenn ich zeige, dass er sich hier auf einer kleinen Tuecke treffen laesst? Kurz zuvor sagt er unter andern von den Personen der Fabel: "Man hat hier nicht allein den Wolf und das Lamm, die Eiche und das Schilf, sondern auch den eisernen und den irdenen Topf ihre Rollen spielen sehen. Nur der Herr Verstand und das Fraeulein Einbildungskraft und alles, was ihnen aehnlich siehet, sind von diesem Theater ausgeschlossen worden, weil es ohne Zweifel schwerer ist, diesen bloss geistigen Wesen einen charaktermaessigen Koerper zu geben, als Koerpern, die einige Analogie mit unsern Organen haben, Geist und Seele zu geben." [1]--Merkt man, wider wen dieses geht? Wider den de La Motte, der sich in seinen Fabeln der allegorischen Wesen sehr haeufig bedienet. Da dieses nun nicht nach dem Geschmacke unsers oft mehr eckeln als feinen Kunstrichters war, so konnte ihm die aphthonianische mangelhafte Einteilung der Fabel nicht anders als willkommen sein, indem es durch sie stillschweigend gleichsam zur Regel gemacht wird, dass die Gottheiten und allegorischen Wesen gar nicht in die aesopische Fabel gehoeren. Und diese Regel eben moechte Batteux gar zu gern festsetzen, ob er sich gleich nicht getrauet, mit ausdruecklichen Worten darauf zu dringen. Sein System von der Fabel kann auch nicht wohl ohne sie bestehen. "Die aesopische Fabel, sagt er, ist, eigentlich zu reden, das Schauspiel der Kinder; sie unterscheidet sich von den uebrigen nur durch die Geringfuegigkeit und Naivitaet ihrer spielenden Personen. Man sieht auf diesem Theater keinen Caesar, keinen Alexander: aber wohl die Fliege und die Ameise etc."--Freilich, diese Geringfuegigkeit der spielenden Personen vorausgesetzt, konnte Batteux mit den hoehern poetischen Wesen des de La Motte unmoeglich zufrieden sein. Er verwarf sie also, ob er schon einen guten Teil der besten Fabeln des Altertums zugleich mit verwerfen musste, und zog sich, um den kritischen Anfaellen deswegen weniger ausgesetzt zu sein, unter den Schutz der mangelhaften Einteilung des Aphthonius. Gleich als ob Aphthonius der Mann waere, der alle Gattungen von Fabeln, die in seiner Einteilung nicht Platz haben, eben dadurch verdammen koennte! Und diesen Missbrauch einer erschlichenen Autoritaet, nenne ich eben die kleine Tuecke, deren sich Batteux in Ansehung des de La Motte hier schuldig gemacht hat. {Fussnote 1: Nach der Ramlerschen Uebersetzung, S. 244.} Wolf [2] hat die Einteilung des Aphthonius gleichfalls beibehalten, aber einen weit edlern Gebrauch davon gemacht. Diese Einteilung in vernuenftige und sittliche Fabeln, meinet er, klinge zwar ein wenig sonderbar; denn man koennte sagen, dass eine jede Fabel sowohl eine vernuenftige als eine sittliche Fabel waere. Sittlich naemlich sei eine jede Fabel insofern als sie einer sittlichen Wahrheit zum Besten erfunden worden, und vernuenftig insofern, als diese sittliche Wahrheit der Vernunft gemaess ist. Doch da es einmal gewoehnlich sei, diesen Worten hier eine andere Bedeutung zu geben, so wolle er keine Neuerung machen. Aphthonius habe uebrigens bei seiner Einteilung die Absicht gehabt, die Verschiedenheit der Fabeln ganz zu erschoepfen, und mehr nach dieser Absicht als nach den Worten, deren er sich dabei bedient habe, muesse sie beurteilet werden. Absit enim, sagt er--und oh, wenn alle Liebhaber der Wahrheit so billig daechten!--, absit, ut negemus accurate cogitasse, qui non satis accurate loquuntur. Puerile est, erroris redarguere eum, qui ab errore immunem possedit animum, propterea quod parum apta succurrerint verba, quibus mentem suam exprimere poterat. Er behaelt daher die Benennungen der aphthonianischen Einteilung bei und weiss die Wahrheit, die er nicht darin gefunden, so scharfsinnig hineinzulegen, dass sie das vollkommene Ansehen einer richtigen philosophischen Einteilung bekoemmt. "Wenn wir Begebenheiten erdichten, sagt er, so legen wir entweder den Subjekten solche Handlungen und Leidenschaften, ueberhaupt solche Praedikate bei als ihnen zukommen, oder wir legen ihnen solche bei, die ihnen nicht zukommen. In dem ersten Falle heissen es vernuenftige Fabeln, in dem andern sittliche Fabeln, und vermischte Fabeln heissen es, wenn sie etwas sowohl von der Eigenschaft der sittlichen als vernuenftigen Fabel haben." {Fussnote 2: Philosoph. practicae universales pars post. S 303.} Nach dieser Wolfischen Verbesserung also, beruhet die Verschiedenheit der Fabel nicht mehr auf der blossen Verschiedenheit der Subjekte, sondern auf der Verschiedenheit der Praedikate, die von diesen Subjekten gesagt werden. Ihr zufolge kann eine Fabel Menschen zu handelnden Personen haben und dennoch keine vernuenftige Fabel sein, so wie sie eben nicht notwendig eine sittliche Fabel sein muss, weil Tiere in ihr aufgefuehret werden. Die oben angefuehrte Fabel von den zwei kaempfenden Haehnen wuerde nach den Worten des Aphthonius eine sittliche Fabel sein, weil sie die Eigenschaften und das Betragen gewisser Tiere nachahmet; wie hingegen Wolf den Sinn des Aphthonius genauer bestimmt hat, ist sie eine vernuenftige Fabel, weil nicht das geringste von den Haehnen darin gesagt wird, was ihnen nicht eigentlich zukaeme. So ist es mit mehrern: Z. E. der Vogelsteller und die Schlange [3], der Hund und der Koch [4], der Hund und der Gaertner [5], der Schaefer und der Wolf [6]: lauter Fabeln, die nach der gemeinen Einteilung unter die sittlichen und vermischten, nach der verbesserten aber unter die vernuenftigen gehoeren. {Fussnote 3: Fab. Aesop. 32.} {Fussnote 4: Fabul. Aesop. 34.} {Fussnote 5: Fab. Aesop. 67.} {Fussnote 6: Fab. Aesop. 71.} Und nun? Werde ich es bei dieser Einteilung unsers Weltweisen koennen bewenden lassen? Ich weiss nicht. Wider ihre logikalische Richtigkeit habe ich nichts zu erinnern; sie erschoepft alles, was sie erschoepfen soll. Aber man kann ein guter Dialektiker sein, ohne ein Mann von Geschmack zu sein; und das letzte war Wolf, leider, wohl nicht. Wie, wenn es auch ihm hier so gegangen waere, als er es von dem Aphthonius vermutet, dass er zwar richtig gedacht, aber sich nicht so vollkommen gut ausgedrueckt haette, als es besonders die Kunstrichter wohl verlangen duerften? Er redet von Fabeln, in welchen den Subjekten Leidenschaften und Handlungen, ueberhaupt Praedikate, beigelegt werden, deren sie nicht faehig sind, die ihnen nicht zukommen. Dieses Nicht-Zukommen kann einen uebeln Verstand machen. Der Dichter, kann man daraus schliessen, ist also nicht gehalten, auf die Naturen der Geschoepfe zu sehen, die er in seinen Fabeln auffuehret? Er kann das Schaf verwegen, den Wolf sanftmuetig, den Esel feurig vorstellen; er kann die Tauben als Falken brauchen und die Hunde von den Hasen jagen lassen. Alles dieses koemmt ihnen nicht zu; aber der Dichter macht eine sittliche Fabel, und er darf es ihnen beilegen.--Wie noetig ist es, dieser gefaehrlichen Auslegung, diesen mit einer Ueberschwemmung der abgeschmacktesten Maerchen drohenden Folgerungen vorzubauen! Man erlaube mir also, mich auf meinen eigenen Weg wieder zurueckzuwenden. Ich will den Weltweisen so wenig als moeglich aus dem Gesichte verlieren; und vielleicht kommen wir, am Ende der Bahn, zusammen.--Ich habe gesagt und glaube es erwiesen zu haben, dass auf der Erhebung des einzeln Falles zur Wirklichkeit der wesentliche Unterschied der Parabel, oder des Exempels ueberhaupt, und der Fabel beruhet. Diese Wirklichkeit ist der Fabel so unentbehrlich, dass sie sich eher von ihrer Moeglichkeit als von jener etwas abbrechen laesst. Es streitet minder mit ihrem Wesen, dass ihr einzelner Fall nicht schlechterdings moeglich ist, dass er nur nach gewissen Voraussetzungen, unter gewissen Bedingungen moeglich ist, als dass er nicht als wirklich vorgestellt werde. In Ansehung dieser Wirklichkeit folglich ist die Fabel keiner Verschiedenheit faehig, wohl aber in Ansehung ihrer Moeglichkeit, welche sie veraenderlich zu sein erlaubt. Nun ist, wie gesagt, diese Moeglichkeit entweder eine unbedingte oder bedingte Moeglichkeit; der einzelne Fall der Fabel ist entweder schlechterdings moeglich, oder er ist es nur nach gewissen Voraussetzungen, unter gewissen Bedingungen. Die Fabeln also, deren einzelner Fall schlechterdings moeglich ist, will ich (um gleichfalls bei den alten Benennungen zu bleiben) vernuenftige Fabeln nennen; Fabeln hingegen, wo er es nur nach gewissen Voraussetzungen ist, moegen sittliche heissen. Die vernuenftigen Fabeln leiden keine fernere Unterabteilung, die sittlichen aber leiden sie. Denn die Voraussetzungen betreffen entweder die Subjekte der Fabel oder die Praedikate dieser Subjekte: der Fall der Fabel ist entweder moeglich, vorausgesetzt, dass diese und jene Wesen existieren, oder er ist es, vorausgesetzt, dass diese und jene wirklich existierende Wesen (nicht andere Eigenschaften als ihnen zukommen; denn sonst wuerden sie zu anderen Wesen werden, sondern) die ihnen wirklich zukommenden Eigenschaften in einem hoehern Grade, in einem weitern Umfange besitzen. Jene Fabeln, worin die Subjekte vorausgesetzt werden, wollte ich mythische Fabeln nennen, und diese, worin nur erhoehtere Eigenschaften wirklicher Subjekte angenommen werden, wuerde ich, wenn ich das Wort anders wagen darf, hyperphysische Fabeln nennen.-- Ich will diese meine Einteilung noch durch einige Beispiele erlaeutern. Die Fabeln, der Blinde und der Lahme, die zwei kaempfenden Haehne, der Vogelsteller und die Schlange, der Hund und der Gaertner, sind lauter vernuenftige Fabeln, obschon bald lauter Tiere, bald Menschen und Tiere darin vorkommen; denn der darin enthaltene Fall ist schlechterdings moeglich, oder mit Wolfen zu reden, es wird den Subjekten nichts darin beigelegt, was ihnen nicht zukomme.--Die Fabeln, Apollo und Jupiter [1], Herkules und Plutus [2], die verschiedene Baeume in ihren besondern Schutz nehmenden Goetter [3], kurz, alle Fabeln, die aus Gottheiten, aus allegorischen Personen, aus Geistern und Gespenstern, aus andern erdichteten Wesen, dem Phoenix z. E., bestehen, sind sittliche Fabeln, und zwar mythisch sittliche; denn es wird darin vorausgesetzt, dass alle diese Wesen existieren oder existieret haben, und der Fall, den sie enthalten, ist nur unter dieser Voraussetzung moeglich.--Der Wolf und das Lamm [4], der Fuchs und der Storch [5], die Natter und die Feile [6], die Baeume und der Dornstrauch [7], der Oelbaum und das Rohr [8] etc. sind gleichfalls sittliche, aber hyperphysisch sittliche Fabeln; denn die Natur dieser wirklichen Wesen wird erhoehet, die Schranken ihrer Faehigkeiten werden erweitert. Eines muss ich hierbei erinnern! Man bilde sich nicht ein, dass diese Gattung von Fabeln sich bloss auf die Tiere und andere geringere Geschoepfe einschraenke: der Dichter kann auch die Natur des Menschen erhoehen und die Schranken seiner Faehigkeiten erweitern. Eine Fabel z. E. von einem Propheten wuerde eine hyperphysisch sittliche Fabel sein; denn die Gabe zu prophezeien, kann dem Menschen bloss nach einer erhoehtern Natur zukommen. Oder wenn man die Erzaehlung von den himmelstuermenden Riesen als eine aesopische Fabel behandeln und sie dahin veraendern wollte, dass ihr unsinniger Bau von Bergen auf Bergen endlich von selbst zusammenstuerzte und sie unter den Ruinen begruebe: so wuerde keine andere als eine hyperphysisch sittliche Fabel daraus werden koennen. {Fussnote 1: Fab. Aesop. 187 [vgl. Lessings Fabel II 12].} {Fussnote 2: Phaedrus libr. IV. Fab. 11 [vgl. Lessings Fabel II 2].} {Fussnote 3: Phaedrus libr. III. Fab. 15.} {Fussnote 4: Phaedrus libr. 1. Fab. 1.} {Fussnote 5: Phaedrus libr. I. Fab. 25.} {Fussnote 6: Phaedr.s libr. IV. Fab. 7.} {Fussnote 7: Fab. Aesop. 313.} {Fussnote 8: Fabul. Aesop. 143.} Aus den zwei Hauptgattungen, der vernuenftigen und sittlichen Fabel, entstehet auch bei mir eine vermischte Gattung, wo naemlich der Fall zum Teil schlechterdings, zum Teil nur unter gewissen Voraussetzungen moeglich ist. Und zwar koennen dieser vermischten Fabeln dreierlei sein; die vernuenftig mythische Fabel, als Herkules und der Kaerrner 9), der arme Mann und der Tod [10], die vernuenftig hyperphysische Fabel, als der Holzschlaeger und der Fuchs [11], der Jaeger und der Loewe [12]; und endlich die hyperphysisch mythische Fabel, als Jupiter und das Kamel [13], Jupiter und die Schlange [14] etc. {Fussnote 9: Fabul. Aesop. 336.} {Fussnote 10: Fabul. Aesop. 20.} {Fussnote 11: Fabul. Aesop. 127.} {Fussnote 12: Fabul. Aesop. 280.} {Fussnote 13: Fabul. Aesop. 197.} {Fussnote 14: Fabul. Aesop. 189.} Und diese Einteilung erschoepft die Mannigfaltigkeit der Fabeln ganz gewiss, ja man wird, hoffe ich, keine anfuehren koennen, deren Stelle ihr zufolge zweifelhaft bleibe, welches bei allen andern Einteilungen geschehen muss, die sich bloss auf die Verschiedenheit der handelnden Personen beziehen. Die Breitingersche Einteilung ist davon nicht ausgeschlossen, ob er schon dabei die Grade des Wunderbaren zum Grunde gelegt hat. Denn da bei ihm die Grade des Wunderbaren, wie wir gesehen haben, groesstenteils auf die Beschaffenheit der handelnden Personen ankommen, so klingen seine Worte nur gruendlicher, und er ist in der Tat in die Sache nichts tiefer eingedrungen. "Das Wunderbare der Fabel, sagt er, hat seine verschiedene Grade--Der niedrigste Grad des Wunderbaren findet sich in derjenigen Gattung der Fabeln, in welchen ordentliche Menschen aufgefuehret werden--Weil in denselben das Wahrscheinliche ueber das Wunderbare weit die Oberhand hat, so koennen sie mit Fug wahrscheinliche oder in Absicht auf die Personen menschliche Fabeln benennet werden. Ein mehrerer Grad des Wunderbaren aeussert sich in derjenigen Klasse der Fabeln, in welchen ganz andere als menschliche Personen aufgefuehret werden.--Diese sind entweder von einer vortrefflichern und hoehern Natur als die menschliche ist, z. E. die heidnischen Gottheiten--oder sie sind in Ansehung ihres Ursprungs und ihrer natuerlichen Geschicklichkeit von einem geringern Rang als die Menschen, als z. E. die Tiere, Pflanzen etc.--Weil in diesen Fabeln das Wunderbare ueber das Wahrscheinliche nach verschiedenen Graden herrschet, werden sie deswegen nicht unfueglich wunderbare und in Absicht auf die Personen entweder goettliche oder tierische Fabeln genannt--" Und die Fabel von den zwei Toepfen, die Fabel von den Baeumen und dem Dornstrauche? Sollen die auch tierische Fabeln heissen? Oder sollen sie und ihresgleichen eigne Benennungen erhalten? Wie sehr wird diese Namenrolle anwachsen, besonders wenn man auch alle Arten der vermischten Gattung benennen sollte! Aber ein Exempel zu geben, dass man, nach dieser Breitingerschen Einteilung, oft zweifelhaft sein kann, zu welcher Klasse man diese oder jene Fabel rechnen soll, so betrachte man die schon angefuehrte Fabel von dem Gaertner und seinem Hunde oder die noch bekanntere von dem Ackersmanne und der Schlange; aber nicht so, wie sie Phaedrus erzaehlet, sondern wie sie unter den griechischen Fabeln vorkommt. Beide haben einen so geringen Grad des Wunderbaren, dass man sie notwendig zu den wahrscheinlichen, das ist menschlichen Fabeln, rechnen muesste. In beiden aber kommen auch Tiere vor; und in Betrachtung dieser wuerden sie zu den vermischten Fabeln gehoeren, in welchen das Wunderbare weit mehr ueber das Wahrscheinliche herrscht als in jenen. Folglich wuerde man erst ausmachen muessen, ob die Schlange und der Hund hier als handelnde Personen der Fabel anzusehen waeren oder nicht, ehe man der Fabel selbst ihre Klasse anweisen koennte. Ich will mich bei diesen Kleinigkeiten nicht laenger aufhalten, sondern mit einer Anmerkung schliessen, die sich ueberhaupt auf die hyperphysischen Fabeln beziehet und die ich, zur richtigern Beurteilung einiger von meinen eigenen Versuchen, nicht gern anzubringen vergessen moechte.--Es ist bei dieser Gattung von Fabeln die Frage, wie weit der Fabulist die Natur der Tiere und andrer niedrigern Geschoepfe erhoehen und wie nahe er sie der menschlichen Natur bringen duerfe? Ich antworte kurz: so weit und so nahe er immer will. Nur mit der einzigen Bedingung, dass aus allem, was er sie denken, reden und handeln laesst, der Charakter hervorscheine, um dessen willen er sie seiner Absicht bequemer fand als alle andere Individua. Ist dieses, denken, reden und tun sie durchaus nichts, was ein ander Individuum von einem andern oder gar ohne Charakter ebensogut denken, reden und tun koennte: so wird uns ihr Betragen im geringsten nicht befremden, wenn es auch noch soviel Witz, Scharfsinnigkeit und Vernunft voraussetzt. Und wie koennte es auch? Haben wir ihnen einmal Freiheit und Sprache zugestanden, so muessen wir ihnen zugleich alle Modifikationen des Willens und alle Erkenntnisse zugestehen, die aus jenen Eigenschaften folgen koennen, auf welchen unser Vorzug vor ihnen einzig und allein beruhet. Nur ihren Charakter, wie gesagt, muessen wir durch die ganze Fabel finden; und finden wir diesen, so erfolgt die Illusion, dass es wirkliche Tiere sind, ob wir sie gleich reden hoeren und ob sie gleich noch so feine Anmerkungen, noch so scharfsinnige Schluesse machen. Es ist unbeschreiblich, wieviel Sophismata non causae ut causae die Kunstrichter in dieser Materie gemacht haben. Unter andern der Verfasser der Critischen Briefe, wenn er von seinem Hermann Axel sagt: "Daher schreibt er auch den unvernuenftigen Tieren, die er auffuehrt, niemals eine Reihe von Anschlaegen zu, die in einem System, in einer Verknuepfung stehen und zu einem Endzwecke von weitem her angeordnet sind. Denn dazu gehoeret eine Staerke der Vernunft, welche ueber den Instinkt ist. Ihr Instinkt gibt nur fluechtige und dunkle Strahlen einer Vernunft von sich, die sich nicht lange emporhalten kann. Aus dieser Ursache werden diese Fabeln mit Tierpersonen ganz kurz und bestehen nur aus einem sehr einfachen Anschlage oder Anliegen. Sie reichen nicht zu, einen menschlichen Charakter in mehr als einem Lichte vorzustellen; ja der Fabulist muss zufrieden sein, wenn er nur einen Zug eines Charakters vorstellen kann. Es ist eine ausschweifende Idee des Pater Bossu, dass die aesopische Fabel sich in dieselbe Laenge wie die epische Fabel ausdehnen lasse. Denn das kann nicht geschehen, es sei denn, dass man die Tiere nichts von den Tieren behalten lasse, sondern sie in Menschen verwandle, welches nur in possierlichen Gedichten angehet, wo man die Tiere mit gewissem Vorsatz in Masken auffuehret und die Verrichtungen der Menschen nachaeffen laesst etc."--Wie sonderbar ist hier das aus dem Wesen der Tiere hergeleitet, was der Kunstrichter aus dem Wesen der anschauenden Erkenntnis, und aus der Einheit des moralischen Lehrsatzes in der Fabel haette herleiten sollen! Ich gebe es zu, dass der Einfall des Pater Bossu nichts taugt. Die aesopische Fabel, in die Laenge einer epischen Fabel ausgedehnet, hoeret auf, eine aesopische Fabel zu sein; aber nicht deswegen, weil man den Tieren, nachdem man ihnen Freiheit und Sprache erteilet hat, nicht auch eine Folge von Gedanken, dergleichen die Folge von Handlungen in der Epopee erfordern wuerde, erteilen duerfte, nicht deswegen, weil die Tiere alsdenn zu viel Menschliches haben wuerden: sondern deswegen, weil die Einheit des moralischen Lehrsatzes verlorengehen wuerde, weil man diesen Lehrsatz in der Fabel, deren Teile so gewaltsam auseinandergedehnet und mit fremden Teilen vermischt worden, nicht laenger anschauend erkennen wuerde. Denn die anschauende Erkenntnis erfordert unumgaenglich, dass wir den einzeln Fall auf einmal uebersehen koennen; koennen wir es nicht, weil er entweder allzuviel Teile hat oder seine Teile allzuweit auseinanderliegen, so kann auch die Intuition des Allgemeinen nicht erfolgen. Und nur dieses, wenn ich nicht sehr irre, ist der wahre Grund, warum man es dem dramatischen Dichter, noch williger aber dem Epopeendichter, erlassen hat, in ihre Werke eine einzige Hauptlehre zu legen. Denn was hilft es, wenn sie auch eine hineinlegen? Wir koennen sie doch nicht darin erkennen, weil ihre Werke viel zu weitlaeuftig sind, als dass wir sie auf einmal zu uebersehen vermoechten. In dem Skelette derselben muesste sie sich wohl endlich zeigen; aber das Skelett gehoeret fuer den kalten Kunstrichter, und wenn dieser einmal glaubt, dass eine solche Hauptlehre darin liegen muesse, so wird er sie gewiss herausgruebeln, wenn sie der Dichter auch gleich nicht hineingelegt hat. Dass uebrigens das eingeschraenkte Wesen der Tiere von dieser nicht zu erlaubenden Ausdehnung der aesopischen Fabel die wahre Ursach nicht sei, haette der kritische Briefsteller gleich daher abnehmen koennen, weil nicht bloss die tierische Fabel, sondern auch jede andere aesopische Fabel, wenn sie schon aus vernuenftigen Wesen bestehet, derselben unfaehig ist. Die Fabel von dem Lahmen und Blinden, oder von dem armen Mann und dem Tode, laesst sich ebensowenig zur Laenge des epischen Gedichts erstrecken als die Fabel von dem Lamme und dem Wolfe, oder von dem Fuchse und dem Raben. Kann es also an der Natur der Tiere liegen? Und wenn man mit Beispielen streiten wollte, wieviel sehr gute Fabeln liessen sich ihm nicht entgegensetzen, in welchen den Tieren weit mehr als fluechtige und dunkle Strahlen einer Vernunft beigelegt wird und man sie ihre Anschlaege ziemlich von weitem her zu einem Endzwecke anwenden siehet. Z. E. der Adler und der Kaefer [15]; der Adler, die Katze und das Schwein [16] etc. {Fussnote 15: Fab. Aesop. 2.} {Fussnote 16: Phaedrus libr. II. Fab. 4.} Unterdessen, dachte ich einsmals bei mir selbst, wenn man demohngeachtet eine aesopische Fabel von einer ungewoehnlichen Laenge machen wollte, wie muesste man es anfangen, dass die itztberuehrten Unbequemlichkeiten dieser Laenge wegfielen? Wie muesste unser Reinicke Fuchs aussehen, wenn ihm der Name eines aesopischen Heldengedichts zukommen sollte? Mein Einfall war dieser: Vors erste muesste nur ein einziger moralischer Satz in dem Ganzen zum Grunde liegen; vors zweite muessten die vielen und mannigfaltigen Teile dieses Ganzen, unter gewisse Hauptteile gebracht werden, damit man sie wenigstens in diesen Hauptteilen auf einmal uebersehen koennte; vors dritte muesste jeder dieser Hauptteile ein besonders Ganze, eine fuer sich bestehende Fabel, sein koennen, damit das grosse Ganze aus gleichartigen Teilen bestuende. Es muesste, um alles zusammenzunehmen, der allgemeine moralische Satz in seine einzelne Begriffe aufgeloeset werden; jeder von diesen einzelnen Begriffen muesste in einer besondern Fabel zur Intuition gebracht werden, und alle diese besondern Fabeln muessten zusammen nur eine einzige Fabel ausmachen. Wie wenig hat der Reinicke Fuchs von diesen Requisitis! Am besten also, ich mache selbst die Probe, ob sich mein Einfall auch wirklich ausfuehren laesst.--Und nun urteile man, wie diese Probe ausgefallen ist! Es ist die sechzehnte Fabel meines dritten Buchs und heisst die Geschichte des alten Wolfs in sieben Fabeln. Die Lehre, welche in allen sieben Fabeln zusammengenommen liegt, ist diese: "Man muss einen alten Boesewicht nicht auf das Aeusserste bringen und ihm alle Mittel zur Besserung, so spaet und erzwungen sie auch sein mag, benehmen." Dieses Aeusserste, diese Benehmung aller Mittel zerstueckte ich, machte verschiedene misslungene Versuche des Wolfs daraus, des gefaehrlichen Raubens kuenftig muessig gehen zu koennen, und bearbeitete jeden dieser Versuche als eine besondere Fabel, die ihre eigene und mit der Hauptmoral in keiner Verbindung stehende Lehre hat.--Was ich hier bis auf sieben und mit dem Rangstreite der Tiere auf vier Fabeln gebracht habe, wird ein andrer mit einer andern noch fruchtbarern Moral leicht auf mehrere bringen koennen. Ich begnuege mich, die Moeglichkeit gezeigt zu haben. IV. Von dem Vortrage der Fabeln Wie soll die Fabel vorgetragen werden? Ist hierin Aesopus oder ist Phaedrus oder ist La Fontaine das wahre Muster? Es ist nicht ausgemacht, ob Aesopus seine Fabeln selbst aufgeschrieben und in ein Buch zusammengetragen hat. Aber das ist so gut als ausgemacht, dass, wenn er es auch getan hat, doch keine einzige davon durchaus mit seinen eigenen Worten auf uns gekommen ist. Ich verstehe also hier die allerschoensten Fabeln in den verschiedenen griechischen Sammlungen, welchen man seinen Namen vorgesetzt hat. Nach diesen zu urteilen, war sein Vortrag von der aeussersten Praezision; er hielt sich nirgends bei Beschreibungen auf; er kam sogleich zur Sache und eilte mit jedem Worte naeher zum Ende; er kannte kein Mittel zwischen dem Notwendigen und Unnuetzen. So charakterisiert ihn de La Motte, und richtig. Diese Praezision und Kuerze, worin er ein so grosses Muster war, fanden die Alten der Natur der Fabel auch so angemessen, dass sie eine allgemeine Regel daraus machten. Theon unter andern dringet mit den ausdruecklichsten Worten darauf. Auch Phaedrus, der sich vornahm die Erfindungen des Aesopus in Versen auszubilden, hat offenbar den festen Vorsatz gehabt, sich an diese Regel zu halten; und wo er davon abgekommen ist, scheinet ihn das Silbenmass und der poetischere Stil, in welchen uns auch das allersimpelste Silbenmass wie unvermeidlich verstrickt, gleichsam wider seinen Willen davon abgebracht zu haben. Aber La Fontaine? Dieses sonderbare Genie! La Fontaine! Nein wider ihn selbst habe ich nichts; aber wider seine Nachahmer, wider seine blinden Verehrer! La Fontaine kannte die Alten zu gut, als dass er nicht haette wissen sollen, was ihre Muster und die Natur zu einer vollkommenen Fabel erforderten. Er wusste es, dass die Kuerze die Seele der Fabel sei; er gestand es zu, dass es ihr vornehmster Schmuck sei, ganz und gar keinen Schmuck zu haben. Er bekannte[1] mit der liebenswuerdigsten Aufrichtigkeit, "dass man die zierliche Praezision und die ausserordentliche Kuerze, durch die sich Phaedrus so sehr empfehle, in seinen Fabeln nicht finden werde. Es waeren dieses Eigenschaften, die zu erreichen, ihn seine Sprache zum Teil verhindert haette; und bloss deswegen, weil er den Phaedrus darin nicht nachahmen koennen, habe er geglaubt, qu'il falloit en recompense egayer l'ouvrage plus qu'il n'a fait." Alle die Lustigkeit, sagt er, durch die ich meine Fabeln aufgestuetzt habe, soll weiter nichts als eine etwanige Schadloshaltung fuer wesentlichere Schoenheiten sein, die ich ihnen zu erteilen zu unvermoegend gewesen bin.--Welch Bekenntnis! In meinen Augen macht ihm dieses Bekenntnis mehr Ehre als ihm alle seine Fabeln machen! Aber wie wunderbar ward es von dem franzoesischen Publico aufgenommen! Es glaubte, La Fontaine wolle ein blosses Kompliment machen, und hielt die Schadloshaltung unendlich hoeher als das, wofuer sie geleistet war. Kaum konnte es auch anders sein; denn die Schadloshaltung hatte allzuviel reizendes fuer Franzosen, bei welchen nichts ueber die Lustigkeit gehet. Ein witziger Kopf unter ihnen, der hernach das Unglueck hatte, hundert Jahr witzig zu bleiben[2], meinte sogar, La Fontaine habe sich aus blosser Albernheit (par betise) dem Phaedrus nachgesetzt; und de La Motte schrie ueber diesen Einfall: mot plaisant, mais solide! {Fussnote 1: In der Vorrede zu seinen Fabeln.} {Fussnote 2: Fontenelle.} Unterdessen, da La Fontaine seine lustige Schwatzhaftigkeit, durch ein so grosses Muster, als ihm Phaedrus schien, verdammt glaubte, wollte er doch nicht ganz ohne Bedeckung von seiten des Altertums bleiben. Er setzte also hinzu: "Und meinen Fabeln diese Lustigkeit zu erteilen, habe ich um so viel eher wagen duerfen, da Quintilian lehret, man koenne die Erzaehlungen nicht lustig genug machen (egayer). Ich brauche keine Ursache hiervon anzugeben; genug, dass es Quintilian sagt."--Ich habe wider diese Autoritaet zweierlei zu erinnern. Es ist wahr, Quintilian sagt: Ego vero narrationem, ut si ullam partem orationis, omni, qua potest, gratia et venere exornandam puto[3], und dieses muss die Stelle sein, worauf sich La Fontaine stuetzet. Aber ist diese Grazie, diese Venus, die er der Erzaehlung soviel als moeglich, obgleich nach Massgebung der Sache [4], zu erteilen befiehlet, ist dieses Lustigkeit? Ich sollte meinen, dass gerade die Lustigkeit dadurch ausgeschlossen werde. Doch der Hauptpunkt ist hier dieser: Quintilian redet von der Erzaehlung des Facti in einer gerichtlichen Rede, und was er von dieser sagt, ziehet La Fontaine, wider die ausdrueckliche Regel der Alten, auf die Fabel. Er haette diese Regel unter andern bei dem Theon finden koennen. Der Grieche redet von dem Vortrage der Erzaehlung in der Chrie--wie plan, wie kurz muss die Erzaehlung in einer Chrie sein!--und setzt hinzu: en de toiV muJoiV aplousteran thn ermhneian einai dei kai prosjuh- kai wV dunaton, akataskeuon te kai sajh: Die Erzaehlung der Fabel soll noch planer sein, sie soll zusammengepresst, soviel als moeglich ohne alle Zieraten und Figuren, mit der einzigen Deutlichkeit zufrieden sein. {Fussnote 3: Quinctilianus Inst. Orat. lib. IV. cap. 2.} {Fussnote 4: Sed plurimum refert, quae sit natura ejus rei, quam exponimus. Idem, ibidem.} Dem La Fontaine vergebe ich den Missbrauch dieser Autoritaet des Quintilians gar gern. Man weiss ja, wie die Franzosen ueberhaupt die Alten lesen! Lesen sie doch ihre eigene Autores mit der unverzeihlichsten Flatterhaftigkeit. Hier ist gleich ein Exempel! De La Motte sagt von dem La Fontaine: Tout Original qu'il est dans les manieres, il etoit Admirateur des Anciens jusqu'a la prevention, comme s'ils eussent ete ses modeles. La brievete, dit-il, est l'ame de la Fable, et il est inutile d'en apporter des raisons, c'est assez que Quintilien l'ait dit.[5] Man kann nicht verstuemmelter anfuehren, als de La Motte hier den La Fontaine anfuehret! La Fontaine legt es einem ganz andern Kunstrichter in den Mund, dass die Kuerze die Seele der Fabel sei, oder spricht es vielmehr in seiner eigenen Person; er beruft sich nicht wegen der Kuerze, sondern wegen der Munterkeit, die in den Erzaehlungen herrschen solle, auf das Zeugnis des Quintilians, und wuerde sich wegen jener sehr schlecht auf ihn berufen haben, weil man jenen Ausspruch nirgend bei ihm findet. {Fussnote 5: Discours sur la Fable, p. 17.} Ich komme auf die Sache selbst zurueck. Der allgemeine Beifall, den La Fontaine mit seiner muntern Art zu erzaehlen erhielt, machte, dass man nach und nach die aesopische Fabel von einer ganz andern Seite betrachtete, als sie die Alten betrachtet hatten. Bei den Alten gehoerte die Fabel zu dem Gebiete der Philosophie, und aus diesem holten sie die Lehrer der Redekunst in das ihrige herueber. Aristoteles hat nicht in seiner Dichtkunst, sondern in seiner Rhetorik davon gehandelt; und was Aphthonius und Theon davon sagen, das sagen sie gleichfalls in Voruebungen der Rhetorik. Auch bei den Neuern muss man das, was man von der aesopischen Fabel wissen will, durchaus in Rhetoriken suchen; bis auf die Zeiten des La Fontaine. Ihm gelang es die Fabel zu einem anmutigen poetischen Spielwerke zu machen, er bezauberte, er bekam eine Menge Nachahmer, die den Namen eines Dichters nicht wohlfeiler erhalten zu koennen glaubten als durch solche in lustigen Versen ausgedehnte und gewaesserte Fabeln; die Lehrer der Dichtkunst griffen zu; die Lehrer der Redekunst liessen den Eingriff geschehen; diese hoerten auf, die Fabel als ein sicheres Mittel zur lebendigen Ueberzeugung anzupreisen; und jene fingen dafuer an, sie als ein Kinderspiel zu betrachten, das sie, soviel als moeglich auszuputzen, uns lehren muessten.--So stehen wir noch!-- Ein Mann, der aus der Schule der Alten koemmt, wo ihm jene ermhneia akataskeuoV der Fabel so oft empfohlen worden, kann der wissen, woran er ist, wenn er z. E. bei dem Batteux ein langes Verzeichnis von Zieraten lieset, deren die Erzaehlung der Fabel faehig sein soll? Er muss voller Verwunderung fragen: so hat sich denn bei den Neuern ganz das Wesen der Dinge veraendert? Denn alle diese Zieraten streiten mit dem wirklichen Wesen der Fabel. Ich will es beweisen. Wenn ich mir einer moralischen Wahrheit durch die Fabel bewusst werden soll, so muss ich die Fabel auf einmal uebersehen koennen; und um sie auf einmal uebersehen zu koennen, muss sie so kurz sein als moeglich. Alle Zieraten aber sind dieser Kuerze entgegen; denn ohne sie wuerde sie noch kuerzer sein koennen: folglich streiten alle Zieraten, insofern sie leere Verlaengerungen sind, mit der Absicht der Fabel. Z. E eben mit zur Erreichung dieser Kuerze braucht die Fabel gern die allerbekanntesten Tiere; damit sie weiter nichts als ihren einzigen Namen nennen darf, um einen ganzen Charakter zu schildern, um Eigenschaften zu bemerken, die ihr ohne diese Namen allzuviel Worte kosten wuerden. Nun hoere man den Batteux: "Diese Zieraten bestehen erstlich in Gemaelden, Beschreibungen, Zeichnungen der Oerter, der Personen, der Stellungen."--Das heisst: Man muss nicht schlechtweg z. E. ein Fuchs sagen, sondern man muss fein sagen: Un vieux Renard, mais des plus fins, Grand croqueur de poulets, grand preneur de lapins, Sentant son Renard d'un lieue etc. Der Fabulist brauchet Fuchs, um mit einer einzigen Silbe ein individuelles Bild eines witzigen Schalks zu entwerfen; und der Poet will lieber von dieser Bequemlichkeit nichts wissen, will ihr entsagen, ehe man ihm die Gelegenheit nehmen soll, eine lustige Beschreibung von einem Dinge zu machen, dessen ganzer Vorzug hier eben dieser ist, dass es keine Beschreibung bedarf. Der Fabulist will in einer Fabel nur eine Moral zur Intuition bringen. Er wird es also sorgfaeltig vermeiden, die Teile derselben so einzurichten, dass sie uns Anlass geben, irgendeine andere Wahrheit in ihnen zu erkennen, als wir in allen Teilen zusammengenommen erkennen sollen. Viel weniger wird er eine solche fremde Wahrheit mit ausdruecklichen Worten einfliessen lassen, damit er unsere Aufmerksamkeit nicht von seinem Zwecke abbringe oder wenigstens schwaeche, indem er sie unter mehrere allgemeine moralische Saetze teilet.--Aber Batteux, was sagt der? "Die zweite Zierat, sagt er, bestehet in den Gedanken; naemlich in solchen Gedanken, die hervorstechen und sich von den uebrigen auf eine besondere Art unterscheiden." Nicht minder widersinnig ist seine dritte Zierat, die Allusion--Doch wer streitet denn mit mir? Batteux selbst gesteht es ja mit ausdruecklichen Worten, "dass dieses nur Zieraten solcher Erzaehlungen sind, die vornehmlich zur Belustigung gemacht werden". Und fuer eine solche Erzaehlung haelt er die Fabel? Warum bin ich so eigensinnig, sie auch nicht dafuer zu halten? Warum habe ich nur ihren Nutzen im Sinne? Warum glaube ich, dass dieser Nutzen seinem Wesen nach schon anmutig genug ist, um aller fremden Annehmlichkeiten entbehren zu koennen? Freilich geht es dem La Fontaine, und allen seinen Nachahmern, wie meinem Manne mit dem Bogen[6]; der Mann wollte, dass sein Bogen mehr als glatt sei; er liess Zieraten darauf schnitzen; und der Kuenstler verstand sehr wohl, was fuer Zieraten auf einen Bogen gehoerten; er schnitzte eine Jagd darauf: nun will der Mann den Bogen versuchen, und er zerbricht. Aber war das die Schuld des Kuenstlers? Wer hiess den Mann, so wie zuvor, damit zu schiessen? Er haette den geschnitzten Bogen nunmehr fein in seiner Ruestkammer aufhaengen und seine Augen daran weiden sollen! Mit einem solchen Bogen schiessen zu wollen! --Freilich wuerde nun auch Plato, der die Dichter alle mitsamt ihrem Homer aus seiner Republik verbannte, dem Aesopus aber einen ruehmlichen Platz darin vergoennte, freilich wuerde auch er nunmehr zu dem Aesopus, so wie ihn La Fontaine verkleidet hat, sagen: Freund, wir kennen einander nicht mehr! Geh auch du deinen Gang! Aber, was geht es uns an, was so ein alter Grillenfaenger, wie Plato, sagen wuerde?-- {Fussnote 6: S. die erste Fabel des dritten Buchs.} Vollkommen richtig! Unterdessen, da ich so sehr billig bin, hoffe ich, dass man es auch einigermassen gegen mich sein wird. Ich habe die erhabene Absicht, die Welt mit meinen Fabeln zu belustigen, leider nicht gehabt; ich hatte mein Augenmerk nur immer auf diese oder jene Sittenlehre, die ich, meistens zu meiner eigenen Erbauung, gern in besondern Faellen uebersehen wollte; und zu diesem Gebrauche glaubte ich meine Erdichtungen nicht kurz, nicht trocken genug aufschreiben zu koennen. Wenn ich aber itzt die Welt gleich nicht belustige, so koennte sie doch mit der Zeit vielleicht durch mich belustiget werden. Man erzaehlt ja die neuen Fabeln des Abstemius ebensowohl als die alten Fabeln des Aesopus in Versen; wer weiss, was meinen Fabeln aufbehalten ist und ob man auch sie nicht einmal mit aller moeglichen Lustigkeit erzaehlet, wenn sie sich anders durch ihren innern Wert eine Zeitlang in dem Andenken der Welt erhalten? In dieser Betrachtung also, bitte ich voritzo mit meiner Prosa-- Aber ich bilde mir ein, dass man mich meine Bitte nicht einmal aussagen laesst. Wenn ich mit der allzumuntern und leicht auf Umwege fahrenden Erzaehlungsart des La Fontaine nicht zufrieden war, musste ich darum auf das andere Extremum verfallen? Warum wandte ich mich nicht auf die Mittelstrasse des Phaedrus und erzaehlte in der zierlichen Kuerze des Roemers, aber doch in Versen? Denn prosaische Fabeln; wer wird die lesen wollen!--Diesen Vorwurf werde ich ohnfehlbar zu hoeren bekommen. Was will ich im voraus darauf antworten? Zweierlei. Erstlich, was man mir am leichtesten glauben wird: ich fuehlte mich zu unfaehig, jene zierliche Kuerze in Versen zu erreichen. La Fontaine, der ebendas bei sich fuehlte, schob die Schuld auf seine Sprache. Ich habe von der meinigen eine zu gute Meinung und glaube ueberhaupt, dass ein Genie seiner angebornen Sprache, sie mag sein, welche es will, eine Form erteilen kann, welche er will. Fuer ein Genie sind die Sprachen alle von einer Natur; und die Schuld ist also einzig und allein meine. Ich habe die Versifikation nie so in meiner Gewalt gehabt, dass ich auf keine Weise besorgen duerfen, das Silbenmass und der Reim werde hier und da den Meister ueber mich spielen. Geschaehe das, so waere es ja um die Kuerze getan und vielleicht noch um mehr wesentliche Eigenschaften der guten Fabel. Denn zweitens--Ich muss es nur gestehen; ich hin mit dem Phaedrus nicht so recht zufrieden. De La Motte hatte ihm weiter nichts vorzuwerfen, als "dass er seine Moral oft zu Anfange der Fabeln setze und dass er uns manchmal eine allzu unbestimmte Moral gebe, die nicht deutlich genug aus der Allegorie entspringe". Der erste Vorwurf betrifft eine wahre Kleinigkeit; der zweite ist unendlich wichtiger, und leider gegruendet. Doch ich will nicht fremde Beschuldigungen rechtfertigen; sondern meine eigne vorbringen. Sie laeuft dahinaus, dass Phaedrus, sooft er sich von der Einfalt der griechischen Fabeln auch nur einen Schritt entfernt, einen plumpen Fehler begehet. Wieviel Beweise will man? Z. E. Fab. 4. Libri I Canis per flumen, carnem dum ferret natans, Lympharum in speculo vidit simulacrum suum etc. Es ist unmoeglich; wenn der Hund durch den Fluss geschwommen ist, so hat er das Wasser um sich her notwendig so getruebt, dass er sein Bildnis unmoeglich darin sehen koennen. Die griechischen Fabeln sagen: Kuwn kreaV ecousa potamon diebaine; das braucht weiter nichts zu heissen, als: er ging ueber den Fluss; auf einem niedrigen Steige muss man sich vorstellen. Aphthonius bestimmt diesen Umstand noch behutsamer: KreaV arpasasa tiV kuwn par' authn dihei thn ocJhn; der Hund ging an dem Ufer des Flusses. Fab. 5. Lib. I Vacca et capella, et patiens ovis injuriae, Socii fuere cum leone in saltibus. Welch eine Gesellschaft! Wie war es moeglich, dass sich diese viere zu einem Zwecke vereinigen konnten? Und zwar zur Jagd! Diese Ungereimtheit haben die Kunstrichter schon oefters angemerkt; aber noch keiner hat zugleich anmerken wollen, dass sie von des Phaedrus eigener Erfindung ist. Im Griechischen ist diese Fabel zwischen dem Loewen und dem wilden Esel (OnagroV). Von dem wilden Esel ist es bekannt, dass er ludert; und folglich konnte er an der Beute teilnehmen. Wie elend ist ferner die Teilung bei dem Phaedrus: Ego primam tollo, nominor quia leo; Secundam, quia sum fortis, tribuetis mihi; Tum quia plus valeo, me sequetur tertia; Male afficietur, si quis quartam tetigerit. Wie vortrefflich hingegen ist sie im Griechischen! Der Loewe macht sogleich drei Teile; denn von jeder Beute ward bei den Alten ein Teil fuer den Koenig oder fuer die Schatzkammer des Staats beiseite gelegt. Und dieses Teil, sagt der Loewe, gehoeret mir, basileuV gar eimi; das zweite Teil gehoert mir auch, wV ex isou koinwnwn, nach dem Rechte der gleichen Teilung; und das dritte Teil kakon mega soi poihsei, ei mh eJelhV jugein. Fab. 11. Lib. I Venari asello comite cum vellet leo, Contexit illum frutice, et admonuit simul, Ut insueta voce terreret feras etc. -- -- Quae dum paventes exitus notos petunt, Leonis affliguntur horrendo impetu. Der Loewe verbirgt den Esel in das Gestraeuche; der Esel schreiet; die Tiere erschrecken in ihren Lagern, und da sie durch die bekannten Ausgaenge davonfliehen wollen, fallen sie dem Loewen in die Klauen. Wie ging das zu? Konnte jedes nur durch einen Ausgang davonkommen? Warum musste es gleich den waehlen, an welchem der Loewe lauerte? Oder konnte der Loewe ueberall sein?--Wie vortrefflich fallen in der griechischen Fabel alle diese Schwierigkeiten weg! Der Loewe und der Esel kommen da vor eine Hoehle, in der sich wilde Ziegen aufhalten. Der Loewe schickt den Esel hinein; der Esel scheucht mit seiner fuerchterlichen Stimme die wilden Ziegen heraus, und so koennen sie dem Loewen, der ihrer an dem Eingange wartet, nicht entgehen. Fab. 9. Libr. IV Peras imposuit Jupiter nobis duas, Propriis repletam vitiis post tergum dedit, Alienis ante pectus suspendit gravem. Jupiter hat uns diese zwei Saecke aufgelegt? Er ist also selbst Schuld, dass wir unsere eigene Fehler nicht sehen und nur scharfsichtige Tadler der Fehler unsers Naechsten sind? Wieviel fehlt dieser Ungereimtheit zu einer foermlichen Gotteslaesterung? Die bessern Griechen lassen durchgaengig den Jupiter hier aus dem Spiele; sie sagen schlechtweg: AnJrwpoV duo phraV ekastoV jerei; oder: duo phraV exhmmeJa tou trachlou usw. Genug fuer eine Probe! Ich behalte mir vor, meine Beschuldigung an einem andern Orte umstaendlicher zu erweisen, und vielleicht durch eine eigene Ausgabe des Phaedrus. V. Von einem besondern Nutzen der Fabeln in den Schulen Ich will hier nicht von dem moralischen Nutzen der Fabeln reden; er gehoeret in die allgemeine praktische Philosophie: und wuerde ich mehr davon sagen koennen, als Wolf gesagt hat? Noch weniger will ich von dem geringem Nutzen itzt sprechen, den die alten Rhetores in ihren Voruebungen von den Fabeln zogen, indem sie ihren Schuelern aufgaben, bald eine Fabel durch alle casus obliquos zu veraendern, bald sie zu erweitern, bald sie kuerzer zusammenzuziehen etc. Diese Uebung kann nicht anders als zum Nachteil der Fabel selbst vorgenommen werden; und da jede kleine Geschichte ebenso geschickt dazu ist, so weiss ich nicht, warum man eben die Fabel dazu missbrauchen muss, die sich als Fabel ganz gewiss nur auf eine einzige Art gut erzaehlen laesst. Den Nutzen, den ich itzt mehr beruehren als umstaendlich eroertern will, wuerde man den heuristischen Nutzen der Fabeln nennen koennen.--Warum fehlt es in allen Wissenschaften und Kuensten so sehr an Erfindern und selbstdenkenden Koepfen? Diese Frage wird am besten durch eine andre Frage beantwortet: Warum werden wir nicht besser erzogen? Gott gibt uns die Seele, aber das Genie muessen wir durch die Erziehung bekommen. Ein Knabe, dessen gesamte Seelenkraefte man, soviel als moeglich, bestaendig in einerlei Verhaeltnissen ausbildet und erweitert, den man angewoehnet, alles, was er taeglich zu seinem kleinen Wissen hinzulernt, mit dem, was er gestern bereits wusste, in der Geschwindigkeit zu vergleichen und achtzuhaben, ob er durch diese Vergleichung nicht von selbst auf Dinge koemmt, die ihm noch nicht gesagt worden, den man bestaendig aus einer Scienz in die andere hinuebersehen laesst, den man lehret, sich ebenso leicht von dem Besondern zu dem Allgemeinen zu erheben, als von dem Allgemeinen zu dem Besondern sich wieder herabzulassen: der Knabe wird ein Genie werden, oder man kann nichts in der Welt werden. Unter den Uebungen nun, die diesem allgemeinen Plane zufolge angestellet werden muessten, glaube ich, wuerde die Erfindung aesopischer Fabeln eine von denen sein, die dem Alter eines Schuelers am aller angemessensten waeren: nicht, dass ich damit suchte, alle Schueler zu Dichtern zu machen; sondern weil es unleugbar ist, dass das Mittel, wodurch die Fabeln erfunden worden, gleich dasjenige ist, das allen Erfindern ueberhaupt das allergelaeufigste sein muss. Dieses Mittel ist das Principium der Reduktion, und es ist am besten, den Philosophen selbst davon zu hoeren: Videmus adeo, quo artificio utantur fabularum inventores, principio nimirum reductionis: quod quemadmodum ad inveniendum in genere utilissimum, ita ad fabulas inveniendas absolute necessarium est. Quoniam in arte inveniendi principium reductionis amplissimum sibi locum vindicat, absque hoc principio autem nulla effingitur fabula; nemo in dubium revocare poterit, fabularum inventores inter inventores locum habere. Neque est quod inventores abjecte de fabularum inventoribus sentiant: quod si enim fabula nomen suum tueri, nec quicquam in eadem desiderari debet, haud exiguae saepe artis est eam invenire, ita ut in aliis veritatibus inveniendis excellentes hic vires suas deficere agnoscant, ubi in rem praesentem veniunt. Fabulae aniles nugae sunt, quae nihil veritatis continent, et earum autores in nugatorum non inventorum veritatis numero sunt. Absit autem ut hisce aequipares inventores fabularum vel fabellarum, cum quibus in praesente nobis negotium est, et quas vel inviti in Philosophiam practicam admittere tenemur, nisi praxi officere velimus. [1] {Fussnote 1: Philosophiae practicae universales pars posterior 310.} Doch dieses Principium der Reduktion hat seine grossen Schwierigkeiten. Es erfordert eine weitlaeuftige Kenntnis des Besondern und aller individuellen Dingen, auf welche die Reduktion geschehen kann. Wie ist diese von jungen Leuten zu verlangen? Man muesste dem Rate eines neuern Schriftstellers folgen, den ersten Anfang ihres Unterrichts mit der Geschichte der Natur zu machen und diese in der niedrigsten Klasse allen Vorlesungen zum Grunde zu legen[2]. Sie enthaelt, sagt er, den Samen aller uebrigen Wissenschaften, sogar die moralischen nicht ausgenommen. Und es ist kein Zweifel, er wird mit diesem Samen der Moral, den er in der Geschichte der Natur gefunden zu haben glaubet, nicht auf die blossen Eigenschaften der Tiere, und anderer geringern Geschoepfe, sondern auf die aesopischen Fabeln, welche auf diese Eigenschaften gebauet werden, gesehen haben. {Fussnote 2: Briefe die neueste Litteratur betreffend. 1. Teil, S. 58.} Aber auch alsdenn noch, wenn es dem Schueler an dieser weitlaeuftigen Kenntnis nicht mehr fehlte, wuerde man ihn die Fabeln anfangs muessen mehr finden als erfinden lassen; und die allmaehlichen Stufen von diesem Finden zum Erfinden, die sind es eigentlich, was ich durch verschiedene Versuche meines zweiten Buchs habe zeigen wollen. Ein gewisser Kunstrichter sagt: "Man darf nur im Holz und im Feld, insonderheit aber auf der Jagd, auf alles Betragen der zahmen und der wilden Tiere aufmerksam sein und, sooft etwas Sonderbares und Merkwuerdiges zum Vorschein koemmt, sich selber in den Gedanken fragen, ob es nicht eine Aehnlichkeit mit einem gewissen Charakter der menschlichen Sitten habe und in diesem Falle in eine symbolische Fabel ausgebildet werden koenne."[3] Die Muehe, mit seinem Schueler auf die Jagd zu gehen, kann sich der Lehrer ersparen, wenn er in die alten Fabeln selbst eine Art von Jagd zu legen weiss, indem er die Geschichte derselben bald eher abbricht, bald weiter fortfaehrt, bald diesen oder jenen Umstand derselben so veraendert, dass sich eine andere Moral darin erkennen laesst. {Fussnote 3: Critische Vorrede zu M. v. K. neuen Fabeln.} Z. E. die bekannte Fabel von dem Loewen und Esel faengt sich an: Lewn kai onoV, koinwnian Jemenoi, exhlJon epi Jhran--Hier bleibt der Lehrer stehen. Der Esel in Gesellschaft des Loewen? Wie stolz wird der Esel auf diese Gesellschaft gewesen sein! (Man sehe die achte Fabel meines zweiten Buchs.) Der Loewe in Gesellschaft des Esels? Und hatte sich denn der Loewe dieser Gesellschaft nicht zu schaemen? (Man sehe die siebente.) Und so sind zwei Fabeln entstanden, indem man mit der Geschichte der alten Fabel einen kleinen Ausweg genommen, der auch zu einem Ziele, aber zu einem andern Ziele fuehret, als Aesopus sich dabei gesteckt hatte. Oder man verfolgt die Geschichte einen Schritt weiter: Die Fabel von der Kraehe, die sich mit den ausgefallenen Federn andrer Voegel geschmueckt hatte, schliesst sich: kai o koloioV hn palin koloioV. Vielleicht war sie nun auch etwas Schlechters, als sie vorher gewesen war. Vielleicht hatte man ihr auch ihre eigene glaenzenden Schwingfedern mit ausgerissen, weil man sie gleichfalls fuer fremde Federn gehalten? So geht es dem Plagiarius. Man ertappt ihn hier, man ertappt ihn da; und endlich glaubt man, dass er auch das, was wirklich sein eigen ist, gestohlen habe. (S. die sechste Fabel meines zweiten Buchs.) Oder man veraendert einzelne Umstaende in der Fabel. Wie, wenn das Stuecke Fleisch, welches der Fuchs dem Raben aus dem Schnabel schmeichelte, vergiftet gewesen waere? (S. die funfzehnte) Wie, wenn der Mann die erfrorne Schlange nicht aus Barmherzigkeit, sondern aus Begierde, ihre schoene Haut zu haben, aufgehoben und in den Busen gesteckt haette? Haette sich der Mann auch alsdenn noch ueber den Undank der Schlange beklagen koennen? (S. die dritte Fabel.) Oder man nimmt auch den merkwuerdigsten Umstand aus der Fabel heraus und bauet auf denselben eine ganz neue Fabel. Dem Wolfe ist ein Bein in dem Schlunde steckengeblieben. In der kurzen Zeit, da er sich daran wuergte, hatten die Schafe also vor ihm Friede. Aber durfte sich der Wolf die gezwungene Enthaltung als eine gute Tat anrechnen? (S. die vierte Fabel.) Herkules wird in den Himmel aufgenommen und unterlaesst, dem Plutus seine Verehrung zu bezeigen. Sollte er sie wohl auch seiner Todfeindin, der Juno, zu bezeigen unterlassen haben? Oder wuerde es dem Herkules anstaendiger gewesen sein, ihr fuer ihre Verfolgungen zu danken? (S. die zweite Fabel.) Oder man sucht eine edlere Moral in die Fabel zu legen; denn es gibt unter den griechischen Fabeln verschiedene, die eine sehr nichtswuerdige haben. Die Esel bitten den Jupiter, ihr Leben minder elend sein zu lassen. Jupiter antwortet: tote autouV apallaghsesJai thV kakopaJeiaV, otan ourounteV poihswsi potamon. Welch eine unanstaendige Antwort fuer eine Gottheit! Ich schmeichle mir, dass ich den Jupiter wuerdiger antworten lassen und ueberhaupt eine schoenere Fabel daraus gemacht habe. (S. die zehnte Fabel.) ---Ich breche ab! Denn ich kann mich unmoeglich zwingen, einen Kommentar ueber meine eigene Versuche zu schreiben. Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Abhandlungen ueber die Fabel, von Gotthold Ephraim Lessing. *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, ABHANDLUNGEN UEBER DIE FABEL *** This file should be named 7abhf10.txt or 7abhf10.zip Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7abhf11.txt VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7abhf10a.txt Project Gutenberg eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not keep eBooks in compliance with any particular paper edition. We are now trying to release all our eBooks one year in advance of the official release dates, leaving time for better editing. Please be encouraged to tell us about any error or corrections, even years after the official publication date. Please note neither this listing nor its contents are final til midnight of the last day of the month of any such announcement. 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